Freitag, 1. Dezember 2017

Nächster Anlauf zur Regierungsbildung in Berlin

Die Vorsitzenden von Union und SPD haben am Donnerstagabend gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Möglichkeiten einer Regierungsbildung erörtert. Wie die Regierungssuche genau weitergeht, ist unklar. Kommentatoren aus dem Ausland sehen die Hängepartie in Berlin als Beleg für die Prinzipientreue der deutschen Parteien und hoffen, dass die neue Regierung stärker den Schulterschluss mit ihren EU-Partnern sucht.
RADIO KOMMERSANT FM (RU)

Prinzipientreue statt Machthunger

Mit Erstaunen verfolgt Radio Kommersant FM den erneuten Anlauf einer Regierungsbildung in Berlin:
„Das für uns Interessanteste daran ist, dass sich jede deutsche Partei ganz selbstverständlich vor dem Wähler verantwortlich fühlt und an dem festhält, was sie im Wahlkampf versprochen hat. Diese Prinzipientreue ist zu einem großen Teil der Grund, weshalb man sich nicht einigen kann. Die Bürger wissen nicht nur, für wen sie stimmen, sondern auch wofür. Selbst der Macht zuliebe kann eine Partei nicht ihr Wahlprogramm ändern. Mit Verlaub gesagt, wie wenig erinnert das an unser Parteileben! Wo in allen Schlüsselfragen die herrschende Partei und die sogenannte Opposition gemeinsam abstimmen. Wo die drittgrößte Partei offenbar nicht einmal in der Lage ist, ihre Prinzipien zu formulieren und deshalb nur mit ihrem Namen wirbt.“
Viktor Loschak
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (DE)

Bitte keine Koalition von Betonköpfen

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung plädiert dafür, auch eine Minderheitsregierung in Betracht zu ziehen:
„Tatsächlich hilft die stabilste Regierung dem Land wenig, wenn sie bockbeinig in die falsche Richtung marschiert. Man kann nicht oft genug daran erinnern, dass es nicht gottgegeben ist, wenn die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft wächst und die Steuern sprudeln. Es kommt vielmehr darauf an, was man daraus macht. Die Unionsführung mit Angela Merkel an der Spitze sollte sich an dem Spruch der Betonwirtschaft orientieren: Das Land muss in seine Zukunft investieren. Eine große Koalition, die Private bevormundet, Arbeit verteuert und Leistungsbereite entmutigt, wäre ein hässliches Betonmonster. Im Vergleich dazu ist die Minderheitsregierung ein brutalistischer Zweckbau mit Verfallsdatum. Da fällt die Wahl leicht.“
Manfred Schäfers
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
HVG (HU)

Europa braucht aktives Deutschland

Die Suche nach einer neuen deutschen Regierung ist vor allem ein europapolitisches Problem, meint Dániel Hegedűs, Politikdozent an der Berliner Humboldt-Universität, in der Wochenzeitung hvg:
„Die heutige Situation ist weniger eine innenpolitische Krise als vielmehr eine Krise der deutschen Europa- und Außenpolitik. Der Bundestag erledigt reibungslos seine Arbeit, so wie auch die große Koalition als geschäftsführende Regierung ihre Aufgaben verrichtet. ... Doch aufgrund des Fehlens einer Regierungsmehrheit ist Deutschland nicht imstande, seine führende Rolle in Europa auszufüllen - und das zu einem Zeitpunkt, da von Berlin eine markante und aktive Europa-Politik gefordert wäre. Denken wir hierbei nur an die Reformideen von Emmanuel Macron und die Wiederbelebung der deutsch-französischen Achse in der EU.“
Dániel Hegedűs
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
LES ECHOS (FR)

Egozentrismus bringt das Land nicht weiter

Deutschland sollte stärker auf seine EU-Partner zugehen, rät das Wirtschaftsblatt Les Echos:
„Antworten auf die großen Herausforderungen kann ein Land - sei es auch noch so bemüht und erfinderisch - heutzutage nicht mehr allein finden. ... Deutschland hat es dank seiner Tugenden geschafft, sich am europäischen Projekt zu bereichern. Doch das ist nun nicht mehr genug. Um seine Zukunft zu sichern, muss es aufhören, den Kopf in den Sand zu stecken und den anderen Ländern stets zu predigen, dass es reiche, seinem Beispiel zu folgen. Außerdem muss Deutschland auf europäischer Ebene ein Wirtschafts- und Sozialmodell verteidigen, das anderswo in der Welt angezweifelt wird. Die SPD steht den französischen Thesen offener gegenüber - umso besser. Doch muss davon auch noch die öffentliche Meinung überzeugt werden, die leider immer stärker zu einer Kirchturmpolitik zum eigenen Vorteil neigt.“
Eric Le Boucher
Teilen auf
Zum Originalartikel

Keine Kommentare: