Mittwoch, 4. Juli 2018

Merkel-Seehofer-Streit: Krise überwunden? Folgen des Kompromisses für Europa - euro|topics

Meine persönliche Reaktion auf den Streit zwischen CSU und CSU habe ich hier und da formuliert.
Unkommentiert lasse ich vorläufig* die rasche Einigung der Koalition auf den von der CSU geforderten Kompromiss.
Die SPD sieht sich nah an ihrem 5-Punkte-Plan.
Unten folgen Reaktionen aus einigen europäischen Ländern.

Innenminister Seehofer (CSU) und Bundeskanzlerin Merkel (CDU) haben ihren Asylstreit beendet: An der deutsch-österreichischen Grenze sollen "Transitzentren" errichtet werden, um bereits in anderen EU-Ländern registrierte Asylbewerber an der Einreise zu hindern und in die zuständigen Länder zurückzuweisen. Europas Presse sieht trotz der Einigung viel Porzellan zerbrochen.
WPOLITYCE.PL (PL)

Fundament des Vertrauens ist zerstört

WPolityce.pl sieht nach dem erbitterten Streit nur Verlierer:
„Auch wenn es den Anschein hat, dass Seehofer der Hauptverlierer im Koalitionstheater der letzten zwei Wochen ist, gibt es für Merkel keinen Grund, zufrieden zu sein. Nach nur 100 Tagen gemeinsamer Regierung standen die Christdemokraten am Rande des Abgrunds. Die Kanzlerin musste sich der Tatsache stellen, dass sie so schwach war, dass sie ihren EU-Partnern keine für sie günstigen Lösungen mehr aufzwingen konnte, und dass das Vertrauen, das die Grundlage für eine stabile Koalition bildet, unwiederbringlich verloren war. ... Diese Koalition ist im Grunde genommen vorbei, aber es kann noch einige Monate oder mehrere Jahre dauern, bis sie tatsächlich zerbricht.“
Aleksandra Rybińska
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HVG (HU)

Nur ein einstweiliger Sieg

Das Wochenmagazin hvg sieht nach wie vor Streitpotential:
„Merkels und Seehofers unterschiedliche Sichtweise ist nicht neu. Der bayerische Politiker hat schon 2015 die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin verurteilt. Ende 2015 empfahl er, dass nur 200.000 Flüchtlinge nach Deutschland hereingelassen werden sollten, und war bis zum Schluss dagegen, als es fast eine Million wurde. ... Zu der jetzigen Einigung hat wohl auch beigetragen, dass es Merkel gelungen ist, Seehofer in seiner eigenen Partei zu isolieren.“
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DER STANDARD (AT)

Deutsche Volksparteien schwer beschädigt

Vom Streit zwischen Merkel und Seehofer werden die deutschen Volksparteien sich lange nicht mehr erholen, sagt Der Standard voraus:
„Wie schwierig es ist, nach schweren Auseinandersetzungen wieder auf die Beine zu kommen, hätte die Union eigentlich bei den Sozialdemokraten sehen können. Sie haben das Drama um Martin Schulz immer noch nicht verarbeitet, wirken kraftlos und schaffen in Umfragen den Aufstieg nicht. Und so kommt man nach diesen Chaostagen in Berlin und München zu einem traurigen Fazit: Alle drei Parteien, die sich selbst noch als Volksparteien sehen, sind derzeit schwer beschädigt. So etwas bleibt hängen. Es wird noch lange dauern, bis sie sich von diesen unglaublichen Vorfällen und dem erbittert geführten Asylstreit wieder erholt haben werden.“
Birgit Baumann
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LIDOVÉ NOVINY (CZ)

Bürger sehnen sich nach Normalität

Lidové noviny bezweifelt, dass die Bürger mit dem Kompromiss zufrieden sein werden:
„Egal, ob Seehofer oder Merkel als Sieger des Streits zu bezeichnen sind - die Mehrheit der Deutschen dürfte unzufrieden bleiben. Sie möchte, dass Merkel bleibt, aber die Rezepte von Seehofer umsetzt. Die Deutschen sähen laut Umfragen mehrheitlich nichts Schlechtes darin, wenn an den Grenzen nach drei Jahren wieder Gesetze gelten würden. Sie würden es als Rückkehr zur Normalität empfinden. Es endet die Zeit, in der die Debatte von Slogans bestimmt wurde, nach denen eine Grenze 'nur ein Strich auf der Landkarte' ist, die Migration 'sich nicht stoppen lässt' und alle sich 'damit abfinden müssten'.“
Zbyněk Petráček
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DAILY SABAH (TR)

Mit Muslimen gegen radikale Rechte solidarisieren

Die Lösung europäischer Probleme liegt nicht in der Abgrenzung, sondern in der Annäherung von Christen und Muslimen, kritisiert Daily Sabah die Haltung Seehofers:
„Die Christlich-Soziale Union (CSU) in Bayern befindet sich in einem Zustand der Panik angesichts der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober. ... Name und Identität der Partei stehen in starkem Kontrast zu ihrer Haltung in der Flüchtlingsthematik. ... Für die Zukunft des europäischen Kontinents ist entscheidend, dass sich Christ- und Sozialdemokraten, Grüne und Liberale auf die Seite der Muslime und Türken stellen und deren Unterstützung erhalten. Christliche und muslimische Demokraten müssen die Garanten der Demokratie in Europa sein. Die Solidarität der Europäer gegen die Bedrohungen, die von Rassisten und extrem rechten Radikalen ausgehen, ist von zentraler Bedeutung.“
Ozan Ceyhun
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Was macht der Seehofer-Merkel-Plan aus Europa?
Nachdem sich CDU und CSU für die Einrichtung von "Transitzentren"ausgesprochen haben, hat Wien angekündigt, die Grenzen zu Italien und Slowenien schärfer zu kontrollieren, sollte die Regierung in Berlin sich auf den Vorschlag einigen. Kommentatoren beobachten einen Paradigmenwechsel in der deutschen Migrationspolitik und glauben, dass dessen Folgen in ganz Europa zu spüren sein werden.
DER STANDARD (AT)

Völliger Realitätsverlust

Die Einigung von CDU und CSU hat mit der Realität nichts zu tun, kritisiert Der Standard:
„Die Zurückweisung [der Asylbewerber] erfolgt 'auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise'. Der Flüchtling ist also faktisch eingereist, wird in einem Lager zur Überprüfung angehalten, die deutsche Regierung tut aber so, als wäre er gar nicht da. Eine Regierung, die einen derart verhatschten Kompromiss zur Grundlage ihrer weiteren Zusammenarbeit nimmt, ... hat schon aufgegeben. ... Was Österreich betrifft, geht die Union in Berlin ebenfalls von einer Fiktion aus, nämlich von der Annahme eines Abkommens, das es gar nicht gibt. Das scheint in Europa gerade groß in Mode zu sein: Beim EU-Gipfel vergangene Woche einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf Anhaltezentren in afrikanischen Staaten - eine Fiktion. Bisher hat sich kein einziger Staat bereiterklärt, solche Zentren einzurichten.“
Michael Völker
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VEČER (SI)

Der erste Dominostein fällt

Die Pläne von CDU und CSU drohen einen Dominoeffekt auf der Balkanroute auszulösen, fürchtet Večer:
„Österreich hat das geahnt und klargestellt, dass es kein Auffangbecken für Migranten werden will. Plötzlich könnte Slowenien seinen Stacheldrahtzaun statt an der Grenze zu Kroatien an jener zu Österreich brauchen. Für die Deportationen wird die neue Grenzschutzeinheit Puma sorgen, die Wien vergangene Woche pompös bei einer Großübung vorgestellt hat. Die Übung scheint nun nicht mehr übertrieben und die düsteren Vorhersagen scheinen Wirklichkeit zu werden, jetzt, wo Deutschland nicht mehr mitmacht. Und wo ist hier die europäische Lösung der Migrationskrise? Das weiß nicht einmal mehr Kommissionschef Jean-Claude Juncker.“
Boris Jausovec
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LA REPUBBLICA (IT)

Europas Gründerväter werden verraten

La Repubblica fühlt sich durch die jüngsten Entwicklungen an die dunkelste Vergangenheit erinnert:
„Dass die Union, die heute zur Festung wird, nur mehr reine Fiktion ist, das ahnten wir bereits nach dem Ratstreffen letzte Woche in Brüssel. Als die 27 eine leere Schachtel als Migrationsabkommen verkauften, in die jeder Regierungschef bei seiner Rückkehr das packte, was er wollte, um die jeweilige öffentliche Meinung abzuspeisen. Jetzt ist es noch klarer. Europa existiert nicht mehr. Doch Salvinis 'Neues souveränistisches Italien', eben noch Anstoß dieses dramatischen Zerfallprozesses, könnte schon morgen das erste Opfer werden. Sogar in Deutschland hat Bundeskanzlerin Merkel ihrem Innenminister das europäische Ideal von Adenauer und den Gründervätern geopfert. ... Die 'geschlossenen Transitzentren' erinnern auf unheimliche Weise an Konzentrationslager.“
Massimo Giannini
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KAUPPALEHTI (FI)

Bayern macht EU erpressbar

CSU-Chef Seehofer fügt der EU großen Schaden zu, klagt Kauppalehti:
„Es wird weder in Brüssel noch in Berlin zugegeben, das ist klar. Aber dennoch: Eine Partei, die ein deutsches Bundesland regiert, hat sowohl die EU als auch Bundeskanzlerin Merkel in die Knie gezwungen. … Auch wenn die asyl- und migrationspolitischen Lösungen auf halbem Wege steckenbleiben, so wird das Theater der vergangenen Tage die EU grundlegend verändern. … Künftig kann sich ein einzelner, ob klein oder groß, noch unbekümmerter als bisher gegen alle anderen stellen, wenn ihm danach ist und der eigene, kurzsichtige Vorteil dies verlangt. Wenn man zulässt, dass ein deutsches Bundesland alle anderen Mitgliedsländer und die gesamte EU-Bürokratie erpressen kann, können dies auch Ungarn oder Polen.“
Nurminen Tapio
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DE MORGEN (BE)

Seehofer und Kurz treiben Europa vor sich her

Die Populisten haben sich ein weiteres Mal durchgesetzt, analysiert De Morgen:
„Horst Seehofer ist der soundsovielte europäische Politiker, der die Grenze zum Populismus überschritt. Als ob er an einem süchtig machenden Trumpschen Zaubertrank genippt hätte, der blühende Wähler-Landschaften verspricht. ... Konservative Politiker treiben mit radikal-rechten Parolen die gesamte europäische Politik an riskante Wendepunkte. Der Fokus verlagert sich von Merkel immer weiter zum österreichischen Kanzler Kurz, dem Souffleur des neuen Europa. ... Grenzkontrollen drohen die ganze europäische Einigung zunichte zu machen. ... Dennoch wird der Unsinn solcher Ideen kaum benannt, aus Angst vor dem Zorn des Volkes.“
Bart Eeckhout
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* Ich stelle mir unter Freizügigkeit etwas anderes vor als zwei Tage Haft und Umdeutung der Einreise in eine fiktive Nicht-Einreise. 
Den 5-Punkte-Plan hielt ich für diskussionswürdig (freilich, weil viel zu vage auch für sehr diskussionsbedürftig), die gegenwärtige Regelung ist eine weitere Einschränkung des schon lange durchlöcherten Asylrechts. Auf dem Gelände um das Reichstagsgebäude herum sind die Grundrechteaktikel aufgeführt. Artikel 16a fehlt dort. 
Ich denke, aus gutem Grund. Denn da wird nicht ein Grundrecht angeführt, sondern seine weitgehende Abschaffung verfügt. Die neue Regelung verschärft diesen Kurs. (6.7.18)

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