Donnerstag, 27. Juni 2019

euro|topics: Rechtsextremismus: Mord erschüttert Deutschland

Rund drei Wochen nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat der Verdächtige Stephan E. die Tat gestanden. Er habe aus Empörung über Lübckes Äußerungen zur Flüchtlingspolitik als Einzeltäter gehandelt. Stephan E. soll Kontakte in die rechtsextreme Szene gehabt haben. Wie konnte es zu dem Mord kommen?
TAZ, DIE TAGESZEITUNG (DE)

Auf dem rechten Auge immer noch blind

Der Kampf gegen Rechtsextremismus wird immer noch nicht ausreichend ernst genommen, kritisiert die taz:
„Mehr Geld, mehr Know-how, mehr politischer Wille muss in seine Bekämpfung fließen - und vor allem in die Aufklärung neonazistischer Strukturen, die viel zu lange vernachlässigt wurde. Stattdessen ist wieder einmal die Rede vom Einzeltäter, die auch schon beim Umgang mit dem vermeintlichen NSU-'Trio' verhindert hat, das Netzwerk der TerroristInnen besser auszuleuchten. ... Die Gefahr durch Rechtsterrorismus stand nicht einmal bei der Innenministerkonferenz oben auf der Agenda. Stattdessen wollte Seehofer über Abschiebungen nach Afghanistan und Clan-Kriminalität diskutieren. Da war Walter Lübcke seit zehn Tagen tot und zumindest der Verdacht auf einen rechtsextremen Hintergrund existierte bereits.“
Alicia Lindhoff
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Enthemmte Sprache kann zum Morden führen

Die AfD trägt mit ihrer Sprache eine Mitschuld daran, dass rechte Täter zu Gewalt greifen, meint die Neue Zürcher Zeitung:
„Es reicht, sich die täglichen Kommentare der Partei auf Facebook anzuschauen, ihrem wichtigsten Kommunikationskanal. ... Die Kommunikation der AfD erinnert an eine vollgeschmierte Klowand. ... Eine enthemmte Sprache macht aus denen, die sie benutzen, keine Mörder. Aber sie kann Mörder machen. ... Wenn ein ohnehin schon radikalisierter Kopf am laufenden Band hört und liest, dass das eigene Land ein Unrechtsstaat sei und die Repräsentanten diktatorische Darsteller, dann kann er durchaus auf den Gedanken kommen, dass seine Pläne zum Widerstand ... berechtigt sein könnten. Kein Mensch weiss bis jetzt, welche Faktoren Stephan E. letztlich zum Mörder gemacht haben. Aber vermutlich wird auch er auf Facebook oder in anderen sozialen Netzwerken unterwegs gewesen sein.“
Marc Felix Serrao
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
FINANCIAL TIMES (GB)

Deutsche Demokratie steht auf dem Spiel

Dass sich die CDU nicht von der AfD distanzieren will, könnte sich für die Partei und ganz Deutschland noch bitter rächen, warnt Financial Times:
„Die CDU-Führung unter Annegret Kramp-Karrenbauer hat Koalitionen mit der AfD kategorisch ausgeschlossen, und doch vergeht kein Tag ohne parteiinternes Geplänkel zu dem Thema. Wer die volle Bedeutung dieses kaltblütigen Mordes richtig einordnen möchte, muss anerkennen, dass hier mehr auf dem Spiel steht als die Zukunft der Partei oder deren Fähigkeit und Möglichkeit zu regieren. Es geht um die Zukunft der deutschen Demokratie - die beste, die das Land je hatte. Das muss jeder und jedem Deutschen ein ernstes Anliegen sein. Für die CDU geht es um die eigene Ehre und vielleicht sogar ums Überleben.“
Constanze Stelzenmüller
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
LA STAMPA (IT)

Blutspur zieht sich durch Europa

Vor Lübcke gab es weitere Politiker, die zum Opfer der Rechten wurden, erinnert der Diplomat Michele Valsensise in La Stampa:
„Vom Tod der Labour-Abgeordneten Jo Cox, die in Leeds Opfer eines britischen Neonazis am Vorabend des Brexit-Referendums wurde, über die Ermordung des Bürgermeisters von Danzig,Pawel Adamowicz, zu Beginn des Jahres, bis zum Fall Lübcke. Wie der deutsche Politiker kämpften auch die beiden anderen für die Einhaltung der Rechte und Solidarität, sie wurden zum roten Tuch für intolerante und nationalistische Fanatiker in verschiedenen europäischen Ländern. Der gewalttätige Radikalismus der extremen Rechten ist nach Deutschland zurückgekehrt. ... Seit der Wiedervereinigung sind mehr als 150 Menschen Opfer von Angriffen Rechtsextremer geworden, und der Angriff auf Lübcke ist der erste politische Mord seit 1949.“
Michele Valensise

Dienstag, 25. Juni 2019

euro|topics: Klimaziele werden in der EU zur Fußnote

Die Staats- und Regierungschefs haben sich nicht auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 geeinigt, weil Polen, Tschechien, Ungarn und Estland den Beschluss blockierten. Lediglich in einer Fußnote steht nun, dass "eine große Anzahl von Staaten" dieses Ziel erreichen wolle. Kommentatoren sind empört und glauben, dass das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen ist.
STERN (DE)

Überzeugungstäter gesucht

Warschau sollte sich nicht so kleingeistig zeigen, kritisiert das Magazin Stern:
„Knackpunkt für Polen waren Forderungen nach Unterstützung ..., um den Wandel seiner stark von Kohle geprägtenEnergieversorgung zu bewerkstelligen. Vor der Ausarbeitung eines Plans könne man nicht zustimmen. Warum eigentlich nicht? Das ehrgeizige Klimaziel für 2050 erfordert keine Klimazauderer. Es erfordert Überzeugungstäter und Entschlossenheit. Zugegeben: Für die einen mehr als für die anderen. Aber es lässt sich, so will es auch Polen verstanden wissen, nur gemeinsam erreichen. Die Ambitionen der großen Mehrheit in eine Fußnote zu verbannen tritt das gemeinsame Ziel und das Anliegen vieler buchstäblich mit Füßen.“
Florian Schillat
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
EL PAÍS (ES)

Den Osten in die Pflicht nehmen

Polen, Tschechien, Ungarn und Estland haben die EU-Mitgliedschaft wohl grundlegend falsch verstanden, schimpft El País:
„Und wieder hat der Widerstand einiger osteuropäischer Länder diesen Vorschlag in eine reine Absichtserklärung abgeschwächt. ... Die Gegner des Vorschlags fordern Entschädigung für den zu erbringenden Mehraufwand. Die EU sollte darüber nachdenken. Aber man muss die Gegner auch daran erinnern, dass die EU-Mitgliedschaft nicht nur Vorteile und Rechte mit sich bringt, sondern auch Kosten und Pflichten.“
Zum Originalartikel
Teilen auf
 
POLITYKA (PL)

EU wird nicht klein beigeben

Polen hat sich mit seiner Blockadehaltung keinen Gefallen getan, findet Polityka:
„Die Position des polnischen Premiers, obwohl nicht überraschend, ist eine Enttäuschung für einige westliche Regierungschefs. So hofften die Franzosen, dass Morawiecki durch die Zusage einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung für die Emissionsreduzierung überzeugt werden könne. ... Der Haken an der Sache ist für Polen, dass die EU das Thema Klimaneutralität nicht vergessen wird und es bald durch die Hintertür einführen kann: als Rechtsvorschrift der EU-Kommission, für die nur eine Mehrheit der Stimmen und nicht die Einstimmigkeit aller EU-Länder benötigt wird. Auch durch die immer stärkere Bindung von EU-Mitteln an eine Reduzierung der Emissionen kann die Klimaneutralität durchgesetzt werden.“
Tomasz Bielecki
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
POSTIMEES (EE)

Energiegewinnung neu denken

Auch Estland hat das Klimaziel abgelehnt und diskutiert derzeit, von Kohle auf die Verbrennung von Holz und Ölschiefer umzusteigen. Naturschutz-Aktivist Siim Kuresoo reagiert in Postimees mit Unverständnis:
„Vielen Bergleuten droht demnächst Arbeitslosigkeit und Einkommensverlust. ... Die Regierung reagiert und bietet Lösungen an. Es ist aber unverständlich, wieso man nicht versucht die viel übergeordnetere Frage zu beantworten: Was machen wir, damit Familien, Gemeinden und die ganze Region ihr Vertrauen in die Zukunft wieder bekommen? ... Stattdessen stellt man die Frage: Was sollen wir nun verbrennen? ... Dieser Ansatz ist umweltschädlich und auch wirtschaftlich und sozial nicht nachhaltig. Holz für die Energiegewinnung zu verbrennen und Öl aus Ölschiefer herzustellen, ist angesichts der Klimakrise völlig inakzeptabel.“
Siim Kuresoo
Teilen auf
Zum Originalartikel