Dienstag, 28. Januar 2020

euro|topics: Was bedeutet Salvinis Niederlage für Italien?


Die rechtsextreme Lega von Matteo Salvini konnte ihren Siegeszug durch die italienischen Regionalparlamente in der Emilia Romagna nicht fortsetzen: Bei den Regionalwahlen am Sonntag erhielt Stefano Bonaccini von der Mitte-Links-Koalition, die auch auf nationaler Ebene regiert, 51 Prozent der Stimmen. Ist Salvini jetzt am Ende? Europas Medien sind uneins.
LA VANGUARDIA (ES)

Demokratie siegt

La Vanguardia findet in Salvinis Niederlage vor allem Grund zum Jubeln:
„Die Ergebnisse der Regionalwahlen in der Emilia-Romagna und Kalabrien sind entscheidend für die Stabilität der italienischen Regierung und wichtig für Europa. Ist der Aufstieg antieuropäischer, fremdenfeindlicher und ultranationalistischer Bewegungen unvermeidbar? In Italien lautet die Antwort, die erfreuliche Antwort: nein. Nein und nein. ... Italien im Besonderen und Europa im Allgemeinen verfügen über ausreichend Energie, gemäßigte Kräfte und demokratisches Erinnerungsvermögen, um in den Wahlurnen jene Parteien zu stoppen, die sich von den demokratischen Werten entfernen und stattdessen gerne die gesellschaftlichen Probleme verstärken, über Immigranten herziehen und gefährliche außenpolitische Kontakte pflegen wollen.“
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Die Sterne sind verglüht

Die großen Verlierer in der Emilia-Romagna sind nicht Matteo Salvini und die rechte Lega, sondern die mitregierenden Cinque Stelle, urteilt die Neue Zürcher Zeitung:
„Die von Beppe Grillo in Bologna gegründete Protestpartei hatte bei der Parlamentswahl 2018 in der Emilia-Romagna noch die meisten Stimmen geholt, doch am Sonntag wurde sie nun regelrecht dezimiert. Der letzte grosse Fehler des zurückgetretenen Chefs Luigi Di Maio war, dass er einen eigenen Kandidaten aufstellte, anstatt jenen der Sozialdemokraten zu unterstützen. Damit haben die Cinque Stelle nicht nur riskiert, Salvini zum Sieg zu verhelfen. Sie können nun auch keinen Anteil am Erfolg des Koalitionspartners beanspruchen und drohen innerhalb der Regierung weiter an Einfluss zu verlieren. Bei vielen intern umstrittenen Sachfragen dürfte der Partito Democratico künftig sehr viel selbstsicherer auftreten.“
Andrea Spalinger
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CORRIERE DELLA SERA (IT)

Regierung in Rom ohne Wählergunst

Der Umstand, dass die Cinque Stelle die Wahlen so klar verloren haben, zeigt ein ernsthaftes Problem der repräsentativen Demokratie auf, warnt der Politologe Angelo Panebianco in Corriere della Sera:
„Die Partei, die bei den letzten nationalen Wahlen die relative Mehrheit der Sitze gewonnen hat und immer noch hält, erweist sich als Meteoriten-Partei, die immer weniger Unterstützung im Land hat. ... Das ist keine Voraussetzung, die eine solide und breite Unterstützung für die Arbeit der amtierenden Regierung gewährleisten kann. ... Eine derart starke Kluft zwischen der Stimmung im Land und der Regierung könnte langfristig auch dem Partito Democratico schaden. Sie ist sicherlich gut aus den Regionalwahlen hervorgegangen, aber sie ist immer noch in einer Regierung mit einem Mehrheitspartner, der nicht länger die Gunst der Wähler genießt.“
Angelo Panebianco
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THE TIMES (GB)

Überraschende Stabilität, aber...

Der Wahlausgang mag vorerst Stabilität bringen, auf lange Sicht scheint eine Salvini-Regierung dennoch wahrscheinlich, argumentiert The Times:
„Die Lega hat am Sonntag in Kalabrien gewonnen und führt die nationalen Umfragen an. ... Sie hat während ihrer kurzen Zeit an der Macht 2018 gelernt, dass nicht Brüssel, sondern die Märkte Italien einschränken. In der Tat hat die Lega alle Diskussionen um einen Eurozonen-Austritt eingestellt. Aber es bleibt bemerkenswert, dass die zwei großen Parteien nach solch einem turbulenten Jahrzehnt keinen Plan vorweisen können, um die wahren Probleme Italiens zu beseitigen: eine ineffiziente Bürokratie, ein langsames Justizsystem und – besonders im Süden – verbreitete Korruption. Bis dahin darf Italiens überraschende Stabilität nicht für selbstverständlich genommen werden.“
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Montag, 27. Januar 2020

euro|topics: Auschwitz: Was tun gegen das Vergessen?

Vor 75 Jahren erreichte die Rote Armee das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Am heutigen Jahrestag erinnern etwa 200 Holocaust-Überlebende und viele Politiker in der Gedenkstätte in Polen an die Befreiung. Am Donnerstag fand bereits in Israel eine Gedenkfeier statt. Viele Autoren beschäftigt der Gedanke, wie die Erinnerung an die Schoah auch heute noch wach gehalten werden kann.
LIBÉRATION (FR)

Das Böse ist Teil der menschlichen Natur

Frans Timmermans, Vize-Vorsitzender der EU Kommission, erklärt in Libération, warum das Gedenken so wichtig ist:
„Wenn wir uns ebenso der Größe wie der Perversität des menschlichen Geists bewusst sind, verstehen wir erst wirklich die menschliche Natur und haben vielleicht eine Chance, unsere Dämonen zum Schweigen zu bringen. ... Der Holocaust ist ein einmaliges Ereignis in der europäischen Geschichte. Die Mechanismen, die ihn möglich gemacht haben, sind aber absolut nicht einzigartig, sie sind Teil der menschlichen Natur. Die Menschheit, und besonders die Europäer, haben die permanente Verpflichtung, sich dessen bewusst zu sein und das Bewusstsein dieser Dualität an künftige Generationen zu vermitteln.“
Franz Timmermans
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Empathie nicht verlernen

Die Erinnerung an die Schoah muss jederzeit wach gehalten werden, mahnt die Neue Zürcher Zeitung:
„Man muss nicht selber in Auschwitz gewesen sein, um das Entsetzen und die Trauer zu lernen. Was man über das Schlimmste aller Menschheitsverbrechen erfahren kann, ist überall verfügbar. Jeder denkende und mitfühlende Mensch wird früher oder später darauf stossen. Es braucht Wissen und Konzentration, aber vor allem Empathie und Phantasie - und in ihrer Pflege und ihrer Bewahrung ist es, wo die Gesellschaft ansetzen muss, um moralisch wach und politisch klug zu bleiben. So sehr uns die digitale Welt mit ihrem Universum des Vorformatierten und Vorverdauten das Leben erleichtert, so sehr lässt sie den Muskel der Einfühlung in andere und der eigenen Vorstellungskraft erschlaffen.“
Andreas Breitenstein
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DIE PRESSE (AT)

Vorbote des demokratischen Verfalls

Antisemitismus wird viel zu lasch entgegengetreten, klagt die frühere spanische Außenministerin Ana de Palacio in der Tageszeitung Die Presse:
„Erwähnungen von Antisemitismus werden oft mit einem Achselzucken abgetan oder sogar auf zynische Art und Weise rationalisiert. Empörung oder Solidarität mangelt es an Tiefe, und Diskussionen werden von Auseinandersetzungen über die israelische - oder sogar die US-amerikanische - Politik überlagert. ... Zwei Gründe für diese schwache Reaktion verdienen besondere Aufmerksamkeit. Der erste ist das Verblassen der Erinnerung. Die Geschichte des Antisemitismus in Europa ist fast so alt wie Europa selbst. ... Der zweite Grund ist die allgemeine Aushöhlung demokratischer Prinzipien und Institutionen. ... Wenn wir uns nicht darauf einigen können, dass Antisemitismus in unseren Gesellschaften keinen Platz hat, worauf können wir uns dann einigen?“
de Palacio Ana
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MLADÁ FRONTA DNES (CZ)

Unwürdiges Fingerhakeln über den Gräbern

Völlig unbegreiflich findet Šimon Krbec vom Studienzentrum des Genozids Terezín (Theresienstadt) in Mladá fronta dnes die Zerstrittenheit über das Gedenken an die Befreiung von Auschwitz vor 75 Jahren:
„Die politischen Vertreter von Ländern, deren Bürger während des Holocausts starben, beschuldigen sich gegenseitig, die Geschichte zu fälschen, der Kollaboration mit den Nazis und am Ende gar eines Anteils am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. In Europa macht sich eine gefährliche Tendenz der selektiven Wahrnehmung der Geschichte breit. ... Das Theater darüber, wer wen einlädt oder nicht einlädt, ist unwürdig. Wer sonst muss darüber regelrechte Freude empfinden, als der, der sich wünscht, dass der Holocaust ein für allemal vergessen wird?“
Šimon Krbec