Mittwoch, 14. Dezember 2022

euro|topics: Was bedeutet der Korruptionsskandal für die EU?

 

Nach der Festnahme von Eva Kaili diskutiert das EU-Parlament am heutigen Dienstag über die Absetzung seiner suspendierten Vizepräsidentin. Kaili soll Geld aus Katar angenommen haben, damit sie Einfluss auf EU-Entscheidungen nimmt; Belgiens Staatsanwaltschaft wirft ihr und weiteren Verdächtigen unter anderem Korruption und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Europas Presse debattiert die Konsequenzen.

LA VANGUARDIA (ES)

Moralische Autorität angeschlagen

Der Ruf des europäischen Gewissens steht auf dem Spiel, warnt La Vanguardia:

„Das Europäische Parlament, das bisher die von den Bürgern am meisten geschätzte EU-Institution war, könnte durch diesen Skandal in großen Misskredit geraten und die übrigen europäischen Institutionen mit sich reißen. Es wird auch die moralische Autorität verlieren, mit der es bisher die Korruption in einigen Mitgliedstaaten kritisiert hat, wie der ungarische Premierminister Viktor Orbán gestern in einem Tweet spottete. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass Katar in den letzten Monaten zu einem strategischen Partner der EU geworden ist, der das LNG verkauft, das wegen der Schließung des russischen Gashahns gebraucht wird.“

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TURUN SANOMAT (FI)

Zum ungünstigsten Zeitpunkt

Die Glaubwürdigkeit der EU ist stark angegriffen, bedauert Turun Sanomat:

„Der Skandal im Parlament kommt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Gerade jetzt wird vom Westen besondere Einigkeit verlangt, damit sichergestellt ist, dass die Front gegen den Einmarsch Russlands in die Ukraine so lange wie nötig hält. Leider haben wir einen Riss bereits gesehen, als Ungarn gegen das Einfrieren der EU-Hilfen protestierte, indem es das Hilfspaket für die Ukraine blockierte, obwohl die Hilfe des Westens für den militärischen Erfolg der Ukraine unverzichtbar ist. Die jetzt aufgedeckten Korruptionsvorwürfe untergraben die Glaubwürdigkeit der EU-Entscheidungsfindung zu einem Zeitpunkt, an dem eine solche Erschütterung am wenigsten gebraucht werden kann.“

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LE MONDE (FR)

Ethik- und Lobbyregeln erneuern

Die EU sollte den Korruptionsskandal produktiv nutzen, fordert Alberto Alemanno, Professor für Europarecht, in Le Monde:

„Das Europäische Parlament muss diesen Integritätsskandal in eine echte Reformanstrengung umwandeln. Anstatt sich wieder einmal darauf zu beschränken, die Partei zu geißeln, die direkt in den aktuellen Skandal verwickelt ist, sollten die führenden EU-Politiker unverzüglich eine umfassende Neugestaltung des Ethik- und Lobbysystems der Union ankündigen. … Der Skandal, der sich hier abspielt, ist jämmerlich. Genau das sollte die EU-Spitze motivieren, die Dinge zu korrigieren. Endlich.“

Alberto Alemanno
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WIENER ZEITUNG (AT)

Es braucht Entschlossenheit, nicht neue Gremien

Die bisherige Reaktion der EU auf die Vorfälle verärgert die Wiener Zeitung:

„Offiziell sind im Brüsseler Transparenz-Register rund 12.000 Lobbyisten eingetragen. Angesichts dieser Rahmenbedingungen mutet der Beitrag von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Problemlösung, nämlich die Forderung nach einem Ethikrat zur Überwachung aller EU-Institutionen, als typische Pflichtübung einer Spitzenpolitikerin an. Der reflexhafte Ruf nach Schaffung eines neuen Gremiums, ohne dass man noch viel über die Hintergründe weiß, ist wenig originell. … Ein neuer EU-Ethikrat wird, so ist zu erwarten, daran herzlich wenig ändern. Ein entschlossenes Vorgehen der Behörden umso mehr.“

Walter Hämmerle
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MAGYAR NEMZET (HU)

EU muss sich den Spiegel vorhalten

Die regierungsnahe Magyar Nemzet wirft der EU Heuchelei vor:

„Die Wege der menschlichen Gier und des Geizes sind augenscheinlich genauso undurchschaubar, wie die Lobbyisten aus Katar aufdringlich sind. ... Die Wege der Heuchelei sind jedoch schnurgerade. ... Korruption gibt es in jedem Land. ... Eine der wichtigsten Fragen ist: in welchem Ausmaß und in welcher Form? Die andere Hauptfrage - insbesondere im Fall der EU-Institutionen - ist, wer einen allgemeinen Korruptionsvorwurf gegen irgendein Land, zum Beispiel gegen Ungarn, als politischen Knüppel schwingt und aus welchem Grund.“

László Szőcs
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Vom hohen Ross absteigen

Das EU-Parlament wäre gut beraten, die Affäre schleunigst aufzuklären, meint die Neue Zürcher Zeitung:

„Tatsächlich geht in Europa wohl niemand sonst so scharf mit den Korrupten und Semi-Autoritären, den Orbans und Kaczynskis dieser Welt ins Gericht wie die einzigen gewählten Volksvertreter der EU. Seit Jahren machen sie sich dafür stark, dass die Gewaltenteilung funktioniert und europäische Mittel nicht in dunklen Kanälen verschwinden. … Dass nun Ungarns Regierungschef das 'Katar-Gate' ausschlachten wird, liegt auf der Hand. … Die Europaabgeordneten wären jetzt gut beraten, schleunigst ihr Haus in Ordnung zu bringen – und vor allem von ihrem hohen Ross abzusteigen. Die schlichte Wahrheit ist, dass sich Geld überall Einfluss erkauft.“

Daniel Steinvorth
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