Donnerstag, 28. Juni 2018

Deutsche politische Legenden

Es gibt Schlimmeres als die neuerdings von Seehofer und Söder in neu entdeckter Einmütigkeit vorgetragene AfD-Legende von Angela Merkel als der Kanzlerin, die im September 2015 1 Million Flüchtlinge ins Land geholt habe. 
Die Dolchstoßlegende, die den Aufstieg der Nazis begünstigte, war schlimmer. 

Dass Legenden erzählt werden, um eine unbequeme Wirklichkeit nicht wahrnehmen zu müssen, kann man nicht verhindern. Man sollte ihnen aber energisch entgegentreten, bevor sie einen größeren Flurschaden anrichten. 
Leider ist in den Medien aber Merkels damalige Entscheidung (sie war nicht vorbereitet und wurde völlig unzureichend nachbereitet) zu undifferenziert gelobt worden; was aber schlimmer ist, im Nachhinein wurde sie in den Medien undifferenziert kritisiert, obwohl von vornherein klar war, dass eine "Willkommenskultur" ohne staatliche und diplomatische Absicherung notwendig eine ganze Reihe von Problemen heraufbeschwören musste. 
Die Dramatisierung, die Berichterstattung in Massenmedien (aus nahe liegenden Gründen) fast durchweg kennzeichnet, führte dazu, dass die AfD eine gewaltige Wahlkampfhilfe erfuhr (geradezu "legendär" die Fragestellung in der Debatte Merkel-Schulz).

Jetzt springt die CSU auf diesen Zug auf, in der Hoffnung, für ihren Wahlkampf zu profitieren. 

Die FAZ lässt jetzt zwei Grüne zu Wort kommen, die diese AfD-CSU-Legende nach allen Regeln der Kunst zerpflücken (neudeutsch: dekonstruieren). 

Daraus nur zwei Zitate:
"Vor 2015 hat die Kanzlerin es gänzlich versäumt, für die absehbaren Fluchtbewegungen Lösungen mit den europäischen Partnern zu erarbeiten – darunter eine Reform des unfairen Dublin-Systems, die Schaffung einer europäischen Asylbehörde, menschenwürdige Aufnahmeeinrichtungen an den Außengrenzen mit funktionierender Registrierung und einem funktionierenden Verteilsystem."

"Donald Trump, der mit Lügen Politik macht, der Brexit, dessen Pro-Kampagne auf Legenden baute, und rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme Regierungen in mehreren EU-Mitgliedstaaten – all das ist Wirklichkeit geworden. Und daher müssen wir Dinge beim Namen nennen. Jetzt. Nicht später. Anstatt so zu tun, als wüssten wir nicht, was eigentlich gemeint ist, wenn heute wieder von einer  „Achse“ zwischen Italien, Österreich und Deutschland gesprochen wird.


Denn wie der österreichische Autor Michael Köhlmeier zu recht in seiner bemerkenswerten Rede am Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus sagte: „Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit einem Schritt. Nie. Sondern mit vielen kleinen. Von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.“
[...]  Wir alle werden einmal gefragt werden: Was habt ihr damals getan? Als Legenden nicht nur die Debatte veränderten, sondern auch das Handeln. Packen wir es endlich an!" (Annalena Baerbock und Konstantin von Notz)
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Wolf Biermann: Die Tragödie der Angela Merkel NYT 29.6.18

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