Freitag, 15. Juni 2018

Wo liegt ein Skandal beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)?

Primär aufgrund des ZEIT-Artikels Aktenbergeund Urlaubssperren vom 14.6.18 
habe ich einige Zahlen zu korrigieren und zwar habe ich aufgrund der mir vorliegenden Quellen die Verantwortlichkeit der Bundesregierung durchweg unterschätzt und Tatbestände, die gegen eine Verantwortlichkeit des BAMF sprechen, unzureichend berücksichtigt.

Das BAMF war schon vor 2015 chronisch unterbesetzt (dauerhaft 1000 Stellen zu wenig) und hat deshalb über Jahre hin über 50 000 unerledigte Fälle vor sich hergeschoben, Anfang September 2015 waren 300 000 (!) Anträge unbearbeitet 
2015 wurden viele neue Mitarbeiter eingestellt, aber unzureichend eingearbeitet
Infolgedessen kam es zu vermehrten Fehlentscheidungen und darüber zur Überlastung der Verwaltungsgerichte, so dass Entscheide erheblich, nicht selten um Jahre verzögert wurden. 
2018 wurde bekannt, dass in der Bremer Außenstelle schon seit Jahren Entscheidungen für Asyl getroffen wurden, die nach strengen Kriterien nicht hätten getroffen werden dürfen. Umfang der Fälle: ca. 2000 (jetzt: unter 1400 (!)), Zahl der Fehlentscheidungen ca. 1200. (dazu jetzt freilich: Falsche Vorwürfe gegen das Bremer BAMF)
Laut BAMF wurde von 2015 bis 2017 in 44 461 Fällen gerichtlich festgestellt, dass das BAMF zu Unrecht Asylbewerber als nicht asylberechtigt eingestuft hatte. 
Wegen der Zunahme der Klagezahlen von 2014 128 911 auf 2016  695 733 waren die deutschen Gerichte so überlastet, dass in großem Stil (ich kenne keine Statistiken dazu) Gerichtsentscheidungen um viele Monate bis Jahre verzögert wurden. 

Wo liegt der Skandal? Ich denke doch, bei der Unterbesetzung des BAMF  in den Jahren vor 2015.



1993 wurde das Asylrecht so eingeschränkt, dass sich Einreisende aus "sicheren Drittstaaten" nicht mehr darauf berufen dürfen (Artikel 16a GG). 

Die Grenzkontrollen wurden so verschäft, dass inzwischen seit Jahrzehnten Zehntausende bei dem Versuch, Europa zu erreichen, umkommen. 

Wo liegt der Skandal? Doch wohl nicht beim BAMF, sondern bei der Fluchtabwehr.

Vielleicht aber noch mehr darin, dass die EU mit Agrarexporten die wirtschaftliche Existenz von Hunderttausenden von Afrikanern gefährdet und dass viele Staaten die vereinbarten Gelder zur Aufrechterhaltung der Versorgung der Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern nicht zahlen.* Das trug wesentlich dazu bei, dass von den 60 Millionen Flüchtlingen auf der Welt sich 2015 über eine Million auf den Weg nach Europa begaben. 


Aktuell frage ich mich freilich, ob nicht der eigentliche Skandal ist, dass die Verhöhnung der Holocaustopfer als Vogelschiss im deutschen Bundestag für die AfD folgenlos blieb. 

*Es ist nicht so, dass nichts getan würde. Dazu: Syrische Studenten in Jordanien in der Warteschleife (ZEIT, 14.6.18)


Meldung:
Seehofer entlässt Bamf-Chefin
"Innenminister Seehofer hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen, Jutta Cordt von ihren Aufgaben zu entbinden. Über die Nachfolge wird noch entschieden."
ZEIT online15. Juni 2018

ZEIT-Artikel vom 14.6.18  Aktenbergeund Urlaubssperren 
"Um die Aktenberge abzutragen, rechnet Schmidt vor, brauche er 9.000 neue Stellen. Immer wieder nennt er im Spätsommer 2015 diese Zahl: in Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten, mit Beamten des Innenministeriums, mit Vertretern der Länder. Doch kaum jemand nimmt ihn ernst. Rufen Behördenleiter nicht immer nach neuen Stellen?
Gegen 22 Uhr ist die Sitzung im Kanzleramt beendet. Schmidt fährt nach Hause zu seiner Frau, öffnet eine Flasche Rotwein und trifft eine Entscheidung. Am nächsten Morgen wählt er die Nummer des damaligen Innenministers Thomas de Maizière – und tritt zurück. [...]
Tatsächlich aber haben die Missstände im Bundesamt wenig mit der vermeintlichen Ineffizienz des deutschen Beamtenapparats zu tun – und viel mit der tatsächlichen Ignoranz der deutschen Bundesregierung.
Diese wusste spätestens seit 2012, dass das Bamf auf einen Kollaps zusteuert. Und unternahm: fast nichts. [...]
In den Niederlanden hatte die Asylbehörde für 15.000 Asylanträge im Jahr mehr als 500 Entscheider. In Deutschland waren es 200.000 Anträge, aber nur 300 Entscheider."

Der neue Bamf-Chef Sommer ZEIT, 2.6.18

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