Mittwoch, 12. Juni 2024

Ist die Zeit für Kompromisse vorbei?

 "[...] Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte das Fernbleiben der beiden Parteien [AfD u. BSW]. Dieses Verhalten sei eine "Respektlosigkeit", sagte ein Regierungssprecher dem ARD-Hauptstadtstudio. Scholz sei darüber "sehr verstört, aber nicht überrascht". Auch CDU-Chef Friedrich Merz kritisierte die Politiker. Er sei einigermaßen entsetzt, sagte Merz. "Man kann ja über die Hilfe für die Ukraine unterschiedlicher Meinung sein", sagte er. "Aber dass man als Abgeordneter im Deutschen Bundestag dem Staatspräsidenten dieses vom Krieg bedrohten Landes den Respekt versagt, ist ein wirklicher Tiefpunkt in der Kultur unseres Parlaments."

https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-06/ukraine-krieg-afd-bsw-wolodymyr-selenskyj-rede-bundestag-unterstuetzung (ZEIT online 11.6.24)

Aus meiner Sicht hat Selenskyj jedes Recht in der äußerst prekären Kriegssituation, um sein Land zusammenzuhalten, nach außen hin an dem Ziel eines Sieges über Russland festzuhalten. 

Wenn aber in der gegenwärtigen Situation die Bundestagsabgeordneten ihm - wie ich höre -  auf diese Rede hin eine stehende Ovation bereiten, so ist dies aus meiner Sicht "ein wirklicher Tiefpunkt in der Kultur unseres Parlaments". An einem Ziel festzuhalten, zu dem es keinen irgendwie realistischen Weg gibt, ist heroisch. Es geziemt jemandem, der in einer verzweifelten Lage ist. Man kann auch zu ihm stehen, gerade weil er das Unmögliche will.

Aber wissentlich einem Plan, der für seine Verwirklichung Hunderttausende von Menschenleben kosten wird (ohne dass - wie im Zweiten Weltkrieg der Plan der Alliierten - eine realistische Verwirklichungs-Chance besteht), zu applaudieren, das scheint mir eine Nichtachtung der Menschenwürde der Opfer die dieser Plan kosten wird. Zu einer solchen Haltung hat sich Wolfgang Borchert sehr deutlich geäußert: "Sag NEIN!"

Mit seiner Äußerung hat Olav Scholz die Glaubwürdigkeit seines Zögerns bei der Waffenhilfe zerstört.

Europäische Stimmen bieten eine Erklärung für die fragwürdige Unterstützung des unrealistischen Zieles:

EU-Wahl: Wackelt die Unterstützung für Kyjiw? (euro|topics 12. Juni 2024) 

Dramatische Schwächung im Zentrum

Das Ergebnis ist keine gute Nachricht für Kyjiw, fürchtet The Spectator:

„Die Europawahl mag belanglos erscheinen, da das EU-Parlament und die künftige Kommission in den Händen derselben zentristischen paneuropäischen Koalition bleiben. ... Aber das ist ein Trugschluss. Hinter der scheinbaren Stabilität in der Summe verbirgt sich eine Menge politischer Umwälzungen auf nationaler Ebene, nicht zuletzt eine dramatische Schwächung der beiden wichtigsten Motoren europäischer Politikgestaltung: Berlin und Paris. Den Europäern, und insbesondere den Ukrainern, könnten die Folgen missfallen.“

Moskau freut sich über Erfolg der Rechtsextremen

Das Wahlergebnis ist ein gefundenes Fressen für russische Propaganda, beobachtet Corriere della Sera:

„Die pro-ukrainische Mehrheit hat sich zwar im Wesentlichen gehalten, aber der Vormarsch der extremen Rechten hat in Russland einen Zustand der Euphorie ausgelöst. … Der erste, der sein Glas erhob, war Marat Baschirow, selbsternannter Premier der Volksrepublik Lugansk. … Die Wahlen seien der Beweis dafür, dass die Menschen in Europa nicht gegen Russland kämpfen wollen. Die Niederlagen von Macron und Scholz, so [Russlands Ex-Premier] Dmitri Medwedew, seien 'ein Spiegelbild ihrer untauglichen Politik der Unterstützung der ukrainischen Regierung'.“

Bitte keinen Alarmismus!

Nicht nur von Rechtsaußen droht die Unterstützung zu wackeln, merkt Berlingske an:

„Wenn sie die Hilfe für die Ukraine kürzen wollen, müssen wir wachsam sein und uns auch daran erinnern, dass der populistische Pazifismus ebenso die Linke im Griff hat. Schauen Sie sich nur Olaf Scholz an, der sich im Wahlkampf als 'Friedenskanzler' vermarktet hat. Umgekehrt ist nicht jeder auf der rechten Seite von Putins Anliegen überzeugt – insbesondere die Italienerin Giorgia Meloni hat sich als wichtige Unterstützerin der Ukraine erwiesen. Daher darf die Reaktion auf die Wahl zum EU-Parlament nicht aus reinem Alarmismus bestehen. Der EU-Gipfel muss die Ergebnisse richtig interpretieren und auch lernen, auf die Populisten zu hören.“

Gerechtfertigt ist sie meiner Meinung nach dadurch nicht. (Fonty)

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