Donnerstag, 30. November 2017

Unterschiedliche Sicht auf die Geschichte



Verstörendes Ende des letzten Verhandlungstags am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien: Der bosnisch-kroatische General Slobodan Praljak schluckte nach dem Urteil gegen ihn Gift und starb im Krankenhaus. Viele Zeitungen werten den Suizid als schweren Schlag für das UN-Tribunal - und als Beleg dafür, dass das Trauma der Balkankriege noch lange nicht überwunden ist.
DE TELEGRAAF (NL)

Öl ins Feuer der Nationalisten

Praljaks Selbsttötung ist ein Schlag für das Tribunal kurz vor Abschluss seiner Arbeit zum Jahresende, fürchtet De Telegraaf:
„Indem er ein Glas Gift einnahm beleidigte er bewusst das Gericht - im Wissen, dass ihn das bei vielen Kroaten zum Helden machen würde. ... Nationalisten bekommen nun wieder Nahrung für ihre Verschwörungstheorien und das kann den aufflammenden Nationalismus in den Ex-Staaten Jugoslawiens weiter befeuern. Die Richter haben ausgezeichnete Arbeit geliefert, bei der strafrechtlichen Verfolgung der 161 Angeklagten. Aber es dauerte zu lang, und dass Praljak einen Giftbecher in den Saal schmuggeln konnte, ist ein Fehler, der auf dem Balkan sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird.“
Frank van Vliet
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DE STANDAARD (BE)

Praljak wird als Märtyrer gefeiert werden

Nicht nur Praljak setzte alles daran, die Legitimität des UN-Kriegsverbrechertribunals zu untergraben, erinnert De Standaard:
„Die meisten Angeklagten taten in den vergangenen Jahren alles, um die Legitimität des Gerichtes in Frage zu stellen. Sie kamen mit endlosen Verzögerungsmanövern, sie klagten über ihre physische und psychische Gesundheit. Auch [der serbische Ex-General Ratko] Mladić zog während seiner Verurteilung eine Show ab. Er beschimpfte die Richter als 'Lügner, die sich schämen müssen'. Praljak wird mit seiner Tat einen prominenten Platz in den Geschichtsbüchern Kroatiens bekommen. Verurteilte Kriegsverbrecher werden in Serbien und Kroatien sowieso als Märtyrer gesehen, und Praljak wird zweifellos ein nationaler Held werden.“
Dominique Minten
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DIE WELT (DE)

Radikale Protestgeste gegen das Tribunal

Für Die Welt offenbart der Suizid auf dramatische Weise das unbewältigte Trauma der Jugoslawien-Kriege:
„Praljaks Selbsttötung ist die denkbar radikalste Protestgeste gegen die Arbeit des UN-Tribunals, das 1993 ins Leben gerufen wurde, um dem Horror der Jugoslawienkriege ins Gesicht zu sehen. ... Mit der Aufgabe, Gerechtigkeit walten zu lassen nach der Katastrophe eines komplexen multiethnischen Konfliktes, dessen Entfesselung ganz Europa tatenlos zugeschaut hatte, war das Gericht zwangsläufig überfordert. Dennoch war es richtig und wichtig, dass der Versuch unternommen wurde, den zivilisatorischen Kollaps, der inzwischen ein Vierteljahrhundert zurückliegt, juristisch zu durchdringen. Bewältigt haben dieses Trauma bis heute weder die Völker des ehemaligen Jugoslawiens noch die übrigen Europäer. Auch dafür ist Praljaks Tat ein Zeugnis.“
Sascha Lehnartz
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JUTARNJI LIST (HR)

Die komplexe Wahrheit fand nirgends Gehör

Jutarnji list schließlich erklärt, dass General Praljak bereit war, seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen, doch dass er die Unwahrheit nicht akzeptieren konnte und wollte:
„Praljak hat nie geleugnet, dass es Verbrechen gab oder sich vor dem Gefängnis gefürchtet. ... [Aber] Praljak kämpfte mit aller Macht gegen ein schwarz-weißes Verständnis des kroatisch-bosnischen Konflikts und der Rolle Kroatiens im Krieg in Bosnien-Herzegowina. ... Ja, die Kroaten haben Verbrechen begangen. Doch sie müssen im Kontext der damaligen Ereignisse gesehen werden, und der Kontext ist nicht so einfach, wie es sich die Menschen machen. Die Wahrheit über den Krieg fand kein Gehör. Weder in Zagreb und Sarajevo, noch in Mostar oder Den Haag. Das konnte Praljak nicht akzeptieren.“
Snježana Pavić

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