Donnerstag, 29. September 2022

euro|topics: Wie auf Putins Drohung mit Atomwaffen reagieren?

 

Nach den Scheinreferenden in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden eine baldige Annexion und somit ein neues Drohszenario erwartet: Der Kreml verstünde die Gebiete fortan als russisches Territorium und Versuche der Rückeroberung durch die Ukraine möglicherweise als Angriff auf Russland. Europas Presse fragt sich, wie man mit Putins Drohung umgehen soll, den Einsatz von Atomwaffen nicht auszuschließen.

VISÃO (PT)

Moskau könnte Abschreckung für sich nutzen

Sobald die von Russland besetzten ukrainischen Gebiete annektiert werden, ist der Einsatz von Atomwaffen durchaus möglich, befürchtet der Publizist Luís Delgado in Visão:

„Diese Annexion, die niemand akzeptiert, was den Kreml aber nicht stört, ist der nächste Schritt, um die Tür zum Atomwaffenarsenal zu öffnen. ... Putin glaubt, dass die Abschreckung, auf der das Konzept des Gleichgewichts des Schreckens (MAD) beruht, zu seinen Gunsten funktionieren wird. Wenn er taktische Nuklearwaffen einsetzt, werden die Amerikaner oder die Nato nicht in gleichem Maße Vergeltungsmaßnahmen ergreifen. Aus Angst vor Eskalation.“

Luís Delgado
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TAZ, DIE TAGESZEITUNG (DE)

Russland ist sein Image nicht egal

Was angesichts der Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen zu tun ist, beschreibt die taz:

„Jetzt gilt es, die für ein Bündnis gegen den Einsatz von Atomwaffen zu gewinnen, die von Russland als Partner wahrgenommen werden. Länder wie China, die Türkei, Indien, Kasachstan müssen bewogen werden, ihr Schweigen angesichts eines möglichen Einsatzes von Nuklearwaffen durch Russland zu beenden. Russland ist es nicht egal, was für ein Image es in der Welt hat. Das zeigt die Freilassung von zum Tode verurteilten Kriegsgefangenen und die Gewährung der russischen Staatsbürgerschaft an Edward Snowden.“

Bernhard Clasen
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EL PAÍS (ES)

Neue Regeln künftiger Kriegsführung

El País glaubt, dass der Kreml den Druck noch verschärfen wird:

„Der harmloseste Fall wäre ein Atomtest in der Nähe der Ukraine, zum Beispiel im Schwarzen Meer, als Warnung und ohne Todesopfer. ... Dieser Krieg wird nicht nur über das Schicksal der Ukraine oder die geostrategische Beschaffenheit Europas entscheiden, sondern auch über die Regeln der künftigen Kriegsführung. Wenn es einem auf dem konventionellen Schlachtfeld besiegten Putin gelingt, durch Androhung und sogar unbeantworteten Einsatz der Bombe zu siegen, wird sein Beispiel fortan in einer gesetzlosen Welt Schule machen.“

Lluís Bassets
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LE POINT (FR)

Nein zur atomaren Erpressung

Der Westen darf ob der Drohungen keinesfalls zurückweichen, mahnt Le Point:

„Putins Vorgehen ist mit einem Wort zu beschreiben: Erpressung. Donbas und Krim sind - auch nach einer Annexion - illegal besetzte Gebiete. Zuzulassen, dass Grenzen in Europa unter Androhung von Massenvernichtungswaffen gewaltsam verschoben werden, würde geradewegs in die Katastrophe führen. Denn wenn der Kreml nach der Krim vor acht Jahren nun auch im Donbas sein Ziel erreicht, warum sollte er dann auf halbem Weg stehen bleiben? Der Westen, insbesondere Atommächte wie die USA und Frankreich, müssen Russland klarmachen, dass der Einsatz von Atomwaffen für das Land verheerende Folgen hätte. Wladimir Putin ist weder verrückt noch selbstmordgefährdet.“

Luc de Barochez
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LE MATIN DIMANCHE (CH)

Vor dem dritten Kollaps

Wer sagt, er bluffe nicht, der blufft, schätzt Le Matin Dimanche:

„Putins Aussage ist deshalb so spannend, weil sie auf eine Konstante hinweist: die uralte russische Art, eingeschrieben in der DNA der Gesellschaft, Lügen zu produzieren. ... Man wähnt sich ständig als Opfer, hält sich für stärker, als man ist - man lügt also auf allen Ebenen. Wladimir Wladimirowitsch ist nur das Produkt dieses endlosen Selbstbetrugs, in einem Land mit dem BIP von Italien und einer Armee aus erschöpften Soldaten und veralteten Kanonen. Das Ganze wird so enden wie immer: Jetzt, in ein paar Monaten oder in ein paar Jahren wird es einen dritten Kollaps geben. Russland ist seit 100 Jahren ein einziger Bluff.“

Christophe Passer
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Dienstag, 27. September 2022

 Zwischenbilanz: Verluste Russlands (seit Beginn des Krieges) am 26.9.22 laut Angaben der Ukraine

57.200 Soldaten 260 Flugzeuge 224 Hubschrauber 4857 gepanzerte Kampffahrzeuge 
1369 Artilleriesysteme. 2290 Panzer 
 Die Kosten des Wiederaufbaus der Ukraine werden ein Mehrfaches betragen, wobei die USA die verbündeten Staaten zur Erstattung ihrer Leistungen heranziehen wird. Ein Boom für die Rüstungsindustrie mit der entsprechenden Masse Metallmüll, Bauschutt, zu entfernenden Minen.
Die Aufzählung der Verluste der Ukraine an Menschen (getötet, verwundet, militärisch, zivil) wird nicht so häufig und nicht so präzis benannt. Dafür wird immer wieder über Folteropfer und Vergewaltigungen berichtet.

Montag, 26. September 2022

Habermas: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und Precht/Welzer: Die vierte Gewalt

 Jürgen Habermas: Die neue, erst noch entstehende Öffentlichkeit 

Von Arno Widmann FR 15.09.2022 über

Jürgen Habermas: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik. Suhrkamp, Berlin 2022. 108 S., 18 Euro.

[...] Es ist die überarbeitete Fassung eines großen Artikels in einem Sonderheft der Zeitschrift „Leviathan“ zum Thema „Ein erneuter Strukturwandel der Öffentlichkeit?“. [...]

Es [das Buch] beschränkt sich auf die Rolle, die der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit für die „deliberative Politik“ spielt. Deliberative Politik? „Deliberatio“ heißt Beratschlagung auf Latein. [...] Gemeint ist eine Politik, bei der aus verschiedenen Ansichten, Meinungen in einer öffentlichen Auseinandersetzung ein gemeinsamer Weg gefunden wird. Demokratische Gesellschaften sind darauf angewiesen, dass das nicht nur die Politiker:innen tun. Die Staatsbürger und Staatsbürgerinnen selbst müssen einander so begegnen. Sie müssen einander anerkennen, und sie müssen sich kundig machen, um vernünftige Entscheidungen oder doch wenigstens vernünftige Begründungen für sie entwickeln zu können.

Das Internet hat die größte Öffentlichkeit hergestellt, die es jemals gab. Niemals war es leichter, sich über unterschiedlichste Vorgänge und deren Interpretationen zu informieren. Niemals konnte man mit mehr Menschen kommunizieren. Aber gerade das lässt das Verlangen nach Zugehörigkeit wachsen. Man sucht sich Freunde, bleibt mit denen in einer Blase hängen und verzichtet auf die Kommunikation mit den Vertreter:innen anderer Ansichten. Je stärker diese Tendenz wird, desto schwieriger wird es mit der Demokratie.

An anderer Stelle hat Widmann den Gedankengang von Habermas noch plastischer formuliert:

"Die digitale Revolution hat uns alle zu potentiellen Autoren gemacht, schreibt Habermas. Die sozialen Medien lassen unserer „Plapperlust“ freien Lauf. Sie sind die allen ungefiltert zugängige Öffentlichkeit. Durch sie erst sind die Medien wirklich nichts als Medien. Die Kontrollinstanzen von z. B. Redakteur und Lektor entfallen. Jeder kann jedem twittern. Auch die Politiker sind nicht mehr angewiesen auf „Bild und Glotze“. Sie erreichen ihre Follower direkt. Habermas begrüßt ausdrücklich die so stattfindende „Inklusion“. Es handelt sich zweifelsohne um einen demokratischen Schub. Aber er gefährdet, so dialektisch geht es zu, die Demokratie. Nein, das Wort dialektisch verwendet Habermas nicht. Aber er beschreibt diesen zwiespältigen Vorgang sehr genau. Habermas sieht die Gefahr, dass „sich die Meinungsbildung in den zersplitterten und gleichzeitig von selektiven Standards entlasteten Kommunikationsblasen gegen die rationalisierende Kraft einer diskursiven Vielfalt der Beiträge immunisiert.“

Sieh auch:
Jürgen Habermas: Lernt schnell besser schreiben! 
Sind die digitalen Medien eine Gefahr für die Gesellschaft? In seinem neuen Buch schaut Jürgen Habermas besorgt auf einen neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Eine Rezension von Peter Neumann, ZEIT 22.9.22

"[...] Nicht die [...] immer befürchtete Herrschaft des Allgemeinen, des Austauschbaren, das alles Einzelne unterschiedslos unter sich zu begraben droht, lauert heute noch am Horizont der Gesellschaftstheorie. Im Gegenteil: Inzwischen ist es die Herrschaft des Besonderen und Singulären, die die Aufklärung in ein falsches Freiheitsversprechen zurückfallen lässt. Je fein ziselierter und individueller sich eine Gesellschaft gibt, desto schwerer wird es, über dem mehr oder minder berechtigten Selbstinteresse das Gemeinwohl nicht aus den Augen zu verlieren. An dieser Volte im Spätwerk des 93-Jährigen dürften künftige Nachfolger der Kritischen Theorie noch lange zu knabbern haben. [...]"

Weitere Rezensionen in Kurzfassung bei Perlentaucher

Dasselbe Phänomen des Auseinanderfalles von (in den Qualitätsmedien) veröffentlichter Meinung und der ungefilterten Meinung der vielen anderen beschreiben:

R.D. Precht u. H. Welzer: Die vierte Gewalt, Fischer Verlag 2022

Der erste Satz laut FR (26.9.22, S.20/21): "Deutschland, eines der freiesten Länder der Welt, hat ein Problem mit der gefühlten Meinungsfreiheit." 
Weiter in der FR: "Dass die beiden ernstzunehmenden und um Empirie bemühten Intellektuellen dieser Aussage die Zahlen einer Umfrage folgen lassen, ehrt sie. Nur, sie müssten wissen, dass ihre These, die sie öffentlichkeitswirksam vertreten, zu solchen Umfrageergebnissen beitragen kann, die dann diese These wiederum belegen sollen." 
Dass die Autoren auf diese Umfrage hinweisen, nimmt der FR-Autor Benninghoff ihnen freilich übel und schreibt deshalb weiter: "Ein Zirkelschluss, der das ganze Elend populistischer Meinungsdebatten auf den Punkt bringt."
Dass einem Autor der Qualitätsmedien die Kritik der Autoren nicht gefällt und er sie seinerseits kritisiert, kann man ihm nicht übelnehmen. Nur dass der Hinweis auf einen Sachverhalt ein unzulässiger Zirkelschluss sein sollte, will mir nicht recht einleuchten.
Zumal deshalb nicht, weil sie dazu beitragen wollen, den Sachverhalt zu beseitigen, nämlich, dass Meinungsfreiheit als bedroht gefühlt wird.

weitere Rezensionen: NDR FAZ
Interview mit den Autoren: ZEIT

Ich habe meinerseits festgestellt, dass ich die Artikel der Wochenzeitung "Der Freitag" erfrischend finde, auch wenn sie m.E. des öfteren daneben liegen, einfach deshalb, weil da abweichende Meinungen intelligent vertreten werden. 
Allerdings kommt etwas Entscheidendes hinzu: Es wird immer wieder auf Sachverhalte hingewiesen, die mir in anderen Qualitätsmedien entgangen sind. Das passiert mir so oft sonst nur in ausländischen Presseerzeugnissen. 

Dass die Überlegungen von Habermas, Precht und Welzer nicht ganz neu sind, zeigt der folgende Abschnitt aus einem Artikel von vor über 7 Jahren:

"[...] Der gesamte Mechanismus der Weltaneignung und Wirklichkeitskonstruktion, den Disintermediation ermöglicht, ist also zwiespältig: Er kann uns befreien, weil auf einmal für jeden sichtbar die Diktatur der Mono-Perspektive zerbröselt. Und er kann uns in eine neue Verbiesterung und ideologische Verhärtung hineinlocken, weil sich nun der Einzelne – ohne offizielles Korrektiv, ohne die Irritation durch einen allgemein anerkannten Glaubwürdigkeitsfilter – seine Weltsicht zusammenbasteln und in seine höchstpersönliche Wirklichkeitsblase hineingoogeln kann.
[...] Worauf es insgesamt ankommt, ebendies meint Disintermediation bei gleichzeitiger Hyperintermediation*: Es entstehen, parallel zur publizistischen Selbstermächtigung des Einzelnen, Nachrichten- und Weltbildmaschinen eigener Art, globale Monopole der Wirklichkeitskonstruktion, die längst mächtiger sind als die klassischen Nachrichtenmacher. [...] Diese Gesellschaft braucht also, will sie nicht ihre liberal-aufklärerische Tradition verlassen, Denkräume und Wertedebatten, um die Frage nach der publizistischen Verantwortung in der öffentlichen Sphäre neu zu stellen, sie überhaupt erst zu behandeln. [...] Die neuen Player in der Erregungsarena der Gegenwart sind längst mitten unter uns, und es wäre fatal, die Frage nach der publizistischen Verantwortung aller weiterhin zu ignorieren. [...]" (Pöbeleien im Netz ersticken Debatten. Wir brauchen endlich Regeln! Ein Appell von Bernhard Pörksen, Die ZEIT 25.6.2015
*It's the proliferation—not elimination—of intermediaries that has made blogging so widespread.  The right term here is “hyperintermediation,” not “disintermediation.”(Intermediaries online are more powerful, and more subtle, than ever before.)

Meinen (Fontanefans) Kommentar zu Pörskens Artikel habe ich damals so formuliert:
"Dass man sich "in seine höchstpersönliche Wirklichkeitsblase hineingoogeln kann" sehe ich als gesellschaftliche Gefahr, wenn es keine Konkurrenz von anspruchsvollen Redaktionen mehr gibt. (Deshalb sehe ich auch im Monopol der Wikipedia eine Gefahr, ohne das hier weiter zu begründen.)
Freilich, da ich in der Ukrainekrise [das bezog sich auf die von 2014] wie der griechischen Finanzkrise weitgehend eine unkritische Übernahme der EU-Perspektive durch die Medien beobachtet habe, befürchte ich, dass auch die traditionellen Medien - aufgrund welcher Mechanismen auch immer - keine zureichende Meinungsvielfalt mehr generieren können." 

Sonntag, 25. September 2022

Katars Außenpolitik

Katars Außenpolitik (Wikipedia)

"[...] Die Taliban aus Afghanistan haben am 3. Januar 2012 die Absicht bekundet, in Katar ein Büro einzurichten.[56] Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete im Oktober 2012, dass sowohl die islamistische Hamas als auch die Taliban eigene diplomatische Vertretungen in Katar haben und das Land selbst ein diplomatisches Vertretungsbüro in Gaza unterhält.[57] In diesem Jahr stieg Katar an die Spitze der finanziellen Unterstützer des Gazastreifens auf, noch vor den USA und der Europäischen Union. Mit einer halben Milliarde US-Dollar sollen die Verkehrsinfrastruktur ausgebaut und eine ganze Stadt errichtet werden. Katar finanziert außerdem Rebellen in anderen Mittelmeerländern, etwa in Syrien und früher in Libyen.[57][...]"

Katar: Die kleine Weltmacht Die ZEIT 21.9.22:

"Früher gab es hier nur Armut und Wüste. Heute ist Katar reich an Geld und politischem Einfluss. Jetzt findet in dem Land sogar die Fußball-WM statt. Die Geschichte eines Aufstiegs [...]

Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Ägypten, die über die katarischen Alleingänge schon länger verärgert waren, verhängten im Juni 2017 eine Blockade. Dreieinhalb Jahre wurde der Waren- und Personenverkehr ins Land eingestellt. Katar importierte daraufhin Nahrungsmittel aus dem Iran und der Türkei. Flugzeuge brachten sogar Kühe ins Land. So überstand es die größte Krise seiner Geschichte. 
Die Politik der gleichzeitigen Annäherung an alle Seiten betreibt Katar trotzdem weiter. 
[zu beachten: nicht Neutralität, sondern "gleichzeitige Annäherung" auch an Terroristen]

Shlomo Shpiro Professor für Sicherheitsstudien an der Bar-Elan-Universität nahe Tel Aviv, ist hierher gekommen, um über ein interessantes Detail katarischer Außenpolitik zu sprechen. Seit 2012 sagt Shpiro [...] habe Katar hunderte Millionen Dollar in das Palästinensergebiet gepumpt. Katar hat damit, zumindest indirekt, Raketenangriffe von Hamas auf Israel finanziert.

Dann sagt Shpiro etwas, das unglaublich klingt: Die Zahlungen finden im Einvernehmen mit der israelischen Regierung statt.

Der Grund: die katastrophale wirtschaftliche Lage im Gazastreifen. "Dieses Geld schafft ein gesichertes Einkommen für einen großen Teil der Bevölkerung", so Shpiro.

Die diskrete Abmachung zwischen zwei Staaten die keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, bestätigen auch andere Insider. Ihnen zufolge sind die Zahlungen aus Doha in Israels Interesse, denn sie sorgen weitgehend für Ruhe im Gazastreifen. Israel sagt, wann wie viel Geld nach Gaza gelangen darf, Katar zahlt. Es ist ein Deal, der Katar gleich doppelt hilft. Den Israelis und der internationalen Staatengemeinschaft präsentiert sich das Land als verlässlicher Partner in einem nicht endenden Konflikt. Den Palästinensern als Helfer in der Not. [...]"


Mittwoch, 21. September 2022

euro|topics: Krieg in der Ukraine: Putin verfügt Teilmobilmachung


Russlands Präsident Wladimir Putin hat in einer Fernsehansprache die Teilmobilmachung der Streitkräfte ab heute angekündigt. Rund 300.000 Reservisten sollen stufenweise eingezogen werden. Es gehe darum, russisches Gebiet zu verteidigen. Zudem hat er die Abhaltung von Referenden über den Beitritt der besetzten ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja zu Russland befürwortet. Kommentatoren zeigen sich äußerst besorgt.

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (DE)

Neues Dilemma droht

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung befürchtet eine neue Eskalationsstufe:

„Über den Ausgang der 'Abstimmungen' sollte man sich keine Illusionen machen. Die entscheidende Frage wird sein, wie Kiew und seine Partner reagieren. Bisher hat man im Westen, vor allem in Washington, alles darangesetzt, die Ukrainer von Angriffen auf russisches Staatsgebiet abzuhalten. Das war ein zentrales Kriterium bei den Waffenlieferungen ... . Mit einer Grenzverschiebung stellt Putin den Westen vor eine schwierige Wahl: Bleibt man bei der bisherigen Politik, dann liefe das auf eine Hinnahme seiner Gebietsgewinne hinaus ... . Gibt man sie auf, dann wäre eine Eskalationsstufe erreicht, die nicht nur die Bundes­regierung zu vermeiden hoffte.“

Nikolas Busse
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LA STAMPA (IT)

Atomwaffeneinsatz wird wahrscheinlicher

La Stampa warnt:

„Putin hat nicht die Absicht, sich an den Tisch zu setzen und, wenn schon keinen Frieden, so doch wenigstens einen Waffenstillstand auszuhandeln. Stattdessen eskaliert er, militärisch und politisch. Die Annexion ist dabei ein entscheidender Faktor. Erstens appelliert Putin an die nationalen und slawophilen Gefühle sowohl der großen Mehrheit der Russen als auch der Bewohner der Kriegsgebiete, in den besetzten Gebieten und in Russland. ... Zweitens wird durch die rasche Eingliederung des Donbas in das 'heilige' Russland jedes militärische Mittel, ob konventionell oder nicht, zur Verteidigung seiner neu geschaffenen territorialen Integrität zulässig. ... Der Einsatz von Nuklearwaffen war immer impliziert.“

Stefano Stefanini
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SRF (CH)

Eskalation aus Verzweiflung

Der SRF befürchtet unkalkulierbare Folgen für beide Seiten:

„Dieser Trick ist eine Verzweiflungstat, weil den Russen und Putin die Optionen ausgehen. ... Für Russland ist die Ankündigung der Referenden ... eine ungeheure, fast fatale Entscheidung. Wenn Putin tatsächlich so weit gehen sollte, die Gebiete als russisches Territorium zu bezeichnen, würde dies international nicht anerkannt. Ein solcher Schritt würde Russland über Jahre in die Tiefe ziehen, die Beziehungen zum Westen wirtschaftlich schwer schädigen und das Land militärisch aufzehren.“

David Nauer
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JUTARNJI LIST (HR)

Vorwand für allgemeine Mobilmachung

Jutarnji list mutmaßt:

„Warum möchte man jetzt so bald wie möglich den Anschluss der Gebiete erklären? Erstens ist die Situation vor Ort nicht wie erhofft und zweitens, vielleicht noch wichtiger, könnten Gefechte in diesen Gebieten anschließend als 'direkter ukrainischer Angriff auf russisches Gebiet' bezeichnet werden. Vielleicht ist das eine Voraussetzung dafür, dass Putin wegen der 'Bedrohung russischer Gebiete und Bevölkerung' die allgemeine Mobilmachung verkündet. Man muss bedenken, dass Russland noch vor dem Krieg den Bewohnern in den besetzten Gebieten die russische Staatsbürgerschaft erteilt hat und [aktuell] eilig russische Pässe verteilt werden.“

Vlado Vurušić
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NOWAJA GASETA EWROPA (RU)

Nichts als Fake

Die Juristin Jelena Lukjanowa bewertet in Nowaja Gaseta Ewropa die Referenden als rechtlich unhaltbar:

„Kann man ein Referendum drei Tage nach seiner Ankündigung ansetzen und dann drei Tage lang abstimmen lassen? Welchen Status haben die ukrainischen Truppen während der Durchführung eines Referendums auf den von ihnen kontrollierten Gebieten - den von 'ausländischen Beobachtern'? ... Das Hauptprinzip ist doch: Referenden werden nie und nirgendwo unter Kriegsrechtsbedingungen abgehalten, wie sie in den Pseudo-Staatsgebilden gelten. Deshalb ist alles, was diese Referenden betrifft, a priori und allgemein bekannt nichts als ein Fake. Außerdem: Das Ziel von Referenden ist, etwas zu legitimieren. Doch mit Fakes kann man nichts legitimieren.“

Elena Lukyanova