Freitag, 19. Januar 2024

Lindner spricht zu Bauern

 "[...] Um sich mit seinem Publikum gemein zu machen, hat Christian Lindner sich vor dem Brandenburger Tor über ein paar Gruppen hergemacht, die mit der Krise der Landwirtschaft nichts zu tun haben, die jedoch unbeliebt sind und in dieser Gesellschaft mehr oder weniger schutzlos dastehen. Da waren die "Klimakleber", die Asylbewerber und die Arbeitslosen sowie die Nichtstuer – ein ganz wichtiges Problem in einem Land mit der höchsten Erwerbsquote seiner Geschichte. Dieses unangenehme Rumtrommeln auf den Schwachen, das war schon mehr als nur bedenklich. 

Es kam jedoch noch etwas Drittes hinzu. Etwas, das man von dem herausragenden Redner Christian Lindner sonst nicht so gewohnt ist. Seine Rede war in ihren Anbiederungspassagen schlichtweg peinlich. Um den Bauern weiszumachen, dass er kein abgehobener Politiker sei, der nichts vom ländlichen Raum und von bäuerlicher Arbeit verstünde, führte er als Erstes an, im Bergischen Land groß geworden zu sein. Ja, dann … Allerdings kann man in diesem völlig zersiedelten und verstädterten Umland von Köln auch sehr gut groß werden, ohne sich vertieft mit der Landwirtschaft zu beschäftigen. Darum führte Lindner als zweiten Beweis seiner Agrophilie an, er sei Jäger, wobei man sich da als besorgter Bürger natürlich fragt, wann genau der Finanzminister und stellvertretende Stellvertreter des Bundeskanzlers eines krisengeschüttelten Landes Zeit zum Jagen hat. Hoffentlich nur ganz, ganz selten.  [...]

Tiefpunkt seiner an Tiefpunkten reichen Rede und darüber hinaus ganz und gar untypisch plump war Lindners Hinweis, er habe auch schon mal einen Pferdestall ausgemistet. Gemeint war offenbar der Pferdestall seiner Frau, einer Reiterin. Der Porschefahrer Lindner will also wirklich mal einen Pferdestall ausgemistet haben – "Schatz, wo sind noch mal die verdammten Gummistiefel?" –, und dabei ist er gleich zu tieferen Erkenntnissen über die Mühsal des Bauerntums gekommen. Was ist da bloß los im sonst so hellen Kopf von Christian Lindner?! 

Einige, vor allem aus dem linken und grünennahen Spektrum der Republik, haben nach dieser Rede beinahe triumphiert. Lindner habe sich, so hieß es, zur Kenntlichkeit entstellt, nun müsse doch endlich jeder sehen, was das für ein Typ ist.  

Ist das wirklich so?  [...]

 Auf dem überbesetzten Feld des Populismus, der Wut, des "Jetzt reicht's", des "Mit mir nicht", des "Das lass ich mir nicht bieten", des "Darauf habe ich einen Anspruch" gibt es für eine Noch-Regierungspartei FDP rein gar nichts zu gewinnen, null Komma null.  

Auch das gute alte Funktionsargument wird in einem koalitionspolitisch derart verworrenen Terrain, wie es bei der nächsten Wahl zu erwarten ist, nicht ziehen. Weil völlig unabsehbar ist, wer mit wem regieren könnte, kann die FDP nicht auf taktische Wähler zählen. Somit ist die Partei einzig und allein auf das Verkaufsargument des guten Regierens zurückgeworfen, das aber weder Christian Lindner noch die FDP (48 Prozent der Mitglieder stimmten eben erst gegen das Weiterregieren) sich selbst wirklich glauben.

So erklärt sich wahrscheinlich seine Angst, so erklärt sich auch seine hochnotpeinliche Rede vor den Bauern. Christian Lindner müsste jetzt alles tun, damit die Ampel doch noch gemeinsam Erfolg hat. Aber dafür müsste er sich ändern, sein Agieren, sein Reden, sein Auftreten, sein Denken. Vielleicht macht ihm das am meisten Angst." (BerndUlrich ZEIT.de 17.1.24)

Keine Kommentare: