Mittwoch, 30. September 2020

Trump ist Verkäufer

"Aber wenn man das Buch liest, begreift man, dass Lüge und Wahrheit Konzepte sind, die in Trumps Welt keine Rolle spielen. Die moralische Empörung, die sich meldet, wenn man liest, dass Trump, als er öffentlich Covid-19 herunterspielte, im Gespräch mit Woodward die Gefährlichkeit des Virus sehr beredt zu beschreiben wusste, hat noch nicht verstanden, wie Trump tickt. Er sagt Woodward gegenüber nicht die Wahrheit, die er der Öffentlichkeit verschweigt. Er teilt vielmehr beiden mit, was sie hören wollen. Donald Trump ist Verkäufer. Er redet in Reklamesprüchen. Das ist das Geheimnis seines Erfolges. Wenn der Slogan funktioniert, ist alles gut. Kein Mensch käme auf die Idee, die Marketingsprüche eines Unternehmens einem Faktencheck zu unterwerfen.

 Trump begreift nicht, warum er jetzt die Wahrheit sagen soll. Er ist sein ganzes Leben lang bestens ohne sie ausgekommen, er ist Präsident ohne sie geworden. Wer sind denn diese Faktenchecker? Sind sie Präsident? „Irgendwie glaubt Präsident Trump, wenn er etwas sagt, würde es wahr“, erklärte ein demokratischer Senator spöttisch. Die fleißigen Gottesdienstbesucher mögen dabei an die Schöpfungsgeschichte gedacht haben, in der es heißt: „Gott sagte, es werde Licht, und es ward Licht.“ 
Die Wahrheit aber scheint mir, dass Trump wie viele Chefs in der Vorstellung lebt, er brauche nur etwas anzuordnen, dann werde es gemacht. Bei Trump nimmt das, man kann das in Woodwards Buch über viele Seiten verfolgen, wahnhafte Züge an. Das Coronavirus werde verschwinden, einfach wieder verschwinden – sagte er immer wieder. Ein Zauberspruch, ein magisches Weltverständnis, in dessen Zentrum das aufgeblasene Selbst steht. Einer, der ganz und gar davon überzeugt scheint, dass er alles kann und alles weiß. Expertenwissen interessiert Trump nicht: „Ich brauche nur mich und drei oder vier Menschen, denen ich vertraue und mit denen ich arbeite.“ "
Arno Widman: Das gefährlichste Dynamit, FR 29.9.20

Montag, 28. September 2020

euro|topics: Amy Coney Barett als RBGs Nachfolgerin nominiert

Amy Coney Barett als RBGs Nachfolgerin nominiert

Sie galt als eine seiner Favoritinnen, nun hat US-Präsident Trump die strengkatholische Amy Coney Barrett zur Nachfolgerin der liberalen Ruth Bader Ginsburg am Supreme Court nominiert. Damit wären die Konservativen am höchsten US-Gericht klar in der Mehrheit. Ist das nun schamloses Taktieren mit politischen Institutionen? Die Angelegenheit ist komplizierter, meint Europas Presse.

DIE PRESSE (AT)

Alles im demokratischen Rahmen

Dass die Republikaner ihre Senatsmehrheit zur Ernennung einer neuen Richterin nutzen, findet Die Presse legitim:

„Immer wieder wurden in der US-Geschichte im Wahljahr Sitze am Höchstgericht frei, stets hat der Präsident einen Richter nominiert. Dabei bestätigte der Senat den Kandidaten seit 1888 jedes Mal, sofern das Weiße Haus und der Senat in der Hand der gleichen Partei waren. Die Forderung der Demokraten, dass es diesmal anders sein sollte, ist absurd. Es stimmt, dass sich die Republikaner 2016 weigerten, den von Obama nominierten Merrick Garland zu bestätigen. Aber so läuft das nun einmal in einer Demokratie: Wer die Mehrheit hat, hat das Sagen.“

Stefan Riecher
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AARGAUER ZEITUNG (CH)

Kurzsichtig und übereilt

Die Ernennung einer Richterin an den Obersten Gerichtshof der USA so kurz vor den Wahlen wird sich für die Republikaner nicht auszahlen, meint die Aargauer Zeitung:

„Einst gab es ein Protokoll für solche Personalien, an das sich Demokraten und Republikaner hielten. Dazu gehörten zeitintensive Abklärungen. Dass sich die Republikaner nun nicht mehr an die Vorgaben halten, ist nicht weiter erstaunlich – lautet doch das inoffizielle Motto in Trumps Washington: Normen sind für Verlierer. Erstaunlich aber ist, wie kurzsichtig diese Politik ist. Umfragen zeigen, fast durchs Band, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung die Ideen der Republikaner teilt. ... Schwer vorstellbar, dass eine Mehrheit der amerikanischen Wähler am 3. November ihr Machtspielchen belohnen wird.“

Renzo Ruf
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THE INDEPENDENT (GB)

Damit kann Trump seine Wiederwahl vergessen

Auch The Independent glaubt nicht, dass Trump sich mit dieser Personalie einen Gefallen getan hat:

„Die Ernennung einer strikten Abtreibungsgegnerin als Höchstrichterin wird Trump nicht helfen, den Rückstand in der Wählergunst wettzumachen, den er derzeit bei Frauen in den Vorstädten gegenüber Joe Biden hat. Sie könnte einen ähnlichen Effekt haben wie die Ernennung von Höchstrichter Brent Kavanaugh 2018 unmittelbar vor den Zwischenwahlen zum US-Kongress - doch diesmal auf Präsidentschafts-Level. ... Der letzte Wunsch von Ruth Bader Ginsburg war es, von einer eiligen Neubesetzung vor der Präsidentenwahl abzusehen. Indem die Republikaner ihr diesen verweigern, gefährden sie ihre Mehrheit im Senat und geben Trumps schwindenden Wiederwahlchancen den Rest.“

Ahmed Baba
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SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (DE)

Etwas mehr Vertrauen wäre schon gut

Der Washington-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Hubert Wetzel, hält die Kassandrarufe über den nun angeblich unabwendbaren Untergang des liberalen Amerika für verfrüht:

„Die beiden ältesten konservativen Richter [am Supreme Court] sind Herren in ihren Siebzigern, aus Trumps 6-zu-3-Mehrheit kann also unter günstigen Umständen auch rasch eine linke 5-zu-4-Mehrheit werden. ... Eine Verfassungsrichterin Barrett wird zwar bestimmt konservativere Urteile fällen als die Verfassungsrichterin Ginsburg. ... Doch bei allem Respekt für Ruth Bader Ginsburg - jetzt wie viele Demokraten so zu tun, als habe allein diese zarte Dame die USA davor bewahrt, dass die Inquisition anrückt und alle Frauen unterjocht, erscheint doch etwas übertrieben. Etwas mehr Vertrauen auf die Widerstandskraft des amerikanischen Liberalismus wäre schon gut.“

Hubert Wetzel
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DE STANDAARD (BE)

Kulturkampf wird Republikanern nutzen

Zu laute Kritik an Barretts konservativen und fundamental-christlichen Positionen könnte sogar zum Eigentor werden, analysiert De Standaard:

„Die Demokraten wissen, dass sie die Ernennung von Barrett nicht verhindern können. Einige Senatoren wollen die Anhörungen aus Protest gegen das ihrer Ansicht nach forcierte Schnellverfahren boykottieren. ... Andere, wie die Vizepräsidentschaftkandidatin Kamala Harris, wollen darauf hinweisen, wie gefährlich Barretts rechtskonservative Ideen seien. Aber wie weit können die Demokraten mit ihrer Kritik gehen, ohne dass die Republikaner diese missbrauchen, um sie als gottlose Partei darzustellen? Solche Kulturkämpfe haben die Republikaner immer für sich zu nutzen gewusst.“

Steven De Foer
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Freitag, 18. September 2020

euro|topics: Gemischtes Echo auf von der Leyens Rede

 

Ein neuer Migrationspakt, Reform von WHO und WTO, strengere Klimaziele und die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip: In ihrer Rede zur Lage der EU am Mittwoch hatte Ursula von der Leyen viele Forderungen. Lobenswerter Ehrgeiz der Kommissionspräsidentin oder ein allzu diffuser Rundumschlag?

TURUN SANOMAT (FI)

Endlich weg von der Konsens-Blockade

Der Vorschlag zur teilweisen Lockerung des Einstimmigkeitsprinzips findet bei Turun Sanomat uneingeschränkte Zustimmung:

„Die vielleicht wichtigste Stellungnahme in der Rede betrifft die Entscheidungsfindung der EU. Im Europäischen Rat ist dafür in vielen Fällen Einstimmigkeit nötig. Dies führt häufig zu zahnlosen Kompromissen, deren Aushandlung Zeit kostet. … Die Kommissionspräsidentin hält es verständlicherweise für nötig, Beschlüsse durch qualifizierte Mehrheiten zu treffen. Dies würde die Arbeit der Kommission teilweise vereinfachen und ihren Einfluss stärken. In ihrer Rede erklärte von der Leyen, dass die Mitgliedstaaten mutig sein müssten und zumindest bei Menschenrechtsfragen und in der Flüchtlingspolitik endlich zu Mehrheitsentscheidungen wechseln sollten. Dieser Vorschlag ist ganz im Sinne Finnlands.“

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TA NEA (GR)

Nicht um den heißen Brei herumgeredet

Ta Nea lobt von der Leyen:

„Wir haben uns daran gewöhnt, die EU-Bürokraten und ihre Angelegenheiten mit wohlwollender Langeweile zu betrachten. ... Die Rede der Kommissionspräsidentin war jedoch außerordentlich politisch, gehaltvoll und ehrgeizig. Von der Leyen hat auch bei zwei Themen, die Griechenland sehr beunruhigen, nicht mit deutlichen Worten gespart. Sie benannte die zunehmende Kluft zwischen der EU und der Türkei. In Bezug auf die Flüchtlingsfrage und die Situation in Moria erklärte sie, dass die Dublin-Verordnung durch ein neues europäisches Migrationsmanagement ersetzt werden muss. Und dass Griechenland und Zypern sowohl im griechisch-türkischen Konflikt als auch in der Migrationsfrage auf die uneingeschränkte Solidarität der EU zählen können.“

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NÉPSZAVA (HU)

Allzu viel Eiertanz

Népszava hätte sich eine klarere Kante gegen Mitgliedstaaten gewünscht, die die Grundwerte der EU verletzen:

„Ursula von der Leyen laviert zwischen den Mitgliedstaaten: Nettozahlern und Nettoempfängern, den Ländern, die zur Flüchtlingsaufnahme bereit sind und den Visegrád-Staaten und allen anderen, die das ablehnen. In einer EU, die normal funktioniert, wäre diese Politik vollkommen logisch. Doch jetzt bräuchte man eine Kommissionspräsidentin, die den Mitgliedstaaten, die gegen die Grundwerte der EU regelmäßig verstoßen, mit starker Hand zeigt, wo die Grenzen liegen. Von der Leyen hat das bisher kein einziges Mal getan, die ungarische und die polnische Regierung machen, was sie wollen.“

Tamás Rónay
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DE VOLKSKRANT (NL)

Populisten keine Angriffsfläche bieten

Die finanziellen Belastungen durch Klima- und Umweltschutzmaßnahmen müssen gerecht unter den Mitgliedsstaaten verteilt werden, mahnt De Volkskrant:

„Eine saubere Umwelt liegt im Interesse aller Europäer. Auf Dauer nützen alte Industrieanlagen, schlecht isolierte Häuser und eine überhitzte Erde niemandem. Entscheidend aber ist, dass die Kosten des Übergangs zu einer grüneren Wirtschaft gerecht verteilt werden – sowohl zwischen den Ländern als auch innerhalb der Länder. Ohne eine ehrliche Verteilung der Lasten können die Themen Klima und Umwelt zu leicht vereinnahmt werden von den Populisten, die einen Kulturkampf gegen Europa führen. Die Kommission versucht zu Recht, diesem Problem mit einem Übergangs-Fonds für arme Regionen zu begegnen.“

Peter Giesen
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Gemischtes Echo auf von der Leyens Rede