Donnerstag, 14. September 2017

Wie visionär ist Junckers Rede?


Kommissionspräsident Juncker will, dass alle EU-Länder den Euro einführen und dem Schengen-Raum beitreten. In seiner jährlichen Rede zur Lage der EU plädierte er außerdem für einen europäischen Finanzminister. Eine immer tiefere Integration stärkt nur die Rechtspopulisten, kritisieren einige Kommentatoren. Andere glauben, dass Junckers Vorschläge die EU zukunftsfähig machen.
SPIEGEL ONLINE (DE)

Sture Euro-Erweiterung nützt Rechtspopulisten

Europa sollte nicht über eine gemeinsame Währung geeint werden, meint Spiegel Online:
„Die Währung kettet einen wirtschaftlichen Zwerg wie Griechenland an eine ökonomische Großmacht wie Deutschland. Glücklich wurde damit in den vergangenen Jahren keine Seite. … Die Gemeinschaftswährung macht es den Südeuropäern unmöglich, ihre Wettbewerbsfähigkeit über Abwertungen statt Einsparungen zu verbessern. … Indem Juncker unverdrossen an diesem Plan festhält, nährt er gleich zwei Vorbehalte gegenüber der EU: Zum einen, dass es dem Staatenbund vor allem um die Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen gehe. Zum anderen, dass Brüssel auf Krisen immer nur eine Antwort habe: mehr Integration, auf Biegen und Brechen. Dieses Bild einer übermächtigen und lernunwilligen EU nützt nicht zuletzt Rechtspopulisten.“
David Böcking
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

27 Steuermänner bringen Schiff nicht voran

Weil Juncker es allen recht machen muss, haben seine Zukunftspläne für die EU keine Aussicht umgesetzt zu werden, prophezeit die Neue Zürcher Zeitung:
„Der Wille, die absolute Einheit der 27 Mitgliedstaaten zu wahren, zwingt Juncker zu einem Balanceakt. Er plädiert zwar für mehr Freihandel, befriedigt aber auch protektionistische Kräfte mit Regulierungen der Arbeitnehmermobilität und Vorschlägen zum Schutz vor ausländischen Direktinvestitionen. ... Mit solchen Manövern lassen sich die unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen, politischen Ziele und nicht zuletzt Wertehaltungen in den 27 Mitgliedstaaten nur notdürftig kaschieren. Widerstand gegen Junckers Pläne ist programmiert. Anders als vor Jahresfrist ist das europäische Schiff nicht mehr akut vom Kentern bedroht. Es wird aber auch nur schwerlich vorankommen, solange 27 Steuermänner unterschiedliche Richtungen anpeilen.“
Niklaus Nuspliger
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
PRIMORSKE NOVICE (SI)

EU der Eliten und Bürokraten

In seiner Rede hat Kommissionspräsident Juncker nichts Überraschendes gesagt, urteilt Primorske novice:
„Durch ihn sprachen die größten politischen Gruppierungen, die größten Mitgliedstaaten, die wirtschaftliche Elite und die Brüsseler Bürokraten. ... Die EU wird den Nationalstaaten einen weiteren Teil ihrer Souveränität nehmen. Sicher, sie wird auf Freiheit, Chancengleichheit und Rechtsstaatlichkeit basieren. Doch um die Europäer davon zu überzeugen, dass die EU nicht nur aus einem einheitlichen Markt und einer gemeinsamen Währung besteht, braucht es mehr als die Vorstellung verschiedener Szenarien und Medienpropaganda. Unverzichtbar dabei ist die eigene Vorbildfunktion, mit der die ranghöchsten europäischen Vertreter die Europäer davon überzeugen können, dass es bei der EU auch um gemeinsame Werte geht.“
Denis Sabadin
Teilen auf
Zum Originalartikel
 
PRAVDA (SK)

Europa kommt wieder in Form

Lob für seine Rede erntet Juncker von Pravda:
„Vom Anfang bis zum Ende sprach er über die nach dem Brexit neuen Möglichkeiten, die sich für die Union eröffnen und die es zu nutzen gelte. Der Gipfel vom März 2019 im rumänischen Sibiu soll laut Juncker eine stärkere, sich weiter integrierende EU erleben. Wer in der EU die Unterschiede ausgleichen und Ungerechtigkeiten beseitigen will, braucht nicht weniger, sondern mehr Union. Ein europäischer Finanzminister etwa könnte der Vorbote einer Fiskalunion sein, dank derer sich Katastrophen, wie die griechische, gerechter und eleganter lösen ließen. ... Der Kommissionschef war in Straßburg in Form. Mehr noch: Die EU ist in Form, um vorwärts zu kommen. Endlich.“
Peter Javůrek
Teilen auf
zur Homepage
 
THE IRISH TIMES (IE)

Berechtigter Optimismus

Junckers Zuversicht mit Blick auf die EU deckt sich mit den Zahlen und Fakten, führt The Irish Times aus:
„Die EU befindet sich im fünften Jahr einer konjunkturellen Erholung, die endlich alle Mitgliedstaaten - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - erreicht. Ihr Wirtschaftswachstum hat die letzten zwei Jahre das der USA überholt und die Arbeitslosigkeit ist auf dem tiefsten Stand seit neun Jahren. ... Die Union hat es geschafft, die Flüchtlings- und Schuldenkrise zu überstehen und dabei ihre Institutionen intakt zu halten. Und auch die Welle rechter Populisten schwillt ab. Mit dem Brexit wird die EU zwar die britische Wirtschaftsmacht und deren diplomatischen Einfluss verlieren. Es verabschiedet sich aber auch ein Mitglied, das immer etwas abseits des nach Integration strebenden Zentrums stand. Der Brexit wird die Union daher kohärenter machen.“
Zum Originalartikel
Teilen auf
 
LA CROIX (FR)

Endlich wieder Ambitionen

Wie Macron und Merkel in den vergangenen Wochen hat nun auch Juncker neue Wege für die europäische Zusammenarbeit aufgezeigt, freut sich La Croix:
„Er hat vorgeschlagen, die Wirtschaft anzukurbeln, Europa sozialer und die Eurogruppe effizienter zu machen und die strategischen Sektoren zu schützen. Diesem Katalog fehlt ganz offensichtlich kreativer Mut. Er zeugt jedoch vom Willen, auch wirklich voranschreiten zu wollen. Die überzeugtesten Europäer mögen vielleicht enttäuscht sein. Dennoch sollten sie sich aber beginnen zu freuen. Dazu genügt es, sich daran zu erinnern, dass all diese Ambitionen noch vor weniger als einem Jahr völlig illusorisch erschienen wären.“
François Ernenwein
Teilen auf
Zum Originalartikel
Wie visionär ist Junckers Rede?

Keine Kommentare: