Montag, 28. Februar 2011

G. hat wie jeder Mensch eine zweite Chance verdient

meint Bundesforschungsministerin Annette Schavan in der Süddeutschen Zeitung.

"Nörgler, Neider und Niederschreiber sollten einfach mal die Klappe halten." Das forderte die Bildzeitung schon am 15.12.2010.

Freiherr zu Guttenberg hat es jetzt in der Hand, dafür zu sorgen. Mit einem Rücktritt hätte er die zweite Chance.
Und die, die ihn um die Möglichkeit des Rücktritts beneiden, werden sich bestimmt nicht nörgelnd melden, wenn er seine Chance nutzt. Angela Merkel muss nun einmal da durch, schließlich hat sie ja mannhaft auch die Rücktritte von Merz, Stoiber und Koch durchgestanden.

Weshalb hat die Erregung immer noch nicht nachgelassen?

Nachtrag vom 6.5.2011:
Universität Bayreuth: Guttenberg hat vorsätzlich abgeschrieben

Sonntag, 27. Februar 2011

Was für Guttenberg spricht ...

Was für Guttenberg spricht:
1. Was er sich vorgenommen hatte, hätte auch andere überfordert. Das Thema war für eine Dissertation zu umfangreich. Professor Häberle hat nicht dafür gesorgt, dass das Thema auf die tatsächlichen Möglichkeiten des Promovierenden zugeschnitten wurde.
2. Er tut anscheinend nur nach außen so, als ob der die Kritik nicht ernst nähme. (vgl. dieses Bild)

3. Im Unterschied zu der Behauptung, Guttenberg habe Betrüger ermutigt, hat er vielmehr - unfreiwillig - darauf aufmerksam gemacht, wie unverfroren bei Promotionen betrogen wird und dass einige Professoren das in einigen Fällen offenbar billigend in Kauf nehmen.
Dass er dazu beigetragen hat, könnte zu einer gewissen Eindämmung der Betrugskultur führen.

Was dennoch gegen Guttenberg spricht:
All das, was für ihn spricht, hat er bisher nicht wahrhaben wollen.

Was zu hoffen ist:
Dass Guttenberg folgenden Hinweis von Ministerpräsident Böhmer beachtet:
Es gibt Dinge, die sind in der Öffentlichkeit merkwürdig schnell vergessen. Andere nicht. Das hat Einfluss auf die politische Bedeutung. (Wolfgang Böhmer (CDU) im Tagesspiegel vom 26.2.11)

Dass der Promotionsbetrug vergessen wird, dafür kann Guttenberg sehr viel tun. Entweder dadurch, dass er zurücktritt oder dadurch, dass er wirklich gute gute Arbeit macht.

Nach meiner Einschätzung ist beides relativ unwahrscheinlich. Aber ein guter Politiker bewährt sich erst in der Krise. Das Talent zum guten Politiker hat Guttenberg, ob er auch das Zeug dazu hat, aus dieser Krise das Nötige zu lernen, wird sich zeigen.

Was wünscht sich das Volk?

Mittwoch, 23. Februar 2011

"Ich bin Altlateiner"

CSU Generalsekretär Alexander Dobrindt, bei Plasbergs "hart, aber fair" befragt, ob er das griechische Wort Καιρός (Kairos) kenne, sagt: "Ich bin Altlateiner".
Da fragt man sich: Wie kommt er, als es um Griechisch geht, auf Latein?
Wie kommt er, wenn es um Latein geht, auf Alt-Latein?
Eine nahe liegende Erklärung ist: Da er das Wort nicht geschrieben sah (und da es, wenn es geschrieben wird, meist mit lateinschen Buchstaben geschrieben wird), hat er es für lateinisch gehalten. Und da man das klassische Griechisch zur Unterscheidung zum Neugriechischen auch als Altgriechisch bezeichnet, wollte er, um zu zeigen, dass er klassisches Latein kennt, nicht einfach nur Latein sagen, sondern präziser Altlatein.
Sein Pech, dass man die moderne Sprache, zu der sich Latein entwickelt hat, nicht Neulatein, sondern Italienisch nennt. (Wenn man der Einfachheit halber mal übergeht, dass es auch der Ursprung von Französich, Spanisch, Portugiesisch, Rumänisch, eben überhaupt allen romanischen Sprachen war.)
Gut denkbar, dass Dobrindt, wenn man auf seinen Fehler anspräche, genau diese Erklärung gäbe. Denn der Fehler ist zwar sehr lustig (Nikolaus Schneider, der Vorsitzende des Rates der EKD, der dabei saß, hatte etwas Mühe, ernst zu bleiben), aber durchaus nicht ehrenrührig.

Nicht auszudenken, was Karl Theodor zu Guttenberg dazu gesagt hätte, wenn man ihn darauf angesprochen hätte, dass Καιρός ein griechisches Wort ist und dass es kein Neulatein gibt.
Es ist richtig: Der Tod der Kadettin auf der Gorch Fock, die ansteigende Zahl der Todesopfer der Mission der Bundeswehr in Afghanistan und der Umbau der Bundeswehr zu einer Einsatztruppe in Übersee sind weit schwerer wiegende Vorgänge als die Schummelei eines Bundestagsabgeordneten, der vermutlich sofort aufs Schummeln verzichtet hätte, wenn er gewusst hätte, dass er auch ohne das binnen kurzem zum Minister und zum populärsten Politiker der Bundesrepublik werden könnte.
Aber schon lange nicht haben die Verteidigungsversuche eines Ministers solch einen Unterhaltungswert gehabt.
Selbst seine Parteifreunde, die ihn verteidigen wollen, laufen zu Höchstform auf und werden "Altlateiner".

Freilich, nicht alle gefälschten Doktorarbeiten führen zu so einem schönen Happy End wie die von zu Guttenberg: Nach dem Doktortitel auch den Job verloren. 

Schließlich verfügen auch nicht alle Doktoranden über den Einfluss, ihrer Uni 750 000 € zukommen zu lassen.

Dienstag, 22. Februar 2011

In der mir abgesprochenen Demut ...

Es gibt in Fontanes Roman "Cecile" eine anrührende Stelle, in der die Frau, die von ihrem Liebhaber beleidigt worden ist, erfolglos versucht, ihn umzustimmen und so sein Leben zu retten.
Sie beginnt:
Meiner Tugenden sind nicht viele, Gott sei's geklagt, aber eine darf ich mir unter ihrer eigenen Zustimmung vielleicht zuschreiben, und nun zwingen Sie mich, dies einzige, was ich habe, mein bißchen Demut in Hochmut und Prahlerei zu verkehren. Aber Sie lassen mir keine Wahl!
Mit dieser Stelle als Vergleichspunkt hört sich ein Satz wie "In der mir abgesprochenen Demut entschuldige ich mich bei allen, die ich verletzt habe", einigermaßen grotesk an.
Er ist ein eindrucksvolles Beispiel von Arroganz der Macht. Jemand, der weiß, dass seine Partei und seine Regierungschefin nicht auf seine Dienste verzichten wollen, weil sie glauben, nicht auf sie verzichten zu können, mag so sprechen. Selbstachtung würde sich anders ausdrücken.

Aber Gesten wie Willy Brandts Kniefall würden völlig phrasenhaft, würden wir von einem Politiker Demut fordern. Ein Minister braucht weder Demut noch imstande zu sein, eine Doktorarbeit zu schreiben. Deshalb sollte er aber auch nicht so tun als ob.

Stefan Kuzmany: Die Lüge ist ministrabel geworden (Spiegel online 22.2.11)
Früher hatten Verteidigungsminister bei Fehlverhalten mit Konsequenzen zu rechnen.
Wer mehr zu dem Thema lesen will, findet bei Kai Biermann gewiss das Richtige.
Hier ein Ausschnitt aus S. Gabriels Beitrag zur Bundestagsdebatte
Zweite Arbeit von zu Guttenberg unter Schummeleiverdacht (mit Originaltextpassagen)

Durch Steuererleichterungen zur Schuldenbremse

13 Milliarden € hat das Land Hessen seit 2000 an Steuererleichterungen gewährt. Nun soll eine Schuldenbremse - ja, was soll sie wohl? Den Haushalt mit 40 Milliarden € Schulden sanieren oder verhindern, dass man die Steuererleichterungen zurücknehmen muss.
Die Schuldenbremse soll nachträglich die Zustimmung der Bevölkerung zu den Steuererleichterungen einholen. Ein höchst fragwürdiges Unterfangen, dem man nicht auch noch seine Hand reichen sollte.

Das unverstandene Libyen

"Wir haben keine unabhängigen Medien, keine poltische Kultur und eine sehr schwache Zivilgesellschaft." Zu beklagen sei ein "Mangel an Kompetenz" in den Ministerien und ein "Mangel an Effizienz" im Staat. Diese Kritik stammt nicht von libyschen Oppositionellen, sondern von Saif al-Islam, dem Sohn al-Gaddafis, der jetzt ankündigte, Gaddafi und seine Leute würden den Bürgerkrieg gegen die Protestierenden bis zur letzten Patrone ausfechten. (vgl. Frankfurter Rundschau vom 22.2.2011)
Nicht nur die Schreibweise des Namens Libyen, den wir Lübien aussprechen und deshalb gern mit vertauschtem 'y' schreiben, macht uns Schwierigkeiten.
Gaddafi, der Unterstützer von Terrorristen, war als Vorkämpfer der Frauenemanzipation aufgetreten, gewann das Herz der europäischen Politiker aber erst, als er mit Berlusconi einen Pakt aushandelte, dass er Flüchtlinge nicht aus dem Land lassen wolle und eventuell doch entkommene bereitwillig wieder zurücknehme, um sie in seine Foltergefängnisse aufzunehmen oder ins südlichere Afrika abzuschieben.
Seine gefährlichsten Gegner, sind reaktionäre Stammesführer. Doch ihr Erfolg könnte die Welle der Demokratisierung im arabischen Raum beflügeln.
Obwohl seit Jahren schon kaum ausländische Journalisten im Lande sind, nehmen die Nachrichten aus Libyen zu.

Schon wieder zu Guttenberg

Ein Verteidigungsminister sollte an sich wissen, welche Linie man verteidigen kann und wo man sich schleunigst auf eine neue Linie zurückziehen muss.
Da KT zu Guttenberg über die Umstände seiner Promotion wusste, hätte er seine Verteidigungslinie früher finden müssen. So musste sie ihm offenbar umständlich von Leuten erklärt werden, denen er die dafür notwendigen Kenntnisse offenkundig zunächst vorenthalten hatte. Denn es ist nicht vorstellbar, dass innerhalb der gesamten Führungsriege der Union niemand war, der über die Anforderungen an eine Promotion so schlecht informiert war wie zu Guttenberg.
Während ich Westerwelles innenpolitische Linie für grundfalsch halte, habe ich gegen Guttenbergs verteidigungspolitisches Konzept vergleichsweise wenig. Sein Selbstverteidigungskonzept aber war so verkehrt, dass ich mich wider meinen Willen weit länger mit seinen Pannen befasst habe, als ich es je für möglich gehalten hätte.
Hätte nur noch gefehlt, dass er gesagt hätte, angesichts des Todessturzes einer Seekadettin sei seine Promotionsschummelei doch vergleichsweise harmlos.

Neusten Berichten zufolge soll KT Guttenberg Guttenb "beim sogenannten "Homecoming 2011" der Fakultät am 21. Mai sprechen. Eingeladen hatte den Verteidigungsminister, der seiner alten Universität und der Stadt Bayreuth noch immer eng verbunden ist, der Alumni-Verein der Rechts- und Wirtschaftsfakultät. Beim "Homecoming" kehren ehemalige Studenten an ihre alte Hochschule zurück.
Die Gastrede des Verteidigungsministers ist laut Einladung bei einer Doktorandenehrung im Audimax vorgesehen. Vor Guttenberg soll demnach Dekan Möstl sprechen, im Anschluss an seinen Vortrag sollen Preise an Doktoranden verliehen werden." (Spiegel online vom 21.2.11)
Ob sich die Doktoranden geehrt fühlen werden?

Freitag, 18. Februar 2011

Noch einmal zu Guttenberg

Er kann durchgreifen. Deutsch kann er auch. Eins von den beiden kann er besser. Und das ist nicht Deutsch. Und doch ist es ein Genuss, seine Erklärung zu seiner Promotion zu lesen. Weil es so interessant ist, was er sagt und was er nicht sagt. Er sagt überhaupt sehr viel nicht. Das hat er wohl bei seiner Promotion geübt.

Hier seine Erklärung im Wortlaut:
"Für diese Stellungnahme bedurfte es keiner Aufforderung und sie gab es auch nicht. Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat, und den Vorwurf weise ich mit allem Nachdruck von mir. Sie ist über etwa sieben Jahre neben meiner Berufs- und Abgeordnetentätigkeit als junger Familienvater in mühevoller Kleinstarbeit entstanden und sie enthält fraglos Fehler. Und über jeden einzelnen dieser Fehler bin ich selbst am unglücklichsten.
Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht. Sollte sich jemand hierdurch oder durch inkorrektes Setzen und Zitieren oder versäumtes Setzen von Fußnoten bei insgesamt 1300 Fußnoten und 475 Seiten verletzt fühlen, so tut mir das aufrichtig leid. Die eingehende Prüfung und Gewichtung dieser Fehler obliegt jetzt der Universität Bayreuth.
Ich werde selbstverständlich aktiv mithelfen festzustellen, inwiefern darin ein wissenschaftliches, ich betone ein wissenschaftliches Fehlverhalten liegen könnte. Und ich werde gerne bis zum Ergebnis dieser Prüfung vorübergehend, ich betone vorübergehend, auf das Führen des Titels verzichten, allerdings nur bis dahin, anschließend würde ich ihn wieder führen.
Ich werde mir keine anderen Maßstäbe anlegen, als ich bei anderen angesetzt hätte. Jede weitere Kommunikation über das Thema werde ich von nun an ausschließlich mit der Universität Bayreuth führen. Die Menschen in diesem Land erwarten, dass ich mich um das fordernde Amt des Verteidigungsministers mit voller Kraft kümmere und das kann ich auch. Wir stehen vor einer historischen Bundeswehrreform. Und ich trage die Verantwortung für die Soldaten im Einsatz, wie ein Ereignis an dem heutigen Tag einmal mehr auf bittere Weise zeigt."

Zur Charakterisierung seiner veränderten Plagiate vgl. Zettels Raum.
Kommentar von Peter von Becker in ZEIT online 20.2.11

Politisches ABC der USA: Ägypten und Bahrain

Mubarak war für die USA ein wichtiger Verbündeter im Nahen Osten, weil Ägypten unter Sadat Frieden mit Israel geschlossen hatte und Mubarak an diesem Frieden festhielt. Mubarak war Garant des Bestandes Israels.
Seinen Sturz hat man aber dennoch akzeptiert, bzw. gern gesehen, weil langfristig nur eine demokratische Entwicklung dazu führen wird, dass die Länder im Nahen Osten gegenseitig ihre Lebensinteressen anerkennen werden und weil auch in der ägyptischen Opposition keine starken Kräfte die Werft-sie-ins-Meer-Strategie gegenüber Israel verfolgen.
Zu den Demonstrationen eine kleine Anmerkung: Über eine Vernehmung durch den ägyptischen Geheimdienst vom 3.-5. Februar berichtet ein Demonstrant: "Im Verhör sei ihnen klar geworden, dass auch der militärische Geheimdienst den Rücktritt Mubaraks als unausweichlich sah." (FAZ.net vom 15.2.11)
In Bahrain, einem Ministaat mit 800 000 Einwohnern, stellt sich die Sache für die USA ganz anders dar. Bahrain hat eine schiitische Bevölkerung und ein sunnitisches Herrscherhaus. Es ist der wichtigste Militärstützpunkt der USA im Nahen Osten. 30 000 Marinesoldaten sind dort stationiert. Hier geht es darum, den Weg zum Öl frei zu halten. Hier stimmt die Rechnung, die man für die Bushs bei den Golfkriegen aufgemacht hat, auch unter Obama: es geht um die strategischen Interessen der USA. Sie wollen diesen Stützpunkt nicht in die Hände des schiitischen Iran fallen lassen.
Hier zeigt sich ein Widerspruch der US-Politik: Unilaterale Weltherrschaft und Selbstbestimmung der Völker mögen in der Zeit des Kalten Krieges für den Westblock zueinander gepasst haben. Beim demokratischen Aufbruch im Nahen Osten passt die Verknüpfung nicht.
Die USA müssen ihre Energiepolitik umstellen, nicht nur im Weltinteresse angesichts des Klimawandels, sondern auch aus ihrem engeren nationalen Interesse heraus.

„Wenn Gruppen wie unsere in anderen Ländern auf die Straße gehen und sie ausdauernd sind wie wir, könnte dies das Ende aller Regime bedeuten“, sagt Walid Raschid von der Bewegung des 6. April. (laut FAZ.net vom 15.2.11)
Dazu Gene Sharp: "Nicht Gewalt, sondern der friedliche Kampf für Freiheitsrechte, wirtschaftliche Boykotte und ähnliche Massnahmen würden die Demonstranten ans Ziel bringen, sagt er. «Wenn Sie mit Gewalt kämpfen, dann haben Sie die beste Waffe Ihres Gegners gewählt», stellt Gene Sharp nüchtern fest. «Sie mögen dann zwar ein Held sein – aber eben ein toter Held.»" (Tagesanzeiger vom 17.2.11)

Donnerstag, 17. Februar 2011

Schon wieder Wikileaks

Anlass für diesen kurzen Eintrag geben mir die Rezension von Domscheit-Bergs Buch "Inside Wikileaks" in der Süddeutschen Zeitung und die Diskussion zu Wikileaks in dem Netzwerk ZUM-Unity.

Zusammen mit den Hinweisen im Wikipediaartikel zu Kontroversen um Wikileaks halten sie besser zu dieser Diskussion auf dem Laufenden, als ich es angesichts anderer aktueller Entwicklungen tun möchte.

Nachtrag vom 2.5.2011:
Tägliche Twitternachrichten zu Wikileaks als Zeitung zusammengestellt.

Nachtrag vom 2.9.11:
Leck in Wikileaks und die Folgen

Verschweigen

Freiherr zu Guttenberg verschweigt, von wem er Gedanken und Formulierungen in seiner Promotion übernommen hat. Nicht eben vorbildlich.
Er verschweigt aber auch, was er über den Sturz einer Kadettin aus einem Schulschiff der deutschen Marine weiß und wieso er den damals kommandierenden Kapität abberufen hat. Darüber wird heute schon kaum noch gesprochen.

In der deutschen Öffentlichkeit wird der Skandal der Abwehr von Flüchtlingen an den europäischen Grenzen beschwiegen. Im Zusammenhang mit den über 5000 Flüchtlingen aus Tunesien, die auf der italienischen Insel Lampedusa eingetroffen sind (hier ein Foto zur Veranschaulichung, das freilich vermutlich keine Tunesienflüchtlinge zeigt), wird dieses Schweigen durchbrochen. Das ist erfreulich.
Stellvertretend für andere Beispiele beziehe ich mich auf zwei Artikel in der ZEIT vom 17.2.11.
Unter dem Titel "Was heißt hier 'Flut'?" wird daran erinnert, dass der italiensche Innenminister in diesem Zusammenhang von einem "Exodus von biblischem Ausmaß" gesprochen hat und Italien 100 Millionen € zur Bekämpfung eines humanitären Notstandes gefordert hat (also knapp 20 000 € für jeden bisher eingetroffenen Flüchtling - was hätte man damit in Tunesien alles bewirken können?). Und es wird darauf hingewiesen, dass unser Außenminister Westerwelle fordert, den Tunesiern eine ökonomische Perspektive zu verschaffen, aber verschweigt, dass Deutschland in den zurückliegenden Jahren weder wesentliche Schritte in Tunesien unternommen noch eine neue Migrationspolitik entworfen hat.
Der Leitartikel von Bernd Ulrich weist unter der Überschrift "Was ist gerecht?" darauf hin, dass zu den Fragen "Flüchtlinge" und "Hartz IV" ein "Schweigekartell" der deutschen Öffentlichkeit gebe.

So sehr ich ihm dabei recht gebe:
Auch Bernd Ulrich schweigt darüber, dass seit der Einschränkung des Asylrechtes durch Artikel 16a des Grundgesetzes jährlich Tausende beim Versuch, nach Europa zu kommen, sterben, weil die europäische "Grenzschutzorganisation" FRONTEX sie daran hindert, auf ungefährlicherem Wege nach Europa zu kommen.
Jährlich sterben über 30 mal so viel Menschen an den europäischen Grenzen, als in Zeiten der DDR an der deutschen Grenze im Jahr dem Schießbefehl zum Opfer fielen.
Wer Unrecht verschweigt, macht sich mitschuldig. So lobenswert die Kommentare zum Flüchtlingsproblem in Lampedusa sind, sie sind unvollständig.
Die EU hat inzwischen Beamte der FRONTEX entsandt, die tunesischen und italienischen Behörden bei der Bewältigung des Flüchtlingsstromes helfen sollen. Man kennt die Folgen.

Mittwoch, 16. Februar 2011

zu Guttenbergs Motto

So viel ist sicher: zu Guttenberg hat nicht einfach nur in der Wikipedia nachgeschlagen.
Dies fällt auf: Bevor eine Kadettin mit unbestimmtem Körpergewicht aus der Takelage eines Segelschiffs abgestürzt ist, hat man viel über zu Guttenbergs Aussehen und das seiner Frau gehört, aber so gut wie nichts über seine Dissertation. Plötzlich gibt es viele, die etwas dazu zu sagen haben.

Meine Meinung: Ein Minister braucht nicht promoviert zu sein.

Am 22. Januar habe ich geschrieben: "Er kann durchgreifen. Er tut es aber erst, wenn Missstände an die Öffentlichkeit geraten und ihn zu gefährden drohen. [...]  Zu Guttenberg handelt offenbar nach dem Rezept 'Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß'."

Was mich interessiert:
Hat zu Guttenberg auch bei der Abfassung der Dissertation nach dem Motto 'Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß' gehandelt?
Kann er auch diesmal seine Fähigkeit, durchgreifen zu können, nutzen?
Weshalb hat er die Doktorarbeit geschrieben?

Was mich nicht interessiert:
Weshalb hat man vorher so wenig über seine Doktorarbeit gehört?

Wie man hört, arbeiten bei der Erarbeitung eines Kompromisses zur Reform von Hartz IV je ein Ministerpräsident der SPD, der CDU und der CSU zusammen. Sie sollen schon rasch zu Ergebnissen gekommen zu sein. Die Frage sei nur, ob ihre Parteifreunde sich darauf einlassen.

Sonntag, 13. Februar 2011

Folgen der Demokratisierung im arabischen Raum, die europäischen Politikern gar nicht recht sind ...

Die Diktatoren halten die Flüchtlingsströme nicht mehr zurück. (Spiegel online 13.2.11):
Die italienische Regierung fürchtet gar, das die Situation außer Kontrolle gerät - und bittet die Europäische Union um Unterstützung. Brüssel solle "umgehend" Einheiten der EU-Grenzschutzagentur Frontex nach Tunesien schicken und diese entlang der Küste patrouillieren lassen, hieß es in einer Mitteilung des Außenministeriums in Rom.
Die Bewohner von Lampedusa haben "Angst, dass die Touristen ausbleiben, weil sie ihren Urlaub nicht hautnah am Flüchtlingselend verbringen wollen. So war es in den Sommern 2008 und 2009. Als binnen eines Jahres 20.000 Iraker und Afghanen, Kurden, Senegalesen, Nigerianer und viele andere Lampedusa als Tor zu Europa nutzen wollten, hatten die über dreißig Hotels der Insel viele leere Betten." (Spiegel online 13.2.11)

Die EU ist über die Zahl der Flüchtlinge alarmiert und bietet Italien EU-Grenzschutzexperten an.
Spiegel online über "boat people" (Flüchtlinge)

Flüchtlingkrise in Italien (bei: Readers Edition)

Europäische Flüchtlingsdramen (Spiegel online 20.2.11 mit Video)

Revolutionsrat gebildet. Verbrennen Regierungsvertreter amtliche Papiere?

"Einige Organisatoren der Massenproteste in Ägypten haben einen Rat zur Verteidigung der Revolution ins Leben gerufen. Aufgabe des Rates werde es sein, in der Übergangsphase die Revolution im Dialog mit dem regierenden Militärrat voranzutreiben, sagte ein Sprecher des neuen Gremiums am Samstag vor Journalisten auf dem Kairoer Tahrir-Platz" (Der Standard, 13.2.11)
Der minister El-Fiqui ist unter Hausarrest gestellt worden, damit er sich nicht einer eventuellen Klage entzieht. Eine Frau will beobachtet haben, "wie der eingesetzte Vertreter für Minister El-Fiqui in dessen Büro sitzt und Papiere verbrennt. Die Wachen vor der Türe unten wurden informiert, und rührten keinen Finger. Die Wachen sind aus der Nationalgarde die seit es keinen Präsidenten mehr gibt, der Armeeführung unterstehen. Sie hat dann beim Volksanwalt angerufen, da hob niemand ab. Wie viele das Regime belastende Dokumente wurden bisher verbrannt?" (Der Standard, Kommentar von istnichtmehrschnuppe 13.02.2011 00:57)

Samstag, 12. Februar 2011

Noch einmal Wikileaks

Bei WikiLeaks gab es seit 2007 Veröffentlichungen geheimer Dokumente u.a. zu folgenden Themen:


Korruption in Milliardenhöhe in der Familie des ehemaligen kenianischen Präsidenten Daniel Arap Moi

Guantánamo-Bay-Handbücher

interne Dokumente der Julius Baer Bank & Trust Company

Aufzeichnungen der Scientology-Kirche

private E-Mails von Sarah Palin

Mitgliederliste der British National Party

Internetsperrlisten verschiedener Länder

Internes Dokument der Isländischen Kaupthing-Bank

Minton-Report über toxische Abfälle in der Elfenbeinküste

Entwurf des geheimen SWIFT-Abkommens zwischen der Europäischen Union und den USA

Abgefangene Pagernachrichten vom 11. September 2001

E-Mails der Climatic Research Unit

Veröffentlichung der Toll-Collect-Verträge

Kunduz-Feldjäger-Report

Pläne des US-Geheimdienstes CIA, WikiLeaks zu unterminieren

Das berüchtigte Video "Collateral Murder" der Zielkamera der Bordkanone eines US-amerikanischer Apache-Hubschrauber in Bagdad.

Geheimgehaltene Filmaufnahmen des Luftangriff bei Garani in Afghanistan

War Diary: Afghanistan War Logs

Planungsdokumente der Loveparade 2010

War Diary: Iraq War Logs

US Embassy Cables (Cablegate)

Weshalb hörte man fast nichts über Mubaraks Folterdiktatur?

Im Zusammenhang mit der Muslimbruderschaft wurde schon etwas offener von Unterdrückung durch Mubarak gesprochen, weil man sich sicher sein konnte, dass die deutsche Öffentlichkeit die Unterdrückung von Islamisten gutheißen würde.
Dabei hatten die Muslimbrüder schon länger einen gewaltlosen Weg eingeschlagen und seit 2005 auf demokratische Reformen gedrängt: "Da sie nicht als Partei antreten durfte zogen sie mit unabhängigen Kandidaten bei der Parlamentswahl 2000 mit 17, bei der Wahl 2005 mit 88 Abgeordneten in die Volksvertretung ein und wurden damit zur stärksten Oppositionskraft. Im Wahlkampf befürworteten ihre Vertreter ausdrücklich die Grundsätze von Demokratie und Pluralismus. Insbesondere seit 2005 hat die Bewegung mit ihrem Engagement im ägyptischen Parlament international für Aufsehen gesorgt, als sie entgegen der Erwartungen vieler Experten beträchtliche Bemühungen unternahm, das politische System zu einem demokratischeren hin zu reformieren." (Wikipedia)
Es bleibt dabei, dass es schwer ist, sich aus der veröffentlichten Meinung ein halbwegs treffendes Bild über nicht ausgesprochen im Fokus der Öffentlichkeit stehende Zusammenhänge zu bilden.
Immerhin können wir dank Presseurop jetzt auch ohne Fremdsprachenkenntnisse ein wenig über den Tellerrand deutscher nationaler Interessen hinausschauen.
Der Vorsitzende des Militärrats, der jetzt vom Vizepräsidenten mit der Übergangsregierung bis zu einer aus freien Wahlen hervorgegangenen Regierung beauftragt ist, wurde übrigens in Wikileaks-Dokumenten als "Mubaraks Pudel" bezeichnet. Noch ist die Demoratiebewegung nicht über den Berg.

Nun machen manche sich Hoffnungen, dass die jüngere Offiziersschicht "Mubaraks Pudel" sehr kritisch sieht und schon verhindern wird, dass die den Weg von der Demkratie hin zur Militärdiktatur steuern. (dazu ZEIT online vom 12.2.11)
Aber es gibt auch weniger optimistische Einschätzungen.

Freitag, 11. Februar 2011

Nicht Bush, Tunesien setzte eine Demokratiebewegung in Gang

Der Kommentator von Spiegel online sieht m.E. die Situation im Nahen Osten allzu optimistisch, doch in einem möchte ich ihm Recht geben: "Es war nicht der Irak, der andere Araber inspirierte, es war Tunesien."

Dienstag, 8. Februar 2011

Hat die Deutsche Bank zureichend beraten?

Ein Prozess zwischen der Deutschen Bank und einem Mittelständler ist bis vor den Bundesgerichtshof gegangen. Der Anwalt der Deutschen Bank droht, eine Entscheidung gegen die Bank könne eine zweite Finanzkrise auslösen, berichtet Spiegel online.
Ein Kommentator auf Spiegel online beruft sich auf einen Bankangestellten, der gemeint habe: Die Bank gewinnt immer.

Auch wenn Letzteres nicht stimmen muss, dazu gab es schon zu viele Bankpleiten, könnte es sein, dass sich die Banken darauf verlassen, dass es so sei. Und dass eine Entscheidung gegen die Bank eine Flut von Prozessen auslöst, scheint mir durchaus wahrscheinlich.

Europäische Presseschau in 10 Sprachen

Erst heute habe ich die europäische Presseschau aus zig europäischen Zeitungen in 10 europäischen Sprachen entdeckt und dazu den Euroblog zu Europathemen. Ihm entnehme ich folgenden Vorschlag für den Einsatz von Paul, dem Kraken. Man stellt ihm nicht nur Fußballfragen, sondern auch Fragen zur europäischen Politik, z.B.:
Wer tritt zuerst aus der Eurozone aus, Griechenland oder Deutschland? (Wenn er die falsche Antwort gibt, so verfahre man ganz nach EU-Usus und lege ihm die Frage einfach noch einmal vor!)

Erstaunte Frage in der niederländischen Presse: Wieso haben die Deutschen keine Angst vor Terrorismus in ihrem Land?

Samstag, 5. Februar 2011

Proteste in Ägypten, Internet und Facebook

Die Massenproteste in Ägypten begannen beeinflusst von der Revolution in Tunesien am 25. Januar 2011.
Aber sie hatten eine Vorgeschichte auf Facebook (vgl. ZEIT online). Als bei der afrikanischen Fußballmeisterschaft im Januar 2008 ein Fan auf die Idee kam, eine Facebook-Gruppe für Fans der ägyptischen Mannschaft einzurichten hatte seine Gruppe bald 45 000 Mitglieder. In dieser Zeit wuchs auch die Zahl der Facebook-Nutzer in Ägypten stark an, binnen weniger Monate lag sie bei einer Million.
Als in der Stadt Mahalla al-Kubra im Nildelta Textilarbeiter dort für den 6. April 2008 einen Streik planten, kam der Ingenieur Maher auf die Idee, den Streik über Facebook landesweit bekannt zu machen und auch in Kairo Demonstrationen zu organisieren. Das war der Beginn der Jugenbewegung des 6. April. Am 23. 3. schickte er seine ersten Facebooknachrichten heraus, am 24. hatte er 3000 Follower, Ende März 40 000. Die Demonstrationen in Kairo waren ein Fiasko, der Streik endete blutig, aber die Follower blieben. Denn als erst eine politische Weggefährtin, dann er selbst von der Polzei misshandelt und gefoltert wurden, blieb das nicht geheim.
Die Fortsetzung der Geschichte verfolgen wir alle.

Facebook war freilich nur ein Baustein. Gewiss nicht der wichtigste. Ausfühlicher dazu Ch. Kappes über das Wort von der "Facebookrevolution" (seine Position (extrem verkürzt): Menschen machen Revolutionen, nicht Medien).
Das erhärtet sich, wenn man beachtet, wie die friedlichen Revolutionen in Osteuropa über Kontakte zwischen den Aktivisten auf die Entwicklung in Ägypten eingewirkt haben. Gene Sharps gewaltlose Strategie spielte auch dort eine Rolle.

Folter an Ägyptern, die mit Journalisten sprechen

Dienstag, 1. Februar 2011

Eine große Kluft zwischen Arm und Reich ist auch ökonomisch falsch

Inzwischen denken viele Volkswirte um. Denn es mehren sich die Belege dafür, dass krasse Gegensätze zwischen Arm und Reich nicht nur eine moralische Dimension haben, sondern handfesten ökonomischen Schaden anrichten. (ZEIT online vom 1.2.11)
Moralisch falsch ist eine extreme Kluft zwischen Arm und Reich schlicht deswegen, weil sie einer großen Gruppe empfindliches Übel zufügt, ohne einer anderen einen wesentlichen Vorteil zu bringen.
Politisch gesehen gefährdet eine solche Kluft die Stabilität einer Gesellschaft, weil die Unzufriedenheit der Benachteiligten früher oder später zu Aufständen und Umstürzen führt.
Ökonomisch falsch ist sie, weil Ressourcen nicht dahin geleitet werden, wo sie den größten Nutzen erbringen.

Das war im Prinzip schon lange bekannt. Nur waren viele Ökonomen von der Vorstellung beherrscht, die Chance, größere Vermögen zu bilden, werde auch zu immer größeren ökonomischen Leistungen führen ("Leistungsanreize schaffen!") Die Finanzkrise brachte jetzt freilich so schlagende Beweise dafür, dass Extremrenditen die wirtschaftliche Stabilität gefährden, dass immer mehr Ökonomen umdenken.