Donnerstag, 25. Februar 2016

Wiener Beschlüsse sollen Flüchtlinge aufhalten

Die Balkanstaaten und Österreich haben in Wien vereinbart, die Zahl der Flüchtenden auf der Balkanroute mit gemeinsamen Maßnahmen zu verringern. Einige Kommentatoren werten die Kooperation als Schritt in die richtige Richtung. Andere beklagen mangelnde europäische Solidarität angesichts nationaler Alleingänge.
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (DE)

Österreichs Schritt in die richtige Richtung

Die Zusammenarbeit der Balkanstaaten und Österreichs wird die Flüchtlingszahlen erst einmal nicht reduzieren, aber für Entspannung in den Ländern selbst sorgen, lobt die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Jeder Schritt, der zu einer raschen Verringerung der Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge führt, wird zur Folge haben, dass irgendwo anders auf den Wanderungsrouten ein Rückstau entsteht. ... Wenn Einigkeit über das Ziel besteht, die Zahl der Neuankömmlinge zu verringern, muss es also darum gehen, diesen Rückstau mit möglichst viel Menschlichkeit gegenüber den Migranten und ohne politische Erschütterungen in den betroffenen Ländern zu erzeugen. Daher ist die von Österreich initiierte Zusammenarbeit mit den Balkanstaaten ein Schritt in die richtige Richtung: Es handelt sich um politisch und wirtschaftlich fragile Länder, die nicht grundlos in der Statistik der Herkunftsstaaten vor kurzem noch weit oben standen.“
Reinhard Veser



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DER STANDARD (AT)

Der erhoffte "Dominoeffekt" wird ausbleiben

Eine klare Linie in der österreichischen Flüchtlingspolitik vermisst die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Ziel müsste sein, dass sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg machen, weil sie wissen, dass sie keine Chance haben, in ihr Wunschland zu gelangen. Verhindert werden muss hingegen die Wiederholung der Schreckensszenen vom August 2015, als zehntausende Verzweifelte in Ungarn steckenblieben. Doch genau diesen Effekt wird die Bundesregierung mit ihrer Vorgangsweise erzielen. ... Die Zahlen und deren Durchsetzung sind so gewählt, dass die Tür einen Spalt offen bleibt - und so die Hoffnung lebendig. Der von Österreich gewünschte 'Dominoeffekt' wird den Flüchtlingsandrang allein nicht stoppen. Denn bis die Botschaft von der Obergrenze [am Grenzübergang] in Spielfeld in Afghanistan, Marokko und der Türkei ankommt, wird noch viel Zeit vergehen.“
Eric Frey



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DIMOKRATIA (GR)

Kein bisschen Solidarität in Europa

Die nationalen Alleingänge auf der Wiener Balkan-Konferenz verdeutlichen, dass die europäische Solidarität am Ende ist, kritisiert die konservative Tageszeitung Dimokratia:
„Die EU-Mitgliedstaaten sind Nationalstaaten und das zeigen sie bei jeder Gelegenheit. Niemand denkt europäisch, weil sich niemand ausschließlich als Europäer fühlt - bis auf diejenigen, die [in Brüssel] an den Mechanismen der Macht festhalten, die die Großmächte dieser hungrigen und rücksichtslosen Herde [die Nationalstaaten] geschaffen haben. … Sobald die Flüchtlingskrise schlimmer wurde, haben sich die Regeln, die Werte und all die wichtigen Dinge aufgelöst, die die EU angeblich ausmachen. Grenzen werden dicht gemacht und das Schengen-Abkommenund die vielen Seiten, auf denen genau steht, wie sich die Staaten untereinander und gegenüber ihren Bürgern zu verhalten haben, verwandeln sich in leeres Papier.“
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Mittwoch, 24. Februar 2016

Kriminalisierung von Fluchthelfern ersetzt nicht die Beseitigung von Fluchtursachen

"Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben." Diesen Satz hat Gorbatschow einst auf die DDR gemünzt. Könnte er nicht aber auch auf die EU gemünzt werden?

Wie haben wir es kritisiert, dass die DDR Fluchthelfer verfolgte! Welch prominente Fälle von Fluchthilfe gab es immer wieder!
Ich nenne nur die, die mir gerade besonders geläufig sind und für die ich besonders dankbar bin:
Heinrich Mann, Golo Mann, das Ehepaar Werfel wären nicht ohne spezialisierte Helfer nach Spanien entkommen können. In der Zeit des Kalten Krieges war dann wohl der Nobelpreisträger Heinrich Böll einer der prominentesten Fluchthelfer. Viele tausend entkamen nur dank Fluchthelfern den totalitären Ostblockregimes.

Was hat man daraus gelernt?
Nicht eben viel.

Schon 2004 hatte man so viel vergessen, dass nicht nur Fluchthelfer, sondern sogar Lebensretter angeklagt wurden, weil sie Flüchtlingen geholfen haben, ihr Ziel zu erreichen. Der Fall Cap Anamur ist den Jüngeren unter uns vermutlich nicht mehr geläufig. Er sollte es aber sein, wenn sie jetzt von im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen hören.

Ständig wurde von Beseitigung der Fluchtursachen gesprochen. Stattdessen wurde und wird die Lebensmittelausfuhr der EU nach Afrika subventioniert.
Second-hand-Kleidung wird nach Afrika geschafft und zerstört die lokale Textilproduktion. Vor den Küsten Afrikas fischen EU-Nationen in großem Stil und zerstören die Existenzgrundlage der dortigen Fischer. (Nur ein Teil von ihnen entschloss sich, Piraten zu werden, andere flohen oder verdienten ihr Geld als Fluchthelfer für andere.)

Der Exportweltmeister Deutschland sorgt dafür, dass in anderen Ländern die Arbeitsplätze ausgehen.

Aber nicht genug damit, er liefert sogar die Waffen für Bürgerkriege, obwohl er sich ausdrücklich verpflichtet hat, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Im Syrienkrieg, der von allen gegenwärtigen Konflikten für die meisten Flüchtlinge sorgt, kämpfen alle am Bodenkrieg beteiligten Parteien mit deutschen Waffen. Und beim Export von Panzern, die sich 1953, 1956 und 1968 besonders bei der Niederschlagung von Volksaufständen und Demokratisierungstendenzen bewährt haben, da ist Deutschland sogar Weltmarktführer.
Trotzdem werden deutsche Politiker nicht müde zu behaupten, sie bemühten sich darum, Fluchtursachen zu bekämpfen.

Vergleiche dazu auch:
Blauäugigkeit ist kein Ersatz für Tatkraft

und reichlich einseitig, aber anschaulich:

Nur durch das Verbot von Waffenexporten können Fluchtursachen bekämpft werden.

Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe weiterer Fluchtursachen, z. B. die Klimaerwärmung. Mehr dazu z.B. hier und da.

Samstag, 20. Februar 2016

Zum Terroranschlag in Ankara,

Hinter der Explosion einer Autobombe in Ankara mit 28 Toten am Mittwoch stecken nach Aussage der türkischen Regierung die PKK und deren syrischer Ableger YPG. Auch einige Kommentatoren sehen Kurden als Drahtzieher. Andere halten die YPG für unschuldig und wittern Kalkül hinter der türkischen Rhetorik.
DIE WELT (DE)

Manchen Kurden ist jeder Pakt recht

Es gibt durchaus radikale Kurdenfraktionen, die ein Interesse an Eskalation haben, meint die konservative Tageszeitung Die Welt zum Vorwurf der türkischen Regierung, kurdische Milizen seien Drahtzieher des Anschlags:
„[Das sind jene Kurden,] die den türkischen Staat zur Kriegspartei im syrischen Sumpf machen wollen, um den sogenannten 'tiefen Staat' zu destabilisieren. Es ist die Stunde mancher Kurden, denn die Kurden gibt es nicht. Ein heterogenes Volk von mehr als 30 Millionen Menschen, das größte Volk der Erde ohne eigenen Staat. ... Doch jetzt ist ihre Zeit, sie werden von allen hofiert: von den Europäern, den Amerikanern, den syrischen Widerstandskämpfern gegen das Regime von Diktator Baschar al-Assad. ... Die Kurden, Everybody's Darling. Aber natürlich geht es den teilweise untereinander verfeindeten und rivalisierenden Kurdenfraktionen um Macht und Einfluss, nicht zuletzt um eine supranationale Einheit. Zu diesem Zweck ist jeder Pakt recht.“
Dietrich Alexander
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RADIKAL (TR)

Ankara will YPG unbedingt Täterschaft anhängen

In der Äußerung der türkischen Führung, die syrisch-kurdische YPG stehe hinter dem Anschlag, sieht das liberale Internetportal Radikal dagegen hauptsächlich diplomatisches Kalkül:
„Unter normalen Umständen würde der Staat ohne viel nachzudenken die PKK oder die [Terrororganisation Kurdische Freiheitsfalken] TAK als Täter benennen. Dieses Mal werden diese beiden Organisationen gar nicht genannt, sondern die Beschreibung 'YPG mit Hilfe von einheimischen Terroristen' bevorzugt. ... Das ist eine bewusste Wahl und vor allem die Bemühung, dieses verhängnisvolle Ereignis in einen diplomatischen Hebel zu verwandeln. ... Kann die Türkei die internationale Öffentlichkeit gewinnen, die sie durch die Bombardierungen der YPG bei Azaz [Stadt in Nordwestsyrien] gegen sich hatte? Können die USA, die an der Seite der YPG stehen, unter Druck gesetzt werden, in dem dieser Anschlag als diplomatischer Hebel genutzt wird?“
Ezgi Başaran
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HOSPODÁŘSKÉ NOVINY (CZ)

Folgen des Terrors in Türkei unabsehbar

Dass die türkischen Sicherheitsbehörden und Präsident Recep Tayyip Erdoğan sehr schnell Kurden als Attentäter ausmachten, kommt für die wirtschaftsliberale Tageszeitung Hospodářské noviny nicht überraschend. Dahinter verberge sich ein Kalkül Ankaras, das gefährliche Auswirkungen auch für andere haben könnte:
„Folgt man türkischen Oppositionszeitungen, braucht die Regierung ein Motiv, um militärisch an der türkisch-syrischen Grenze eingreifen zu können. Damit könnte der Konflikt über sein bislang regionales Ausmaß hinauswachsen. Ziel der Türken würden die syrischen Kurden werden, die dank russischer Luftunterstützung Geländegewinne machen. Wer garantiert, dass dann Türken und Russen in Syrien nicht die Waffen kreuzen? Eine solche Perspektive beschäftigt reichlich Köpfe in Brüssel, in den Zentralen von Nato und EU. Die Türkei ist Mitglied des nordatlantischen Bündnisses. Der Konflikt, in den es eintreten würde, beträfe wegen des Beistandsartikels 5 auch andere Mitglieder der Allianz.“
Adam Černy

Demokratie in Europa?

Democracy in Europe Movement 2025


Überraschenderweise finden Angela Merkel und Yanis Varoufakis in zwei Gedanken zusammen: Flüchtlinge müssen integriert werden und Europa zusammen gehalten. 
Das geht notwendigerweise mit mehr Investitionen in Arbeitsplätze (u.a. Jobs für Flüchtlinge und mehr Erwerbstätige im Bildungsbereich) und Konsum (Wohnungsbau, privater Konsum)  in Deutschland zusammen, was das Ungleichgewicht der deutschen Außenwirtschaft* vermindert (schon Ziel des Wirtschafts- und Finanzministers Karl Schiller 1976) und den demographischen Einbruch in Deutschland/Europa abmildert. 
Zufälligerweise haben Forscher gerade jetzt herausgefunden, dass neuerdings auch Männer intelligente PartnerInnen suchen, Frauen ohnehin.

*AUSSENHANDEL: Die Eurozone wird deutscher - leider von STEPHAN KAUFMANN, FR 18.2.2016

Sieh auch:
Das Varoufakis-Wunder, Publik-Forum 26.2.2016

Dienstag, 16. Februar 2016

EU-Staaten setzen vor Asylgipfel auf Abschottung

Vor dem EU-Gipfel zur Asylpolitik wächst der Widerstand gegen die von Kanzlerin Merkel vorgeschlagenen Kontingente zur Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen. Dass nun auch große und reiche Länder wie Frankreich ausscheren, lässt die Besorgnis über den Zusammenhalt in der EU bei den Kommentatoren weiter wachsen.
L´HEBDO (CH)

Rollentausch zwischen Paris und Berlin

Paris sträubt sich gegen die von Berlin vorgeschlagenen Kontingente zur Verteilung von Flüchtlingen - ein Streit, der dramatische Folgen haben könnte, warnt Gilbert Casasus in seinem Blog bei der Wochenzeitung L'Hebdo:
„Die linke französische Regierung scheint in diesem Fall eine rechte Politik vorzuziehen, während die Bundesregierung, die von einer Frau geleitet wird, die als rechts eingeordnet wird, sich für eine linke Politik einsetzt. Das deutsch-französische Verhältnis folgte zwar glücklicherweise nicht immer einer parteiischen und nationalen Logik, doch könnte sich dieser Rollentausch für Europa als unheilvoll erweisen. Die EU steckt bereits wegen der Anti-Europäer in der Krise, die von den Pro-Europäern nicht noch verschlimmert werden darf. Denn abgesehen von anderen Staaten wie Italien, Belgien, Spanien und den Niederlanden kann die EU nur auf Frankreich und Deutschland setzen, um sich aus dem Schlamassel zu retten, in den sie von einer Horde Euroskeptiker getrieben wurde. “
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CONTRIBUTORS (RO)

Valls' Widerstand begräbt Schengen-Abkommen

Der Widerstand von Frankreichs Premier Manuel Valls ist der Anfang vom Ende des Schengen-Abkommens, fürchtet der rumänische Politikwissenschaftler Valentin Naumescu im Blogportal Contributors:
„Nachdem sich Frankreich überraschend von Deutschland losgesagt hat, ist die Suspendierung oder Abänderung des Schengen-Abkommens nahezu zur Gewissheit geworden. Deutschland kann nun nicht mehr anders, als jetzt auch seine eigenen Grenzen zu schließen. Um es klar zu sagen: Das Schengen-Abkommen wird nicht abgeschafft werden, sondern in guter europäischer Tradition werden einige 'Änderungen' gebilligt und 'Reformen' vereinbart, die das Abkommen praktisch unkenntlich machen. Anschließend wird das Ganze dem Publikum als großer Verhandlungserfolg im Sinne des europäischen Geistes präsentiert. Im Grunde genommen wird das Schengen-Abkommen II der erste Schritt sein zur Beendigung der goldenen Epoche der EU.“
Valentin Naumescu






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NEW STATESMAN (GB)

Großbritannien ignoriert Flüchtlingskrise

Bei der EU-weiten Suche nach einer Lösung der Flüchtlingskrise spielt Großbritannien eine besonders beschämende Rolle, kritisiert die Politikerin Diane Abbott im Blog The Staggers der Wochenzeitschrift New Statesman:
„Die britische Regierung stellt sich in Bezug auf die humanitären Folgen des Bürgerkriegs in Syrien für Europa blind. Die Flüchtlingspolitik setzt auf Armlängen-Distanz und umfasst Geldausgaben in 'der Region' – ein Euphemismus dafür, die Nachbarstaaten von Syrien dafür zu bezahlen, die Flüchtlinge auf ihrem Gebiet zu halten. ... Großbritannien erwartet vom Libanon, einem Land das halb so groß wie Wales ist und mehr Flüchtlinge als Europa insgesamt beherbergt, mehr zu tun. Es erwartet von Jordanien, einem Staat mit einer der weltweit höchsten Jugendarbeitslosigkeit, Jobs für 1,4 Millionen Flüchtlinge zu schaffen. Und es erwartet von der Türkei mit drei Milliarden aus EU-Mitteln irgendwie die Flüchtlinge davon abzuhalten, die Camps Richtung Europa zu verlassen. ... Großbritannien muss aufhören, den europäischen Notstand in der Flüchtlingskrise zu ignorieren.“

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