"Tolerierung darf im Kräftemessen der politischen Kräfte nur eine Ausnahme sein, sie schwächt den eigenen Charakter, sie schleift das eigene Profil. Entweder man übernimmt Verantwortung in der Regierung oder man übernimmt Verantwortung in der Opposition. Der Mittelweg jedoch das Dazwischen, das Bindeglied gewissermaßen zwischen Macht und Widerpart – das ist keine wirkliche Option außerhalb vorübergehender Lösungsnöte.
In all den Jahren meiner politischen Tätigkeit habe ich es nie mit der reinen Lehre gehalten. Demokratie ist Beteiligung. Sich unter keinen Bedingungen mit den politischen Gegner gemein zu machen, das mag sehr stolz gelingen, es kann aber auch verhängnisvolle, unfruchtbare Abkehr von der Realität bedeuten.
Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig – wer allerdings zu viele Kompromisse schließt, gibt seinen Charakter auf. Den richtigen Weg dazwischen zu finden, dies macht den schwierigen Weg politischer Kunst aus. "(S. 439)
"Demokratie baut darauf, dass sich Unanfechtbarkeiten auflösen: Den Weg der Grünen ins Kompatible muss man heftig kritisieren, aber man darf ihn auch sehen als eine Erfahrung mit dem Gesetz des Demokratischen: Man wird verführt, eigene Positionen anderen Kräften auszusetzen – und verändert sich so auch selber. Nie einzig zum Guten, aber auch nie nur zum Schlechten
Frieden machen bedeutet nicht, keine demokratisch–sozialistische Gesellschaft anzustreben. Es schließt aber ein, was gerade uns oft schwer fällt: Frieden zu machen mit dem Menschen, wie er ist. Es geht nicht darum, diesen ewig alten Menschen zu ändern, sondern die Welt so in Balance zu halten, dass der Mensch althergebracht sein darf. Und dies friedlich und frei, gerecht, demokratisch und solidarisch." (S.453/54)
(Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig, 2017)
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