Mittwoch, 31. Oktober 2007

Vertrag von Lissabon

Der Vertrag ist "der gelungene Versuch, dank Umverteilung der Artikel und Streichung des Verfassungs-Vokabulars der Forderung nach nationalen Referenden die Grundlage zu entziehen". So Valéry Giscard d'Estaing (FR 30.10.07).
Mich beruhigt's. Denn Giscard sieht außer einigen Abschwächungen der Gemeinsamkeit der Staaten (vor allem zugunsten britischer Wünsche, rechtlich ungebunden zu bleiben) die Hauptreformschritte des Verfassungsvertrages gewahrt. Was ihm fehlt, ist die Einheitlichkeit des Textes und der Wille "zu einer Verfassung für die europäischen Bürger".
Mir selbst erscheint das kein so großer Verlust. Angesichts eines Verfassungstextes von 448 Artikeln, 36 Protokollen mit 3 Anhängen (wobei ein einzelnes Protokoll allein auch schon ohne weiteres auf 65 Artikel kommen kann) und einer Schlussakte mit 30 Erklärungen zur Verfassung sowie 50 Erklärungen zu den Protokollen fällt es mir schwer, eine Einheitlichkeit des Textes zu erkennen. Und wer den Bürgern einen solchen Text als ihre Verfassung vorsetzt, hat meiner Meinung nach keinen starken Willen zu einer Verfassung für die Bürger.
Ich gebe zu, der Prozess der Einigung hat sich verlangsamt. Die große Gefahr, dass die EU noch handlungsfähiger wird, als sie es jetzt schon ist und als sie mit der neuen Verfassung geworden wäre, scheint mir aber gebannt.
Ich hoffe aber darauf, dass aus der Erfahrung des Scheiterns des Verfassungsentwurfs einmal der Wille zu einer wirklichen Verfassung für die Bürger erwächst. Voraussetzung dafür ist meiner Meinung nach, dass der Wille zu gemeinsamem politischen Handeln - angesichts der größeren Drucks, der vom Aufkommen Chinas und Indiens und der Gefahr einer Totalentfremdung von USA und Russland wie in den Zeiten des Kalten Krieges - zunimmt und dass eine europäische Öffentlichkeit entsteht. Europäische Öffentlichkeit heißt für mich, dass immer wieder mal gemeinsame Themen in der gesamten EU gleichzeitig diskutiert werden und der interessierte Bürger ohne extremen Aufwand erfahren kann, welche Argumentationen in den anderen Staaten der EU ablaufen. Dazu brauchte es ein europäisches Fernsehen (nach dem Vorbild des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE) und eine stärkere Kooperation der großen überregionalen Zeitungen. Es müsste so sein, dass nationale Diskussionen in einem Land der EU in keinem anderen Land völlig übergagen werden und dass immer wieder die großen nationalen Zeitungen gemeinsame Themen behandeln und die Argumente, die anderswo dazu ausgetauscht werden, aufgreifen.
Ansätze dazu gibt es. Aber das sind nur Ansätze, die völlig unzureichend sind für die Begründung einer europäischen Öffentlichkeit, die die gesamteuropäische Politik demokratisch kontrolliert. (Man denke nur an den völlig unterschiedlichen Verlauf der Diskussion zu menschlichen embryonalen Stammzellen in Deutschland und Großbritannien. Ethische Fragen dürfen innerhalb eines geschlossenen politischen Raumes nicht so völlig unterschiedlich diskutiert werden.)

Sonntag, 28. Oktober 2007

Ökologie und Wirtschaft

Seit Jahren ist in den hessischen CDU-Lehrplänen für die 11. Jahrgangsstufe der Zusammenhang von Ökologie und Wirtschaft ein Thema (Ökologie und Marktwirtschaft Thema des 2. Halbjahrs in Politik und Wirtschaft). Nun besteht die Chance, dass mit Hermann Scheer ein Minister diese beiden Ressorts gemeinsam vertritt.
Das ist so vernünftig, dass man fast fragen muss: "Ist das wirklich ernst gemeint?"
Vernünftige Zielsetzungen leisten sich Politiker nicht selten dann, wenn sie nicht befürchten müssen, sie auch wirklich verfolgen zu können.

Samstag, 20. Oktober 2007

EU-Reformvertrag

Im Gegensatz zur Ansicht mancher Kommentatoren hatte der EU-Verfassungsentwurf für mich keinen Glanz. Vielmahr sah ich in ihm etwas Ähnliches wie den jetzt von den Regierungschefs unterzeichneten Reformvertrag.
Glanz hätte für mich nur ein Verfassungssntwurf gehabt, der ähnlich übersichtlich gewesen wäre wie das Grundgesetz. Also ein Dokument, das einen klaren Kern erkennen lässt (im GG entsprächen dem die Artikel 1 und 20 sowie etwas genauer ausgeführt Artikel 1 - 69) und auf unter 100 Seiten im Oktavformat in lesbarer Form gedruckt werden könnte.
Im Economist wurde im Jahr 2000 ein noch kürzerer für die Bürger auch wirklich verständlicher Entwurf vorgelegt, der mir freilich inhaltlich nicht gefiel. Ich hoffe, dass bis zum nächsten Anlauf für eine Verfassung ein solcher übersichtlicherer Text vorgelegt wird.
Insofern und auch, weil der Verfassungsentwurf mir noch zu unsozial war, denke ich, dass mit der französisch-niederländischen Ablehnung nicht mehr Porzellan zerschlagen worden ist als nötig. Das gilt freilich nur, wenn der gegenwärtige Vertragsentwurf durchkommt und dadurch die EU handlungsfähig bleibt. Denn ein Rückfall der EU auf eine reine Zollunion wäre m.E. nicht nur für Europa, sondern auch für die ganze Welt beklagenswert. Dafür enthält der "europäische Traum" (Rifkin) zu viel Positives.

Freitag, 19. Oktober 2007

Terrorismus

Mir ist nicht ganz klar, weshalb den Mitgliedern der RAF gegenwärtig ein so relativ großes Verständnis entgegengebracht wird, dass ehemalige Mitglieder heute unkommentiert die Ansicht vertreten können, der Terror der RAF sei legitim gewesen. ("Die RAF war als Antwort auf den Kriegsimperialismus, der sich in Vietnam austobte, auch in gewisser Weise legitim." Karl-Heinz Dellwo in der FR vom 19.10.07)

Eine Erklärung ist vielleicht, dass man angesichts des islamistischen Terrors versucht, die Motivation von Terroristen zu verstehen, um dem Phänomen nicht völlig ohne Ansatzpunkte für Verstehen gegenüber zu stehen.
Eine andere wäre, dass man das Ende der Strafe - nach dem, was als rechtsstaatlich höchste Frist für Resozialisierungsversuch eingeführt worden ist, als Beweis dafür nimmt, dass die Schuld gesühnt sei.
Aber das bleibt Spekulation.

Freilich müsste man jeden einzelnen Fall prüfen, um für ihn ein Urteil abgeben zu können. Für mich ist Ulrike Meinhof nach dem, was ich über sie und ihren Weg zur RAF weiß, allerdings eher eine tragische Figur als eine Verbrecherin. Von keinem der anderen RAF-Mitglieder ist mir Ähnliches bekannt. Schon gar nicht kann ich es so sehen, wenn jemand noch heute davon spricht, der Vietnamkrieg habe den Terrorismus in Deutschland gerechtfertigt.

Uniakten der späteren RAF-Anführer (samt Beurteilungen durch die Studienstiftung)

EU-Reform

Einigung über EU-Reform

Donnerstag, 11. Oktober 2007

Rauswurf bei NDR und Kerner

Eva Herman ist dadurch interessant, dass man zu Wichtigem aufbaut, wenn sie etwas nicht Korrektes sagt. Dabei ist sie weder Bundeskanzlerin noch "Gewissen der Nation" (wie angeblich Günter Grass).
Diesmal bin ich in der Analyse mit Henryk M. Broder einig.

Montag, 8. Oktober 2007

Streit zwischen Beck und Müntefering

Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Brandner hat jetzt vorgeschlagen, Becks Vorschlag, die Verlängerung der Auszahlung von Arbeitslosengeld I, nur befristet auf drei Jahre zu beschließen und nach diesen drei Jahren im Blick auf die Auswirkungen über das weitere Vorgehen zu entscheiden.
Das bedeutete schlicht nur eine Verlagerung des Streits auf in drei Jahren. Denn über die Auswirkung der Änderung wird man sich dann genauso uneinig sein wie jetzt über die Auswirkungen von Hartz IV.

Mittwoch, 3. Oktober 2007

Rückkehr

Ayaan Hirsi Ali kehrt zurück, weil die Regierung der Niederlande glaubt, sie könne sie nicht auf Dauer in den USA beschützen lassen. Eine Bankrotterklärung des Rechtsstaats oder nur eine zweite Fehlentscheidung eines niederländischen Ministers?

Horst Köhlers neue Rede

Horst Köhler ist einen weiten Weg gegangen von seiner unsäglichen Rede, in der er - vermutlich ohne sich der Ungeheuerlichkeit bewusst zu werden, Arbeitsplätze anstelle von Demokratie propagierte. Gegenüber dieser Rede ist seine neue ein großer Fortschritt.
Damals formulierte er noch:
Was der Schaffung und Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze dient, muss getan werden. Was dem entgegensteht, muss unterlassen werden. Was anderen Zielen dient, und seien sie noch so wünschenswert, ist nachrangig. Eine solche Grundeinstellung wünsche ich mir von allen, die politische Verantwortung tragen.

War Hilfe für Arme und Schwache, Seelsorge, Hilfe zur Selbstbestimmung jemals wettbewerbsfähig? Welcher „Helfer der Menschheit“, wie man pathetisch die großen Forscher von Kopernikus über Newton zu Einstein, die großen Befreier von Kleisthenes über Martin Luther King bis Gandhi und Nelson Mandela, die barmherzigen Helfer von Henri Dunant bis Mutter Theresa nennt, hätte je wettbewerbsfähig gearbeitet?
"Was der Schaffung und Sicherung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze dient, muss getan werden." Das war eine Rechtfertigung von Hitlers Aufrüstung und den Schmu mit den MEFO-Wechseln.
Davon ist Köhler in seiner neuen Rede zum Glück weit entfernt.
Was man den Optimismus der Rede genannt hat, seine Vorstellung, Hartz IV habe soziale Gerechtigkeit und sozialen Frieden garantiert, scheint mir aber eine gefährliche Illusion.

Über den Weg zu Horst Köhlers Rücktritt in der zweiten Amtszeit informiert die Welt.

Globale Gerechtigkeit

Dass es an der globalen Gerechtigkeit noch mehr fehlt als an der nationalen, sieht Horst Köhler richtig.
Ein Aufreißen der sozialen Schere im Inneren lässt sich aber in einer Demokratie nicht mit mit einer Politik für die Armen der Welt verbinden. Wenn Gewinnmaximierung des Einzelunternehmens und Angebotsförderung die einzigen Ziele der Wirtschaftspolitik bleiben, hilft auch ein Eindämmen der sozialen Ungerechtigkeit der gegenwärtigen WTO-Politik allenfalls kurzfristig zu mehr Gerechtigkeit.

Biosprit ein Klimakiller?

Neueren Untersuchungen nach ist die Ökobilanz von Biosprit negativ.

Blackwater im Irak

Das US-Sicherheitsunternehmen Blackwater wird vom zuständigen Kongressausschuss als schießwütig kritisiert. Seine Selbstverteidigung klingt wenig beeindruckend.

Bushs Erben

"Die Globalisierung verändert eben vieles, nicht nur die Warenströme, auch die Werturteile der Wähler", so begründet Spiegel-online seine Analyse, dass die republikanischen Präsidentschaftskandidaten keine ernsthaften Siegeschancen hätten. Die Republikaner sieht es als "hoffnungslose". Die Demokraten als die voraussehbaren wirklichen Erben. Ich hoffe sehr stark auf die Berechtigung dieser Analyse, weil in der internationalen Politik die Haltung der Bush-Regierung Multilateralismus verhindert. Und dieser ist meiner Meinung nach die einzige Chance, wie der notwendige politische Wandel ohne schwerwiegende Auseiandersetzungen möglich sein wird.

Dienstag, 2. Oktober 2007

Verhandlungen zwischen Nord- und Südkorea

Ein neuer Versuch zu einem Friedensvertrag zwischen Nord- und Südkorea zu kommen, wird beschritten.

Putins Plan für den Machterhalt

Putin als Ministerpräsident mit einem Staatspräsidenten seines Vertrauens, das ist die überraschende, konsequente, aber auch nicht ganz risikolose neue Strategie Putins.

Montag, 1. Oktober 2007

Kooperation Iran - USA?

Ein geschickter Propagandazug ist es allemal: das Kooperationsangebot des Irans für den Fall eines konkreten Abzugsplans der USA aus dem Irak.
Selbstverständlich kann ich nicht beurteilen, was das bedeutet. Diesen Vorschlag völlig ohne Prüfung zu verwerfen, hielte ich allerdings für falsch. Deshalb stellt der Vorschlag, je realistischer er vom Iran gestaltet werden kann, auch einen Eingriff in den Vorwahlkampf in den USA dar. Denn irgendwie müssen die Kandidaten auf dies Angebot reagieren. Ohne Apparat, der zumindest den Anschein einer Prüfung vermitteln kann, ist das freilich sehr schwer. Insofern könnte der Vorschlag sich auch als Falle für die Demokraten erweisen, wenn die Bush-Administration nach einer positiven Reaktion der demokratischen Kandidaten auf den Vorschlag eine überzeugende Begründung liefern sollte, dass er nicht ernstzunehmen sei.