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Der türkische Premier Davutoğlu hat seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef angekündigt. Präsident Erdoğan war laut Medienberichten unzufrieden mit dessen Regierungspolitik. Die Demontage des Premiers ist ein weiterer Schritt Erdoğans zur totalen Macht, kritisieren einige Kommentatoren. Andere glauben, dass Davutoğlu entscheidende Fehler gemacht hat.
SABAH (Türkei)
Davutoğlu machte zu viele Fehler
Einige entscheidende Fehler machten den Rücktritt Davutoğlus unumgänglich, bedauert Kolumnist Hilâl Kaplan in der regierungstreuen Tageszeitung Sabah:
„So hat Davutoğlu das Präsidialsystem vor den Wahlen im Juni bis auf einige Sätze nicht verteidigt und es als Erdoğans Privatangelegenheit dargestellt. ... In den Verhandlungen mit der EU über Schengen-Visa folgte er der Formel 'nimm die Flüchtlinge, bekomm Visafreiheit', als ob Erdoğan diesen Prozess nicht schon 2013 begonnen hätte. Kontroversen Aussagen, wie der des EU-Parlamentspräsidenten Schulz, der Verhandlungspartner sei nicht Erdoğan sondern Davutoğlu, widersprach der Premier nicht. ... Die Aussage der internationalen Presse, Davutoğlu habe den Machtkampf verloren, erklärt sehr viel. Da Präsident und Parlament vom Volk gewählt werden, wäre es nötig gewesen, das System neu zu entwerfen, doch Davutoğlu versuchte um die Macht zu kämpfen.“
NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH)
Erdoğan nur noch paranoid
Ahmet Davutoğlu schwor dem Präsidenten bis zuletzt die Treue, doch für Erdoğan haben Untergebene mit eigener Meinung trotzdem keinen Platz, analysiert die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung:
„In Erdoğans Welt aber fehlte offenbar nicht mehr viel, bis auch Davutoğlu sich ihm - wie so viele frühere Weggefährten - als Gegner offenbart hätte. Paranoid, sagen Beobachter, sei der Präsident inzwischen. Unfähig, zwischen Ratschlag und Arglist zu unterscheiden. Allein schon eigene Akzente seiner Untergebenen müssen da wie Vorboten einer Verschwörung erscheinen. In Wahrheit gehörte der 'Hodscha' ('ehrwürdiger Lehrer'), wie seine Bewunderer Davutoğlu nennen, zu den loyalsten Gefolgsleuten Erdogans. ... Was nun für die Türkei folgt, verspricht nichts Besseres: Drei glühende Parteisoldaten und ein Schwiegersohn Erdoğans sind im Gespräch für die Nachfolge. Mit Widerspruch aus den eigenen Reihen wird sich der Präsident vorerst nicht mehr plagen müssen.“
DER STANDARD (AT)
Nächster Premier wird unsichtbar sein
Der nächste türkische Premier soll nach dem Willen Erdoğans unsichtbar bleiben und für das Präsidialsystem arbeiten, meint Der Standard:
„Türkische Regierungschefs scheiterten in der Vergangenheit an Putschgenerälen. Heute ist es der Mann, der die Armee besiegte und endlich allein regieren will. Die Präsidialverfassung, die Tayyip Erdoğan für sich wünscht, scheint nur rechtliches Beiwerk. Die Türken - wenn sie es denn sehen wollen - sind nun Zeugen der Machtmaschine geworden, die der Präsident für sich in Gang setzen kann. Das Kabinett ist sein Befehlsempfänger, die Partei sein Machtinstrument, auch wenn die Verfassung die Überparteilichkeit des Staatspräsidenten vorschreibt. ... Der nächste türkische Regierungschef wird also unsichtbar sein.“
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