Dienstag, 24. November 2015

Terrorangst in Europa

Angesichts erhöhter Sicherheitsmaßnahmen in Europa nach den Terroranschlägen von Paris diskutiert die Presse: Wie viel Freiheit dürfen Staaten für die Sicherheit opfern? Einige Kommentatoren warnen vor schärferen Kontrollen, andere finden die Angst der Bürger vor Überwachung lächerlich. 

Der Standard - Österreich
Sicherheitspolitik spaltet die EU 
Die EU droht an der Frage zu zerbrechen, wie viel Freiheit für den Anti-Terror-Kampf geopfert wird, warnt die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "Frankreich hat nicht nur die militärische EU-Beistandspflicht eingefordert. Paris wird (mit anderen Staaten) auch bei innerer Sicherheit und Justiz einen schärferen Kurs einfordern. Auf diesem Feld klaffen die Interessen der Mitgliedstaaten weit auseinander - fast noch mehr als bei der Europolitik. Datenkontrolle und -speicherung ist bei Franzosen ebenso akzeptiert wie die Tatsache, dass für Terrorverdächtige ein Teil der Bürgerrechte nicht mehr gilt. Insbesondere in Deutschland, das bisher vom Terror verschont wurde, scheint es genau umgekehrt zu sein. ... Will die Union ihre Offenheit, die Abwesenheit der Grenzkontrollen bewahren, dann müssen ihre Mitgliedstaaten bei Freiheit und Sicherheit dringend einen gemeinsamen Konsens erarbeiten. Gelingt das nicht, könnte die Union zerbröseln." (24.11.2015) 

Sme - Slowakei
Lächerliche Angst vor Überwachung 
Schärfere Kontrollen machen aus europäischen Staaten nicht gleich Polizeistaaten, ist die liberale Tageszeitung Sme überzeugt: "Die belgische Polizei darf Wohnungen bislang laut Gesetz nur zwischen 5 Uhr morgens und 21 Uhr abends durchsuchen. Da können Terroristen ruhig schlafen. Soll man darüber lachen oder weinen? ... Auch das EU-Parlament blockiert einen acht Jahre alten Gesetzentwurf, der die Fluggesellschaften verpflichtet, Daten der Passagiere zu sammeln. Sicherheitsexperten zufolge könnten diese Daten helfen, ganze Netze des Dschihad aufzudecken. Abgeordnete aber sprechen von einem zu großen Eingriff in die Privatsphäre. Es ist paradox: die Leute verraten im Netz alles Mögliche von sich selbst aber fürchten sich vor dem Gedanken, dass eine Fluggesellschaft ihre Namen und Kreditkartennummern aufbewahrt. Nummern von Kreditkarten, mit denen sie sonst ohne Nachdenken in jedem beliebigen e-Shop einkaufen." (24.11.2015) 
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Dziennik Gazeta Prawna - Polen
Bloß nicht einschüchtern lassen 
Terror wird es immer geben, trotzdem muss Europa Ruhe bewahren, fordert der Philosoph Marcin Król in der konservativen Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna: "Die Terroristen hatten zwischendurch zwar lange nicht zugeschlagen. Doch hatten sie das nicht deswegen gemacht, weil unsere europäischen Sicherheitsdienste so toll gearbeitet haben, sondern weil sie nach dem Tod von Osama bin Laden angeschlagen waren. Jetzt gibt ihnen der Islamische Staat Rückendeckung. ... Grundsätzlich ist niemand vor den Anschlägen der Terroristen sicher. Wir sollten uns aber nicht davon einschüchtern lassen. Und die Politiker müssen endlich in größeren Kategorien denken und langfristig nach vorne schauen. Wenn man die liberalen europäischen Freiheiten nun beschneidet, dann hätten die Terroristen oder andere Feinde der Demokratie wie Putin doch ihre Ziele erreicht. Der Anschlag von Paris ist zwar mit Sicherheit eine Tragödie, doch müssen wir die Verhältnismäßigkeit wahren." (24.11.2015) 

The Independent - Großbritannien
Europa lässt sich vom Terror nicht unterkriegen 
Trotz der Bedrohung durch den Terror gehen die Menschen in Paris und anderen Städten Europas so weit wie möglich wieder ihrem gewohnten Leben nach, freut sich die linksliberale Tageszeitung The Independent: "Die beherrschende Stimmungslage in Paris und überall auf der Welt ist von entschiedenem Optimismus sowie von einem Widerstand gegen Spaltung und Angst gekennzeichnet. Es ist ermutigend zu sehen, dass sich so viele dagegen stemmen, den Terroristen ihren Wunsch zu erfüllen. Es ist ein Silberstreifen am Horizont in einer Zeit riesiger Trauer, an den Trotz, die Entschlossenheit und den Mut auf universeller Ebene erinnert zu werden, den die Mehrheit der Menschheit in ihrem Waffenarsenal hat. Und zu sehen, wie Europa von der Bedrohung durch alles verzehrenden Hass wieder auf die Beine kommt, reicht, um einen zum Lächeln zu bringen - selbst wenn es nur kurz ist." (23.11.2015) 

POLITIK
Linie

Neue Zürcher Zeitung - Schweiz
Anti-IS-Allianz könnte Nato zerreißen 
Die Zusammenarbeit zwischen Paris und Moskau im Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien könnte insbesondere das Nato-Bündnis vor Probleme stellen, prophezeit die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: "Möglicherweise droht mit den neuesten Entwicklungen auch der Nato eine Zerreissprobe, dann nämlich, wenn Washington und Ankara in Syrien eine gegensätzliche Bündnispolitik betreiben oder wenn Frankreich seine Annäherung an Russland in den Augen einiger Bündnispartner übertreibt. Vor allem die osteuropäischen Nato-Staaten stehen einer engen Zusammenarbeit mit Moskau äusserst kritisch gegenüber. Die Annexion der Krim ist weiterhin eine Tatsache, ebenso die Besetzung weiterer Gebiete der Ukraine durch von Russland unterstützte Rebellen." (24.11.2015) 

L'Orient le Jour - Libanon
Außenansicht: Bücher statt Bomben gegen den Terror 
Die Reaktion auf die Terroranschläge von Paris und Beirut sollte sich nicht nur auf militärische Maßnahmen beschränken, rät die libanesische Tageszeitung L'Orient-Le Jour: "Den IS zu bekämpfen, ist sehr gut. Seine Ausbreitung zu verhindern, ist noch besser. Besser ist es ebenfalls, denjenigen Gründe zum Leben zu geben, die sich davon überzeugen lassen, sich zu opfern. Die Verteidigungshaushalte der zehn größten Weltmächte betragen zusammen über tausend Milliarden Dollar pro Jahr. Das ist eine Eins mit zwölf Nullen. Warum verwenden wir nicht, wie der Friedensnobelpreisträger 2014 [Kailash Satyarthi] es so schön formuliert hat, einen Teil dieses Budgets dazu, Bücher statt Waffen abzuwerfen? Lehrer statt Soldaten einzusetzen? Warum probieren wir nicht, Familien für diejenigen zu finden, die alles verloren haben, anstatt die Zahl der Waisen weiter zu erhöhen? Warum entscheiden wir uns nicht endlich, selbst aufzuräumen, anstatt die Zauberlehrlinge zu spielen und zuzusehen, wie die Besen die Kontrolle beim Putzen übernehmen?" (21.11.2015) 

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