Freitag, 20. November 2015

Frankreich verlängert Ausnahmezustand


Die französische Nationalversammlung hat am Donnerstag die Verlängerung des Ausnahmezustands um drei Monate beschlossen. Das ermächtigt die Behörden, unter anderem Ausgangssperren zu verhängen und Wohnungen ohne richterlichen Beschluss zu durchsuchen. Für den Anti-Terror-Kampfopfert Frankreich seine Bürgerrechte, kritisieren einige Kommentatoren. Andere fordern die Verschärfung von Sicherheitsgesetzen in ganz Europa. 

Contrepoints - Frankreich
Bürgerrechte sind unantastbar 
Dass die Rechte der französischen Bürger eingeschränkt werden, um den Anti-Terror-Kampf voranzutreiben, offenbart nach Ansicht des liberalen Onlineportals Contrepoints das Versagen des Staats: "Der Kampf gegen den Terrorismus scheint nun mir nichts dir nichts Vorrang vor den Grundrechten zu erhalten, Sicherheit scheint vor Freiheit zu kommen. Warum schafft man nicht gleich klare Verhältnisse, indem man ein für alle Mal mit dem Gelaber rund um die Menschenrechte aufhört und die Bürgerrechte direkt abschafft, anstatt sie nach jedem Attentat oder Anschlagsversuch zu stutzen? Noch vor der Terrorbekämpfung hat der Staat den Auftrag, die unantastbaren Individualrechte zu sichern: Sicherheit, Eigentum, Freiheit. Sie sind unantastbar, ausnahmslos. Wenn er sie preisgeben muss, um seine Aufgaben zu erfüllen, ist er über sein Ziel hinausgeschossen. ... Schlimmer noch: Es bedeutet, dass er bei der Umsetzung seiner zentralen Aufgaben kläglich gescheitert ist." (19.11.2015) 

Deutschlandfunk - Deutschland
Paris opfert Freiheit für Sicherheit 
Unter Schock stellt Frankreich Sicherheit über Freiheit, meint der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk und gibt zu bedenken, dass der am Mittwoch getötete mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge, Abdelhamid Abaaoud, trotz umfangreicher Geheimdiensttätigkeit seine Pläne ungehindert verfolgen konnte: "Nach den Attentaten von Charlie Hebdo wurden die Geheimdienste mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Genutzt hat es im Fall Abaaoud wenig. ... Wie weit wir unsere westlichen Strukturen anpassen können, ohne das demokratische Fundament auszuhöhlen, ist fraglich. In Frankreich überwiegen derzeit Wut und Entschlossenheit. Binnen sieben Tagen wurde ein Gesetzespaket geschnürt und verabschiedet, das in friedlicheren Zeiten monatelange, heftige, demokratische Debatten provoziert hätte. Jetzt ging alles ganz schnell und die Bevölkerung steht dahinter. Mehr Freiheit oder mehr Sicherheit, die Frage ist in Frankreich heute beantwortet worden." (20.11.2015) 
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Mehr aus der Presseschau zu den Themen » Innenpolitik» Terrorismus» FrankreichAlle verfügbaren Texte von » Ursula Welter

Il Sole 24 Ore - Italien
Terrorgefahr bitte nicht herunterspielen 
Ganz Europa sollte sich dazu durchringen, die Sicherheitsgesetze zu verschärfen, mahnt die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Wer erinnert sich nicht an die heftige Kritik der rechtschaffenen Europäer an George W. Bush, dem freiheitsfeindlichen Präsidenten, Autor des Patriot Act, der am Tag nach den Attentaten des 11. Septembers die individuelle Freiheit im Namen des Schutzes der nationalen Sicherheit einschränkte? Und wer von ihnen hat nicht Edward Snowden als Rächer der missachteten Bürgerrechte gefeiert, als dieser vor zwei Jahren die Methoden des US-Geheimdienstes preisgab? ... Europa mag es nicht, ein finsteres Gesicht zu machen. ... Doch diesen Luxus kann es sich nicht länger leisten, denn das Herunterspielen der Bedrohung durch Terror kommt einer bedingungslosen Kapitulation gleich." (20.11.2015) 
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Mehr aus der Presseschau zu den Themen » EU-Politik» Terrorismus» Frankreich,» EuropaAlle verfügbaren Texte von » Adriana Cerretelli

POLITIK
Linie

Jutarnji list - Kroatien
Flucht nach Europa: EU missbraucht Terrorismus für Abschottung 
Serbien und Mazedonien lassen seit Mittwoch nur noch Flüchtlinge aus den Kriegsländern Syrien, Irak und Afghanistan durchreisen, alle anderen werden an der Grenze abgewiesen. Nicht nur, dass sich die IS-Miliz ins Fäustchen lacht, eigentlich steckt dahinter auch etwas ganz anderes, meint die liberale Tageszeitung Jutarnji list: "Abdelhamid Abaaoud hat es geschafft. Der Drahtzieher der barbarischen Morde in Paris hat sein Ziel erreicht, aus Angst vor islamischem Terrorismus setzt Europa Flüchtlinge gleich mit den Fanatikern von IS und schließt die Tore. Brüssel mag es nicht zugeben, aber nach Paris baut Europa Mauern. Beim IS und anderen extremistischen Organisationen haben sie Grund zur Freude. Genauso wie der fremdenfeindliche Teil der europäischen Öffentlichkeit, der seit Monaten von den Gefahren des Islam tönt und nun auf seine Kosten kommt. ... Doch handelt es sich dabei um ein stillschweigendes Abkommen der EU-Regierungen mit der heuchlerischen Begründung, ab jetzt nur noch Flüchtlinge aus Kriegszonen zu retten, da es den anderen in ihren Ländern sowieso nicht so schlecht gehe." (20.11.2015) 

La Libre Belgique - Belgien
Flucht nach Europa: Nach Terror nicht Migranten stigmatisieren 
Zwei der Attentäter von Paris sind Medienberichten zufolge möglicherweise in Griechenland als Flüchtlinge registriert worden. Deshalb Flüchtlingen generell den Weg nach Europa zu verweigern, wie einige fordern, ist keine angemessene Reaktion, meint Untersuchungsrichter Michel Claise in der liberalen Tageszeitung La Libre Belgique: "In den sozialen Netzwerken prangern einige die Aufnahme syrischer Flüchtlinge an. Sie tun so, als könnten alle Terroristen sein, die von den Migrationsmöglichkeiten profitieren, um sich zu uns hineinzuschmuggeln. Falsch! Entschlossene und organisierte Terroristen brauchen sich nicht als Migranten auszugeben, um über unsere Grenzen zu gelangen. Wir sollten daher auf keinen Fall unser Verhalten gegenüber diesen Familien ändern. Die Position der Staaten wird nicht dadurch geschwächt, dass sie unsere demokratischen und humanistischen Werte achten. Ganz im Gegenteil. Diese Menschen können uns so viel beibringen. Zudem lautet eins der erklärten Ziele unserer Feinde, unsere Werte zu ändern." (19.11.2015) 

Lidové noviny - Tschechien
Gegen IS-Miliz hilft leider nur Realpolitik 
Frankreichs Präsident François Hollande strebt nach den Anschlägen von Paris eine Koalition mit den USA und Russland zur Bekämpfung der IS-Terrormiliz an. Eine solche Realpolitik muss man nicht mögen, doch ist sie notwendig, bekennt die konservative Tageszeitung Lidové noviny: "Die Hauptfrage, die sich daraus ergibt: Was will Russland im Gegenzug für die Unterstützung des Westens haben? Zuerst ein Ende des Streits um die Ukraine. Zweitens eine Stärkung seiner Einflusssphäre, in etwa nach dem Motto: die Ost-Ukraine ist unser, die West-Ukraine gehört Euch. Syrien bleibt bei uns, Saudi-Arabien bei Euch. Ein solcher Handel ist nicht schön. ... Doch besteht irgendeine Alternative zu einer Koalition mit Russland? Wenn nicht, dann hilft nur: Zähne zusammenzubeißen." (20.11.2015) 

Duma - Bulgarien
Just Bulgarien will IS das Fürchten lehren 
Bulgarien werde sich, wenn nötig, an einer möglichen Bodenoffensive gegen die IS-Terrormiliz in Syrien beteiligen, gab Verteidigungsminister Nikolaj Nentschew am Donnerstag bekannt. Die oppositionelle linke Tageszeitung Duma kann es kaum glauben: "Während Weltmächte wie Russland und die USA vorläufig die Beteiligung an einer Bodenoffensive ausschließen, und die Experten sich immer noch uneins sind, inwiefern eine solche überhaupt effektiv wäre, prescht unser Minister munter vor. ... Wie kann er nur die Sicherheit seines Landes so leichtfertig aufs Spiel setzen? Das ist geradezu kriminell. Bulgarien hat weder die Verpflichtung noch das Recht, seine eigenen Kinder für diesen Krieg ins Feuer zu werfen. ... Wenn Nentschew unbedingt in den Krieg ziehen will, soll er doch selbst eine Bodentruppe bilden, zusammen mit [Außenminister] Mitov und [Präsident] Plevneliev. ... Sie werden den 'Islamischen Staat' mit Sicherheit zu Fall bringen und die Dschihadisten werden sich in die Hose machen - vor Lachen." (20.11.2015) 

The Guardian - Großbritannien
Minderjährige sollen über Brexit mitbestimmen 
Das britische Oberhaus hat am Mittwoch beschlossen, dass 16- und 17-Jährige beim geplanten Referendum über einen EU-Austritt des Landes abstimmen können sollen. Die britische Regierung sollte ihren Widerstand dagegen überdenken, rät die linksliberale Tageszeitung The Guardian: "Bei dem Referendum geht es um eine Richtungsentscheidung über die langfristige Zukunft des Landes, wie sie nur einmal innerhalb einer Generation getroffen wird. Es ist richtig, bei dieser Frage junge Menschen einzubinden, deren Zukunft auf dem Spiel steht und die der Staat bei anderen Fragen schon als bereit für das Erwachsensein betrachtet. Die Ansicht, dass es 16-Jährigen an politischer Einsicht mangelt, wird durch die Erfahrung in Schottland widerlegt. Dort steht für viele, die das Referendum erlebt haben, überhaupt nicht in Frage, dass sich diese am Unabhängigkeitsreferendum im September 2014 beteiligen sollten. ... Die Regierung mag diesen Reformprozess verzögern, doch es scheint unwahrscheinlich, dass sie ihn stoppen kann. Und dies sollte sie auch nicht tun." (19.11.2015) 

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