Donnerstag, 11. November 2021

euro|topics: Polen-Belarus: Was steckt hinter der Migrationskrise?

  



Laut polnischen Medien haben am Dienstag zwei größere Gruppen von Migranten trotz massiver Militär- und Polizeipräsenz die belarusisch-polnische Grenze durchbrochen. Die meisten wurden nach Belarus zurückgebracht. Hilfe anderer Staaten oder der EU lehnt Polen weiterhin ab. Ein Blick in Europas Presse macht deutlich, dass die Krise weit über eine bilaterale Angelegenheit hinausgeht.

THE GUARDIAN (GB)

Warschau heizt die Krise an

Nicht nur Belarus trägt Schuld an der Eskalation, betont The Guardian:

„Polen behandelt die Ankunft dieser verzweifelten Menschen nicht als humanitäre Krise, sondern als Invasion. Es hat einen Ausnahmezustand an der Grenze ausgerufen, dort Tausende Soldaten stationiert und das Gesetz geändert, um Massenabschiebungen zu ermöglichen und Asylanträge zu ignorieren. Es plant eine Mauer im Stile Trumps. EU-Beobachter, Helfer und Journalisten wird der Zutritt in die 3-km-Zone verweigert. Während sich Litauen und Lettland bei Grenzübertritten aus Belarus zuvor von der EU helfen ließen, lehnt Polen solche Angebote ab. Verwickelt in einen Rechtsstaatlichkeitskonflikt mit Brüssel, nutzt Warschau die Migranten, um politisches Kapital aus ihnen zu schlagen und eine EU- und migrantenfeindliche Stimmung zu schüren.“

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DIE WELT (DE)

Die EU sollte dankbar sein

Polen handelt richtig und Brüssel sollte das anerkennen, findet Die Welt:

„Hat die EU nichts gelernt? Als 2015 Wladimir Putin Syrien bombardierte und der türkische Präsident Recep Erdogan (und Griechenlands Premier Alexis Tsipras) die syrischen Flüchtlinge einfach weiterschickten, ließ die EU unter Führung von Angela Merkel die Dinge laufen. Der Sog wurde so stark, dass der deutsche Staat die Kontrolle verlor - und in der Folge die anti-europäischen Kräfte in ganz Europa erstarkten und Großbritannien die EU verließ. Nun hat Polen die Verteidigung seiner Ostgrenze in die eigene Hand genommen. Wäre es etwa humaner, nichts zu tun - und weiter Menschen zu Figuren im perfiden Spiel eines Diktators werden zu lassen? Die EU sollte verstehen, dass Polen ihr einen Gefallen tut.“

Klaus Geiger
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PRAVDA (SK)

Zäune bleiben inakzeptabel

Europäische Doppelstandards kritisiert Pravda:

„Als Viktor Orbán vor einigen Jahren einen Zaun an der ungarisch-serbischen Grenze baute, gab es keinen Politiker in der EU, der sich nicht aufregte. Der jetzige Zaun wird hingegen als Zeichen der Demokratie und Stabilität gepriesen. Wie kann das sein? ... Ja, wir müssen uns eines gezielten Angriffs erwehren. Dennoch ist der Zaun an der Grenze Polen-Belarus inakzeptabel. ... Haben wir das Recht, Flüchtlinge nur deshalb abzulehnen, weil ihr 'Transport' vom letzten europäischen Diktator organisiert wird? Wie unterscheidet sich das moralisch von den oft brutalen, organisierten kriminellen Banden, die den 'Transport' an der Südgrenze der EU organisieren?“

Igor Daniš
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DE VOLKSKRANT (NL)

Fehlende Migrationspolitik rächt sich

Um weniger anfällig für geopolitische Machtspiele Dritter zu werden, muss Brüssel endlich die Initiative ergreifen, fordert De Volkskrant:

„Die EU hat sich selbst erpressbar gemacht. Wenn es um Asylpolitik geht, hat jede Regierung Angst vor einer Abstrafung durch die Wähler, und daher hat sich in den vergangenen Jahren niemand stark gemacht für eine humane und funktionierende Migrationspolitik - das kann Lukaschenka nun gut ausbeuten. ... Migranten werden so lange gegen die Mauern des Forts Europa schlagen, bis sichere und legale Routen für sie geschaffen werden. Damit werden sicher nicht alle Probleme gelöst, aber solange die EU nicht die Regie übernimmt, wird es diese humanitären Dramen geben und bleibt die EU anfällig für verwerfliche geopolitische Spielchen von Figuren wie Lukaschenka.“

Sacha Kester
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AVVENIRE (IT)

Europa ist nicht erpressbar

Moskau nutzt die chaotische Situation vor allem innenpolitisch, kommentiert Avvenire:

„Der Kreml nimmt die Notlage zum Anlass, um die katastrophalen Ergebnisse der westlichen Politik aufzuzeigen, die auf den Kriterien der 'humanitären Einmischung' und des 'Exports von Demokratie' beruht und sowohl in Afghanistan als auch im Irak willkürlich und ungeschickt praktiziert wurde. … Sowohl Lukaschenka als auch Putin wissen jedoch sehr genau, dass sich die EU nicht erpressen lassen und die Sanktionen gegen Belarus daher nicht lockern wird, die nach den manipulierten Wahlen im Jahr 2020 und der Entführung des Fluges Athen-Vilnius zur Verhaftung des Oppositionellen Protasewitsch beschlossen wurden.“

Fulvio Scaglione
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NESAWISSIMAJA GASETA (RU)

Moskau als Bündnispartner mitverantwortlich

"Mitgegangen, mitgefangen", heißt es für Russland, konstatiert Nesawissimaja Gaseta:

„Litauen und Polen sind der Meinung, dass die Ballung illegaler Migranten an ihren Grenzen künstlich ist und beschuldigen deshalb die belarusische Führung. Zeitgleich unterzeichnet Russland mit Belarus 28 Integrationsprogramme, eine gemeinsame Militärdoktrin und ein Konzept einer einheitlichen Migrationspolitik. Letzteres ist besonders bemerkenswert und öffnet verschiedene Perspektiven: Moskau könnte zum Beispiel Lukaschenka zur Ordnung rufen und die absolut unnötigen Zwischenfälle an der Grenze zu den EU-Staaten hören auf. Oder umgekehrt, Moskau muss ein ums andere Mal seinen Verbündeten decken, was bedeutet, mit ihm gemeinsame Verantwortung zu tragen - oder sogar für dessen Schritte geradestehen zu müssen.“

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