Nach den Krawallen rechtsextremer Demonstranten in der ostdeutschen Stadt Chemnitz am Sonntag und Montag wird erneut über Fremdenfeindlichkeit im Land diskutiert.
"Das Magazin "ze.tt" konnte zudem eine Person ausfindig machen, die - wie auf dem Video zu sehen - attackiert worden war. In dem Artikel heißt es:
Alihassan Sarfaraz sitzt am Mittwochmittag, drei Tage nachdem "sein" Video auf Twitter landete, im Wartebereich des Chemnitzer Polizeipräsidiums auf einem knarzenden Holzstuhl und hat den Kopf auf die Hände gestützt. Der 22-Jährige trägt eine kurze Jeans und ein schwarz-weiß geringeltes Oberteil, die Sonnenbrille steckt am Kragen. [...] Ein Video der Antifa-Gruppe Zeckenbiss aus Chemnitz schafft es am Sonntag deutschlandweit in die Nachrichten: Darin ist zu sehen, wie ein Neonazi einen Menschen über die Straße jagt. Dieser Mensch ist Aziz."
(Faktenfinder von tagesschau.de, 7.9.18)
Ergänzendes zur Diskussion vom Deutschlandfunk 7.9.18
Für einige Kommentatoren hat der deutsche Rechtsstaat angesichts solcher Ausschreitungen versagt. Andere sehen die tieferen Gründe für die rechte Gewalt im starken Zuzug von Migranten und in der Willkommenskultur seit 2015.
Versagen des Rechtsstaats
Die Vorkommnisse in Chemnitz sind ein ernstes Problem für Deutschland, findet die Berlin-Korrespondentin von Helsingin Sanomat, Anna-Liina Kauhanen:
„Wenn Rechtsradikale auf die Straßen strömen und ausländisch aussehende Menschen jagen, um sie zu misshandeln, geht es nicht mehr nur um ein zugespitztes Diskussionsklima. ... Das Außergewöhnliche in Chemnitz ist, dass die rechtsradikalen Demonstranten bereit waren, Grundrechte zu brechen und Gewalt gegen Menschen aufgrund ihres Aussehens auszuüben. Wenn Bürger auf Rachefeldzüge gehen und Menschen lynchen wollen, die sie für Ausländer halten, hat der Rechtsstaat versagt und ist in einer schweren Krise.“
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Vorsicht mit dem Nazi-Begriff
Trotz der pogromartigen Szenen in Chemnitz hält die Neue Zürcher Zeitung es für problematisch, die Demonstranten pauschal als Nazis zu bezeichnen:
„Die AfD-Führung pflegt eine schrille, oftmals dumpfe Sprache, und sie zeigt eine erstaunliche Toleranz gegenüber den vielen Wirrköpfen in der Partei. Es kann gut sein, dass sie sich weiter radikalisiert. Aber sie ist - noch - nicht extremistisch. Die Gewalt von Chemnitz hat sie verurteilt. Der Begriff 'Nazi' ist im Deutschen nicht steigerungsfähig. Er markiert das Ende jedweder Gemeinschaft. Denn was soll man mit einem Nazi noch besprechen? Er gehört bekämpft, und das mit allen Mitteln. Das ist die Lehre der Geschichte. Wer die Sachsen als Nazis und als Nazi-Kollaborateure beschimpft, drückt damit aus, dass er sie nicht nur als Mitbürger aufgegeben hat, sondern am liebsten wegsperren würde.“
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Hoher Preis der Menschenliebe
Über die Hintergründe der Ausschreitungen in Chemnitz schreibt Delo:
„Als die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Grenze für die größte Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg geöffnet hat, hat sie wohl nicht mit so vielen Problemen zwischen den Einwanderern und der heimischen Bevölkerung gerechnet. Der Andrang der Menschen aus religiös und kulturell fremden Regionen hat vor allem den Osten Deutschlands erschüttert. Man kann vielleicht verstehen, dass die Politik der deutschen Mitte 2015 nicht auf die Massen, die über die Balkanroute auf ihre Grenzen zuströmten, vorbereitet war. Doch für ihre Menschenliebe zahlt sie einen hohen Preis. Es war die Flüchtlingskrise, die die nationalistische AfD zur drittgrößten Partei im Land gemacht hat.“
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Multi-Kulti-Ideologie führt zu Gewalt
Die Krawalle in Chemnitz sind auf eine fehlerhafte Politik der Konservativen zurückzuführen, kritisiert Wpolityce.pl:
„Die Ideologie des Multikulturalismus und der Offenheit für Minderheiten erleidet vor unseren Augen eine Niederlage. Nicht nur, dass sie die Gesellschaft nicht vor Extremismus schützt, sie kann ihn durch ihre Unfähigkeit zur Selbstkorrektur gar hervorrufen. Auch die Warnsignale, die seit einigen Jahren aus den östlichen Bundesländern kamen, dass dort nationalistische Gruppierungen stärker werden, haben nichts bewirkt. Sie haben die Politiker der nominell konservativen CDU nicht zu der Erkenntnis gebracht, dass eine neue Strategie notwendig ist. ... Im Gegenteil: Man war der Meinung, dass die einzige Medizin noch mehr Indoktrination ist, noch mehr des politisch korrekten Breis, noch mehr Willkommenspolitik.“
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Was bedeuten die Ausschreitungen in Chemnitz? |
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Frankreichs Umweltminister Nicolas Hulot hat am Dienstag im Radiosender France Inter seinen Rücktritt angekündigt. Er habe sich innerhalb der Regierung mit seinem Kampf für die Umwelt völlig allein gefühlt, begründete der frühere Umweltaktivist seine Entscheidung. Viele Kommentatoren finden das nachvollziehbar.
Nur ein Alibi-Minister
Diverse Präsidenten hatten sich Hulot als Minister im Kabinett gewünscht. Dass Hulot sich erst Macron anschloss und jetzt bereits wieder zurücktritt, findet Stefano Montefiori, Paris-Korrespondent von Corriere della Sera, nicht verwunderlich:
„Hulot sagte vor 14 Monaten Ja zu Emmanuel Macron, weil er ein Ministerium mit breitgefächertem Kompetenzbereich erhielt - und den Rang des stellvertretende Premierministers. ... Im Gegenzug sollte Hulot, der sich dessen nicht immer bewusst war, die Rolle des menschlichen Gesichts ausfüllen - bekannt und geliebt von den Franzosen, in einer Regierung voller Politneulinge und Technokraten mit liberalen Tendenzen. Hulot hoffte, die ganze Regierung umweltbewusst zu machen. Die Regierung hingegen beschränkte sich darauf, das Umweltbewusstsein einzig ihm anheimzustellen, eine Art Alibi fürs allgemeine Desinteresse.“
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Ende einer politischen Illusion
Angesichts der wirtschaftsliberalen Einstellung Macrons hätte sich Hulot keine Illusionen machen dürfen, kommentiert Libération:
„Den Klimawandel begrenzen, Lebensmittel gesünder machen, den Transport regulieren, die Energiewende voranbringen, den Planeten schonen - wer all dies will, muss Wirtschaft und Finanzwelt kontrollieren können. Die große Unternehmerlobby aber wirkt in die Gegenrichtung, geißelt Normen, Regelungen, öffentliche Eingriffe und Steuerförderungen. Man sagt, der Umweltschutz sei neutral, eine Verpflichtung für alle Parteien. Das ist ein großer Witz. Was Umweltschutz wirklich erfordert, ist die gemeinschaftliche Steuerung der Wirtschaftsentwicklung und eine enge Abstimmung zwischen privatem und öffentlichem Sektor. ... Der Macronismus will Laisser-faire und Umweltschutz in Einklang bringen. Ein politischer Widerspruch und philosophischer Irrtum, dem auch Hulot erlegen ist.“
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Politik braucht Experten wie Hulot
Hulots Weggang ist ein herber Verlust und offenbart eine demokratische Schwachstelle der Politik, findet De Morgen:
„Der Politik gelingt es nur mühsam, Quereinsteiger, Experten mit hohem Profil, anzuziehen. ... In der Politik muss man bereit sein, kurzfristig Kompromisse zu schlucken, um langfristig Ziele zu erreichen. Und für Leute wie Hulot ist das zu viel Pragmatismus. Allerdings geht der Pragmatismus oft auch zu weit und reduziert die Politik auf einen taktischen und bisweilen zynischen Wahlkampf: Macht wird nur um der Macht willen angestrebt. Vielleicht war Hulot auch nicht der bestmögliche Minister: In der Küche muss man Hitze vertragen. ... Doch wird es der Politik nicht gelingen, ohne die Einsichten von Quereinsteigern schwierige langfristige Entscheidungen zu treffen.“
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