Montag, 26. Dezember 2022

Oded Galor: Einheitliche Wachstumstheorie und die segensreiche Investition in Humankapital

 Oded Galor "ist vor allem als Schöpfer der Unified Growth Theory bekannt" (Wikipedia) 

Auch für Laien gut lesbar geschrieben ist:

"The Journey of Humanity. Die Reise der Menschheit durch die Jahrtausende: Über die Entstehung von Wohlstand und Ungleichheit. dtv durch die Jahrtausende: Über die Entstehung von Wohlstand und Ungleichheit." dtv April 2022 (Perlentaucher

Wolfgang Schneider berichtet über das Buch Galor komme "zu der Erkenntnis, dass das Humankapital ein entscheidendes Element in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte sei. Denn seit der industriellen Revolution investierten Unternehmer vermehrt in die Bildung potentieller Arbeitskräfte und Familien beschränkten sich auf weniger Kinder, denen sie eine bessere Ausbildung zukommen ließen, jeweils um den eigenen Wohlstand beziehungsweise Gewinn zu steigern".

Gustav Seibt "freut sich über den höchst optimistischen Blick auf die Menschheitsgeschichte und -zukunft"  (beide Perlentaucher)

Ich finde vor allem bemerkenswert, dass er ernsthaft versucht, die Produktivitätssteigerung infolge Industriellen Revolutionen primär aus 'vermehrter Humankapitalbildung' (S.151 und passim) zu erklären. Zwar verschweigt er fossile Energien, den atlantischen Dreieckshandel (Sklaven) und die weitgehende Ausrottung indigener Völker nicht ganz. Aber dem malthusianischen Zeitalter (mit dem er die Menschheitsgeschichte von vor der Neolithischen Revolution bis zur ersten Industriellen Revolution zusammenfasst) sei die Menschheit primär durch gesteigerte Investition in Humankapital entkommen. 

Dass statt der Begrenzung regionaler Bevölkerungen durch die mathusianische Katastrophe jetzt eine Gefährdung der gesamten Weltbevölkerung durch die Klimakatastrophe droht, spielt er herunter, indem er so tut, als ob nicht ein Jahrzehnt, sondern viele Jahrzehnte zur Umsteuerung und Entwicklung neuer Technologien reichten. Dabei zitiert er selbst Bill Gates von 2021 "Wir müssen uns im nächsten Jahrzehnt massiv auf Technologien, Maßnahmen und Marktstrukturen fokussieren, die uns auf den Weg bringen, die Treibhausgase bis 2050 zu eliminieren." (S.158/59)

Dass das scheitern muss, wenn wie in den vergangenen Jahrzehnten die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung an ihrer Lebensweise festhalten*, übergeht er geflissentlich.

"Zwar hat also die industrielle Revolution eine globale Erwärmung ausgelöst, doch könnte der mit ihr zeitgleich einsetzende demographische Übergang deren Folgen auch wieder abschwächen und so den potentiellen Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltschutz die Spitze nehmen. Ein anhaltendes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Verringerung weiterer Umweltzerstörung und Vermeidung der Wahrscheinlichkeit eines Kollapses wird im wesentlichen von genau denselben Schlüsselfaktoren abhängen, die uns in diese missliche Lage geführt haben: technologische Innovation, die uns aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffe herausführt und den Übergang zu umweltfreundlichen Technologien erleichtert, und einen Rückgang der Geburtenrate, wodurch sich die Belastung der Umwelt durch die Bevölkerung verringert und weiteres Wirtschaftswachstum angeregt wird." (S.158)

"Diese Strategien und Strukturen sollten weltweit die Gleichstellung der Geschlechter fördern, den Zugang zur Bildung erleichtern, die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln sicherstellen und so zu einer Verringerung der Geburtenrate auf der ganzen Welt beitragen. Indem sie den gegenwärtigen Trend der globalen Erwärmung abschwächen, verschaffen Sie uns wertvolle Zeit für die Entwicklung der bahnbrechenden Technologien, die wir für diesen Kampf benötigen. [...] Dann sollte die unglaubliche Kraft menschlicher Innovation, die im Zeitalter des Fortschritts so spektakulär entfesselt wurde, in Verbindung mit dem Rückgang der Geburtenrate – beides befördert durch die Bildung von Humankapital – die rechtzeitige Entwicklung der benötigten revolutionären Technologien möglich machen. Gelingt dies, wird die Klimakrise in den kommenden Jahrhunderten nur noch eine allmählich verblassende Erinnerung sein." (S.159)

Im Jahr 1992 hätte man das als blauäugigen Optimismus durchgehen lassen können. Im Jahr 2022 stellt es eine Verleugnung des Scheiterns der Bemühungen der letzten drei Jahrzehnte dar. 

* "Die obersten 10 Prozent der Weltbevölkerung sind für etwa 50 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, während die untere Hälfte der Weltbevölkerung lediglich 12 Prozent aller Emissionen beiträgt." (Piketty in Das Klima-Buch, S.445)

Mit seinem Konjunktiv "könnte" versucht er zu verschleiern, dass inzwischen ohne eine Änderung der Lebensweise der oberen zehn Prozent alle Bemühungen von 90 Prozent der Weltbevölkerung zur Erfolglosigkeit verdammt wären. 

Der demographische Übergang hat zwar schon weitgehend stattgefunden, aber angesichts des Mehrverbrauchs der wirtschaftlichen "Eliten" ist er nahezu bedeutungslos. Das hat die Entwicklung Chinas, das trotz Ein-Kind-Politik dabei ist die USA als größten Treibhausgasemittent zu überholen, gezeigt. 

Dass nicht nur die wirtschaftliche Situation des Mittelstandes (insbesondere in China) sich verbessert hat, sondern auch die absolute Armut über mehr als ein Jahrzehnt abgenommen hat, damit hat Galor freilich recht.

Claudia Goldin hat deshalb das 20. Jh. als "das Jahrhundert des Humankapitals" bezeichnet.

Zitate:

"Zu den größten technologischen Errungenschaften dieser Ära gehören die Nutzung der Atomenergie, die Einführung von Computern, die Entwicklung von Antibiotika, das Automobil und das Flugzeug, der Rundfunk, das Fernsehen und natürlich das Internet. Neben all diesen Neuerungen hat der technologische Wandel jedoch auch unsere ältesten und wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse verbessert. Die Entwicklung besonders ertragreicher und krankheitsresistenter Arten von Getreide, Mais und Reis hat in kürzester Zeit die Produktion der Landwirtschaft erhöht. Die als 'Grüne Revolution' deklarierte Einführung solch neuer, ertragreicher Sorten hatte enorme Erntesteigerungen zur Folge und reduzierte weltweit den Hunger. Mexiko konnte sich so in den 1960er-Jahren zum Selbstversorger mit Getreide und Mais entwickeln, während Indien und Pakistan ihre Ernten in den Jahren 1965-1970 fast verdoppelten und 1974 schließlich nicht mehr auf Einfuhren angewiesen waren." (S. 150)

Die Verbreitung von Technologien über den Globus während des 20. Jahrhunderts erhöhte wie immer nicht nur die Nachfrage nach Humankapital und steigerte dessen Wert, sie brachte auch den Demographischen Übergang bis in den letzten Winkel des Planeten. Der weltweite Anstieg der Investitionen in das Humankapital führte zwischen 1976 und 2016 zu einem Anstieg der Alphabetisierungsrate unter der erwachsenen Weltbevölkerung von 61 Prozent auf 83 Prozent bei Frauen und von 77 Prozent auf 90 Prozent bei Männern. Unterdessen sank der Anteil von Mädchen die keine Grundschule besuchten, von 35 Prozent im Jahr 1970 auf 10 Prozent im Jahr 2016, bei den Jungen entsprechend von 20 Prozent auf 8 %. In Ländern, deren Bevölkerung laut Weltbank nur ein geringes Einkommen erzielt, fiel der Anteil der Mädchen, die keine Schule besuchen, sogar von 70 Prozent im Jahr 1970 auf 23 Prozent im Jahr 2016, bei Jungen entsprechend von 56 Prozent auf 18 %.

Und wie Sie sich inzwischen sicher denken können, hatte die vermehrte Humankapitalbildung überall einen Rückgang der Geburtenrate zur Folge [...]. Im Zeitraum von 1970 bis 2016 sank die Geburtenrate von einem weltweiten Durchschnitt von 5 Kindern pro Frau auf 2,4 Kinder. Der Rückgang vollzog sich flächendeckend, wenn auch regional unterschiedlich stark. In Ländern mit hohen Einkommen fiel die Geburtenrate von 3 Kindern pro Frau auf 1,7, in Ländern mit niedrigen Einkommen von 6,5 auf 4,7  Im subsaharischen Afrika von 6,6 auf 4,8, in der arabischen Welt von 6,9 auf 3,3, in China – hauptsächlich aufgrund der seit 1979 propagierten Einkindpolitik – von 5,7 auf 1,6, in Indien von 5,9 auf 2,3." (S.151/12)

Dienstag, 20. Dezember 2022

Rassismus - Antisemitismus: Arbeit in einem Minenfeld

 Aus einem Interview mit Sina Arnold und Meron Mendel über ihr Buch

"[...]  Wir wollten ein Forum für einen kritischen Austausch von Antisemitismus- und Rassismuskritik bieten, und das ist so nicht aufgegangen. Unsere Ausgangsdiagnose, dass der politische Streit unmöglich ist, hat sich im Laufe des Produktionsprozesses bestätigt. Aber gleichzeitig muss man auch sagen, dass wir für das Buch seit Erscheinen sehr viel Zuspruch erhalten haben – von Personen aus dem Feld der Antisemitismus- wie der Rassismuskritik. [...]

Das Projekt wäre fast schon vor der Veröffentlichung gescheitert: Zwei Autoren, Kerem Schamberger und Ramsis Kilani, haben ihren eigentlich geplanten Text nicht im Buch abdrucken dürfen. Was war so polarisierend oder explosiv an ihrem Beitrag?

Arnold: Ihr Beitrag war für das Herzstück des Buchs geplant, den Teil der FAQs – Frequently Asked Questions. Dort werden unterschiedliche Antworten auf scheinbar naive Fragen gegeben, beispielsweise zu: Ist Kritik an Israel antisemitisch? Ist jede Verschwörungstheorie antisemitisch? Und auch: Ist der BDS antisemitisch? Wir haben zwei sehr BDS-kritische Beiträge dazu, das spiegelt auch unsere Position als Herausgeber:innen wider. Wir wollten aber auch einen Text dabei haben, der deutlich macht, warum ein Boykott für viele eine annehmbare politische Strategie ist. Wir fanden, dass man über das Thema diskutieren sollte. Der Beitrag von Schamberger und Kilani befasste sich mit der Abwesenheit palästinensischer Positionen in der deutschen Debatte. Als wir die Namen der Autoren aus produktionstechnischen Gründen relativ spät bekanntgaben, machten einige Autorinnen und Autoren klar, dass sie mit den beiden nicht in einem Sammelband sein wollten. [...]

Mendel: Die Lagerbildung ist sehr stark sozialisationsbedingt. Es gibt Kreise, in denen sich der moralische Kompass am Holocaust ausrichtet. Aus der Tradition heraus, die auch ein Stück weit die Frankfurter Schule repräsentiert und die Mahnung, dass sich der Holocaust nicht wiederholen darf, entstand eine linke Denkschule, die der Frage nachgeht, wie es verhindert werden kann, dass wieder Antisemitismus verbreitet wird. Die andere linke Denkschule ist aus der postkolonialen Tradition entstanden, die außerhalb von Deutschland viel verbreiteter ist. Für sie bestimmt das Thema Kolonialismus den moralischen Kompass und die Frage nach Antisemitismus ist sekundär. Juden werden in der Regel in dieser Denkschule als Weiße gesehen – dazu haben wir auch den Beitrag „Sind Juden weiß?“ im Buch. [...]

Aus postkolonial-rassismuskritischer Sicht gilt die Solidarität den Schwachen, Marginalisierten, Ausgeschlossenen, Entrechteten – und damit oft den Palästinenser:innen. BDS-Unterstützer:innen interpretieren mitunter auch die Staatsgründung Israels als einen Akt des europäischen Kolonialismus. Wenn Sie sagen, man muss auch andere Sichtweisen berücksichtigen: Haben Sie denn Verständnis für diese Begründungen der BDS-Unterstützung?

Mendel: Das sind lange Debatten, und all diesen Thesen kann man etwas entgegensetzen. Es spricht aus wissenschaftlicher Perspektive viel gegen die Behauptung, die jüdische Besiedlung von Israel sei ein Ausdruck des Kolonialismus, dazu gibt es einen hervorragenden Text von Stefan Vogt im Buch, der das sehr differenziert darstellt. Nichtsdestotrotz müssen wir uns mit den Fragen auseinandersetzen. Ich kann verstehen, dass es aus der Perspektive von jemandem, der in Nahost lebt, wie Kolonialismus aussehen kann. Es wurden Menschen aus dem Land verdrängt. Das sind Realitäten, die nicht zu leugnen sind. Deswegen müssen diese Perspektiven zusammengebracht werden, und zwar ohne Anspruch darauf, dass man am Ende auf ein einziges geltendes Narrativ kommt. Das wird nicht gelingen. Es würde reichen, wenn die Empathie da ist, um zu verstehen, dass es auch eine andere Sichtweise gibt. Und anzuerkennen, dass es sich um historische Narrative handelt, die vor dem aktuellen Geschehen überprüft werden müssen. Das Verharren in dem einen Narrativ ist keine Lösung. [...]" 


Interview zu dem Buch:

Leseprobe  (pdf)      



euro|topics: COP15: Was bringt das Naturschutzabkommen?

 

Mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen sollen bis zum Jahr 2030 unter Naturschutz gestellt werden. Auf dieses und weitere Ziele haben sich die knapp 200 teilnehmenden Staaten beim Weltnaturgipfel in Montreal geeinigt. Inwieweit diese nicht verbindliche Abschlusserklärung der COP15 ausreicht, um die Artenvielfalt zu bewahren, debattiert Europas Presse.

ZEIT ONLINE (DE)

Endlich einmal rechtzeitig

Zeit Online lobt das Abkommen als Erfolg:

„Schon allein, weil es jetzt kommt und nicht später. Das 30/30-Ziel sehen viele Natur- und Umweltorganisationen als würdiges Äquivalent zum 1,5-Grad-Ziel von Paris. Eine verbindliche Zahl, an der sich die Welt orientieren soll. Der Masterplan von Montreal hat dabei einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Pariser Klimaabkommen: Er kommt noch rechtzeitig. Während die Wissenschaft kaum mehr ernsthaft davon ausgeht, dass es gelingen könnte, die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen, hat das Naturabkommen noch eine Chance auf Erfolg.“

Dagny Lüdemann
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DAGENS NYHETER (SE)

Trödeln wäre ein tödlicher Fehler

Ärmel hochkrempeln und ran an die Arbeit, fordert Dagens Nyheter:

„Das sind gute Ansatzpunkte, entscheidend wird aber sein, wie sie interpretiert und umgesetzt werden. ... Denken Sie daran, wie lange es gedauert hat, bis die Klimakrise wirklich politisch aufgegriffen wurde, und wie viel einfacher es gewesen wäre, die Probleme vor 10 oder 20 Jahren zu bewältigen. Machen wir nicht noch einmal denselben Fehler und lassen Tausende von Arten aussterben, bevor wir die Notwendigkeit verstehen.“

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THE GUARDIAN (GB)

Erfolgsbilanz fürchterlich

The Guardian sieht nichts als Augenwischerei:

„Die 23 Ziele des Cop15-Biodiversitätsabkommens reichen nicht aus, um unwiederbringliche Verluste, auch bei den vielen vom Aussterben bedrohten Arten, zu verhindern. ... Das Abkommen ist rechtlich nicht bindend, was Bedenken bezüglich der Aussichten auf eine Umsetzung weckt. Die Erfolgsbilanz globaler Biodiversitätspläne ist fürchterlich. Jedes der 20 Ziele, die 2010 im japanischen Aichi gesetzt wurden, hat man verfehlt. Das neue Abkommen wurde trotz der Einwände afrikanischer Länder abgeschlossen. Zu diesen Ländern gehörte auch die Demokratische Republik Kongo (DRC), die einen der größten Regenwälder der Welt beheimatet, der durch Öl- und Gasförderung bedroht ist.“

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LA LIBRE BELGIQUE (BE)

Es geht nicht nur ums Breitmaulnashorn

Die Rolle der Biodiversität für Wirtschaft und Klimaschutz betont La Libre Belgique:

„Mehr als die Hälfte des globalen BIP hängt von natürlichen Ressourcen und Dienstleistungen ab, die uns die Natur in vielen Bereichen bietet: Ernährung, Trinkwasser, Energie, Gesundheit … Der Schutz der Artenvielfalt bedeutet daher nicht nur, das letzte Breitmaulnashorn zu retten. Allein der Verlust der Bestäuberinsekten könnte die landwirtschaftlichen Erträge beispielsweise um 500 Milliarden Dollar jährlich verringern. Auch dürfen wir nicht vergessen, welchen Puffereffekt die Ökosysteme zu Land und zu Wasser haben, da sie einen Teil unserer negativen Klimabilanz eliminieren, indem sie die Hälfte unserer CO2-Emissionen absorbieren.“

Sophie Devillers
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PÚBLICO (PT)

Die Schäden sind schon zu gravierend

Für den Erhalt der Artenvielfalt reicht es nicht mehr aus, Gebiete unter Schutz zu stellen, mahnt der Biologe Pedro Prata in Público:

„Derzeit geht es vor allem darum, durch menschliches Handeln geschädigte Gebiete zu renaturieren, um die Ökosysteme zu vervollständigen und widerstandsfähiger zu machen und die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf den Planeten zu verringern. Es ist notwendig, das Wort 'bewahren' in Portugal, Europa und anderen Regionen der Welt zu überdenken. Es reicht nicht mehr aus, das zu erhalten, was von den Ökosystemen übrig geblieben ist, denn selbst Gebiete, die als 'geschützt' gelten, sind oft degradiert und weisen unvollständige und nicht funktionsfähige Ökosysteme auf.“

Pedro Prata
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POSTIMEES (EE)

Sechste Aussterbewelle verhindern

Estland sollte sich an die Hausaufgaben setzen, meint Postimees:

„In Estland sind 23 Prozent der Fläche unter Naturschutz, das heißt auch hier muss man daran denken, wie und wo man erweitert. Die Ziele des Montreal-Kunming Abkommens werden durch die Warnung der Wissenschaftler gestützt, dass wegen menschlicher Tätigkeit die sechste Aussterbewelle auf der Erde beginnt. Das wäre der größte Verlust lebendiger Natur seit dem Aussterben der Dinosaurier auf dem Planeten. Naturschutz ist teuer. Nachhaltigeres und naturschonendes Verhalten wird wahrscheinlich die Wirtschaft bremsen und Menschen finanziell ärmer machen. Saubere und artenvielfältige Natur kann man aber schwer in Geld messen.“

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Mittwoch, 14. Dezember 2022

euro|topics: Was bedeutet der Korruptionsskandal für die EU?

 

Nach der Festnahme von Eva Kaili diskutiert das EU-Parlament am heutigen Dienstag über die Absetzung seiner suspendierten Vizepräsidentin. Kaili soll Geld aus Katar angenommen haben, damit sie Einfluss auf EU-Entscheidungen nimmt; Belgiens Staatsanwaltschaft wirft ihr und weiteren Verdächtigen unter anderem Korruption und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Europas Presse debattiert die Konsequenzen.

LA VANGUARDIA (ES)

Moralische Autorität angeschlagen

Der Ruf des europäischen Gewissens steht auf dem Spiel, warnt La Vanguardia:

„Das Europäische Parlament, das bisher die von den Bürgern am meisten geschätzte EU-Institution war, könnte durch diesen Skandal in großen Misskredit geraten und die übrigen europäischen Institutionen mit sich reißen. Es wird auch die moralische Autorität verlieren, mit der es bisher die Korruption in einigen Mitgliedstaaten kritisiert hat, wie der ungarische Premierminister Viktor Orbán gestern in einem Tweet spottete. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass Katar in den letzten Monaten zu einem strategischen Partner der EU geworden ist, der das LNG verkauft, das wegen der Schließung des russischen Gashahns gebraucht wird.“

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TURUN SANOMAT (FI)

Zum ungünstigsten Zeitpunkt

Die Glaubwürdigkeit der EU ist stark angegriffen, bedauert Turun Sanomat:

„Der Skandal im Parlament kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Gerade jetzt wird vom Westen besondere Einigkeit verlangt, damit sichergestellt ist, dass die Front gegen den Einmarsch Russlands in die Ukraine so lange wie nötig hält. Leider haben wir einen Riss bereits gesehen, als Ungarn gegen das Einfrieren der EU-Hilfen protestierte, indem es das Hilfspaket für die Ukraine blockierte, obwohl die Hilfe des Westens für den militärischen Erfolg der Ukraine unverzichtbar ist. Die jetzt aufgedeckten Korruptionsvorwürfe untergraben die Glaubwürdigkeit der EU-Entscheidungsfindung zu einem Zeitpunkt, an dem eine solche Erschütterung am wenigsten gebraucht werden kann.“

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LE MONDE (FR)

Ethik- und Lobbyregeln erneuern

Die EU sollte den Korruptionsskandal produktiv nutzen, fordert Alberto Alemanno, Professor für Europarecht, in Le Monde:

„Das Europäische Parlament muss diesen Integritätsskandal in eine echte Reformanstrengung umwandeln. Anstatt sich wieder einmal darauf zu beschränken, die Partei zu geißeln, die direkt in den aktuellen Skandal verwickelt ist, sollten die führenden EU-Politiker unverzüglich eine umfassende Neugestaltung des Ethik- und Lobbysystems der Union ankündigen. … Der Skandal, der sich hier abspielt, ist jämmerlich. Genau das sollte die EU-Spitze motivieren, die Dinge zu korrigieren. Endlich.“

Alberto Alemanno
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WIENER ZEITUNG (AT)

Es braucht Entschlossenheit, nicht neue Gremien

Die bisherige Reaktion der EU auf die Vorfälle verärgert die Wiener Zeitung:

„Offiziell sind im Brüsseler Transparenz-Register rund 12.000 Lobbyisten eingetragen. Angesichts dieser Rahmenbedingungen mutet der Beitrag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Problemlösung, nämlich die Forderung nach einem Ethikrat zur Überwachung aller EU-Institutionen, als typische Pflichtübung einer Spitzenpolitikerin an. Der reflexhafte Ruf nach Schaffung eines neuen Gremiums, ohne dass man noch viel über die Hintergründe weiß, ist wenig originell. … Ein neuer EU-Ethikrat wird, so ist zu erwarten, daran herzlich wenig ändern. Ein entschlossenes Vorgehen der Behörden umso mehr.“

Walter Hämmerle
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MAGYAR NEMZET (HU)

EU muss sich den Spiegel vorhalten

Die regierungsnahe Magyar Nemzet wirft der EU Heuchelei vor:

„Die Wege der menschlichen Gier und des Geizes sind augenscheinlich genauso undurchschaubar, wie die Lobbyisten aus Katar aufdringlich sind. ... Die Wege der Heuchelei sind jedoch schnurgerade. ... Korruption gibt es in jedem Land. ... Eine der wichtigsten Fragen ist: in welchem Ausmaß und in welcher Form? Die andere Hauptfrage - insbesondere im Fall der EU-Institutionen - ist, wer einen allgemeinen Korruptionsvorwurf gegen irgendein Land, zum Beispiel gegen Ungarn, als politischen Knüppel schwingt und aus welchem Grund.“

László Szőcs
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Vom hohen Ross absteigen

Das EU-Parlament wäre gut beraten, die Affäre schleunigst aufzuklären, meint die Neue Zürcher Zeitung:

„Tatsächlich geht in Europa wohl niemand sonst so scharf mit den Korrupten und Semi-Autoritären, den Orbans und Kaczynskis dieser Welt ins Gericht wie die einzigen gewählten Volksvertreter der EU. Seit Jahren machen sie sich dafür stark, dass die Gewaltenteilung funktioniert und europäische Mittel nicht in dunklen Kanälen verschwinden. … Dass nun Ungarns Regierungschef das 'Katar-Gate' ausschlachten wird, liegt auf der Hand. … Die Europaabgeordneten wären jetzt gut beraten, schleunigst ihr Haus in Ordnung zu bringen – und vor allem von ihrem hohen Ross abzusteigen. Die schlichte Wahrheit ist, dass sich Geld überall Einfluss erkauft.“

Daniel Steinvorth
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