Mittwoch, 18. Juli 2018

Putinisierung des Russlandbildes in den deutschen Medien?

Gemma Pörzgen: Das Russlandbild in den deutschen Medien, bpb 9.5.2018:
"[...]
"Putinisierung" der Berichterstattung 

Der russische Staatschef setzt sich gerne medienwirksam in Szene: Er jagt Tiger, zieht einen riesigen Hecht aus dem eiskalten Wasser oder fliegt mit Kranichen über Sibirien. Es gibt zahlreiche Fotos von Putin, auf denen er sich als starker Mann Russlands und als patriotische Vaterfigur präsentiert. All diese Bilder zielen in erster Linie auf die russische Öffentlichkeit ab, kommen aber auch deutschen Medien und deren Drang zur Personalisierung von Politik sehr entgegen. Es gibt eine regelrechte "Putinisierung" der Berichterstattung im russischen TV, bei der ständig das Bild eines omnipräsenten politischen Führers zu sehen ist, der scheinbar alles im Land selbst zu regeln scheint. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Selbstinszenierung bei der Präsidentenwahl, deren Ergebnis ohnehin feststand und den Personenkult auf die Spitze trieb. 

Viele deutsche Medien übernehmen diese Fixiertheit auf den Kreml-Führer, wobei sich fast durchgehend ein Putin-kritischer Mainstream durchgesetzt hat, der zeitweise zu einer regelrechten "Dämonisierung" des Präsidenten abgleitet. Das zeigte sich beispielsweise in der Berichterstattung über den Mord an dem Oppositionellen Boris Nemzow im Februar 2015, nach dem zahlreiche Medien es so darstellten, als sei Putin persönlich für den Mord verantwortlich gewesen, obwohl dafür jeder Beleg fehlte. 

Solche vereinfachten Deutungen geschehen vor allem in Heimatredaktionen, in denen es an Kompetenz, Interesse und Verständnis für Russland ebenso fehlt wie an frischen Sprach- und Landeskenntnissen. Das hält aber vor allem Kolumnisten und Kommentatoren der verschiedenen Zeitungen keineswegs davon ab, ausgiebig vom deutschen Schreibtisch aus über Russland zu schreiben und gängige Klischees zu verbreiten. 

Ein gesundes Spannungsverhältnis zwischen Zentrale und Korrespondenten gebe es allerdings immer, sagt der Moskau-Korrespondent der Deutschen Welle (DW), Miodrag Soric. Redakteure in der Heimat hätten die ganze Welt im Blick, die Korrespondenten die Lebenswirklichkeit ihrer Länder. 

Umfangreiche Berichterstattung, sinkende Korrespondentenzahl 

Wer in Russland als Korrespondent arbeitet und recherchiert, zeichnet meist ein differenziertes Bild der Lage. Aber die Zahl der akkreditierten Kollegen ist in der russischen Hauptstadt in den vergangenen Jahren gesunken. Das gilt nicht nur für Moskau, sondern ist ein genereller Trend in der Auslandsberichterstattung, die zu den teuersten journalistischen Aufgabenfeldern gehört. Es gibt immer mehr weiße Flecken der Berichterstattung in anderen Teilen der Welt, die viel dramatischer sind. Im Vergleich zu Indien mit einer Milliarde Menschen, über das in deutschen Medien kaum berichtet wird, findet Russland immer noch viel Aufmerksamkeit. [...]

mehr dazu von den Nachdenkseiten, 18.7.18

Beachtenswerte Überlegungen zur Fiktion der Objektivität des Mainstreams der Medien von Klaus Theweleit:
"Ein Grundfehler der liberalen „bürgerlichen“ Presse war (und ist) es meiner Meinung nach, den Vorwurf der „Lügenpresse“ nicht wirklich ernst zu nehmen, ihn nicht ernsthaft zu bedenken. Statt zu sagen – was der Wahrheit entspräche – wir sind parteiisch; wir vertreten bestimmte Interessen; und wir können das begründen: zum Beispiel das Interesse an der sogenannten Marktwirtschaft in hochtechnifizierten demokratischen Gesellschaften. Wir können begründen, warum dazu das Interesse an bestimmten Formen der politischen Auseinandersetzung gehört: im Bundestag, in den Landtagen, in den Kommunen, in Kindergärten, Schulen, in Betrieben und Vereinen. Wir können begründen, warum dazu die Akzeptanz des Gewaltmonopols des Staats gehört; die Akzeptanz der sogenannten „Gewaltenteilung“, Unabhängigkeit der Justiz. Aber auch das Recht auf Bürgerinitiativen, auf zivilen Widerstand etc. - aber nicht das Recht auf lokale „Bürgerwehren“, zumal bewaffnete, um nur dies eine Beispiel zu nennen.
Zuzugeben wäre also: „Wir sind eine interessenzentrierte bürgerliche Presse mit ganz bestimmten Werten; und sind damit in den Augen derer, die diese Werte ablehnen und bekämpfen ganz selbstverständlich Lügenpresse. Danke für das Kompliment“! – so etwa hätte eine angemessene Antwort zu lauten;  [...]"

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