Mittwoch, 30. Juni 2021

Über den Umgang mit den Stasi-Akten der DDR

 Markus Goldbeck; Akten als Problem? bpb Deutschland Archiv 20.6.21

"Von nun an befinden sich die Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv. Während der Friedlichen Revolution 1989/90 hatten Bürgerrechtlerinnen sie gesichert und darauf gedrungen, dass sie nicht weiter vernichtet, sondern Betroffenen, Medien und der Forschung zugänglich gemacht werden. Der Historiker Markus Goldbeck reflektiert über die Bedeutung und den Nutzen der umfangreichen Aktenbestände insbesondere in einer Zeit, in der immer mehr Wert auf Datenschutz gelegt wird. [...]

Interessant an diesen Entwicklungen ist, dass Datenschutz und Informationsfreiheit in ein Spannungsverhältnis gerieten, das die Bearbeitung der Akten begleiten sollte. Mit Blick auf die Einsichtsdebatte nach 1990 war diese Vorgeschichte damit insofern brisant, als insbesondere die personenbezogenen Unterlagen des MfS den einschlägigen bundesdeutschen Regelungen in den meisten Fällen völlig zuwiderliefen. Ein Großteil der Materialien war nach bundesdeutschen Maßstäben illegal, sodass die Frage, welche Daten erhalten bleiben oder gar öffentlich zugänglich gemacht werden sollten, datenschutzrechtlich keineswegs ein marginales Problem darstellte. Andererseits war Akteneinsicht für Individuen als „Abwehrrecht des Einzelnen gegen den Staat“ und als „subjektives Recht auf Akteneinsicht“ definiert.[22] [...]

Die gelegentlich (zu) unkritische Verwendung der Unterlagen rief erhebliche Folgekonflikte hervor. So gerieten die Unterlagen, die teils unter rechtswidrigen Umständen entstanden waren, in Konflikt mit anderen Grundrechten der Bundesrepublik. Außerdem waren sie sehr gut zur „Instrumentalisierung“ in politischen Kontexten geeignet, wie unzählige Konflikte seit 1990 zeigen.

Ungeachtet dieser Probleme war der direkte Zugriff auf die Akten aber für die Betroffenen von großer persönlicher und politischer Bedeutung. Neben der (Teil-)Aufarbeitung der eigenen Erfahrungen mit dem MfS war die symbolische Anerkennung als Opfer, wie sie nicht zuletzt aus der Kategorisierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) folgte, ein wichtiger politischer Schritt. Damit verbunden war auch die Idee der gesellschaftlichen Befriedung durch Offenlegung von Verstrickung. Konflikte, die aus Verfolgung und Repression in der DDR resultierten, sollten auf diese Weise gemildert werden.

Zugleich konnten durch die Aktenöffnung Einblicke in die Strukturen und Strategien eines Geheimdienstes gewonnen werden, die mit anderen Akten-Überlieferungen kaum möglich gewesen wären.[34] Nicht zuletzt wirkte die Aktenöffnung auch über die DDR- und MfS-Aufarbeitung hinaus als ein Katalysator für politische Debatten, in denen auch Skandale und Konflikte der alten Bundesrepublik (beispielsweise die Barschel-Affäre, RAF) aufgegriffen und politisch erneut diskutiert werden konnten. [...]"

Weitere Textangebote der bpb zum Thema Stasi-Aufarbeitung:


Stasi, was war das?- Ein Themendossier der bpb

Wie es zur Sicherung der Stasiakten kam. Ein Rückblick von Stephan Konopatzky

Die Geschichte der Bürgerkomitees.Ein Überblick von Christian Booß.

Eine Behörde tritt ab.Ein persönlicher Rückblick von Helmut Müller-Enbergs

Dienstag, 29. Juni 2021

euro|topics: Delta-Variante breitet sich aus: Was tun?

 


Die Delta-Variante des Coronavirus treibt die Infektionszahlen in mehreren Ländern nach oben. In Europa sind Großbritannien, Russland und Portugal besonders betroffen. Auch in Staaten mit niedriger Inzidenz steigt der Anteil der Mutation, mit der sich offenbar auch mehr Geimpfte anstecken. Kommentatoren diskutieren, was jetzt passieren muss, und fragen sich, ob Politik und Bevölkerung die Bedrohung ernst genug nehmen.

VISÃO (PT)

Fahrlässig in die vierte Welle

Visão wirft Portugals Regierung Leichtsinn bei den Einreisekontrollen vor:

„Im Gegensatz zu dem, was die große Mehrheit der europäischen Länder derzeit tut, übt Portugal keine besondere Wachsamkeit bei der Ankunft von Besuchern oder der Rückkehr portugiesischer Staatsbürger in das Staatsgebiet aus. Es vertraut den Deklarationen und lässt die Menschen ohne jegliche weitere Kontrolle zu ihren Zielen reisen. Diese 'lockere' Haltung und teilweise die Ehrfurcht vor einer unserer wichtigsten Einnahmequellen – dem Tourismus – macht den Kampf gegen das Virus fragil und schadet unserem Image im Ausland. Am Ende des Tages schadet es auch dem Tourismus. ... Das sind falsche, kurzsichtige Richtlinien, und sie entlarven eine politische Führung ohne eigene Kriterien, die nach den Interessen Dritter handelt.“

Manuel Delgado
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EESTI PÄEVALEHT (EE)

Panik in Impfungen umsetzen

Estland schaut besonders besorgt auf die hohen Infektionszahlen im Nachbarland Russland. Diese Sorge sollte man nutzen, um die abgeflachte Impfkurve wieder nach oben zu bringen, schlägt Eesti Päevaleht vor:

„Schaut man auf die Daten des letzten Monats, ist klar, dass in Russland auch die Totenzahl wieder bemerkenswert gestiegen ist, anders als in Portugal und Grossbritannien. Der Unterschied ist, dass die zwei Länder mit Impfung wesentlich weiter sind als Russland. ... Anstatt der dritten Welle in Russland zuzuschauen, müssten wir sie nutzen, um die stotternden Impfungen wieder in Gang zu bringen. Jetzt, da sogar der Nihilismus der Russen weicht, ist die richtige Zeit, auch in Estland eine ordentliche Impfkampagne zu starten.“

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LA REPUBBLICA (IT)

Ein riesiges Verhaltensexperiment

In Israel sind bereits 57 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Anhand der sich ausbreitenden Delta-Variante zeigt sich einmal mehr, was auch anderswo in Zukunft passieren könnte, meint Meir Ouziel, Kolumnist der israelischen Zeitung Maariv, in einem Gastbeitrag in La Repubblica:

„Wir sind mit einem riesigen Verhaltensexperiment konfrontiert. Wenn Israel bisher das Labor der Welt war, um die Effektivität der Impfkampagne zu messen, könnte es nun zum Labor werden, um eine andere Frage zu untersuchen: Wie werden sich Menschen verhalten, die dachten, sie seien sicher, weil sie geimpft wurden, wenn die Möglichkeit auftaucht, dass das Virus den Impfschutz überwinden könnte? Ich denke, die Verhaltensforscher werden feststellen, dass die 'Zurück ins Leben'-Atmosphäre so berauschend ist, dass im Moment niemand bereit ist, in die Klausur zurückzukehren.“

Meir Ouziel
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NÉPSZAVA (HU)

Auch auf den Impfstoff-Typ kommt es an

Statistiken zeigen, dass wohl auch der Impstoff-Typ bei der Verbreitung der Delta-Variante eine Rolle spielt, warnt Népszava:

„In Ländern, wo viele Menschen mit einem weniger wirksamen Impfstoff [wie Sinopharm] geimpft wurden, verbreitet sich die gefährlichere und tödlichere neue Variante relativ schnell. Was würde in so einem Fall eine verantwortliche Regierung tun, die das Menschenleben als Priorität behandelt? Sie würde versuchen, den früheren Fehler zu korrigieren, und würde nach einem weniger wirksamen Impfstoff auch mit einem mRNA-Vakzin impfen lassen - das passiert gerade in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Bahrain, und nach einigen Presseinformationen auch in Serbien.“

Miklós Hargitai

Dienstag, 22. Juni 2021

euro|topics: Schweden vor politischen Umwälzungen?

 

Der sozialdemokratische schwedische Premier Stefan Löfven hat ein Misstrauensvotum verloren. Gegen ihn stimmten bürgerliche Opposition, Linkspartei und die bisher isolierten rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Letztere hatten das Votum initiiert und nutzten einen Streit um die Mietpreispolitik, in dem die Linkspartei als Unterstützerin der rot-grünen Minderheitsregierung auf mehr Einfluss pochte.

DAGENS NYHETER (SE)

Zeichen stehen auf nationalkonservativ

Dagens Nyheter sorgt sich:

„Wie wird die Wahlbeteiligung durch eine Nachwahl beeinflusst? Und wer bekommt von den Wählern die Schuld, dass sich die Politiker nicht einigen konnten? Fragen, die sich wahrscheinlich mehrere Parteien stellen werden, im schlimmsten Fall bekommen M [bürgerlich-konservative Moderaterna], KD [Christdemokraten] und SD [Schwedendemokraten] die Mehrheit im neuen Reichstag. Dann ist das Risiko groß, dass Jimmie Åkesson [Chef der SD] seinen nationalkonservativen Block und Schweden eine entsprechende Regierung bekommt.“

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SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (DE)

Die Brandmauer ist eingerissen

Die Schwedendemokraten werden sich künftig nicht mehr marginalisieren lassen, vermutet auch der Skandinavien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Kai Strittmatter:

„Deren Vorsitzender Jimmie Åkesson hatte das Misstrauensvotum auf den Weg gebracht, er sieht sich jetzt schon als Gewinner. Es ist noch nicht lange her, da waren die SD, die ihrer Verachtung fürs herrschende demokratische System regelmäßig Ausdruck verleihen, die Parias in Schwedens Politik: Keiner wollte mit ihnen kooperieren. Das ist vorbei. Das bürgerliche Lager hat die Brandmauer zur äußersten Rechten eingerissen. Die Macht lockt. Eine Unterstützung durch die SD ist nicht länger tabu, sondern erwünscht. Vielleicht klappt es diesmal schon.“

Kai Strittmatter
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BERLINGSKE (DK)

Schwedendemokraten nicht länger ausgrenzen

Berlingske kann die Sorgen der Süddeutschen Zeitung nicht teilen:

„Glücklicherweise stehen die bürgerlichen Parteien einer Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten nicht länger abweisend gegenüber. ... Stefan Löfven hat jetzt eine Woche Zeit, um eine neue Regierung zu bilden oder Wahlen auszurufen. Egal, was er macht: Die Zeit ist gekommen, die Schwedendemokraten wie eine normale Partei innerhalb der schwedischen Politik zu behandeln.“

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GAZETA WYBORCZA (PL)

Keine Stabilität in Sicht

Eine festgefahrene Situation beschreibt Gazeta Wyborcza:

„Um zwei Wahlen in kürzester Zeit zu vermeiden, dürfte es eine Mehrheit für eine Übergangsregierung geben. An deren Spitze könnte wieder Löfven stehen, der dann bis 2022 im Amt bleibt. Das Problem ist, dass auch eine neue Wahl höchstwahrscheinlich keine klare Mehrheit hervorbringen wird. Umfragen zeigen, dass das Ergebnis, wie schon 2018, zwei Blöcke ohne Mehrheit sein würden, einer rechts und einer links der Mitte, umgeben von einer Galaxie kleinerer Parteien mit solch widersprüchlichen Zielen, dass eine dauerhafte Regierungskoalition mit klarer politischer Identität unmöglich ist.“

Stanisław Skarżyński
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