Montag, 27. Mai 2019

euro|topics: Europa nach der Wahl


Die Fraktionen von Christdemokraten und Sozialdemokraten verlieren deutlich, Liberale und Grüne verbuchen Gewinne. Und auch das euroskeptische bis rechtsnationalistische Spektrum im Europaparlament legt insgesamt klar zu. Das ist das Bild, das sich am Tag nach der Europawahl trotz sehr unterschiedlicher Ergebnisse in den Einzelstaaten zeigt. Kommentatoren ziehen daraus erste Schlüsse.
LA REPUBBLICA (IT)

Ein Dank an die Jugend

Die jungen Wähler haben Europa gerettet, freut sich Andrea Bonanni, Korrespondent aus Brüssel, in La Repubblica:
„Die Europäer, die von den Souveränisten zu einem Anti-EU-Referendum aufgerufen worden waren, wehrten, mit Ausnahme derer in Italien und Frankreich, die Gefahr ab. Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend der Stimmenthaltung wurde umgekehrt, über die Hälfte der 430 Millionen Wähler ging wählen. Insbesondere viele junge Leute. Wenn Europa heute gerettet ist, dann ist es vor allem ihr Verdienst. … Die Kampfansage an Europa ist gescheitert, die von den Großmächten, die der EU feindlich gesinnt sind - Moskau, Washington und Peking - eingeleitet und von den Rechtspopulisten getragen wurde. ... Die überwältigende Mehrheit der Europäer bleibt der Idee einer liberalen Demokratie treu, die die politischen und sozialen Rechte ihrer Bürger garantieren kann.“
Andrea Bonanni
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DAGENS NYHETER (SE)

Die Mitte muss jetzt zusammenhalten

Das Erdbeben ist ausgeblieben, doch nun muss die europäische Mitte konstruktiv zusammenarbeiten, notiert Dagens Nyheter:
„Insgesamt scheint mehr als ein Viertel der Mandate auf Parteien wie die italienische Lega, die polnische PiS und die Schwedendemokraten zu fallen. Aber es ist trotz allem keine Mehrheitsbewegung und untereinander sind die Nationalisten zudem zersplittert, was es ihnen schwerer machen wird, für Unruhe zu sorgen. Wenn die europafreundlichen Kräfte der breiten Mitte Kompromisse finden, wird es auch nach dieser Wahl möglich sein, die Arbeit im EU-Parlament auf eine konstruktive Weise voranzubringen.“
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CORRIERE DEL TICINO (CH)

EU bleibt im Schwebezustand

Wirklich etwas verändert hat sich für die Union mit diesem Urnengang nicht, konstatiert Fabio Pontiggia, Chefredakteur von Corriere del Ticino:
„Bereits auf Grundlage der Teilauswertungen und vorläufigen Daten von gestern Abend kann für diese mit Spannung erwartete Europawahl eine allgemeine Schlussfolgerung gezogen werden: Die EU befindet sich inmitten der Furt. Sie hat wahrscheinlich weder die Kraft, aus den Schwierigkeiten herauszukommen, mit denen sie infolge der Finanz- und Staatsschuldenkrise, der anschließenden Rezession und der Migrationsfrage konfrontiert war, noch die Schwäche, unter dem Druck des Protestes souveränistischer, nationalistischer oder populistischer Parteien und Bewegungen zu implodieren. Sie ist also weder zu stark noch zu schwach.“
Fabio Pontiggia
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DNEVNIK (SI)

Bedrohung macht sympathisch

Trotz vieler Unzulänglichkeiten in der EU-Politik haben die Wähler sich am Ende für die Union ausgesprochen, analysiert Dnevnik:
„Angela Merkel geht, Emmanuel Macron ist immer unbeliebter und verliert deshalb an politischer Macht. Auch unter den Kandidaten für den Posten des Kommissionspräsidenten ist niemand, der eine große Autorität ausstrahlt. ... Durch seine Sitze in Brüssel und Straßburg und die damit verbundenen Kosten liefert das europäische Parlament den Kritikern Munition, die die Bürokratie und die Geldverschwendung bemängeln. Das macht es auch schwer zu glauben, dass die EU die Wähler und ihre Bedenken versteht. Doch offenbar wird die EU dann sympathisch, wenn sie bedroht scheint, wie z. B. durch den Brexit oder Donald Trump. Sie ist wie ein hässliches, denkmalgeschütztes Gebäude, das erst dann die Sympathien gewinnt, wenn die Abrisskugel bereitsteht.“
Andrej Brstovšek
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DIE PRESSE (AT)

Innenpolitik wird jetzt in Europa gemacht

Mit dieser Abstimmung sind Europa- und Innenpolitik nicht länger getrennte Sphären, konstatiert Die Presse:
„Ihre Bedeutung erlangt die Europawahl auf Umwegen: Sie zeigt nämlich, dass Innen- und Europapolitik kommunizierende Gefäße sind. Paradoxerweise entfaltet dieses europäische Votum die größte Wirkkraft auf nationaler Ebene: In Deutschland, wo nach dem Wahlsonntag das Schicksal der Großen Koalition auf Messers Schneide steht; in Polen, wo die EU-Wahl der liberalen Opposition Schub für die bevorstehende Parlamentswahl gibt; in Italien, wo der Umbau des Staates in Richtung einer illiberalen Republik munter voranschreitet; und in Großbritannien, wo das Waterloo der regierenden Tories den Verhandlungen um den EU-Austritt eine verhängnisvolle Dynamik verpassen wird. Innenpolitik wird nicht mehr ausschließlich im Inland gemacht.“
Michael Laczynski
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Europa nach der Wahl
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Was macht den Erfolg der Grünen aus?
Die Zeit der beiden großen Fraktionen, der Christdemokraten und der Sozialdemokraten, scheint nach der EU-Wahl vorüber: Neben Liberalen und dem euroskeptischen bis rechtspopulistischen Spektrum legten auch die Grünen deutlich zu. Ungefähr ein Drittel der Wähler unter dreißig stimmte für sie. Kommentatoren ergründen die Ursachen für die grüne Stärke.
BERLINER ZEITUNG (DE)

Öko-Partei hat Europa am besten begriffen

Die Europawahl ist diesmal ihrem Namen gerecht geworden, freut sich die Berliner Zeitung:
„Erstmals jedenfalls scheinen die Wahlen in den Mitgliedsländern der EU nicht nur als Verlängerung nationalstaatlicher Fragen in den europäischen Politikraum aufgefasst worden zu sein. In Deutschland haben das die Grünen am besten begriffen und sind dafür mit deutlich über 20 Prozent der Stimmen belohnt worden. Sie sind auf dem Weg zu einer modernen europäischen Interessenvertretung, die sich nicht länger am Verlust des Ideals einer Volkspartei abarbeitet. Grün schlägt rot, weil die Grünen die Ideen von leistungsfähigen Zukunftstechnologien mit der Verpflichtung zur Bewahrung natürlicher Ressourcen verbinden und auch jungen Wählern als akzeptable Repräsentanten einer ernstzunehmenden Klimapolitik erscheinen.“
Harry Nutt
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THE IRISH INDEPENDENT (IE)

Klima-Populismus als Erfolgsrezept

Warum grüne Parteien bei der EU-Wahl in vielen Staaten stark zulegen konnten, weiß The Irish Independent:
„Andere politische Parteien können vielleicht etwas von den Grünen lernen. Nämlich, dass man die Werkzeuge des Populismus für gute Zwecke einsetzen kann. Die Grünen waren bei dieser Wahl tatsächlich die einzige Partei mit einer überzeugenden politischen Botschaft. Und wie beim Brexit ging es dabei um Angst, Wut und in der Tat um die Sehnsucht nach dem Vergangenen. Doch mehr als alles andere war diese Botschaft etwas, das viele andere Parteien jungen Menschen nicht bieten: Hoffnung für die Zukunft. Und vielleicht werden die finsteren politischen Mächte so mit ihren eigenen Waffen geschlagen - mit ein bisschen Emotion.“
Brendan O'Connor
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POLITIKEN (DK)

Nationalismus nicht mit Konfrontation besiegen

Politiken fordert von Europas Grünen, sich jetzt behutsam dem Nationalismus entgegenzustellen:
„Egal, wie sehr dessen Anhänger nach dem Chaos in Großbritannien ihre Forderung nach irgendeiner Art Exit gedämpft haben, bleibt ihnen in großen Ländern wie Frankreich, Italien, Polen und Ungarn immer noch Wind in den Segeln. Hier ist die neue Front in der europäischen Politik: eine grüne Welle, die die europäische Zusammenarbeit als Lösung der Klimaprobleme ansieht, und ein nationalistischer Flügel, der die Zusammenarbeit als Problem ansieht. Die Herausforderung für das EU-Parlament besteht darin, zu vermeiden, dass das wie in Frankreich in einem polarisierten Interessenkonflikt endet.“
Michael Jarlner
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Was macht den Erfolg der Grünen aus?