Samstag, 28. März 2020

euro|topics: Sind die Gesundheitssysteme der Pandemie gewachsen?

Die Ausgangsbeschränkungen in vielen europäischen Ländern dienen vor allem dazu, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Denn werden zu viele Menschen gleichzeitig krank, kollabieren selbst bei optimaler gesundheitlicher Versorgung früher oder später die Krankenhäuser. Von einem Optimum sind viele Staaten allerdings weit entfernt, wie Kommentatoren teilweise verbittert feststellen.
LIBÉRATION (FR)

Wir werden die Politiker zur Verantwortung ziehen

Ein Psychologe des Krankenhauses von Mulhouse klagt unter dem Pseudonym Claude Baniam in Libération an:
„Ich bin wütend und zornig, weil ich weiß, dass diese Väter und Mütter, Söhne und Töchter, Großväter und Großmütter alleine sterben werden, in einem überforderten Krankenhaus, trotz der mutigen Bemühungen des Pflegepersonals; alleine, ohne den Blick oder die Hand derer, die sie lieben. ... Ich bin wütend und zornig, denn die, die jeden Tag zur Arbeit kommen, trotz der Angst, infiziert zu werden, wurden in politischen Reden jahrelang abfällig behandelt. ... Ich bin wütend und zornig, weil die Politiker unser Sozial- und Gesundheitssystem zerstört und uns pausenlos erklärt haben, dass es der Anstrengung aller bedarf, um diesen heiligen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. ... Wir werden Rechenschaft verlangen von all denjenigen, die uns in diese schreckliche Situation gebracht haben.“
Claude Baniam
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HARAVGI (CY)

Gesundheit hatte bisher eine Nebenrolle

Die Pandemie hat aufgezeigt, welche falschen Prioritäten Zyperns Regierung gesetzt hat, erläutert Haravgi:
„In sieben aufeinanderfolgenden Jahren [seit der Bankenkrise 2013] zog sie es vor, Hochhäuser zu bauen und Pässe auszustellen, anstatt sich auf die Bürger selbst zu konzentrieren. Die Schwächung des öffentlichen Gesundheitssystems wurde auf die schlimmste Weise aufgedeckt. Wir haben zu wenig Ausrüstung, um das Virus zu bekämpfen und die Ereignisse sind uns immer einen Schritt voraus. Diese Krise zeigt auch, wie wenig die Regierung für die soziale Unterstützung der Bürger unternommen hat.“
Kostis Pitsilloudis
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ROMÂNIA CURATĂ (RO)

Es fehlt nicht nur am Geld

Rumänien hat das kleinste Gesundheitsbudget Europas, doch seine Ärzte arbeiten auch darüber hinaus unter erschwerten Bedingungen, schreibt die Politikanalystin Alina Mungiu-Pippidi in România Curată:
„Wenn jetzt in ganz Europa Mediziner aus der Rente oder dem Urlaub zurückgerufen werden, verstehen vielleicht auch die Rumänen, warum die PSD [im August 2018] die Gehälter für die Mediziner erhöhen musste: Andernfalls wären alle ausgewandert. In ganz Europa fehlt es an Ärzten, sie hätten definitiv einen Job gefunden. ... Sie sind aber nicht nur wegen der Gehälter weg, sondern auch, weil es sich schlecht operieren lässt, wenn die Politik Einfluss auf den Klinikalltag hat, die Organisation schlecht ist und viele Patienten nicht einmal die einfachsten Regeln der Hygiene und Freundlichkeit beherrschen. ... Das Krankenhaus kann schließlich nicht besser sein als die Gesellschaft.“
Alina Mungiu-Pippidi
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DER STANDARD (AT)

Ohne Osteuropäerinnen geht es nicht

In Österreich werden viele alte Menschen von 24-Stunden-Kräften aus Rumänien, der Slowakei und Ungarn betreut. Das Land kann heilfroh sein, dass viele hiergeblieben sind, statt zu ihren Familien zu fahren, kommentiert Der Standard:
„Im Vorjahr haben ÖVP und FPÖ die Familienbeihilfe für EU-Bürger, deren Kinder im Ausland leben, an die dortigen Lebenskosten angepasst. Für die ohnehin schlecht verdienenden Pflegerinnen aus Osteuropa läuft dies auf eine Kürzung heraus. ... Angesichts des drohenden Pflegenotstandes schnallt hoffentlich sogar die ÖVP, dass sie damit Menschen traf, die zu den Stützen der Gesellschaft zählen. Untergraben hat der Schritt auch die europäische Solidarität. Gut möglich, dass mancher Politiker eines Nachbarlandes den feindlichen Akt im Hinterkopf hat, wenn Österreich nun um Reiseerlaubnis für die Pflegerinnen buhlt.“
Gerald John
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Donnerstag, 26. März 2020

euro|topics: Unverzichtbare Berufe?


Menschen applaudieren vom Fenster aus dem medizinischen Personal - diese Geste ist in der Corona-Krise zu einem Symbol geworden. Doch nicht nur die Arbeit in den Krankenhäusern erscheint im Ausnahmezustand plötzlich in einem neuen Licht. Auch die Restriktionen des Lockdowns lassen Kommentatoren darüber nachdenken, welche Berufe für die Gesellschaft am wichtigsten sind.
KURIER (AT)

Die Helden des Alltags werden sichtbar

Jetzt zeigt sich, wen wir wirklich brauchen, konstatiert der Kurier:
„Plötzlich stehen sie im Scheinwerferlicht und sind die HeldInnen des Alltags. Sie, die sonst gerne übersehen werden - und auch nicht besonders gut bezahlt. In der Corona-Krise gibt es für die Grundversorger kein Homeoffice, kein Beobachten aus der Ferne. Sozialkontakte können diese Versorger nicht vermeiden, auch in der Krise machen sie ihren Dienst - damit wir Lebensmittel haben, der Müll abtransportiert wird, Zustelldienste funktionieren, die medizinische Versorgung gewährleistet ist und die wichtigen Informationen an die Bevölkerung kommen. Ohne sie würde dieses Land zusammenbrechen. Ein schnelles Danke ist die eine Sache, eine notwendige Aufwertung dieser Berufe, dann, wenn alles vorüber ist, die andere.“
Sandra Baierl
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ZEIT ONLINE (DE)

Applaus vom Balkon reicht nicht

Die neue Wertschätzung ist zwar schön, aber reicht nicht, meint Zeit Online:
„Es genügt nicht, ein paar Zeilen in sozialen Netzwerken zu posten oder am Balkon zu stehen und zu klatschen. ... Wir sollten dafür sorgen, dass die Beschäftigten Überstunden ausgleichen können, Arbeitszeiten eingehalten werden und dass sie mehr Urlaubstage bekommen. Es braucht Tarifverträge für alle Menschen in diesen Berufen. Nicht nur in der Klinik, auch Lkw-Fahrerinnen und Kassierer benötigen diese Absicherungen. ... Nicht zuletzt brauchen sie die Aussicht auf eine Rente in Würde, auf eine Perspektive ohne Altersarmut. Wenn Berufe systemrelevant sind, sollte sich das in ihrem Gehalt, den Arbeitsbedingungen und der Rente widerspiegeln. Wir sollten das auch nach der Corona-Krise nicht vergessen.“
David Gutensohn
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EL PAÍS (ES)

Krise macht Journalisten zu schaffen

Qualitätsjournalismus ist jetzt wichtiger denn je, doch die Zeitungen sind bedroht, sorgt sich El País:
„Die Anzeigeneinnahmen sind in kurzer Zeit auf ein Fünftel gesunken, während die Ausgangssperre den Verkauf beeinträchtigt. ... Selten haben die Medien ihre gesellschaftliche Funktion so deutlich gezeigt. ... Informieren in dieser Zeit als systemrelevante Aufgabe zu verstehen, bedeutet nicht, Privilegien für die Medien zu fordern, sondern erneut auf den besonderen Einsatz für die Gesellschaft hinzuweisen. Einen Einsatz, der sich nicht durchhalten lässt, wenn diese Krise fortdauert.“
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LE SOIR (BE)

Sozialarbeiter so wichtig wie Ärzte

Damit in der Krise die Schwächsten nicht unter die Räder kommen, muss nun die Arbeit im sozialen Bereich aufgewertet werden, mahnen Führungskräfte entsprechender Organisationen und Einrichtungen in einem gemeinsamen Aufruf an die Regierenden in Le Soir:
„Wir können diese schwierige Zeit überwinden und dabei sogar die Solidarität und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken. Das geht aber nicht ohne staatliche Unterstützung, klare Ansagen und finanzielle Mittel. Wir brauchen von Ihnen die Anerkennung, dass die Sozialarbeiter an der Seite des medizinischen Personals zum Kampf gegen Covid-19 beitragen. Sie müssen die Sozialarbeiter schützen, ihnen Vorrang bei der Betreuung ihrer Kinder in den Schulen einräumen und Leistungen am Telefon mit Leistungen vor Ort gleichsetzen, wie Sie es für die Ärzte tun.“
Céline Nieuwenhuys
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JYLLANDS-POSTEN (DK)

Politiker ziehen an einem Strang

Ohne es ausdrücklich auszusprechen, zählt Jyllands-Posten auch die Politiker zu den Menschen mit systemrelevanten Berufen:
„In Dänemark haben sie zusammengestanden und in hohem Tempo gemeinsam die wichtigsten Entscheidungen getroffen, wie das Land herunterzufahren ist und welche Wirtschaftspakete aufzulegen sind. ... Gleichzeitig ist klar, dass das, was jetzt geschieht, später einer umfassenden Evaluation unterzogen werden wird. Hat man das Richtige schnell genug getan? Die Ministerpräsidentin hat klugerweise schon im Voraus eingeräumt, dass man Fehler begehen wird. ... Doch jetzt gibt es allen Grund, Beifall zu klatschen, dass die Politiker in dieser Zeit so deutlich zeigen, was es braucht, uns durch diese Krise zu bringen.“
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