Sonntag, 22. März 2020

euro|topics: Fragen, die sich im Zeichen von Corona stellen


Wer muss nun auf wen Rücksicht nehmen?
Der Kampf gegen die Ausbreitung der Corona-Pandemie bringt für alle Menschen erhebliche Einschränkungen und Belastungen mit sich. Politiker und Prominente mahnen gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität an - doch Einige scheinen sich von diesen Rufen nicht angesprochen zu fühlen. So entspinnt sich in den Medien auch eine Debatte darüber, wer in dieser Krise welche Verantwortung hat.
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Senioren und Kranke müssen selber aufpassen

Solidarität müssen jetzt vor allem Ältere und Gefährdete zeigen, ist die Neue Zürcher Zeitung überzeugt:
„Eigentlich ist es offenkundig: Wenn Senioren und Chronischkranke nicht an Covid-19 erkranken und die Spitäler verstopfen sollen, dann ist es in erster Linie ihre Verantwortung, alles vorzukehren, damit sie sich nicht mit dem Virus anstecken. ... Erst in zweiter Linie sind die jungen und gesunden Personen gefordert. Hier geht es um die vielgepriesene Solidarität. Die Hauptverantwortung der Jungen und Gesunden liegt darin, keine vulnerablen Menschen anzustecken. Wenn sie dagegen andere junge und gesunde Personen anstecken, ist das kaum ein Problem – solange die Schutzmauer zwischen Jung und Alt sowie zwischen Gesund und Krank ... funktioniert. Und darum geht es bei den geforderten Verhaltensregeln.“
Alan Niederer
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AZONNALI (HU)

Ältere brauchen Hilfe statt Hetze

Azonnali kritisiert den Shitstorm gegen ältere Menschen, die trotz der Warnungen auf die Straße gehen:
„Statt Fotos zu schießen, wenn ältere Menschen im Bus vorne sitzen, obwohl das verboten ist, könnte man sie einfach informieren, dass man sich jetzt nicht dorthin setzen darf. Wenn man auf dem Markt unterwegs ist, könnte man sie vielleicht fragen, warum sie eigentlich da sind. Oder man könnte eventuell Verständnis haben dafür, dass es ab einem bestimmten Alter nicht so leicht fällt, sein alltägliches Leben aufzugeben. Man kann auch nicht erwarten, dass ältere Menschen immer up-to-date sind und glaubwürdige Quellen konsultieren. Nicht, weil sie blöd sind, sondern weil sie alt sind.“
Àdám Fekö
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LE COURRIER (CH)

Pandemie verschärft die Ungleichheit

Die Corona-Krise trifft die Bedürftigsten am heftigsten, sorgt sich Le Courrier:
„Die Verdammten dieser Erde - Flüchtlinge, Obdachlose, illegale Zuwanderer - sind, weil sie unsichtbar gemacht werden, noch verwundbarer. Berufe, die an der Front am relevantesten sind, werden häufig von Frauen ausgeübt: Verkäuferinnen, Pflegerinnen, Erzieherinnen, Lehrerinnen. Zur sozialen Ungleichheit kommt hier die Geschlechterungleichheit hinzu. … Und dann ist da noch die dritte Ungleichheit: die traditionelle zwischen Nord und Süd. Auch hier lässt sich voraussagen, dass die medizinische Bilanz ungleich ausfallen wird. … Die enormen Summen, die derzeit locker gemacht werden, sollten vorrangig dem Schutz der Schwächsten zukommen. Wie man in den USA sieht, dienen sie jedoch in erster Linie dazu, im Namen der Aufrechterhaltung der Wirtschaft die Interessen der Investoren zu schützen.“
Philippe Bach
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THE SPECTATOR (GB)

Junge Mimosen sind denkbar schlecht gerüstet

Junge Menschen könnten von der Krise mental überfordert sein, meint The Spectator:
„Heute ist es cooler, ein Opfer zu sein, als stolz darauf, seine Werte klar zu leben. Wir werden ermutigt, unsere Wunden zu zeigen, anstatt jene Erfolge zu feiern, die wir dank unserer eigenen Entscheidungen erzielt haben. 'Sensibelchen' sind heute überall zu finden, insbesondere unter jungen Menschen, die auch die kleinsten Probleme als tödlichen Schlag gegen ihr Selbstwertgefühl und jede Unbequemlichkeit als Akt struktureller Unterdrückung interpretieren. ... Werden die Jungen in einer Zeit, in der die Gesellschaft wirklich an einem Strang ziehen muss, wenn wir dringend generationsübergreifenden Mut und Solidarität benötigen, dieser gewaltigen Aufgabe gewachsen sein?“
Brendan O'Neill
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EL ESPECTADOR (CO)

Privilegierte Egoisten verbreiten das Virus

Die Ausbreitung der Pandemie hat viel mit neoliberalem Egoismus zu tun, erklärt Kolumnistin Catalina Ruiz-Navarro in der kolumbianischen Tageszeitung El Espectador:
„Personen aus der oberen Mittel- und Oberschicht sind verantwortungslos nach Lateinamerika gereist, obwohl ihnen klar war, wie gefährlich das Virus für die Verwundbaren ist: für Senioren und Menschen ohne gute Gesundheitsversorgung. Das lässt eine ethische Grundhaltung erkennen, die dem Paradigma des Neoliberalismus entspricht: immer ich zuerst, meine Bequemlichkeit, mein Gewinn, mein Blick auf die Welt. Die neoliberale Ethik ist individualistisch und versteht die Freiheit so, dass jede privilegierte Person machen darf, wozu sie Lust hat, ohne an die anderen zu denken. Es ist eine Ethik, die das Kapital über das Leben stellt.“
Catalina Ruiz-Navarro
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Wer muss nun auf wen Rücksicht nehmen?
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Corona: EZB steckt 870 Milliarden in Anleihen
Um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzuschwächen, will die EZB bis Jahresende weitere Anleihen im Volumen von 750 Milliarden Euro ankaufen. Bereits vergangene Woche hatte sie angekündigt, 120 Milliarden Euro in Anleihekäufe zu stecken. So sollen die Zinsen gedrückt werden, zu denen sich Staaten und Unternehmen verschulden können. Ist das eine angemessene Reaktion auf die Krise?
TAZ, DIE TAGESZEITUNG (DE)

Ein großer Moment für Europa

Viel Lob erhält die EZB von der taz:
„An Geld wird der Kampf gegen den Virus also nicht mehr scheitern. Dies gilt - ganz wichtig - auch für Italien und Griechenland. ... Vor allem Italien geriet in einen Teufelskreis: Kein anderes EU-Land ist von der Corona-Epidemie so schwer getroffen, dennoch wagte die Regierung in Rom es nicht, ihren Haushalt zu erhöhen, weil sie Angst vor steigenden Zinsen hatte. Nur 25 Milliarden Euro wollten die Italiener zusätzlich ausgeben - während Deutschland längst mit Corona-Kosten in 'unbegrenzter' Höhe plant. Italien wäre zu einem Elendsgebiet geworden, wenn die EZB nicht eingegriffen hätte. ... Die EZB hat alles richtig gemacht. Sie hat den ökonomischen Rahmen geschaffen, damit die Politik handeln kann. Dies ist ein großer Moment für Europa.“
Ulrike Herrmann
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DEUTSCHLANDFUNK (DE)

Nicht gleich das ganze Pulver verschießen

Der Deutschlandfunk ist skeptisch und stellt die Frage, ob es wirklich die Europäische Zentralbank ist, die jetzt die entscheidenden Akzente setzen kann:
„Die EZB hätte wachsam die Resonanz auf ihr erstes Paket vor einer Woche beobachten sollen: sie war gleich Null trotz des Versprechens des Anleihekaufs von 120 Milliarden Euro. ... Neben dem Gesundheitswesen und der Wissenschaft sind da vielmehr die Regierungen gefordert, die ja auch bereits an massiven Hilfspaketen basteln. Die entscheidende Frage ist, ob sich die Zentralbanken jetzt nicht selbst das Pulver wegnehmen, welches sie in Zeiten der 'Nachhölle' der Corona-Krise dringend bräuchten. Denn dann drohen wankende Banken, die auf ihren Krediten sitzenbleiben, und möglicherweise eine schwere Finanzkrise. ... Kann die EZB dann noch reagieren? Vielleicht nicht.“
Klemens Kindermann
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IL MANIFESTO (IT)

Kein dauerhafter Kurswechsel

Dass die EZB von ihrem Glauben an den Liberalismus abrücken wird, bezweifelt Il Manifesto:
„Abgesehen davon, dass nicht klar ist, in welche Taschen das Geld schließlich fließen wird, fragt man sich, ob danach der Glaube an die Selbstregulierungsfähigkeit des Marktes, an seine wundertätigen Tugenden und das Dogma der Neutralität der Währung zurückkehrt. ... Sieht dann aber das EZB-Direktorium, das seiner Präsidentin widerspricht und sie zu einem öffentlichen Mea culpa drängt, nicht wie ein armseliger Adept der Homöopathie aus, der einen Arzt beschuldigt, einem Krebspatienten keine starke Dosis Chemotherapie verabreicht und so seinen Tod verursacht zu haben? ... Lagarde hat im Gegensatz zu denen, die ihr Inkompetenz vorwerfen, nur gezeigt, dass sie vollkommen im Einklang mit der Doktrin steht, auf der die Währungsunion beruht. Sie ist die Priesterin des Liberalismus.“
Moni OvadiaFrancesco Magris
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