Montag, 19. September 2016

Verzögert sich die Selbstaufgabe des Bundestags?

Seit Monaten hört man über das Ceta-Abkommen Folgendes: Jede Veränderung der Umweltgesetzgebung, die die Gewinnerwartungen kanadischer Unternehmen stören könnte, kann zu einer Klage gegen die Bundesrepublik führen. Üblicherweise geht es in solchen Fällen um zwei bis dreistellige Millionenbeträge, wenn nicht um mehrere Milliarden.

Der Vertrag würde also bedeuten, dass die Bundesrepublik ihren internationalen Verpflichtungen zum Umweltschutz (UN-Klimakonferenz in Paris 2015) nicht nachkommen kann, weil alle dafür nötig werden den Gesetze zu hohen Schadenersatzforderungen führen würden.

Das heißt, mit Ceta gäbe der Bundestag sein Recht auf Gesetzgebung im Bereich des Umweltschutzes auf. (dazu vgl. den Erklärfilm von Campact)
Meiner Kenntnis nach ist das beim allem sonstigen Hochjubeln des Vertrags nie dementiert worden.

Beim SPD-Parteikonvent ist laut ZEIT online Folgendes geschehen:

"So verzichtete Gabriel auf die Forderung, einzelne Bestandteile des Abkommens bereits ab Oktober und damit vor Inkrafttreten von Ceta anzuwenden. Stattdessen soll das Europaparlament einen Konsultationsprozess starten, an dem auch die nationalen Parlamente und die Zivilgesellschaft beteiligt werden sollen. Geklärt werden soll, welche Teile des Abkommens in nationale und welche in europäische Zuständigkeit fallen. Damit könnte sich die Anwendung des Freihandelsabkommens deutlich verzögern. "Wir haben noch ein Stück des Weges vor uns", sagte Gabriel nach der Abstimmung." (Hervorhebung von Fonty)

Das einzige, was er versprochen hat ist also eine Verzögerung der Beendigung des Rechts auf Verbesserung des Umweltschutzes. Das "Stück des Weges", das vor der SPD liegt, ist die vermutlich Selbstaufgabe des Bundestages.
Ich würde gern widerlegt; aber dafür scheint es zu spät zu sein.

Die Kampagne-Organisation Campact schreibt dazu:


"Die Grundwerte-Kommission, die Juristen, die Jusos, mehrere SPD-Landesverbände, der Arbeitnehmerflügel, die SPD-Frauen und zahlreiche Landes- und Kreisverbände –sie alle hatten klargestellt, dass CETA die roten Linien reißt, die die SPD gezogen hatte. Dennoch haben die Delegierten des kleinen SPD-Parteitags dem Antrag des Parteivorstands zugestimmt.

Nun befürwortet die SPD die Zustimmung zum vorliegenden CETA-Vertragstext im Ministerrat. Und will sogar die vorläufige Anwendung des Abkommens, wenn auch ohne das Kapitel über den Investitionsschutz. Diese Entscheidung ist sehr enttäuschend und nicht nachvollziehbar. Schließlich sagt selbst die Parteiführung um Sigmar Gabriel, dass CETA große Schwächen hat. Die SPD gibt also ohne Not ihr einziges wirkungsvolles Druckmittel aus der Hand, die EU-Kommission zu Nachverhandlungen zu bringen. [...]
Die Auseinandersetzung um CETA wird von uns allen einen langen Atem erfordern. Ja, es könnte sogar noch Jahre dauern, bis es uns gelingt, das Abkommen zu stoppen. Wenn wir aber dranbleiben, schaffen wir das auch."

mehr dazu: 

Eine Kolumne von Oskar Lafontaine (zu der ich leider keinen Link setzen kann):
„Für viele ist nur ein totes CETA ein gutes CETA. Sie sind traumatisiert von den neoliberalen Erfahrungen und haben keine Lust darauf, dass die SPD und die Republik in den alten Gleisen, wenn auch mit von Gabriel angezogener Bremse, weiterfährt“, schreibt Heribert Prantl heute in der „Süddeutschen Zeitung“. „Viele Sozis sehnen sich danach, dass die SPD wieder Anschluss hat an eine der großen gesellschaftlichen Bewegungen der Gegenwart, wie sie die Anti-TTIP- und Anti-CETA-Bewegung darstellt. Diesen Anschluss findet Gabriel nicht, auch wenn er die kritischen Debatten über CETA noch so lobt.“
Die Zustimmung des SPD-Konvents zu CETA ist vergleichbar mit der Zustimmung zur Agenda 2010. Inhaltlich sind viele Mitglieder nicht überzeugt, aber dem Mann an der Spitze zuliebe werden die Bedenken heruntergeschluckt und ein Kurs mitgetragen, der den Grundwerten der Sozialdemokratie von Bebel bis Brandt fundamental widerspricht.
Beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2014 hatte Gabriel die Kritik an Abkommen wie TTIP noch abgekanzelt: „Vielleicht ist es in Deutschland manchmal etwas schwieriger, weil wir ein Land sind, das reich und hysterisch ist.“ Es ist absurd, wenn er nun so tut, als sei das Abkommen mit den USA, TTIP, das er selbst lange Zeit gelobt hat, schlecht, das Abkommen mit Kanada, CETA, dagegen gut. CETA höhlt die Demokratie aus und bedeutet unter anderem:
  • Konzerne können mit Sonderklagerechten gegen bestehende und geplante Standards im Umwelt-, Gesundheits-, Verbraucher- und Arbeitsschutz vorgehen. Die US-Konzerne werden über ihre kanadischen Töchter diese Chancen nutzen.
  • An neuen Gesetzen sollen Ausschüsse mitwirken, ohne dass deren Befugnisse geklärt sind. Eine teilweise Entmachtung der demokratischen Instanzen von Bundestag und Bundesrat.
  • Künftig muss der Staat erst nachweisen, dass Gentechnik, Pestizide und Chemikalien gesundheitsgefährdende Wirkungen haben. Bislang ist es umgekehrt: Um eine Zulassung zu bekommen, müssen die Konzerne den Nachweis erbringen, dass ein Mittel ungefährlich ist.
Die SPD fährt also in den neoliberalen Gleisen weiter und findet keinen Anschluss an die großen gesellschaftlichen Bewegungen unserer Zeit. Rot-Rot-Grün macht nur Sinn, wenn eine solche Regierung die Demokratie stärkt, den Sozialstaat wiederherstellt und eine friedliche Außenpolitik nach dem Vorbild Willy Brandts beginnt. Mit einer Partei, die an der Agenda 2010 festhält und den mit CETA verbundenen Demokratieabbau billigt, ist das nicht möglich. Eine LINKE, die sich auf eine solche Politik einließe, würde sich selbst erledigen.
In Österreich haben dagegen 90 Prozent der Mitglieder der Schwesterpartei der SPD, der SPÖ in einer Befragung gegen CETA gestimmt. Warum hat Gabriel nicht auch die SPD-Mitglieder befragt?

Udo Bullmann,  Vorsitzender der Europa-SPD schreibt auf seiner Webseite:
 „Die Entscheidung ist selbstverständlich kein Freifahrtschein für CETA. Nur wenn die im Beschluss geforderten Verbesserungen von der EU-Kommission und der kanadischen Regierung rechtsverbindlich sichergestellt werden, können wir am Ende im Europäischen Parlament das Abkommen unterstützen“, sagt Udo Bullmann.
  • So kann CETA nicht angewendet werden, bevor nicht das Europäische Parlament über das Abkommen abgestimmt hat. Erst nach Beschlussfassung im Europäischen Parlament und dem Dialog mit den nationalen Parlamenten darf über eine vorläufige Anwendung entschieden werden.
  • Ausländische Investoren dürfen gegenüber Inländern nicht ungerechtfertigt bevorzugt werden.
  • Das in der Europäischen Union gültige Vorsorgeprinzip wird in keiner Weise infrage gestellt.
  • Die acht ILO-Kernarbeitsnormen müssen ratifiziert werden. Bei Verstößen gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards müssen entsprechende Sanktionen entwickelt werden.
  • Handelsabkommen dürfen keine demokratischen Prozesse aushebeln. Veränderungen können nur im Einklang mit den demokratisch legitimierten Parlamenten und Regierungen getroffen werden.
  • Die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge müssen unberührt bleiben und in vollem Umfang heute wie morgen sichergestellt sein.
„Die SPD drängt darauf, dass sich CETA und die darin beschriebenen Handelspraktiken an den globalen Nachhaltigkeitszielen und dem Pariser Klimaschutzabkommen orientieren. Globalisierung braucht Regeln. Wir wollen den Durchbruch für ein gutes Handelsabkommen, das faire Standards setzt“, so Udo Bullmann. „Ohne fortschrittliche Lösungen bei den offenen Fragen werden wir CETA ablehnen.“ Das Europäische Parlament soll voraussichtlich im Frühjahr 2017 über das Abkommen entscheiden.
Wenn all das eintrifft, was Bullmann glaubt erreichen zu können, werde ich ihn wählen, sonst nicht. - Schade, ich habe immer große Stücke auf ihn gehalten.

Matthias Miersch: Persönliche Erklärung (20.9.16)
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Genossinnen und Genossen, gestern hat die SPD die Chance eröffnet, in Europa mehr Demokratie zu wagen, indem sie eine Brücke zwischen Kritikern und Befürworten von CETA geschlagen hat. Nach dem SPD-Parteikonvent in Wolfsburg lauten viele Überschriften in den Medien: „SPD stimmt CETA zu“. Da ich mich seit vielen Monaten intensiv mit dem Abkommen beschäftigt und mich auch an vielen Stellen in die Debatte eingemischt habe, möchte ich Sie/Euch in dieser persönlichen Erklärung direkt informieren und offene Fragen beantworten: Die SPD hat auf ihrem Konvent nicht für CETA gestimmt, wie viele schreiben. Sie hat einen Antrag verabschiedet, der unsere Anforderungen an das Abkommen und den nun vor uns liegenden Prozess beschreibt. Wir haben ganz klare Bedingungen beschlossen, die am Ende Maßstab für jeden SPDAbgeordneten sind. Wenn unsere Forderungen nicht erfüllt sind, werde ich CETA nicht zustimmen: - „Im Bereich des Investorenschutzes muss mit Blick auf die Rechtstatbestände, wie z.B. ‚faire und gerechte Behandlung‘ und ‚indirekte Enteignung‘ sichergestellt werden, dass keine Bevorzugung von ausländischen gegenüber inländischen Investoren oder Bürgerinnen und Bürgern stattfinden. Investorenschutz sollte somit auf die Diskriminierung gegenüber inländischen Investoren beschränkt werden. - Unter Bezugnahme auf das Cartagena-Protokoll und die Rechtsposition der EU im WTOVerfahren über Hormonfleisch zwischen der EU und Nordamerika muss unmissverständlich und rechtsverbindlich erklärt werden, dass die EU im Rahmen des CETA-Abkommens in keiner Weise vom primärrechtlich verankerten Vorsorgeprinzip (Art. 191 AEUV) abweicht. - Im Rahmen des Beratungsprozesses ist ein Sanktionsmechanismus bei Verstößen der Partner gegen Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards zu entwickeln. Die acht ILOKernarbeitsnormen müssen ratifiziert werden. Der soziale Dialog ist effektiv auszugestalten, sodass das Verfahren zur Durchsetzung von Standards wirkungsvoll genug ist und durch Sanktionsmöglichkeiten ergänzt wird. - Es muss sich aus dem CETA-Vertrag unmissverständlich ergeben, dass bestehende und künftig entstehende Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht vom Vertrag erfasst werden.“ Im Unterbezirk Region Hannover hatten wir beschlossen, dass wir CETA in der jetzt vorliegenden Form ablehnen und Verbesserungen über das Europäische Parlament erreichen wollen. Genau dieser Weg wird nun im Konventsbeschluss beschrieben: Es muss einen breiten Anhörungsprozess des Europäischen Parlaments mit der Zivilgesellschaft und den nationalen Parlamenten geben, der Lösungsansätze für alle umstrittenen Fragen entwickelt, bevor das Europäische Parlament über den Vertrag abstimmt und Teile des Abkommens vorläufig angewendet werden. In diesem Zusammenhang wird es intensive Auseinandersetzungen um die Fragen geben, welche Bereiche des Abkommens in die alleinige Zuständigkeit der EU fallen und damit vorläufig angewendet werden können. Die SPD legt sich im Beschluss fest: Unter anderem das hoch umstrittene Kapitel zum Investorenschutz fällt in nationale Zuständigkeit. Dieser Bereich kann also nur dann angewendet werden, wenn auch das letzte nationale Parlament der Europäischen Union zugestimmt hat. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Genossinnen und Genossen, im August habe ich ein Papier verfasst, indem ich aufgezeigt habe, an welchen Stellen die roten Linien der SPD überschritten sind. Ich habe geschrieben, dass dem jetzt vorliegenden CETA-Entwurf nach meiner Überzeugung kein SPD-Parlamentarier zustimmen kann. Als Brücke zwischen CETA-Kritikern und CETA-Befürwortern innerhalb der SPD habe ich in diesem Papier und letztlich auch dem Konvent die gerade beschriebene Klärung über das Europäische Parlament mit einem breiten Diskurs mit den nationalen Parlamenten und der Zivilgesellschaft vorgeschlagen. Ich bin stolz, dass der gestern verabschiedete SPD-Beschluss aufgrund eines Vorschlag aus dem Bezirk Hannover nun genau diesen Weg zeichnet und bedanke mich ausdrücklich bei Bernd Lange und Stephan Weil, mit denen ich diese Änderung erreichen konnte. Jetzt müssen wir beweisen, dass Europa in der Lage ist, neue Wege der Demokratie und Transparenz zu gehen. Ich hoffe sehr, dass wir für diesen Weg viele Mitstreiter in den anderen EU-Mitgliedstaaten finden können. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass Sigmar Gabriel mit der Kanadischen Handelsministerin gestern noch Änderungen im Hinblick auf die Arbeitnehmerrechte für den Ministerrat angekündigt hat, die den DGB-Vorsitzenden Rainer Hoffmann dazu veranlasst haben, auf dem Konvent für die Zustimmung zum nun beschlossenen Antrag zu werben. Ich füge den Antrag, den wir als Bezirk Hannover gestellt haben, dieser persönlichen Erklärung bei, damit jeder erkennen kann, dass wir Hannoveraner eine erhebliche Änderung am Ursprungsantrag des Parteivorstandes erreicht haben. Ebenso erhaltet ihr den vollständigen Beschluss des SPDParteikonvents: 
Herzlich 
Matthias Miersch

Parlamentarische Linke

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