Dienstag, 29. August 2017

War der Flüchtlingsgipfel in Paris ein Erfolg? (euro|topics)

Staats- und Regierungschefs aus Europa und Afrika haben in Paris nach Wegen gesucht, um die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Asylansprüche von Migranten könnten künftig bereits in afrikanischen Staaten geprüft werden. Das Treffen war ein Schritt in die richtige Richtung, meinen einige Kommentatoren. Andere kritisieren, dass Europa das Problem nur weiter nach Süden verlagert.


THE GUARDIAN (GB)
 Die Rechte der Schutzbedürftigen bewahren

Europa darf seine Verantwortung für die Geflüchteten nicht von sich schieben, mahnt The Guardian:
„Im Zentrum der Gespräche stand die Idee, Migrationsströme dort aufzuhalten, wo sie entstehen. Das ist zwar sinnvoll, aber nur, wenn die Rechte der dringend schutzbedürftigen Migranten gewahrt bleiben. Europas Strategie darf nicht bedeuten, dass man das Problem noch weiter von den eigenen Küsten wegschiebt statt sich an einer Lösung zu versuchen. ... Tatsächlich lagert Europa sein Zuwanderungsproblem nun in afrikanische Länder aus, nachdem es einen Teil des Problems schon in die Türkei ausgelagert hat. So verschieben sich zwar die Migrationsrouten - die menschlichen Tragödien aber bleiben.“
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DEUTSCHLANDFUNK (DE)

EU-Handelspolitik macht alles zunichte

Um Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, muss die EU ihre Handelspolitik gegenüber Afrika ändern, meint der Deutschlandfunk:
„Während man auf der einen Seite ... mit Geld und Mühe versucht, die Menschen in ihrer Heimat zu halten, reißt Europa das alles mit seiner Handelspolitik wieder ein: In sogenannten Wirtschaftspartnerschaften sollen die Länder Afrikas ihre Märkte für EU-Produkte stärker öffnen - sonst können sie ihre Produkte nicht mehr vergünstigt nach Europa exportieren. Gleichzeitig sichert sich die EU Zugang zu wertvollen Ressourcen, die in Europa zum Beispiel für Computerchips benötigt werden. Wertschöpfung findet bei uns statt - und nicht in Afrika. Solange Europa in den Ländern Afrikas weiterhin einen billigen Rohstofflieferanten und einen Markt für seine Agrar-Überschüsse sieht, ist jeder Euro, der gegen Fluchtursachen eingesetzt wird, ein vergebener Euro.“
Thomas Otto
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HOSPODÁŘSKÉ NOVINY (CZ)

Erst Libyen auf die Beine helfen

Das von Macron initiierte Treffen verdient nur dann Beifall, wenn wenigstens hinter verschlossenen Türen auch über die unsäglichen Bedingungen für die Flüchtlinge in den Lagern in Libyen geredet wurde, meint Hospodářské noviny:
„Die Menschen in diesen Lagern müssen Schläge ertragen, Vergewaltigungen, Diebstähle, kurz: die schlimmsten Zustände. Wer - wie unlängst ausgerechnet Macron - fordert, dass in Libyen Zentren entstehen sollen, in denen sich die Flüchtlinge schon auf dem afrikanischen Kontinent mit ihrem Wunsch nach Asyl in Europa registrieren lassen können, sollte sich vorher besser ansehen, was in dem zerrissenen nordafrikanischen Land tatsächlich vorgeht. Solche Zentren noch in diesem Jahr sind Utopie. Libyen muss geholfen werden. Nicht nur, damit es wieder auf die Beine kommt. Sondern auch, damit es beginnt, die Flüchtlinge wie Menschen zu behandeln.“
Teodor Marjanovič
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LA STAMPA (IT)

Worten müssen nun Taten folgen

Auch wenn konkretere Vorschläge nicht geschadet hätten, war der Gipfel auf diplomatischer Ebene ein Erfolg, urteilt La Stampa:
„Gestern Abend haben vier führende europäische Staats- und Regierungschefs im Beisein der Präsidenten Libyens, Nigers und Tschads sowie der EU-Außenbeauftragten, den italienischen Ansatz aufgegriffen: Das Flüchtlingsproblem muss in Afrika gelöst werden. Wenn nun auch Taten folgen, dann sind wir endlich auf dem richtigen Weg. ... Zwar ist eine wahre 'europäische' Anstrengung, wie sie sich unser Premier wünscht, noch in weiter Ferne. … Doch ein echtes Einverständnis zwischen Macron, Rajoy, Merkel und Gentiloni ist mehr wert als jede Erklärung aus Brüssel.“
Stefano Stefanini
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War der Flüchtlingsgipfel in Paris ein Erfolg?

Ich schließe mich Deutschlandfunk und Guardian an:

"Solange Europa in den Ländern Afrikas weiterhin einen billigen Rohstofflieferanten und einen Markt für seine Agrar-Überschüsse sieht, ist jeder Euro, der gegen Fluchtursachen eingesetzt wird, ein vergebener Euro." (Deutschlandfunk)

"Tatsächlich lagert Europa sein Zuwanderungsproblem nun in afrikanische Länder aus, nachdem es einen Teil des Problems schon in die Türkei ausgelagert hat. So verschieben sich zwar die Migrationsrouten - die menschlichen Tragödien aber bleiben." (Guardian)

 Freilich habe ich beides schon länger vertreten. Zum Thema billige Rohstofflieferanten und Markt für Agrar-Überschüsse der EU habe ich vor 40 Jahren mit anderen zusammen ein Unterrichtsmodell herausgebracht. Dass das Thema immer noch brandaktuell ist, gibt mir wenig Hoffnung, dass die kommende Bundesregierung die Fluchtursachen bekämpfen wird. Es wäre schon viel geholfen, wenn sie nicht immer neue schaffen würde.
Hier nur das Stichwort: Waffenlieferungen in Krisenregionen.

Sonntag, 27. August 2017

Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2017

Union
SPD
FDP 
AfD 

darüber hinaus:
aktuell:
Die Zukunft des Verbrennungsmotors wird zum Knackpunkt für Koalitionsverhandlungen. 27.8.17

Wenn man die bundesdeutsche Politik über Jahrzehnte hin verfolgt hat, interessiert einen an Wahlprogrammen nicht so sehr, was sie aussagen, sondern vor allem, wie weit sie mit den Zielen der Parteien, die man kennt, übereinstimmen.
Wenn die FDP als einzige Partei Generationengerechtigkeit (keine Schulden machen, sondern Schulden abbauen) als wesentliches Ziel hervorhebt, weiß man, dass sie Ausgaben für Bildung und für die Integration von Asylbewerbern und Behinderten möglichst niedrig halten will, damit es überflüssig erscheint, die reichsten 10% der Bevölkerung verstärkt an der Finanzierung allgemeiner gesellschaftlicher Aufgaben zu beteiligen.
Bei den Bürgerkandidaten weiß man, dass sie kein inhaltliches Programm haben können und dass man verstanden haben muss, was ein imperatives Mandat bedeutet. 
Bei der CDU weiß man, dass Merkel ("Sie kennen mich.") entscheidet und dass sie im Zweifel nicht das tut, was sie angekündigt hat. So z.B. keine Maut, Aufnahme von Flüchtlingen, eine Energiewende vorantreiben. Das Programm muss man also vor allem dafür parat haben, dass man nachweisen kann, inwiefern Merkels Politik davon abgewichen ist. Dass sie angesichts neuer Sachlagen u.U. davon abweichen muss, ist klar. Wie stark sie davon abweicht, obwohl das Programm schon absichtlich weitgehend ungenau formuliert, ist dann schon interessant.
Bei der AfD weiß man inzwischen, dass es nicht um den Euro oder die EU geht, sondern um "Ausländer raus!" und dass damit im Zweifelsfall die Deutschen mit Migrationshintergrund gemeint sind, die sich gerade da mit Deutschland identifizieren, wo es besonders schwer fällt. Wie zum Beispiel Navid Kermani in Auschwitz. (Konkret hat der Spitzenkandidat A. Gauland bisher nur die Entsorgung der Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz in Anatolien empfohlen.)
Kermani habe ich genannt, weil mir sein Text über seine Erfahrung in Auschwitz besonders imponiert hat. Bei der Suche nach meinem Artikel über ihn ist mir aufgefallen, wie oft er mir als ungewöhnlich vorbildlich aufgefallen ist. 

Dienstag, 22. August 2017

Costas Lapavitsas: "Kein Europa, in dem man sich wohlfühlt"

"In Europa hat sich ein Zentrum gebildet, welches von Deutschland repräsentiert wird, genauer gesagt vom deutschen Industriekomplex. Speziell die Automobilbranche und die Chemische Industrie, die besonders auf Export fokussiert ist. Um dieses Zentrum herum entstehend eine Reihe von Peripherien. [...]
Man kann auf jeden Fall zwei Arten von Peripherien unterscheiden. Unter die eine Art fallen die Anhänger bzw. Mitläufer Deutschlands. Das sind Länder, die ein Teil des Euro sein können oder auch nicht, so wie Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien und ein Teil von Österreich.  Also Länder, die direkt mit dem Industrieprozess Deutschlands verbunden sind. Das ist das europäische Produktionszentrum. Dieses zieht mittlerweile auch andere Länder in seinen Bann: Rumänien, Ungarn, usw. Die Wirtschaft dieser Länder ist immer mehr von der deutschen Automobilbranche abhängig.
Die andere Peripherie besteht aus den Südländern: Griechenland, Spanien, Portugal und ein Teil von Italien. Das sind Länder mit einem stark ausgebildeten öffentlichen Sektor, hoher Arbeitslosigkeit und keiner wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, speziell auch im industriellen Bereich. Und, ganz wichtig, sie sind Euro-Länder. Weshalb sie auch nicht wettbewerbsfähig sind. Ihre Rolle besteht darin, der deutschen Industrie Arbeit zu verschaffen.
Was ist die Rolle Frankreichs in diesem „neuen“ Europa?
Frankreich ist ein Land im Zentrum (von Europa), aber es hat nicht die industrielle Stärke, um mit Deutschland zu konkurrieren. Es hatte das Spiel bereits verloren, als es gemeinsam mit den Deutschen dem Euro beigetreten ist. Mittel- bzw. langfristig gesehen wird es sich Deutschland „unterwerfen“. [...]
Ich denke, es ist lohnenswerter die Tatsache zu beleuchten, dass der Euro Deutschland erlaubt hat, das dominante Land in Europa zu werden. Das ist die wahre Bedeutung des Euros. Die Einheitswährung hat es Berlin erlaubt, den europäischen Markt zu dominieren und zu einem globalen Exportland zu werden, das sowohl auf dem chinesischen als auch dem US-Markt vordringen kann. Und Deutschland konnte sich selbst zum Besitzer von Finanzanlagen entwickeln. Die Auswirkungen des Euro sind exakt das Gegenteil von dem, was uns eingeredet wurde.
Hat sich daran mit dem Brexit irgendetwas verändert?
Der Brexit war in gewissem Sinne eine Antwort auf die Transformation der EU in eine Institution, die Deutschlands Macht schützt und verschleiert. Eine Reaktion auf den Verlust von Souveränität. [...]"
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Freitag, 18. August 2017

Eine indische Seifenoper, die tabuisierte Problem aufgreift, wird zum Publikumsmagneten

Bollywood greift Säureattentate, die Abtreibung weiblicher Embryos, Menstruation, Masturbation, Empfängnisverhütung und andere Tabus auf, von denen man nicht spricht, und erreicht damit 400 Millionen Zuschauer.

"An Indian soap opera whose themes include acid attacks, domestic violence and high rates of abortion of female foetuses has quietly become one of the most-watched programmes on the planet.
India’s public broadcaster announced in April that the audience for Main Kuch Bhi Kar Sakti Hoon – I, a woman, can achieve anything – had, in two seasons, exceeded 400 million viewers “and counting”. [...] 
In a country where government can be a marginal – and sometimes malign – influence on people’s lives, celebrities wield enormous power [...]
“When [Bollywood film star] Amitabh Bachchan says please give your child two polio drops, they listen to him more than to the government of India.
“Nobody trusts a cop in India, nobody trusts a politician. But with soap star Tulsi and other heroines, people actually believe them when they say something,” she says.
Director Feroz Abbas Khan is aware of the show’s limitations. “Let’s not mistake that this one television programme is going to change everything,” he says, adding that in a conservative society, the programme is clearly breaking boundaries. “In our society, nobody speaks. Children and parents don’t have conversations about sex.
“We’re talking about menstruation, masturbation, contraceptives,” he says. “These things never came on our TV. We’ve pushed the envelope.”" (The Guardian 1.6.2017)

Donnerstag, 17. August 2017

Wie nahe steht Trump den Rechtsradikalen?


US-Präsident Trump hat erneut die rassistische Gewalt in Charlottesville relativiert. Mehrere Wirtschaftsbosse verließen daraufhin eines seiner Beratergremien, zahlreiche Demokraten und Republikaner kritisierten die Aussagen des Präsidenten. Lob erhielt er von führenden Rechtsextremisten. Kommentatoren bezeichnen seine Kehrtwende als gigantische Dummheit, mit der er endgültig zu weit gegangen ist.
LIBÉRATION (FR)

Eine historische Dummheit

Trumps Kehrtwende ist eine Dummheit von historischer Dimension, meint Libération:
„Schlimmer noch, es ist auch eine Beleidigung der US-amerikanischen Identität, wie sie sich durch so viele Kämpfe herausgebildet hat. ... Indem er offen rassistischen Bewegungen entgegenkommt, bekommt dieser Auftritt eine historische Bedeutung. Noch nie hat ein US-Präsident den Prinzipien dermaßen widersprochen, auf denen die Demokratie seines Landes basiert. Indem er implizit weißen Rassismus guthieß, beleidigte er die Autoren des 14. Amendments der US-Verfassung, auf die Trump seinen Eid geschworen hat und in der steht, dass jeder US-Amerikaner die gleichen Bürgerrechte genießt, völlig unabhängig von seiner ethnischen Abstammung.“
Laurent Joffrin
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PHILELEFTHEROS (CY)

Trump ist ein Rassist

Die Worte und Taten von Präsident Trump lassen nur einen Schluss zu, kommentiert die Tageszeitung Phileleftheros:
„Die Tatsache, dass er die Rechtsextremen braucht, ist nicht der einzige Grund, warum er sie unterstützt. In seinem tiefsten Inneren ist er einer von ihnen. Dies zeigen seine Worte und Werke. Er ist der Präsident, der die wenigsten Frauen in der Regierung hat, der mit den schlimmsten Worten über sie geredet hat. Er ist der Präsident, der Dekrete gegen die Einreise bestimmter religiöser Gruppen erlassen hat. Er ist der Präsident, der jedes Mal, wenn ein Afroamerikaner von einem weißen Polizisten getötet wird, über Bekämpfung der Kriminalität redet. Kurz gesagt, er ist ein Rassist.“
Xenia Tourki
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ILKKA (FI)

Der Ku-Klux-Klan bedankt sich

Man kann Donald Trump vieles vorwerfen, aber jetzt ist er endgültig zu weit gegangen, betont Ilkka:
„Trump hat den Neonazis in Charlottesville seine stillschweigende Billigung erteilt, nachdem einer mit dem Auto in eine Menschenmenge fuhr und dabei einen Menschen tötete. … Für den Präsidenten ist eine Verurteilung der Rassisten schwierig, denn die Mitglieder des Ku-Klux-Klans in den Südstaaten zählen zu seinen Unterstützern. Der Anführer des Ku-Klux-Klans freute sich darüber und bedankte sich öffentlich beim Präsidenten. … Man sollte merken, dass man falsch gehandelt hat, wenn Neonazis anfangen, sich zu bedanken.“
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DIE WELT (DE)

Selbst Republikaner gehen auf Distanz

Trump begreift sich nur als Präsident der tiefrepublikanischen USA und der antidemokratischen Kräfte am äußersten Rand, konstatiert Die Welt:
„Er führt, ein Dreivierteljahr nach seinem Wahlsieg, nicht das Land, sondern eine 'Bewegung', die ihn ins Amt brachte. ... Dass sich diese Bewegung zu radikalisieren scheint, nimmt Trump in Kauf. Doch das ist eine gefährliche Taktik. Je mehr sich Trump mit diesem unappetitlichen Teil der amerikanischen Gesellschaft gemein macht, desto schneller gehen selbst ultrakonservative Republikaner auf Distanz zum Präsidenten. Die Freiheit des Wortes wird in den USA hochgehalten. Sie wird von der großen Mehrheit der Gesellschaft selbst weißen Rassisten oder KKK-Extremisten zuerkannt. ... Aber einen Präsidenten, der Gewalttaten dieser Extremisten indirekt verniedlicht, finden letztlich nur jene akzeptabel, die auch die Gewalttaten bejahen.“
Ansgar Graw
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DE MORGEN (BE)

Flucht der Berater trifft Trump hart

Nach Trumps erneuter Relativierung der rassistischen Krawalle in Charlottesville haben mehrere Wirtschaftsbosse ihre Beraterfunktion für den US-Präsidenten aufgegeben. Das wird ihn schwer treffen, stellt der Schriftsteller und Kolumnist, Hugo Camps, in De Morgen zufrieden fest:
„Ihr Widerstand ist umso bedeutsamer als sie das Herz der modernen und innovativen Unternehmen darstellen, die in der Wahl-Rhetorik Trumps der heilige Gral sind. Der Protest der Wirtschaftsgiganten trifft den US-Präsidenten voll in Bezug auf seine Heilslehre von der Bedeutung der Wirtschaft. ... Wirtschaftsbosse scheuen eigentlich öffentliche Debatten und vermeiden es, Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Problemen zu nehmen. ... Doch im Kampf gegen Hass und Intoleranz müssen soziale Schranken wegfallen.“
Hugo Camps
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Wie nahe steht Trump den Rechtsradikalen?