Mittwoch, 27. Januar 2016

Angst vor Flüchtlingen

"Hier spielt der Zusammenhang zwischen Angst und Aggression eine große Rolle. denn Angst hat in der Regel zwei unterschiedliche Ausgänge. Der eine Ausgang ist, Situationen zu vermeiden und vor bestimmten Objekten zu fliehen. Der andere ist, sich gezielt Objekte zu suchen, die man angreifen und bekämpfen kann. Das geht wiederum einher mit der Vorstellung: Wenn ich das Objekt, hier beispielsweise ein Flüchtlingsheim in Brand gesetzt habe, ist auch die Angst verschwunden. Nur bleibt die Angst über die Objekte hinaus bestehen, weil sie in ihren tiefen Schichten nicht erkannt ist und auch nicht berührt wird. [...] Wir sprechen von einer Bevölkerungsgruppe, die sich als Deutsche zweiter Klasse erlebt [...] Insofern ist die Angst nicht selten eine Angst davor, tatsächlich ein Deutscher zweiter Klasse zu sein. [...] Wichtig an dieser Stelle ist, dass im Hintergrund die Vorstellung steht, der Staat habe in seiner unbezweifelbaren Autorität nichts anderes zu tun, als die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen."  ("In der Welt der Angst gibt es nur Schwarz und Weiß" Interview mit Rolf Haubl, Frankfurter Rundschau 27.1.2016)
Rolf Haubl stellt gewiss wichtige Zusammenhänge heraus. Dass Angst sich in Aggression gegenüber Flüchtlingen äußert, hat gewiss damit zu tun, dass sie sich Objekte sucht, "die man angreifen und bekämpfen kann". 
Doch diese Angst bezieht sich nicht nur auf ein allgemeine Vorstellung, man könne "ein Deutscher zweiter Klasse" sein. Dahinter steht auch eine Angst vor konkretem sozialem Abstieg. Wenn die Medien mitteilen, dass 62 Milliardäre so viel Vermögen haben wie die Hälfte der Menschheit und dass die Innovationen der Softwareindustrie bald alle Arbeitsplätze vernichten würden, wo nicht hoch kreative Arbeit gefordert wird, dann scheint weder die Enteignung der Milliardäre noch die eigene Höherqualifizierung eine realistische Option. So scheint der einzige Ausweg im Kampf gegen potentielle Konkurrenten um den eigenen Arbeitsplatz zu bestehen.
Die Angst wird umso stärker, je qualifizierter die Mitbewerber erscheinen ("syrische Akademiker") und je mehr die Absicherung der materiellen Basis (Mindestlohn) gefährdet wird. 
Nun kann das Anzünden von Flüchtlingsheimen in dieser Situation genauso wenig zum Erfolg führen wie die Zerstörung von Maschinen am Beginn der Industriellen Revolution. Umso stärker wird die Attraktivität von populistischen Versprechungen und umso lauter der Ruf nach dem starken Mann.

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