Montag, 25. Januar 2021

euro|topics: Wie gefährlich sind die Nawalny-Proteste für Putin?

 

In vielen russischen Städten vom Fernen Osten bis Kaliningrad sind am Samstag Menschen für die Freilassung Nawalnys und gegen die Staatsführung auf die Straße gegangen - trotz Versammlungsverbot und mitunter eisigen Temperaturen. Die Polizei nahm landesweit an die 4.000 Personen fest. Europas Presse fragt sich, ob das jetzt tatsächlich der Anfang vom Ende Putins sein könnte.

THE OBSERVER (GB)

Dieser Mann ist kein Einzelkämpfer

Die Leidenschaft und Wut der Demonstranten sollte Putin zu denken geben, meint The Observer:

„Die Geschichte zeigt, dass eine Revolution folgt, wenn die russische Neigung zur Passivität von einem brennenden Bedürfnis nach Wandel überwältigt wird. ... Die Proteste und die grobschlächtigen Versuche, sie zu unterdrücken, werden die russische Gesellschaft weiter spalten. Ihr Zusammenhalt wurde bereits durch chronisches Regierungsversagen und wirtschaftliches Missmanagement untergraben. Die unvermeidlichen Fälschungen bei den im September anstehenden Wahlen werden zusätzlich Druck verursachen. Russland braucht grundlegende politische Reformen, bevor es zerbricht. Nawalny ist nicht einfach eine Person. Er ist eine Bewegung, die nicht zum Schweigen gebracht werden kann. In Russlands Interesse sollte Putin erkennen, dass seine Zeit abgelaufen ist.“

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LA STAMPA (IT)

Er hat Informationspluralität geschaffen

Nawalny schlägt Putin mit dessen eigenen Waffen, freut sich Moskau- Korrespondentin Anna Zafesova in La Stampa:

„Prägend für die zwanzigjährige Putin-Ära ist der 'Informationsautoritarismus' - wie ihn der russische Wirtschaftswissenschaftler Sergej Guriew bezeichnet - ein System, das Wladimir Putin vielleicht als erster patentiert hat. … Ein System, das Unzufriedenheit nicht duldet und dem es gelingt, sie aus dem Radar der öffentlichen Meinung zu entfernen, derweil sie im Verhältnis zur Einhelligkeit der Mehrheit, die von der Propaganda postuliert wird, zu geringfügig ist. Ein solches System bekämpft man, indem man seine virtuelle Realität in Frage stellt. Deshalb hat Alexej Nawalny seinerseits einen Widerstand der alternativen Informationen patentiert. Seine Millionen und Abermillionen von Likes im Netz haben das monolithische Bild des Putinismus erodiert.“

Anna Zafesova
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DE VOLKSKRANT (NL)

Ein vielversprechender Anfang

Die Proteste stimmen hoffnungsvoll - wenn auch unter Vorbehalt, meint De Volkskrant:

„Die Vehemenz der Demonstranten zeigt, dass nach der Verhaftung Nawalnys noch Hoffnung für die russische Opposition besteht. ... Das Aufkommen war das größte seit Jahren, und dennoch spürt man bei den Demonstranten Zweifel über die Zahlen: '60 Millionen Menschen haben Nawalnys Dokumentarfilm gesehen, wo sind all diese Menschen?', sagte eine erschöpfte Frau am Ende der Demonstration in Moskau. ... Nawalnys Team kündigte sofort neue Demonstrationen an, für nächste Woche Samstag. Um auf den Kreml mehr Eindruck zu machen, wird die Opposition aber Unterstützung brauchen von einer Gruppe, die am Samstag weitgehend zu schweigen beschloss: den Eltern der Demonstranten. “

Tom Vennink
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RZECZPOSPOLITA (PL)

Politische Basis noch zu klein

Nawalny hat viel Arbeit vor sich, meint Rzeczpospolita:

„Angesichts der geografischen Verteilung der Proteste könnte der Kreml nach den diesjährigen Parlamentswahlen (am 9. September) ernsthafte Probleme bekommen. Besonders dann, wenn sie so abgehalten werden wie die vergangenen. Nawalny muss jetzt schnell vieles aufholen, auch wenn er im Gefängnis sitzt. Er hat Unterstützer, aber keine politische Basis, die die Tausende überschreitet - in einem Land mit 140 Millionen Einwohnern. Auf jeden Fall haben die Ereignisse am Samstag gezeigt, dass es in Russland keinen Mangel an Menschen gibt, die dazu bereit sind, sich von ihren Knien zu erheben.“

Rusłan Szoszyn
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RIA NOWOSTI (RU)

Soziale Medien gehören unter nationale Kontrolle

Die staatliche Agentur Ria Nowosti zeigt sich empört über soziale Netze, die die Protestaktion erst möglich gemacht haben:

„Russland kann sich nicht erlauben, dass auf seinem Gebiet Medienplattformen frei arbeiten, die antistaatliche Propaganda und Aufrufe zu Verbrechen nicht verhindern oder sogar unterstützen. YouTube, Facebook, Twitter, Instagram, Tiktok und alle, die noch kommen sollten, müssen sich widerspruchslos der russischen Gesetzgebung unterstellen. Es geht nicht darum, 'Lösch-Forderungen' zu erfüllen. Sie müssen sich selbst eifrig bemühen, nicht zu Verstößen gegen Russlands Gesetze missbraucht zu werden. Dass das 'russische Facebook' von ukrainischen Staatsbürgern aus Zentren in Warschau und Riga moderiert wird, ist kaum zu glauben und untragbar. “

Viktor Marakhovsky
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Freitag, 22. Januar 2021

voxeurop: Die zweite Coronawelle in Europa

 Jede dritte Region in Europa hat in der zweiten Coronawelle mehr Todesfälle zu beklagen als in der ersten  von Clara Guibourg - Newsworthy (Stockholm) 10.1.21

"Im Vergleich zur ersten Infektionswelle im Frühling konzentriert sich die Übersterblichkeit im Herbst 2020 nicht so stark auf wenige schwer betroffene Regionen. Die zweite Infektionswelle hat in Europa ihren Höhepunkt überschritten und wir haben Daten aus über 750 europäischen Regionen gesammelt, um nachzuvollziehen, wie viele Leben die Pandemie tatsächlich gekostet hat."

voxeurop: Die Ukraine und das Coronavirus

Zwischen Freiheit und Rebellion liegt ein schmaler Grat: Das Coronavirus bringt die Ukraine an den Rand der Erschöpfung  von  Nataliya Gumenyuk 29.12.20

"Bis Ende 2020 hat das Virus mehr Leben gekostet als der Konflikt mit Russland. Das Land kämpft noch immer mit dem Höhepunkt der Pandemie, wagt aber keinen strengen Lockdown, weil wirtschaftliche Argumente der politischen Gegner die Debatte bestimmen. Die ukrainische Journalistin und Schriftstellerin Nataliya Gumenyuk macht auf eine paradoxe Situation aufmerksam: je mehr Menschen erkranken, desto weniger sind sie bereit, die eher moderaten Regeln einzuhalten." 


Montag, 18. Januar 2021

euro|topics: Was bedeutet Laschets CDU-Vorsitz für Europa?

 

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet übernimmt die Führung der CDU. Auf dem digitalen Parteitag am Samstag setzte er sich in einer Stichwahl gegen Friedrich Merz durch, der als deutlich konservativer gilt. Kommentatoren fragen sich, was die Wahl für Europa bedeutet und wie die Kernklientel der CDU sie bewertet.

FINANCIAL TIMES (GB)

Am besten wird er auch gleich Kanzler

Armin Laschet wird hoffentlich auch als Kanzlerkandidat nominiert, wünscht sich Financial Times:

„Die CDU, Deutschland und in der Tat auch Europa sind ohne Merz als politischen Führer besser dran. Seine wirtschaftlichen und sozialen Ansichten sind rückschrittlich. Im Großen und Ganzen ist er zwar proeuropäisch. Doch ein von Merz geführter Wahlkampf, der auf strenge finanz- und geldpolitische Prinzipien setzt, um die Wähler der euroskeptischen nationalistischen AfD zurückzugewinnen, hätte nichts Gutes bedeutet. Der frankophile Armin Laschet hingegen würde Angela Merkels vorsichtig proeuropäischen Kurs fortsetzen und möglicherweise das angespannte deutsch-französische Verhältnis wiederbeleben.“

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JYLLANDS-POSTEN (DK)

Die ruhige Hand am Steuer

Bei Jyllands-Posten findet die Wahl volle Zustimmung:

„Selbst wenn die CDU weiterhin Deutschlands größte Partei ist, ist sie nur ein schwacher Abglanz ihrer früheren Stärke. Verschleiert wird das durch den Niedergang der anderen klassischen Volkspartei, der SPD. Die Grünen hingegen legen zu. Mit Laschet als Vorsitzendem ist eine Koalition mit den Grünen durchaus wahrscheinlich. Das wäre ein Novum in der deutschen Politik. Für Dänemark ist es entscheidend, dass der große Nachbar Deutschland sich eindeutig zur verpflichtenden internationalen Zusammenarbeit bekennt. Eine ruhige Hand am Steuerrad in Berlin ist die erste Voraussetzung dafür, dass Europa den vielen Herausforderungen begegnen kann, die auch Dänemarks sind. Es gibt also guten Grund, Armin Laschet willkommen zu heißen.“

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MAGYAR NEMZET (HU)

Pragmatisch und berechenbar

Dass in Deutschland politische und wirtschaftliche Stabilität selbstverständlich ist, sollte auch Ungarn zu schätzen wissen, meint Magyar Nemzet:

„Abgesehen von dem großen Fehler, den Deutschland 2015 in der Migrationskrise gemacht hat, trifft Deutschland keine voreiligen Entscheidungen. Deutschland ist Meister der Kompromisssuche und der pragmatischen Beziehungen. Wenn man den Analysen der deutschen Presse über Laschet Glauben schenkt, wird jetzt eine Ära Merkel ohne Merkel folgen, die weiterhin von kühlem Pragmatismus, Berechenbarkeit und Unaufgeregtheit geprägt ist. Aus ungarischer Sicht könnte es viel schlimmer sein. Bisher führten ja die kleineren Konflikte in der Beziehung zwischen Ungarn und Deutschland nie zu einer Eskalation, da diese niemand wollte, nicht einmal die häufig kritisierte Angela Merkel.“

Zoltán Kottász
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DENIK N (CZ)

Nicht nur Merkel kopieren

Armin Laschet muss mit einem eigenen Profil aus dem Schatten der Kanzlerin heraustreten, meint Denik N:

„Laschets Wahl bedeutet keinen Neustart, sondern eine Fortsetzung dessen, was Merkel begonnen hat: die CDU als Partei der Mitte. ... Kein Konfrontationskurs, sondern ein Kurs, der Themen konkurrierender Parteien in das eigene Programm integriert. ... Laschets Wahl hat gezeigt, dass es nicht ausreichend Konservative in der CDU gibt, die den Merkelismus abstreifen wollen. ... Mit einer bloßen Nachahmung des Stils der Kanzlerin wird Laschet aber sicher scheitern. Er muss jetzt zeigen, was ihn einzigartig macht.“

Pavel Polák
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Die Kernklientel nicht vergrätzen

Die Neue Zürcher Zeitung sieht eine weiterhin gespaltene Partei:

„Schon jetzt macht sich ein enttäuschtes, stellenweise giftiges Grummeln im bisherigen Merz-Lager breit. ... Wohin aber werden sich die 47 Prozent Merzianer wenden? ... Die Partei ist abermals in zwei fast gleich grosse Lager gespalten wie schon 2019 - und diese faktische Pattsituation trug dazu bei, dass Kramp-Karrenbauers Amtszeit von Anfang an unter keinem guten Stern stand. ... Kann Laschet die programmatischen Lücken einer zeitgeistig gewendeten CDU schliessen? Hat er ein Angebot für die Konservativen ... im Köcher? Er wäre klug beraten, die konservative Kernklientel, anders als Angela Merkel, nicht dauerhaft zu vergrätzen.“

Alexander Kissler
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