Sonntag, 28. Januar 2024

Verwirkung von Grundrechten

 Art. 18 GG

Art 18 

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen

Zum Verfahren:

Wie weit besteht für Regierungsmitglieder und Parlamentarische Staatssekretäre eine Neutralitätspflicht

"Eine gesetzliche Regelung zu einer Neutralitätspflicht für solche Entscheidungsträger gibt es nicht. 

Die Rechtsprechung leitet die Neutralitätspflicht der Staatsorgane aber indirekt aus dem Grundgesetz her. Nach Art. 21 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz ist es Aufgabe der Parteien, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.

Die Rechtsprechung folgert aus dem Vergleich zu Parteien, dass Staatsorgane im politischen Meinungskampf neutral bleiben müssen.

1 Die Äußerungsbefugnis einzelner Minister ist auf ihre Ressortzuständigkeit zu beschränken.

2 Dies gilt auch für Parlamentarische Staatssekretäre, wenn sie den Bundesminister in Regierungsgeschäften nach außen vertreten. Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung muss sachgerechte, objektive und neutrale Information enthalten. Einseitig parteiergreifende Stellungnahmen zugunsten oder zulasten einzelner politischer Parteien muss die Regierung unterlassen."  

https://www.bundestag.de/resource/blob/836404/3048bbf257f14a16a2336af67d37dd72/WD-3-029-21-pdf-data.pdf

zum Kontext:

https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-959652

Diese Interpretation geht auf Art.56 des GG zurück:

Der Bundespräsident leistet bei seinem Amtsantritt vor den versammelten Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates folgenden Eid:

"Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."

Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.


in Verbindung mit Art.64 Absatz 2


(2) Der Bundeskanzler und die Bundesminister leisten bei der Amtsübernahme vor dem Bundestage den in Artikel 56 vorgesehenen Eid.


heißt dass, dass von Regierungsmitgliedern und insofern auch Parlamentarischen Stsstasekretären keine Person oder Partei bevorzugt oder benachteiligt werden darf. 


Dasbedeutet freilich nicht, dass das Staatsorgan Bundesverfassungsgericht keine Partei als verfassungsfeindlich einordnen darf. Sie muss nach dem Gleichbehandlungsgundsatz bei gleichen Sachverhalten alle Parteien gleich behandeln und darf also keine bevorzugen oder benachteiligen. 

Samstag, 27. Januar 2024

Die Ukraine greift russische Ölraffinerien an

 Die Ukraine greift russische Ölraffinerien an FR 27.1.24


Nahostkonflikt 2023/ 2024

Interview mit Claudia Baumgart-Ochse (FR 27./28.1.24)

"[...] Obwohl die völlige Vernichtung der Hamas so unglaubwürdig erscheint, macht die israelische Regierung genau damit Propaganda.

Sicher auch, weil es aufgrund der grauenhaften Erfahrung am 7. Oktober eine sehr hohe Zustimmung zu diesem Krieg gibt. Das zeigen alle Umfragen in der israelischen Bevölkerung. Ob aber auch die Überzeugung da ist, dass es dabei um eine dauerhafte Lösung geht? Im Vordergrund steht sicher, dass so ein Hamas-Überfall nie wieder passieren darf.

Der Krieg in Gaza spaltet die Welt in Unterstützer und Gegner Israels. Was bedeutet dieser Krieg für die internationalen Beziehungen und die globale Ordnung?

Ein sehr interessanter Punkt. Holzschnittartig gesagt, dominiert im Globalen Süden die Lesart: Die Palästinenserinnen und Palästinenser sind ausschließlich Opfer – unterdrückt vom westlich-imperialen Israel, Leidtragende der Besatzung und des Kriegs in Gaza. Während die westliche Seite, vor allem die USA, aber auch Großbritannien und Deutschland, das Selbstverteidigungsrecht Israels betonen und das Land entsprechend unterstützen.

Unterschiedliche Perspektiven auf globale Konflikte gab es doch auch schon vor dem 7. Oktober – siehe Ukraine.

Ja, aber der Gazakrieg ist ein Kristallisationspunkt, der die verschiedenen Sichtweisen noch einmal krasser und emotionaler auflädt. Was sich da in den sozialen Medien austobt, ist ein Wahnsinn. Auf politischer Ebene macht mir das Sorgen, weil ich mich frage, wie man da noch zu einer kooperativen, multilateralen Ordnung zusammenkommen will, um globale Probleme wie Klimawandel, Armut oder Frauenrechte zu bearbeiten. [...]

Was wären die ersten Schritte aus der Aporie?

Man kann die USA kritisieren, weil sie sich zu spät gegen die israelische Kriegsführung gewandt haben. Aber was sie jetzt versuchen, finde ich klug: die arabischen Staaten, die in der Vergangenheit bereits die Annäherung an Israel gesucht haben, ins Boot zu holen und mit ihnen über eine Nachkriegs-Lösung für Gaza nachzudenken. Damit allerdings tatsächlich etwas in Gang kommt, müsste Israel etwas geben – und zwar den Ausblick auf eine wie auch immer geartete palästinensische Staatlichkeit. Die USA und die arabischen Staaten müssten klar machen, dass sie nur unter dieser Bedingung in Gaza Verantwortung übernehmen. Anderenfalls stünden die Israelis mit der desaströsen Lage vor Ort, dem unendlichen Hass, den sie unter Palästinensern geschürt haben, alleine da. Das können sie keinesfalls wollen." (https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/claudia-baumgart-ochse-gaza-krieg-israel-bodenoffensive-angriff-hamas-92798358.html FR27./28.1.24)

Eine Lösung kann es nur durch ein Ende der Besatzung
und der kolonialen Gewalt geben.
Von Norman Paech*

Wäre der Begriff der Zeitenwende nicht schon so abgegriffen und
inhaltslos, könnte man den 7. Oktober 2023 als eine solche bezeichnen –
zumindest für Israel, wenn man unseren Medien glauben soll. Ihre
Berichte über Palästina waren nie durch eine besonders respektvolle
Einschätzung der Palästinenser gekennzeichnet. Aber die Kluft zwischen
der permanenten Zelebrierung des israelischen Schmerzes, der Wut, des
Hasses, der Trauer und der Klagen in den Feuilletons einerseits und der
Verachtung, Verhöhnung, Erniedrigung und Beleidigung der Täter
andererseits war noch nie so vernichtend und endgültig. Das ist nur
möglich, wenn man die lange Geschichte der Gewalt und Verbrechen
zwischen beiden Völkern lediglich auf den 7. Oktober konzentriert, der
wie ein schwarzes Loch die ganze Geschichte des Elends davor und danach
verschlingt. Dann wird auch plötzlich der sonst so tabuisierte Vergleich
mit dem Holocaust wieder erlaubt.

Bekannter Terrorvorwurf

Das Massaker vom 7. Oktober ist in der Tat in seinem Verlauf wie in
seinem Ergebnis ebenso grauenvoll wie völkerrechtswidrig, ein
furchtbares Kriegsverbrechen. Doch kam es nicht überraschend, es war
voraussehbar. Alle Jahre der Besatzung und Blockade waren immer wieder
von Angriffen der israelischen Armee mit Gewalt und zahlreichen Opfern
unter der Zivilbevölkerung begleitet, ob 2021, 2018, 2012, 2008/2009.
Wir können bis zum Jahr 1936 zurückgehen, dem Jahr des letzten großen
Aufstandes der palästinensischen Bevölkerung gegen die fremden Siedler
und ihre mit ihnen verbündeten Mandatsherren, der von diesen gemeinsam
niedergeschlagen wurde. Ob 1948, 1967 oder 1973, das waren die großen
Kriege um das Land und gegen die Besatzung. Seit der Gründung Israels
hat es dort faktisch keinen Frieden gegeben, sondern einen fortdauernd
unfriedlichen Zustand, im Englischen Low-intensity warfare genannt. Die
immer wieder aufkeimenden Hoffnungen auf Frieden mit Namen Madrid, Oslo,
Camp David, Taba oder Annapolis unterbrachen nur kurzzeitig den
Kriegszustand, ohne ihn aufzuheben.
Die Grausamkeit und Gewalt dieser Kämpfe unterschied sich nicht von der
Gewalt aller Befreiungskämpfe in den fünfziger bis siebziger Jahren in
Afrika. Es war die typische Gewalt asymmetrischer Kriege, wie sie die
Kämpfer der FLN in Algerien in ihrer Antwort auf die Frage, warum sie in
die Papierkörbe der Restaurants Bomben legten, die unschuldige Gäste
zerrissen, kurz beschrieben: »Hätten wir die Flugzeuge und Panzer der
Franzosen, würden wir die benutzen, wir haben nur diese Bomben.« Alle
Befreiungsbewegungen vom ANC in Südafrika über die SWAPO in
Südwestafrika und die MPLA in Angola bis zur FLN waren in den Medien der
alten Kolonialmächte Terroristen. Das war die PLO bis 1993 ebenso,
danach war es die Fatah, und jetzt ist es die Hamas. Man hätte daraus
lernen können, dass der Widerstand und die Gewalt nie durch das Militär,
sondern immer nur durch den Rückzug der Okkupanten aus dem Land
verschwunden sind.

Angekündigter Genozid

Die Geschichte nach dem 7. Oktober steht unter dem Schlachtruf, die
Terrorgruppe Hamas zu vernichten. Die schier end- und unterschiedslose
Gewalt, mit der die israelische Armee den Gazastreifen umpflügt, lässt
allerdings den Verdacht aufkommen, dass die politische Führung in
Jerusalem gelernt hat, dass der Sieg über eine militärische Organisation
nicht ausreicht, um den Widerstand in der Zukunft zu brechen. Sie muss
den Widerstand der ganzen Bevölkerung brechen. Israels Premierminister
Netanjahu beruft sich gegenüber US-Präsident Joseph Biden auch auf die
Flächenbombardierungen im Zweiten Weltkrieg und den Einsatz der
Atombombe. Daher der offene Terror, die unbegrenzte Gewalt der Armee,
flankiert durch den Stopp oder die äußerste Beschränkung der Zufuhr
lebenswichtiger Güter.
Die Armeeführung hat vier Ziele ihrer Angriffe ausgegeben: 1. taktische
Ziele, das heißt vorwiegend militärische, 2. Untergrundziele, also die
Tunnel, 3. Power targets, das sind Hochhäuser, Wohnblöcke, öffentliche
Gebäude, Universitäten, 4. Familienhäuser vermuteter Mitglieder der
Hamas. Den Schwerpunkt hat die Armee nach eigenen Angaben auf die Ziele
drei und vier gelegt mit dem Ergebnis, dass 70 Prozent der bislang an
die 20.000 Toten – die unter den Trümmern verschütteten nicht mitgezählt
– Zivilisten sind. Die Todeszahl ist 15mal höher als beim bisher
tödlichsten Gazakrieg 2014. Zwei Drittel der Toten sind Frauen und
Kinder. Über 300 Familien haben mehr als zehn Angehörige verloren. 2014
kamen 93 Babys ums Leben, 2023 nach drei Wochen 286 Babys. Doch die
nackten Zahlen der Toten, Verletzten und Vertriebenen vermögen die
Hölle, in der sie mehr sterben als leben müssen, kaum andeuten.
Das Vorbild der Armee ist offensichtlich die Shock-and-awe-Strategie der
US-Armee bei ihrem Überfall auf Bagdad im Jahr 2003. Nunmehr wird sie
unterstützt durch ein System der künstlichen Intelligenz mit Namen
»Habsora« (Gospel/Evangelium), welches ihr ermöglichte, in den ersten 35
Tagen insgesamt 15.000 Ziele in Gaza zu identifizieren und anzugreifen.
Zum Vergleich: In den 53 Tagen von »Protective Edge« 2014 waren es circa
6.000. Jeder Krieg steigert die technologischen Fähigkeiten und die
Zerstörungskraft, Parameter, bei denen Israel nicht ohne Grund mit an
der Spitze operiert.
Dieser Krieg kann offensichtlich nur noch der Presse und der
Bundesregierung als Verteidigungskrieg verkauft werden. *In der
internationalen Diskussion setzt sich allmählich die Erkenntnis durch,
dass es sich bei ihm um einen Völkermord handelt*. In den USA hatten
sich schon Mitte Oktober 800 Juristen in einer gemeinsamen Erklärung
unter der Aussage zusammengefunden: »Die anhaltenden und bevorstehenden
israelischen Angriffe auf den Gazastreifen werden mit potentiell
völkermörderischer Absicht durchgeführt.« Der Genozidforscher Raz Segal,
einer der Unterzeichner, fügte hinzu: »In der Tat ist Israels
genozidaler Angriff auf Gaza ausdrücklich, offen und schamlos. Israels
Ziel ist es, die Palästinenser in Gaza zu zerstören. Und diejenigen von
uns, die auf der ganzen Welt zuschauen, sind der Verantwortung, Israel
daran zu hindern, nicht gewachsen.«  Also sollten sich jene, die
»zuschauen«, fragen, was sie getan haben, diesen 7. Oktober mit seinen
katastrophalen Folgen zu verhindern.

Falsche Alternativen

Jene, »die zuschauen«, konnten nicht nur, sie wollten offensichtlich
diesen voraussehbaren Krieg auch nicht verhindern. Der Auftrag der UNO,
die beiden Völker in separate souveräne Staaten zu trennen, liegt immer
noch offen auf dem Tisch. Er gilt zwar immer noch als offizieller
Lösungsvorschlag aller Staaten zur Befriedung des Konfliktes, es gibt
jedoch keine Regierung, die sich für ihn einsetzt. Die beiden einzigen
realistischen Alternativen kann man unter die Begriffe »Parkplatz« oder
»Apartheid« fassen.
Der »Parkplatz« ist die aktuelle Strategie der Netanjahu-Regierung, den
Gazastreifen unbewohnbar zu machen und die Bevölkerung zu vertreiben –
wohin auch immer, am besten nach Ägypten. Die Bewohnbarkeit hatte die
UNO dem Gazastreifen schon für 2020 abgesprochen, ohne allerdings das
vorauszusehen, was jetzt geschieht. Die zerstörten Gebäude, die
Infrastruktur und die Produktionsstätten sind zu reparieren. Aber für
wen? Die Gesellschaft ist zerschlagen, eine zweite Nakba. Wer nicht
umgekommen ist, hat alles verloren und trägt wohl nur noch den Schlüssel
seines Hauses mit sich. Zusätzlich zu den Millionen Flüchtlingen mit
ihren Nachkommen fliehen weitere Hunderttausende in die Nachbarstaaten.
Die USA werden diese Katastrophe nicht verhindern und die
Bundesregierung auch nicht. Sie werden allenfalls mahnen, die Grundsätze
der Humanität einzuhalten.
Als Alternative gilt vor allem die sogenannte Einstaatenlösung, bei der
sich beide Völker arrangieren und ein friedliches Miteinander
organisieren. Wie das im einzelnen erfolgen soll, ist ungewiss. Der
vielzitierte Philosoph Omri Boehm spricht von einer Konföderation, in
der auch die Flüchtlinge einen Platz finden sollen. Ob die Palästinenser
die gleichen Rechte haben sollen wie Juden oder nur einen
eingeschränkten Status, wie mitunter vorgeschlagen, steht zur Debatte.
Was meines Erachtens nicht zur Debatte steht, ist die Zukunft eines
solchen Einheitsstaates, wie er faktisch schon jetzt unter Bedingungen
der Apartheid besteht. Die Mitglieder der UNO würden zwar weiter die
Einhaltung der Menschen- und demokratischen Rechte anmahnen, aber
niemand wird in seine Souveränität und internen Angelegenheiten
eingreifen. Die Existenz Israels wäre gesichert, aber die Palästinenser
hätten mit dem Verzicht auf einen eigenen Staat ihre Souveränität
aufgegeben und müssten nun den Kampf um ihre politische, ökonomische und
kulturelle Existenz allein gegen die jüdisch-zionistische Dominanz
ausfechten – kein Szenario des Friedens.
Es bleibt die Trennung in zwei souveräne Staaten, die derzeit zwar
diplomatisch gehandelt wird, aber keine effektive Unterstützung erhält,
die eine Realisierung dieses alten Auftrags der UNO realistisch
erscheinen lässt. Das wohl stärkste Argument gegen diese sogenannte
Zweistaatenlösung lautet, dass der Landraub der Siedlerbewegung faktisch
kein Territorium für einen palästinensischen Staat übriggelassen habe
und diese Entwicklung auch nicht rückgängig gemacht werden könne. Wer
würde es wagen, Juden von ihrem Land zu vertreiben?

/*Nach dem Krieg*/
/
/
Doch gibt es nach wie vor den Vorschlag der PLO, dass alle Siedler, die
in dem neuen Staat bleiben wollen, bleiben können. Einzige Bedingung
sei, die Souveränität des neuen Staates anzuerkennen, wie es für die
Palästinenser in Israel seit langem selbstverständlich ist. Jene aber,
die zu einer Anerkennung nicht bereit seien, müssten das Land verlassen
und nach Israel zurückkehren. Der Vorschlag wurde seinerzeit von der
Siedlerbewegung rundherum abgelehnt.
Dennoch sehe ich keine Alternative, als auf diesen Vorschlag
zurückzukommen, wenn dieser Krieg zu Ende geht. Es genügt nicht, Gaza
wieder aufzubauen, die Vertriebenen neu anzusiedeln. Die ganze
palästinensische Gesellschaft muss von der Last der Besatzung und der
permanenten Gewalt befreit werden. Der 7. Oktober 2023 sollte erwiesen
haben, dass Frieden in dieser Region nur mit der Souveränität und
Gleichberechtigung beider Völker zu erreichen ist.

/Norman Paech ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft und
Öffentliches Recht und saß zwischen 2005 und 2009 für die Partei Die
Linke im Deutschen Bundestag. Der vorliegende Text ist die überarbeitete
Fassung eines Vortrags, den Paech am 9. Dezember im Rahmen des 30.
Friedensratschlags in Kassel hielt./

Schriftsteller Dreyfus – „Israel ist zur Zeit alles andere als geschlossen“ FR 04.12.2023,Von: 


"[...] Wer ging aus dem erfolgreichen Austausch – Geiseln gegen palästinensische Gefangene – gestärkt hervor? Die Hamas oder die israelische Regierung?

Wahrscheinlich beide. Auf beiden Seiten wurde der Austausch wohl als Symbol der Stärke der eigenen Regierung betrachtet. Und ohne die Geiseln mit den Gefangenen vergleichen zu wollen, haben sich Menschen auf beiden Seiten gefreut, dass Freunde und Angehörige freigekommen sind. Sehr viele Palästinenser in israelischen Gefängnissen sind ja keine Verbrecher, Hunderte von ihnen sind in sogenannter Administrativhaft – ihnen wurde gar nicht gesagt, wessen man sie beschuldigt und sie haben auch keinen Richter gesehen.

Israel will nicht über eine weitere Feuerpause verhandeln. Und Militärstrategen warnen, dass die Hamas jede Feuerpause nutzen könnte, um sich neu aufzustellen.

Man braucht kein Militärstratege zu sein, um diese Gefahr zu sehen. Und es gibt auf beiden Seiten Gegner von Feuerpausen, weil die angeblich ein Zeichen von Schwäche sind ... [...]

Doch nach wie vor will Netanjahu die Vernichtung der Hamas „mit voller Kraft verwirklichen“. Glaubt die Bevölkerung das?

Leider. Auch weil die Geschichte von allen Expertinnen und Experten, in allen Medien wiederholt wird. Inzwischen darf man in Israel öffentlich auch nichts anderes mehr sagen. Leute werden festgenommen, weil sie Facebook-Posts gegen den Krieg schreiben. Dabei ist die Zerstörung der Hamas völlig unrealistisch. Dieser Krieg wird irgendwann vorbei sein, aber die Hamas wird er nicht besiegen. Ob sie sich also jetzt oder nach Kriegsende neu aufbaut und ausrüstet, ist letztlich egal. [...]"

Donnerstag, 25. Januar 2024

Wer bedroht die deutsche Demokratie?

 Aus Sicht de AfD ist die Antwort klar: Die "Altparteien" bedrohen die Demokratien, deshalb muss das System bekämpft werden. Und dafür reicht in der gegenwärtigen Situation  unter Umständen schon, wenn die AfD ein Drittel der Stimmen erhält, denn wenn die "Altparteien" sich nicht einigen, kann die AfD funktionsfähige Regierungen verhindern.

Aus Sicht der Mehrheit der Wähler bedroht die AfD die Demokratie, weil der rechte Flügel innerhalb der AfD eindeutig totalitäre Tendenzen hat.

Mit dem Satz des Arbeitgeberpräsidenten Dulger "Die Regierung hat das Vertrauen der Unternehmer verloren" deutet er nämlich an, dass es für eine bundesdeutsche Regierung nicht ausreiche, wenn sie nur das Vertrauen des Parlaments habe. Sie brauche auch das der Unternehmer und habe schleunigst ihren Kurs zu ändern, um deren Vertrauen wieder zu gewinnen.

Orthodoxe Marxisten haben schon lange die These vertreten, im kapitalistischen System sei die jeweilige Regierung nur eine Marionette in der Hand der Kapitalisten. Nun erhalten sie Zustimmung von unerwarteter Seite: Eine Regierung ohne das Vertrauen der Unternehmer ist auf falschem Kurs.

Oder soll man den Satz von Dulger anders verstehen?

Mittwoch, 24. Januar 2024

euro|topics: Fico in der Ukraine: Welche Wirkung für Europa?

Robert Fico trifft sich am heutigen Mittwoch in Uschhorod mit seinem ukrainischen Amtskollegen Denys Schmyhal. Die Beziehung der beiden Nachbarstaaten ist angespannt: Die Bauern der Slowakei klagen über einen Preisverfall durch billiges Getreide aus der Ukraine. Hinzu kommt die Ungewissheit in Kyjiw und Brüssel, wie sich Fico in Bezug auf weitere EU-Kriegshilfen für die Ukraine positionieren wird.

ČESKÝ ROZHLAS (CZ)

Völlig unberechenbar

Man weiß nicht, woran man sich bei Ficos Kurs gegenüber der Ukraine halten soll, beklagt Český rozhlas:

„Im Wahlkampf erklärte er, dass im Falle seines Sieges keine einzige Kugel aus der Slowakei in den Krieg in der Ukraine gehen werde. Aber sobald Fico die Regierung gebildet hatte, sagte er, er werde private Hersteller in der Slowakei nicht daran hindern, Waffen in die Ukraine zu liefern. ... Zuletzt erklärte Fico in Bratislava, dass 'die Ukraine kein unabhängiger souveräner Staat ist, sondern unter dem absoluten Einfluss der USA steht'. Es bleibt abzuwarten, wie sich der slowakische Premier auf dem EU-Februar-Gipfel verhalten wird. ... Da Fico bislang zu Hause anders sprach als er in Brüssel agierte, muss man bei ihm mit allem rechnen. “

Kamila Pešeková
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DENNÍK POSTOJ (SK)

Anschlussfähiger Antiamerikanismus

Denník Postoj stellt fest:

„Fico konnte sich vor dem Treffen mit seinem ukrainischen Kollegen die Bemerkung nicht verkneifen, dass die Ukraine kein unabhängiger souveräner Staat sei. ... Die Erklärung für diese empörenden Aussagen liegen im Antiamerikanismus, der zu Ficos politischem Equipment gehört. ... In europäischen Politiksalons gibt es viele Politiker mit antiamerikanischen Ansichten. Allerdings ist Fico ein Politiker in einem Land, in dem Antiamerikanismus und prorussische Sympathien bei einem relativ großen Teil der Öffentlichkeit Anklang finden. Wetten auf sie garantieren Wählerstimmen, was ihre Attraktivität für die politische Vermarktung vervielfacht.“

Jozef Majchrák
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LIGA.NET (UA)

Mehr Kooperation wäre für beide Seiten gut

liga.net wirbt für Pragmatismus:

„Für Robert Fico ist es sehr wichtig, zu zeigen, dass er die Slowakei besser regieren kann als seine Gegner und Vorgänger. ... Der Osten der Slowakei – die an die Ukraine angrenzenden Regionen, die schlecht entwickelt sind, voller Ressentiment und Frustration – gehört zu Ficos Kernwählerschaft. ... Entscheidungen, die der Grenzregion neue Arbeitsplätze, höhere Löhne und Gehälter oder irgendeine andere Form von Wohlstand bringen, wären aus Sicht der Slowaken sicher begrüßenswert. Selbst wenn sie gemeinsam mit der Ukraine umgesetzt würden. ... Das gilt auch für die ukrainische Seite – besonders, wenn die Umsetzung dieser Agenda mit der Bedingung verknüpft wird, dass die von Fico regierte Slowakei die EU-Annäherung der Ukraine nicht blockieren wird.“

Dmytro Tuschanskyj
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RADIO KOMMERSANT FM (RU)

Good cop, bad cop

Radio Kommersant FM vergleicht Fico und Polens Premier Tusk, der die Ukraine am Montag besucht hatte:

„Die harte Realität sieht so aus, dass die Annäherung Kiews an die EU und die Abschaffung der Zölle auf ukrainische Waren vor allem den Staaten Mittel- und Osteuropas schadet. Einige führende Politiker dieser Länder, insbesondere Ungarns und der Slowakei, sprechen dies offen aus. Die Polen hingegen äußern sich zurückhaltender und betonen die Solidarität mit der kämpfenden Ukraine. Aber das ändert nichts am Kern der Sache - niemand will seine Interessen gefährden. Der neue polnische Premier ist in diesem Sinne der gute Cop: Er verspricht Kiew politische Unterstützung und militärische Zusammenarbeit. Der slowakische Regierungschef Robert Fico ist dagegen der böse Cop.“

Maxim Yusin
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TAGES-ANZEIGER (CH)

Unverlässlicher Partner

Ficos populistische Rhetorik spaltet Europa, beobachtet der Tages-Anzeiger:

„Fico trägt Beschlüsse der EU-Staaten mit, er stellt sich nicht quer wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Aber er setzt einen Ton, der seine Wähler anspricht ... . Fico sagt, er glaube nicht daran, dass die Ukraine russisch besetzte Landesteile zurückgewinnen könne. Das Land werde diese aufgeben müssen. Ohnehin sei die Ukraine nicht souverän, sondern dem Einfluss der USA absolut ausgeliefert. ... Ficos Reden finden auch anderswo in Europa Widerhall ... Robert Fico ist kein Ideologe. Man trifft ihn eher dort an, wo es etwas zu verdienen gibt. Etwa beim Wiederaufbau der Ukraine oder an den Fördertöpfen der EU. Aber verlassen kann man sich auf Fico nicht.“

Viktoria Grossmann
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Fico in der Ukraine: Welche Wirkung für Europa?