Freitag, 17. Januar 2020

euro|topics: Organspende, russische Verfassung


Organspende: Bundestag lehnt Widerspruchslösung ab
Das deutsche Parlament hat am Donnerstag gegen ein Gesetz gestimmt, das den Organmangel in der Transplantationsmedizin bekämpfen sollte. Der Entwurf sah vor, dass automatisch als Organspender gilt, wer sich nicht explizit dagegen ausspricht. Nun bleibt es also umgekehrt: keine Verwendung ohne Einwilligung. Die Kontroverse um das Thema spiegelt sich in der deutschsprachigen Presse wider.

FRANKFURTER RUNDSCHAU (DE)

Solidarität darf nicht erzwungen werden

Die Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, Bascha Mika, begrüßt das Votum der Abgeordneten:
„Bei einem existenziellen Thema, das im wahrsten Sinne des Wortes Leben und Tod betrifft, haben [die Abgeordneten] ein fundamentales Menschenrecht bestärkt. Der Staat darf nicht über den Körper verfügen, selbst wenn er damit Gutes erreichen und Leid mindern will. ... So sehr es ein Gebot der Humanität ist, um das Überleben verzweifelter Patienten zu kämpfen, die auf eine Transplantation warten - so wenig darf die Solidarität mit ihnen erzwungen und gegen die Unantastbarkeit des Körpers ins Feld geführt werden.“
Bascha Mika
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NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)

Staat muss Entscheidung der Bürger einfordern

Eine Demokratie hat geradezu die Pflicht, ihren Bürgern eine Entscheidung zur Organspende abzuverlangen, betont die Neue Zürcher Zeitung:
„Demokratie lebt von aktiven, informierten Bürgern, die bewusst und verantwortungsvoll handeln. Freiheit und Demokratie setzen die Fertigkeit voraus, den Wert und die Folgen einer Entscheidung einzuschätzen. Der Staat sollte nicht die Richtung vorgeben, aber er kann die Auseinandersetzung mit wichtigen Themen fördern. ... Jede dieser Einengungen muss ständig überprüft werden, und sie gelten nicht als Rechtfertigung für zukünftige Grenzen. Aber sie können dabei helfen, die Freiheit des Einzelnen im Lichte eines höheren Zwecks zu betrachten. In diesem Fall geht es um das Leben Tausender und die Pflicht des Staates, sich für alle Menschen einzusetzen – auch für die kranken.“
Anja Stehle
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DER STANDARD (AT)

Schlechte Nachricht für ganz Europa

In Österreich gilt bei der Organspende bereits eine Widerspruchslösung. Dass der Bundestag sich nun dagegen ausgesprochen hat, bedauert Der Standard:
„Schade, dass der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn nun mit einem ähnlichen Vorschlag [wie in Österreich] gescheitert ist. Die deutsche Entscheidung hat nämlich europaweit Auswirkungen, denn das medizinisch hochtechnisierte Land, das Transplantationen durchführen kann, muss sich die Organe aus anderen Ländern holen. Die deutsche Organknappheit hat schon in der Vergangenheit zur unappetitlichen Diskussion über Zuteilungen geführt. Die Hauptleidtragenden sind die zahllosen Kranken auf den Wartelisten. Es wäre eine Aufgabe der deutschen Politik gewesen, sich vor diese schwächsten Glieder der Gesellschaft zu stellen. Diese historische Chance wurde vergeben.“
Karin Pollack
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Russland: Putins Pläne unter der Lupe
Die von Wladimir Putin angekündigten Verfassungsänderungen und der Regierungswechsel in Russland bieten weiterhin viel Diskussionsstoff. Kommentatoren versuchen die Rolle des neuen Premiers Michail Mischustin – bislang Chef der Steuerbehörde – zu deuten. Neben vielen skeptischen Kommentaren finden sich mittlerweile auch Stimmen, die Putins Pläne durchaus positiv sehen.
THE GUARDIAN (GB)

Stärkung der Duma macht Russland demokratischer

The Guardian sieht im Vorgehen des Kremlchefs Gründe für vorsichtigen Optimismus:
„Wenn die Duma im Verhältnis zum Präsidenten mehr Macht erhält, wird es bei Parlamentswahlen einen intensiveren politischen Wettbewerb geben. Dies liegt weniger daran, dass sich dann ein natürlicher demokratischer Geist durchsetzt, sondern an einem politischen Eigeninteresse von Individuen. Menschen, die etwas bewegen wollen, werden von Institutionen angezogen, die ihnen diese Möglichkeit bieten. ... Putin wird irgendwann einmal abtreten - und wenn die angekündigten Reformen kommen, wird er ein politisches System hinterlassen, das echten politischen Wettbewerb ermöglicht, wie ihn Russland in den vergangenen 20 Jahren nicht gesehen hat.“
Gorokhovskaia Yana
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DIE WELT (DE)

Chance für dysfunktionale Politik

Auch der Moskau-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt, Pavel Lokshin, kann den angekündigten Veränderungen etwas Positives abgewinnen:
„Mit der Einsetzung von Michail Mischustin als Premier und dessen angedachten Neuerungen legt Putin ein neues Raster von Checks and Balances über die dysfunktionale russische Politik. Ein Raster, das ihn überleben könnte. ... Die Umverteilung der Macht ... könnte dazu beitragen, dass die beiden großen Lager der regierenden russischen Elite, die Vertreter der Sicherheitsministerien und die des ökonomisch liberalen Wirtschaftsblocks, eine neue Arena für Konsensfindung bekommen. …. Keine der beiden Fraktionen kann [Mischustin] für sich beanspruchen. Das ist ein Fortschritt gegenüber Medwedjew, der als Liberaler galt. Und eine klare Botschaft des Kremls an die russische Elite: Es wird Zeit für Kompromisse.“
Pavel Lokshin
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AZONNALI (HU)

Mischustin ist überparteilich und folgsam

Nachvollziehbar ist die Kür Mischustins zum Premier ebenso für Azonnali:
„Mischustin hat sich geschickt positioniert, er hat an den innenpolitischen Grabenkämpfen nicht teilgenommen und nicht mal so wirklich nach einem Posten an der Spitze gestrebt. Diese Umstände waren für Putin wahrscheinlich genug, um ihn für einen geeigneten Kandidaten zu halten. ... Außerdem besteht nicht die Gefahr, dass der ehemalige Steuerbehördenchef Putin allzu sehr über den Kopf wächst. Es ist eher zu erwarten, dass er als guter Beamter weiterhin der von Putin bestimmten Richtlinie folgen wird.“
Gergő Illés
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RADIO KOMMERSANT FM (RU)

Der Staat braucht Reformdruck

In einem Dilemma sieht den neuen Premier Radio Kommersant FM:
„Seine Aufgabe ist nicht nur, die Armut zu besiegen, sondern auch, die Popularität der Staatsmacht zu verbessern. Da kommt man mit Digitalisierung nicht weit - es braucht Reformen. Aber wie soll man die machen, wenn Hardliner das Business quälen und eine lokale Selbstverwaltung faktisch fehlt? Vor Ort ist man gewohnt, im Gegenzug für materielles Wohlergehen bei Wahlen Prozente zu liefern. ... Die Staatsmacht gerät jetzt in eine Lage, in der es für sie riskant wird, wenn sie nichts als den Anschein von Veränderungen schafft. ... Man fragt sich: Gibt es einen Plan, eine Strategie?“
Dmitrij Drise
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UKRAJINSKA PRAWDA (UA)

Kasachische Blaupause

In hohem Maße skeptisch zeigt sich Ukrajinska Prawda und glaubt, dass Putin sich in einem Nachbarland etwas abgeschaut hat:
„Höchstwahrscheinlich wird er tun, was Nasarbajew in Kasachstan vorexerziert hat. Kurz vor seinem Rücktritt hat Nasarbajew die Befugnisse des Sicherheitsrats erweitert [dem er vorsteht]. ... Der neue Präsident von Kasachstan muss sich nun mit Nasarbajew in allen wichtigen Ernennungen und Entscheidungen einigen. Darüber hinaus hat er seine Rolle als 'Leader der Nation' in der Verfassung verankern lassen. … Wenn Putin will, wird ihm niemand verbieten, sich auch als 'Leader der Nation' oder gar als 'Leader der gesamten Rus' [historisches Gebiet, das heute Russland, Belarus und die Ukraine umfassen würde] in die Verfassung Russlands eintragen zu lassen.“
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Putins Verfassungsänderung bereits am Donnerstag im Parlament FAZ 21.1.20

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