Montag, 11. Dezember 2017

Weshalb heute so oft von Staatsversagen gesprochen wird

Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, spricht über die heute gängige Verwendung des Begriffs „Staatsversagen“ („Das ist typisch deutsch“):
Warum taucht das Wort immer häufiger auf?
Das hat zu tun mit einer in Deutschland sehr verbreiteten besonders großen Erwartungshaltung gegenüber dem Staat, der meine Partikularinteressen möglichst umfassend und zeitnah durchzusetzen hat. Dass der Staat aber eigentlich das Allgemeinwohl und nicht die Einzelinteressen zu behandeln hat, wird dabei übergangen. Das führt dann dazu, dass der Staat schnell als Versager verstanden wird. Dabei funktionieren bei uns, verglichen mit vielen anderen Ländern, die öffentlichen Verwaltungen immer noch gut.
Der Vorwurf des Staatsversagens kommt meist aus der Opposition. Alice Weidel etwa benutzte den Begriff, als bekannt wurde, dass 27.000 ausreisepflichtige Ausländer für deutsche Behörden unauffindbar sind. Die „Altparteien“ seien nicht in der Lage, die „Zivilbevölkerung“ zu schützen, das sei „Staatsversagen“. Hat sie nicht, abgesehen von der dräuenden Rhetorik, auch irgendwie recht damit?
Nein, hat sie nicht. Weil sie von einem instrumentellen Staatsbegriff ausgeht. Außerdem plädiere ich dafür, ihre Behauptung mal kritisch zu prüfen. Ist das denn so? Und wenn es so ist, trifft dann der Begriff „Staatsversagen“ überhaupt zu? Dass wir in Transformationsprozessen kritische Situationen haben, heißt noch lange nicht, dass staatliche Institutionen nicht in der Lage sind, auf lange Sicht die Probleme in den Griff zu bekommen. Gerade wenn aus diesem rechtspopulistischen Kontext agiert wird, wird der Begriff „Staatsversagen“ schnell überdehnt in Richtung Obrigkeitsstaat. Da denkt man unweigerlich an den Nationalsozialismus. Und an die DDR.
Was wollen eigentlich immer alle von einem „Staat“, den sie doch auch gern kritisieren oder lächerlich machen?
Das ist typisch deutsch. Der Staat ist entweder gut oder böse, schwarz oder weiß. Er wird viel zu wenig als Teil eines größeren Projektes wahrgenommen, an dem wir alle beteiligt sind. Als eine Gemeinschaft, in der Interessen ausgehandelt werden müssen, die Kompromisse braucht, die wir als Individuen nicht in der Lage wären zu schließen."

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