Dienstag, 1. August 2017

Schreiben im Exil

"Wie hat sich Ihre Arbeit als Schriftstellerin im Exil verändert? 
Widad Nabi: Das Schreiben ist an jedem Ort gleich. In Syrien habe ich fast über die gleichen Themen geschrieben, über die ich hier schreibe: in letzter Zeit vor allem über den Krieg, den Tod, die alltägliche Zerstörung. Jetzt schreibe ich zusätzlich über die Flucht, über die Sehnsucht nach der Heimat, die Sehnsucht nach den Orten, die wir hinter uns gelassen haben, die Sehnsucht nach dem Zuhause.
Sie sagten bei einer Lesung, Sie könnten sich mit der deutschen Gruppe 47 identifizieren, an deren Treffen Schriftsteller wie Ingeborg Bachmann und Günter Grass teilnahmen. Warum?
Widad Nabi: Ich habe zufällig von der Gruppe 47 erfahren. Sie wurde in Deutschland als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg von jungen Schriftstellern gegründet. Heute, 70 Jahre später, sehe ich, dass sie damals das gleiche Bedürfnis hatten, über den Krieg zu sprechen, über das Grauen, das er mit sich bringt. Selbst in der Sprache gibt es Parallelen. Die Autoren der Gruppe 47 benutzten eine extrem realistische Sprache, die sich an die Rohheit des Krieges angepasst hatte. So wie ich heute. Meine Sprache ist realistischer geworden, während ich zuvor mehr literarische Stilmittel verwendete. [...]
Nihad Siris: Es fällt mir schwer, meine alten Projekte weiterzuführen. Ich frage mich oft, ob wir als Intellektuelle einen Fehler begangen haben. Haben wir versagt, weil wir es nicht geschafft haben, das Land zu beschützen, die Menschen, die Kinder, unsere Lebensweise? Sind wir als Intellektuelle, als Schriftsteller gescheitert? In der Vergangenheit habe ich geschrieben, um Menschen in Syrien etwas bewusst zu machen. Jetzt schreibe ich für die »anderen«, für die Menschen im Westen und im Rest der Welt, damit sie nicht den Fehler machen, das syrische Regime als Alternative zum Terrorismus zu sehen. Dieses Regime ist dafür verantwortlich, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Aber um über den Krieg selbst zu schreiben, ist es noch zu früh. Die meisten Werke der Weltliteratur, die über Ereignisse wie in Syrien berichten, wurden erst später geschrieben."
(Amnesty Journal 08/09 2017, S.58f.)

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