Freitag, 5. Januar 2024

euro|topics: Droht Krieg in ganz Nahost? und Was steckt hinter dem Rücktritt der Harvard-Präsidentin?

 

Die sunnitische Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat den Anschlag mit mehr als 80 Toten im iranischen Kerman auf einer Gedenkfeier für Qassem Soleimani für sich reklamiert, der Iran drohte mit Vergeltung. Weil von der schiitischen Hisbollah im Libanon als Reaktion auf die Tötung von Hamas-Führer Saleh al-Aruri vor wenigen Tagen ebenfalls Drohungen kamen, fürchten Kommentatoren nun einen Flächenbrand in der Region.

AVVENIRE (IT)

Vervielfachung der Krisenherde

Wenn immer mehr Akteure im Krieg mitmischen, ist das Schlimmste zu befürchten, warnt Avvenire:

„Selbst wenn sich die dschihadistische Matrix des Attentats im Iran bestätigt, wird deutlich, wie die Gefahr wächst, dass sich die Region in einen immer breiteren Konflikt ohne Regeln mit einer Vervielfachung der Krisenherde und der beteiligten Akteure verwandelt. ... Und dies trotz der alles in allem pragmatischen Linie des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah. … Denn wenn sich das geopolitische Szenario in der Region immer mehr aufheizt, ist ein Abgleiten in das Schlimmste unvermeidlich. ... Zumal die israelische Ultra-Rechte die Gewalt gegen Palästinenser im Westjordanland schürt und offen von ethnischer Säuberung spricht, mit angedeuteten Deportationen.“

Riccardo Redaelli
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AARGAUER ZEITUNG (CH)

Eskalation nicht ausgeschlossen

Die Gemengelage wird immer explosiver, meint auch die Aargauer Zeitung:

„Der radikal-sunnitische IS hatte bereits im vorigen Jahr und 2022 Bombenanschläge im schiitischen Iran verübt. Soleimani befehligte vor zehn Jahren den Feldzug iranischer Truppen gegen den IS im Irak und hatte grossen Anteil an der Vertreibung des IS aus dem Land. ... Der Terror von Kerman ist der neue Höhepunkt einer Eskalationsspirale in Nahost, die mit dem Gaza-Krieg im Oktober begann. ... Doch auch wenn Israel und der Iran kein Interesse an einem neuen Krieg haben, wächst die Gefahr, dass sie wegen der Spannungen um den Gaza-Krieg in einen bewaffneten Konflikt hineinstolpern. Anschläge wie der von Kerman bergen das Risiko weiterer Eskalationen.“

Thomas Seibert
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ADEVĂRUL (RO)

Verlorene Sicherheitsgarantien wiederherstellen

Es liegt im Interesse des Westens, die Region trotz aller Schwierigkeiten in Schach zu halten, meint Politikanalyst Cristian Unteanu in Adevărul:

„Die Erklärung dafür liegt in der enormen Abhängigkeit des superindustrialisierten Westens von den Ressourcen der Länder des Nahen und Mittleren Ostens. Auch sorgt man sich um die Sicherheit des Warenverkehrs. ... Die US-Bündnisse mit den Staaten in der Region, die bisher die quasi-absolute Sicherheitsgarantie waren, sind nach der Niederlage in Afghanistan und dem Scheitern des 'Kriegs gegen den Terror' geschwächt oder sogar in gefährlicher Weise aufgelöst worden. Mehr noch: Nicht nur haben die terroristischen Bewegungen in den verschiedenen Ländern überlebt, sie haben sich sogar zu unabhängigen, nicht-staatlichen militärischen Kräften mit eigener Agenda entwickelt.“

Cristian Unteanu
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CORRIERE DELLA SERA (IT)

Halbherzige Solidarität zwischen Konfessionen

Hamas und Hisbollah sind sich nicht so grün, wie man meinen könnte, erklärt Corriere della Sera:

„Bei der Beerdigung von Scheich Al-Aruri waren gestern in Beirut Dutzende von Hamas-Fahnen zu sehen, einige wenige der rivalisierenden palästinensischen Fraktion Fatah, und keine, nicht einmal eine, von der Hisbollah. ... Es war eine sunnitische Zeremonie in einer sunnitischen Moschee, in einem sunnitischen Viertel. Die Schiiten der Hisbollah, die gleichwohl Al-Aruri in ihrem Viertel der libanesischen Hauptstadt beherbergt hatten, waren nur mit zwei Vertretern anwesend. Dabei hatte der libanesische Schiitenführer Hassan Nasrallah in seiner Rede am Mittwoch laut getönt.“

Andrea Nicastro
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DNEVNIK (SI)

Interesse an einem regionalen Konflikt?

Ohne zu benennen, wer die Drahtzieher sein sollen, vermutet Dnevnik, dass die gesamte Region in einen Krieg hineingezogen werden soll:

„Der Tod von Al-Aruri, bei weitem nicht der wichtigste Hamas-Führer, ist vor allem wegen des Ortes von entscheidender Bedeutung. ... Eine Drohne tötete ihn im Süden Beiruts, wo die Hisbollah ihr Hauptquartier hat. Der Angriff war eine offene Herausforderung an die Hisbollah, in den Krieg einzutreten. ... Als gestern im iranischen Kerman mehr als hundert Menschen getötet wurden, haben sich die Umrisse einer Politik gezeigt, die die sogenannten 'Rebellenkräfte' (Hamas, Hisbollah, Iran und die Huthis) in einen offenen regionalen Konflikt locken will.“

Aleš Gaube
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EL PAÍS (ES)

Bedrohung für den Weltfrieden

Die aktuellen Kriege haben alle das Potenzial, weiträumig zu eskalieren, fürchtet El País:

„Wenn der Krieg [in der Ukraine] nach Russland vordringt, steigert er die nukleare Bedrohung. Im Gazastreifen weitet er sich über die libanesische Grenze aus, mit den Raketen und Drohnen der Hisbollah; im Westjordanland mit den Provokationen extremistischer Siedler; im Libanon mit der gezielten Ermordung von Saleh al-Aruri; an der Küste des Jemen mit den Aktionen der Huthi-Rebellen. ... Und diesen Mittwoch im Iran. ... Washington konzentriert sich bei beiden Kriegen auf ein strategisches Ziel: zu verhindern, dass sie aus dem Ruder laufen, den Weltfrieden bedrohen und seine Truppen in ein Wespennest locken - wie bei so vielen anderen im letzten Jahrhundert. Alle großen Kriege begannen als lokale Fehden.“

Lluís Bassets
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Was steckt hinter dem Rücktritt der Harvard-Präsidentin?

Die Präsidentin der renommierten US-Elite-Universität Harvard, Claudine Gay, ist nach heftiger Kritik zurückgetreten. Ihr wurde vorgeworfen, sich nicht ausreichend von antisemitischen Haltungen distanziert und in Publikationen plagiiert zu haben. Sie hatte in einer Kongressanhörung auf die Frage, ob ein Aufruf zum Völkermord an Juden gegen Uniregeln verstoße, geantwortet, es komme auf den Kontext an.

LE FIGARO (FR)

Gerechte Entscheidung

Kolumnist Eliott Mamane unterstreicht in Le Figaro die ausschlaggebende Bedeutung der Plagiatsvorwürfe:

„Am wichtigsten ist es vor allem zu bemerken, dass Claudine Gay trotz ihrer eindeutigen Unterstützung für zahlreiche antisemitische Aktivisten im akademischen Umfeld (unter pro-Hamas eingestellten Dozenten wie Studierenden) nicht wegen ihrer Unfähigkeit, Aufrufe zum Völkermord an den Juden zu verurteilen, sondern wegen Plagiatsverdachts aus dem Amt gedrängt wurde. Erst neue Vorwürfe, die die Gesamtzahl der Anschuldigungen in diesem Bereich auf fast 50 erhöhten, führten zu ihrem Rücktritt. … Es wäre ungerecht gegenüber den Studierenden, die sich umfangreichen Kontrollen gegen Plagiate unterziehen müssen, wenn man in Bezug auf ihre Präsidentin lax bliebe.“

Eliott Mamane
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SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (DE)

Eine Antisemitin ist sie nicht

Die Süddeutsche Zeitung nimmt Gay gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz:

„Die propalästinensischen Demonstrationen in Harvard waren zum Teil israelfeindlich, antisemitisch, geschichtsvergessen und aggressiv. Gay hat betont, dass Antisemitismus keinen Platz in Harvard habe. Wieder und wieder, energisch und glaubwürdig. Aber wurde bei den Demonstrationen wirklich zum Völkermord aufgerufen? Gay wollte in einem Feld differenzieren, das nur zwei Seiten kennt. Den Vorwurf der unsauber arbeitenden Akademikerin muss sie sich für immer gefallen lassen. Den der Antisemitin nicht.“

Christian Zaschke
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THE GUARDIAN (GB)

Kreuzzug gegen Bildung

Die Empörung über Gay hat nichts mit Plagiatsvorwürfen zu tun, so The Guardian:

„Es hat auch nichts mit Claudine Gay an sich zu tun. Ihr Rücktritt ist lediglich die jüngste Episode im Kampf der Rechten gegen Bildung – ein Projekt, das seit Jahrzehnten immer heftiger und zunehmend von Erfolg gekrönt ist. Republikaner hassen Bildung und sie haben das nicht nur in ihrer Politik gezeigt, sondern auch im öffentlichen Theater kultureller Beschwerden. ... Sowohl die Medien als auch das amerikanische Universitätssystem hatten die Gelegenheit, die Angriffe auf Gay in diesem größeren Kontext des Kreuzzugs der Republikaner gegen Bildung zu verstehen.“

Moira Donegan
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DE VOLKSKRANT (NL)

Antiwoke riecht Blut

Konservative auch außerhalb der USA werden sich die Causa zum Vorbild nehmen, prophezeit De Volkskrant:

„Der Kampf um die 'linke Indoktrinierung' von Universitäten wird auch in den Niederlanden geführt und heftiger werden durch diese gewonnene Schlacht. Antiwoke riecht jetzt Blut. Reaktionäre Meinungsmacher haben gesehen, wie erfolgreich es sein kann, die Waffen von Woke gegen Woke selbst einzusetzen. Empörung und Gekränktheit lohnen sich. Nachdem Krieger für soziale Gerechtigkeit mit einer immer stärker ausgeweiteten Definition von Diskriminierung hantierten - wobei Kritik an schwarzen oder transgeschlechtlichen Menschen schnell gleichgesetzt wurde mit Hass oder noch Schlimmerem - sieht man nun dieselbe Dynamik bei einem Teil der Rechten.“

Haro Kraak
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SVENSKA DAGBLADET (SE)

Zurück zu alten Werten

Svenska Dagbladet hält den Rücktritt für angemessen:

„Natürlich kann Gay nicht die gesamte Verantwortung für die Entwicklung Harvards zugeschrieben werden. Die Heuchelei rund um die Grenzen der freien Meinungsäußerung ist das Ergebnis einseitiger Radikalität, die zur institutionellen Campus-Religion erhoben wird. Gleichzeitig eröffnet der Sturm der Kritik der letzten Monate hoffentlich den Anstoß für eine gewisse Selbstprüfung an den amerikanischen Universitäten. Ein bescheidener Rat wäre, etwas Neues auszuprobieren – oder lieber etwas Altes und Bewährtes.“

Linnea Dubios
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Was steckt hinter dem Rücktritt der Harvard-Präsidentin?
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