Samstag, 19. Juni 2021

euro|topics: Bidens Besuch: Europa zieht Bilanz

 

Das Treffen mit Putin am Mittwoch in Genf war US-Präsident Bidens letzte Station auf der Europareise, die mit EU-, G7- und Natogipfel sowie diversen bilateralen Gesprächen einem regelrechten Marathon glich. Deutlich wurde, dass die USA nach der Trump-Ära wieder eine stärkere Kooperation mit Europa anstreben, vor allem im Hinblick auf China. Europas Presse diskutiert die Tragweite dieser Bestrebungen.

PÚBLICO (PT)

Zwei hervorragende Nachrichten

Público ist vollen Lobes für Biden:

„Die Vereinigten Staaten haben aufgehört, die Europäische Union als rivalisierenden Block und die Nato als ein durch Misstrauen und Konkurrenz zum Scheitern verurteiltes Bündnis zu betrachten; und gleichzeitig profilieren sich die Vereinigten Staaten erneut mit dem Hauptfokus der Eindämmung und Bekämpfung der autoritären Strömungen, die weltweit unter der Inspiration Chinas oder Russlands wachsen. Das scheint nicht viel zu sein, aber die Rückkehr der Vereinigten Staaten zur Normalität und die Berechenbarkeit ihrer Rolle, wie während des Kalten Krieges, sind ausgezeichnete Nachrichten für Demokratien und insbesondere für den europäischen Block.“

Manuel Carvalho
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HANDELSBLATT (DE)

Von transatlantischem Neustart nichts zu spüren

Jenseits pathetischer Rhetorik bleibt nicht viel von Bidens Besuch, resümiert hingegen das Handelsblatt:

„[D]ie berechtigte Erleichterung darüber, dass jetzt im Weißen Haus wieder jemand sitzt, mit dem man reden kann und der für rationale Argumente überhaupt zugänglich ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen: Für eine wahrhaftige Wiederbelebung der transatlantischen Partnerschaft braucht es weit mehr. Etwa eine glaubwürdige Initiative für ein transatlantisches Freihandelsabkommen. Welches Signal an autokratische Regime wie Russland oder China könnte stärker sein? Doch dazu wird es in absehbarer Zeit nicht kommen. Der unverblümte Protektionismus Bidens, aber auch der europäischen Partner, insbesondere was die Landwirtschaft angeht, bleibt das große Hindernis.“

Jens Münchrath
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CORRIERE DELLA SERA (IT)

Image wiederhergestellt

Die Reise des US-Präsidenten diente in erster Linie dazu, die vier Trump-Jahre aus Europas Gedächtnis zu löschen, erklärt Corriere della Sera:

„Nachdem auch das schwierigste Treffen, nämlich das mit Wladimir Putin, abgeschlossen ist, kann man sagen, dass der amerikanische Präsident sein Ziel erreicht hat. Es war nicht einfach. ... Biden hat die transatlantische Verbindung wiederbelebt; er hat eine Kurskorrektur der Nato erreicht, indem er die 'Herausforderung' China in die Liste der Risiken aufgenommen hat; er hat den Dialog mit Erdoğan wieder eröffnet und vor allem eine 'pragmatische' Konfrontation mit Putin in Gang gebracht. In gewissem Sinne ist es so, als hätte Biden die Karosserie der US-Außenpolitik repariert und poliert, die durch die Trumpsche Zeit zumindest einige Beulen aufwies. Aber von nun an wird sich Washington an den Verdiensten messen lassen müssen.“

Giuseppe Sarcina
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LE FIGARO (FR)

Die EU ist für Biden uninteressant

Le Figaro erkennt in Joe Bidens Verhalten ein Indiz dafür, dass die Europäische Union in ihrer derzeitigen Form ein schwaches Bild abgibt:

„Joe Biden zeigt Europa, dass es für ihn nicht zählt. Indem er sich mit Boris Johnson und dem türkischen und russischen Präsidenten (zwei autoritären, populistischen und nationalistischen Führern) trifft, zeigt er, dass er nur Länder respektiert, die als Nationen weiter existieren wollen, und die die Karte der Stärke und der Verteidigung ihrer Interessen spielen, anstatt sich in einem großen supranationalen Säurebad aufzulösen. Eine geteilte, technokratische, seelenlose und geschichtslose Europäische Union, die die Macht ignoriert und nur an das Gesetz und den Markt glaubt, ist für Joe Biden wenig interessant.“

Jean-Loup Bonnamy
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US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin haben sich am Mittwoch in Genf getroffen. Sie einigten sich auf die Rückkehr der Diplomaten in ihre jeweiligen Botschaften, steckten ansonsten aber vornehmlich ihre Interessen ab. Die Erwartungen waren wegen des angespannten Verhältnisses zwischen den Staaten eher verhalten gewesen, die Bilanz der Kommentatoren ist nun ebenfalls gemischt.

15MIN (LT)

Klare Kooperationssignale aus dem Kreml

15min hat Annäherungsbotschaften auf beiden Seiten gesehen:

„Putin hat Biden nicht erniedrigt, im Gegenteil - er schenkte ihm Komplimente, als er ihn als ethisch und professionell bezeichnete. Er zeigte ganz klar, dass er mit Biden arbeiten möchte, und Biden hat geschafft, in seinen Statements für die Medien eine zarte Balance zu finden. Er hat Putins Führungsstil nicht gelobt, sprach über Putins Russland kritisch, aber predigte nicht. Man konnte verstehen, dass auch Biden zu einer Zusammenarbeit unter bestimmten Voraussetzungen bereit ist. Der US-Präsident probierte nicht, sich einzuschmeicheln, aber er riss sich zusammen - anders als während seines Wahlkampfes, als er Putin ganz offen kritisierte. Biden kam als Diplomat nach Genf. Es bleibt offen, was uns in der Zukunft erwartet, aber das Treffen markiert einen neuen Beginn.“

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SAVON SANOMAT (FI)

Wichtiger Dialog in der Arktis-Politik

Bidens sanfter Ton könnte gute Gründe haben, meint Savon Sanomat:

„Es heißt oft, dass Russlands Macht in erster Linie auf seinen Atomwaffen und dem Sitz im UN-Sicherheitsrat beruht. Diese Sicht mag etwas eng sein und vielleicht hat die USA genau das verstanden. Flächenmäßig ist Russland das größte Land der Welt und seine nördlichen Regionen, die arktischen Regionen, werden in den nächsten Jahrzehnten strategisch im Zentrum der Weltpolitik stehen. Es spielt daher eine große Rolle, wie Russland sich in der Arktis verhält und mit wem es zusammenarbeitet. ... Biden könnte versucht haben, Misstrauen gegenüber China zu säen. Falls das gelungen ist, könnte man aus Sicht der USA von einem Erfolg sprechen.“

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DEUTSCHE WELLE (RO)

Ein Scheitern mit Ansage

Der rumänische Dienst der Deutsche Welle findet, dass Biden über den Tisch gezogen wurde:

„Vor dem Gipfel war Bidens Diskurs sichtbar weicher geworden, genau wie sein Elan während der Frühlingskrise in der Nähe der ukrainischen Grenze geschrumpft war. Damals hatte der US-Präsident die beiden US-Kriegsschiffe, die auf dem Weg ins Schwarze Meer waren, schnellstens zurückbefohlen. Noch schwerer wiegt, dass er dann indirekt grünes Licht für Putins Augapfel Nord Stream 2 gegeben hat. Doch einseitige Konzessionen haben in den letzten zwei Jahrzehnten keinen nennenswerten Kurswechsel in der russischen Politik bewirkt. Unter diesem Umständen und angesichts der Untaten Putins, zu denen auch die Abschaffung jeglicher Kontrolle über die Kernwaffenarsenale zählt, hätte Biden absehen können, dass er seine Ziele nicht erreichen wird.“

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