Mittwoch, 27. Mai 2020

euro|topics: Corona-Hotspot Brasilien

Jair Bolsonaro, der ultrarechte brasilianische Präsident, hat Covid-19 mehrfach als "kleine Grippe" und die Pandemie als "Inszenierung der Medien" bezeichnet. Nun gilt Brasilien mit mehr als 25.000 Toten und knapp 500.000 registrierten Infizierten als neuer Hotspot. Kommentatoren beschreiben, wie Bolsonaros populistische Politik die Krise noch verschlimmert.
DIÁRIO DE NOTÍCIAS (PT)

Ernster als alle Krisen zuvor

Bernardo Ivo Cruz, Politikwissenschaftler an der katholischen Universität Portugal, zeigt sich in Diário de Notícias besorgt:
„Die derzeitige brasilianische Krise ist vielleicht schwerwiegender und ernster als die vorherigen und verbindet eine erschreckende Verschlechterung der gesundheitlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen mit einem zunehmenden Mangel an institutioneller Legitimität des Präsidenten. Und die Anzeichen für das Unbehagen politischer, wirtschaftlicher, sozialer und sogar militärischer Institutionen werden immer deutlicher. Die Geschichte der brasilianischen Demokratie war bisher eine Geschichte von Krisen und Widerstandsfähigkeit, und das Verfassungssystem des Landes hat zu jeder Zeit institutionelle Antworten gefunden, die Brasilien zu einem der stabilsten Länder Lateinamerikas machen. Hoffen wir, die aktuelle Krise wird nicht die Ausnahme sein.“
Bernardo Ivo Cruz
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FINANCIAL TIMES (GB)

Katastrophe könnte Bolsonaro nützen

Ein Klima der Angst ist der perfekte Nährboden für noch mehr Populismus, fürchtet Financial Times:
„Bolsonaro ermutigt seine Anhänger, den Lockdown zu missachten und untergräbt die Autorität seiner eigenen Regierungsmitglieder. Damit ist er verantwortlich für die chaotische Reaktion der Politik, die die Pandemie außer Kontrolle geraten ließ. ... In klassisch populistischer Weise blüht er in der politischen Atmosphäre der Spaltung auf. Brasilien ist bereits ein stark polarisiertes Land, in dem Verschwörungstheorien weit verbreitet sind. Die Führung Bolsonaros sorgt dafür, dass es noch mehr Tote und eine noch höhere Arbeitslosigkeit, verursacht durch Covid-19, gibt. Aber perverserweise könnte eine Gesundheits- und Wirtschaftskatastrophe ein noch günstigeres Umfeld für die Politik der Angst und Unvernunft schaffen.“
Gideon Rachman
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GAZETA WYBORCZA (PL)

Schlimmer als in den USA

Mit den aktuellen Erkrankungs- und Todeszahlen im Land übertrumpft Brasilien traurigerweise sogar die USA, schreibt Gazeta Wyborcza:
„Bisher sind in Brasilien 23.473 Menschen am Coronavirus gestorben und 375.000 sind daran erkrankt. Die Daten zeigen, dass in Brasilien jeden Tag mehr Menschen krank werden und sterben als in den am stärksten von der Epidemie betroffenen Regionen der USA. Sie haben Präsident Donald Trump dazu gezwungen, jedem die Einreise zu verbieten, der in jüngster Zeit in Brasilien war. Dies ist ein schwerer Schlag für Präsident Bolsonaro, der den amerikanischen Präsidenten als Vorbild sieht und ihn als besten Freund und Verbündeten Brasiliens darstellt.“
Maciej Stasiński
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EL PAÍS (ES)

Das Militär bekommt zu viel Gewicht

Brasiliens Demokratie wird zunehmend ausgehöhlt, ist El País alarmiert:
„Um seine Absetzung zu verhindern, erkauft sich Bolsonaro die parlamentarische Unterstützung, indem er Posten vergibt. Währenddessen verleiht er dem Militär innerhalb seiner Regierung größeres Gewicht. Militärs leiten bereits zehn von 22 Ministerien, darunter das Gesundheitsministerium. Noch beunruhigender ist, dass der Präsident Reden seiner Anhänger durch Schweigen gutheißt, die die Schließung des Parlaments und des Obersten Gerichtshofs fordern. Oder angedeutete Drohungen vonseiten seiner engsten Minister. Dreimal hat der Verteidigungsminister innerhalb der vergangenen Wochen öffentlich erklärt, dass die Streitkräfte hinter der Verfassung stehen. In einer gefestigten Demokratie sollte das unnötig sein.“
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Mittwoch, 20. Mai 2020

euro|topiccs: Droht dem Merkel-Macron-Plan ein schnelles Aus?

Für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise soll die EU nach dem Willen von Merkel und Macron 500 Milliarden Euro zur Verfügung stellen und dafür gemeinsame Schulden aufnehmen. Staaten im Süden begrüßen die Initiative, doch insbesondere aus Österreich, Dänemark, den Niederlanden und Schweden kommt Kritik. Bei vielen Kommentatoren weckt der Plan Hoffnungen, andere sehen ihn skeptisch.
LE COURRIER (CH)

So fährt Europa gegen die Wand

Das vorgeschlagene Wiederaufbauprogramm geht in die völlig falsche Richtung, warnt Le Courrier:
„Die nicht vorgesehene Rückzahlung der Fondszahlungen durch Empfänger des Fonds ist an 'ein klares Bekenntnis der Mitgliedstaaten zu solider Wirtschaftspolitik und einer ambitionierten Reformagenda' geknüpft. ... Die Wortwahl erinnert an den Neusprech und die neoliberalen Rezepte, die Griechenland unlängst aufgezwungen wurden. Schlimmer noch: Da das bisher einzige Zuweisungskriterium des künftigen europäischen Wiederaufbaufonds das ist, 'die am stärksten betroffenen Sektoren' zu stützen, kann man wetten, dass die von den europäischen Steuerzahlern an den Finanzmärkten geliehenen Milliarden dazu dienen werden, die Automobilindustrie, die zivile Luftfahrt und den Massentourismus wiederzubeleben. Das bringt uns wieder in Fahrt, gewiss, lässt uns aber voll auf die Wand zusteuern.“
Benito Perez
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DE VOLKSKRANT (NL)

Jetzt beginnt das große Feilschen

Die Niederlande werden den Vorstoß von Merkel und Macron so nicht hinnehmen, erklärt De Volkskrant:
„[Premier] Rutte hat potentiell zwei Brecheisen, um den deutsch-französischen Plan aufzubrechen. Das letzte Rettungsmittel ist, dass Erste und Zweite Kammer [des Parlaments] die Erweiterung der Kreditkapazität der Kommission ablehnen. Das ist die nukleare Option, effektiv, aber nicht ohne Folgen: Die Niederlande würden an den europäischen Pranger gestellt und müssten für eine Weile ohne Verbündete auskommen. ... Besser ist es - wie im Krieg - nur mit der Atomwaffe zu drohen, um Änderungen zu erzwingen. ... Der EU-Gipfel im Juni verspricht ein einziges großes Feilschen zu werden.“
Marc Peeperkorn
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POLITIKEN (DK)

Dänemark darf nicht bremsen

Die dänische Regierung sollte ihre Haltung überdenken, fordert Politiken:
„Dänemark hat auf nationaler Ebene klug mit Hilfspaketen agiert. Das sollten wir auch in der EU tun. Für den Zusammenhalt und um unser selbst willen. Als Exportnation haben wir ein enormes Interesse daran, dass die EU schnell wieder auf die Beine kommt. 'Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Einstellung.' Das soll John Maynard Keynes, der ideologische Vater der expansiven Finanzpolitik, einmal gesagt haben, um eine geänderte Meinung zu erklären. Die gleiche Offenheit sollte die dänische Regierung gegenüber den Plänen von Frankreich und Deutschland haben.“
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PÚBLICO (PT)

Silberstreif am Horizont

Público sieht die Pläne als Hoffnungsschimmer für Portugal:
„Noch ist nichts gewonnen, noch ist nichts sicher und es lohnt sich, hartnäckig zu bleiben. Es gilt noch, gegen die qualvollen Nationalismen des Ostens und die zynischen Egoismen des Nordens zu gewinnen. Aber für ein Land wie Portugal, das auf eine wirtschaftliche Verwüstung blickt, die in vollem Gange ist, und an seiner Kraft zweifelt, diese zu überwinden, sind die Nachrichten aus Europa heute ein echtes, wenn auch schwaches Zeichen der Hoffnung.“
Manuel Carvalho
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CORRIERE DELLA SERA (IT)

Guter Riese der Solidarität

Die EU-kritischen Parteien Lega und Fratelli d'Italia dürften es mit ihren Anfang Juni geplanten Protesten schwer haben, sollten die deutsch-französischen Wiederaufbaupläne bewilligt werden, freut sich Kolumnist Antonio Polito in Corriere della Sera:
„Wenn die deutsch-französische Initiative umgesetzt wird, wird nichts mehr so sein wie bisher. Wenn Europa kooperiert, indem es zum ersten Mal Ressourcen von einem Staat auf einen anderen überträgt und damit ein Tabu bricht, wäre für die öffentliche Meinung jede souveränistische Erhebung gegen dieses Europa schwer nachvollziehbar. Wenn sich aus den Nebeln der Pandemie die Gestalt eines neuen guten Riesen der Solidarität mit Italien abzeichnen würde, und der Riese nicht China oder Putin wäre, wie ein naiver Neuling der Außenpolitik [Außenminister Lugi Di Maio von den Cinque Stelle] hoffte, sondern Europa - wer würde dann mit Steinen nach ihm werfen wollen?“
Antonio Polito
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