[...] der moderne Staat blieb in den Augen der einheimischen Bevölkerung ein Werk der Kolonialherren, denen gegenüber man keine Verpflichtung spürte und deren Eigentum man nach Kräften schädigte. Nur die neuen postkolonialen Staatseliten identifizierten sich im eigenen Interesse mit ihrer Nation, die meisten Afrikaner hingegen solidarisierten sich stärker denn je mit ihrer wie auch immer umschriebenen Ethnie. Diese Stärkung des ethnischen Bewusstseins und seine Steigerung zum Rassismus bis hin zum Völkermord ist die schwerste Erblast des Kolonialismus. [...]
Zugleich zeigt das Beispiel Asien, dass die Kolonialherrschaft bei allen Schrecken auch Freiräume eröffnete. Sie brachte eben nicht nur Unterdrückung, sondern auch Befreiung von den Fesseln der Tradition. Neue wirtschaftliche Chancen wurden genutzt, Frauen fanden neue Rollen, neues religiöses Leben blühte auf, weltweite Kontakte und globale Mobilität wurden möglich, und ein kritisches, auch im Westen einflussreiches postkoloniales Denken entstand.
In diesem Zuge haben sich manche Länder nicht nur Importartikel wie das westliche Staatskonzept angeeignet, sondern auch die englische Sprache. Unsere Weltkultur ist demnach zwar europäischen Ursprungs, aber längst nicht mehr europäischen Charakters. Die europäische Unterwerfung der Welt ist nur noch eine historische Feststellung. Damit sind die Historiker neu gefordert. Auch nach seiner Aneignung muss das problematische europäische Erbe reflexiv bewältigt werden. [...]"
Mehr dazu in Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt - Globalgeschichte der europäischen Expansion 1015-2015, 2016
Aus der Einleitung:
Aus der Einleitung:
"Europa ist immer noch expansiv, obwohl seine weltgeschichtliche Führungsrolle längst der Vergangenheit angehört. 2013 umfasste die Europäische Union 28 Mitglieder. Ein Ende ihrer Expansion ist nicht abzusehen, wobei die Herausforderung Russlands 2014 ohne Bedenken in Kauf genommen wurde. Aber Europa wächst kaum mehr mit Einsatz militärischer Gewalt wie einst, sondern kraft seiner wirtschaftlichen Attraktivität, also nicht durch seine eher marginale hard power, sondern durch seine soft power. Denn nicht mehr die Verbreitung des wahren Glaubens oder die nationale Größe im agonalen Plural ist wie einst das Leitmotiv der Europäer, sondern grenzenloses Wirtschaftswachstum."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen