Samstag, 28. Mai 2016

Obama tut jetzt, was er in seinem ersten Jahr tun wollte

Obama tut jetzt manches von dem, was er in seinem ersten Präsidentschaftsjahr hätte tun wollen, aber unterlassen hat, um sich nicht die Chancen zu nehmen, auch anderes auf den Weg zu bringen.
Nicht, dass er Guantanamo schließen würde oder versuchen würde in radikaler Abkehr von bisheriger Außenpolitik der USA, das Völkerrecht einzuhalten (Drohnen).
Aber er setzt sich für Klimaschutz ein, besucht Kuba und Hiroshima.
Das ist mehr, als er mit seinen Reden getan hat, die ihm den Friedensnobelpreis eingetragen haben, natürlich trotzdem noch viel zu wenig. (Wie kann er, wenn er ernsthaft für Klimaschutz ist, das Fracking vorantreiben! Wie kann er Ausspähung (NSA) dulden! Wie kann er menschenunwürdige Haftbedingungen für Whistleblower zulassen!)

Der große Rethoriker hat jetzt wichtige symbolische Schritte unternommen.
Damit wird er - unabhängig davon, wer ihm auf dem Präsidentschaftsposten folgt - in die Geschichte der USA eingehen. Denn seine Bereitschaft zu solchen symbolischen Schritten unterscheidet ihn nicht nur von Trump, sondern auch von Clinton.

An dieser Stelle sind auch die US-Geheimdienste und weiteren Sicherheitsinstitutionen der USA zu loben. Dass es ihnen gelungen ist, die Ermordung Obamas - ob durch Terroristen oder Mitglieder ans den eigenen Reihen, macht keinen entscheidenden Unterschied - bis zu diesem Zeitpunkt zu verhindern, sichert den USA Lichtpunkte auf ihrem Image, das nicht erst durch George Bush junior in tiefes Schwarz getaucht ist.

Auch wenn er viel von seinem Flair des "hope against hope" der ersten Jahre eingebüßt hat und von der bewundernswerten afrikanischen Leichtigkeit trotz verzweifelter Situation verloren hat und zudem vorzeitig ergraut ist, Obama hat gezeigt, dass Schwarze selbst als US-Präsidenten Licht ins Dunkel der Welt bringen können, nicht nur in der Rolle von  Vorkämpfern für die Schwachen wie Martin Luther King, Nelson Mandela und Desmond Tutu.
US-Präsident und Lichtgestalt schließt sich freilich wohl noch auf längere Zeit aus, nicht nur bei John F. Kennedy.

Blickt man zurück, so ist festzustellen, dass Obama nicht nur die Hoffnungen seiner enthusiastischen Verehrer, sondern auch die von vielen Menschen außerhalb der USA enttäuscht hat, und doch, seine Präsidentschaft hat einen Wandel bewirkt, wie am ihn sich am Anfang der Vorwahlen kaum vorstellen konnte.

Zur Sicht der Außenwelt schreibt David Remnick: "Kaum ein Zweifel bestand daran, dass eine große Wählergruppe, die nicht stimmberechtigt war, Obama bevorzugte - die übrige Welt. Wie der BBC World Service in 22 Ländern ermittelte, bevorzugten 80 Prozent der Befragten Obamaund 20 Prozent McCain. Außerdem sagte fast die Hälfte der Befragten, dass es ihr Bild von den Vereinigten Staaten "grundlegend ändern" würde, wenn Obama Präsident würde." (D. Remnick Barack Obama. Leben und Aufstieg, S.849)

Freitag, 27. Mai 2016

Proteste legen Frankreich lahm

Der Protest gegen die geplante Arbeitsmarktreform in Frankreich schwillt weiter an. Am Donnerstag gingen Zehntausende auf die Straße, Streiks in Atomkraftwerken, bei der Bahn und im Flugverkehr legen das Land lahm. Kommentatoren in den Nachbarländern zollen sowohl den aufrührerischen Bürgern als auch dem unnachgiebigen Präsidenten Anerkennung. (euro|topics)

Donnerstag, 26. Mai 2016

Wie wirksam sind die neuen Griechenlandhilfen?

"Der Entscheidung über neue Hilfskredite für Griechenland liegt ein Kompromiss zugrunde: Schuldenerleichterungen, die der IWF zur Voraussetzung für seinen Verbleib im Hilfsprogramm macht, die Berlin aber ablehnt, sollen erst 2018 beschlossen werden. Die nächste Krise ist nur aufgeschoben, bemängeln Kommentatoren und glauben, dass es allein um die kommende Wahl in Deutschland geht." (euro|topics)

"Die Eurogruppe und der Internationale Währungsfonds haben eine gehörige Dosis Make-Up verwendet, um den Aufschub lebenswichtiger Entscheidungen zu verdecken: nämlich die Revision der unrealistischen und erdrückenden Haushaltsziele für Athen und die Erleichterung der Schulden, die Griechenland offenkundig nicht begleichen kann. Im Privaten gesteht das Jeder ein. Sogar Wolfgang Schäuble. In der Öffentlichkeit und in der Eurogruppe beabsichtigt der Finanzminister von Berlin jedoch, bis 2018 keine Zugeständnisse zu machen, denn 2017 wird in Deutschland gewählt und ein jetziger Kompromiss mit Athen käme seine Partei teuer zu stehen." (Corriere della sera 26.5.16)

Dienstag, 17. Mai 2016

Wovor haben wir Angst?

Die, die Flüchtlinge nicht zurückweisen wollen, fürchten, dass die Rechtspopulisten stärker werden, wenn die Integration nicht gelingt.
Die, die die Flüchtlinge draußen halten wollen, fürchten, dass weniger für sie übrig bleibt, wenn viel Geld für die Integration der Flüchtlinge ausgegeben wird.
Die Unternehmer fürchten, dass die Gewerkschaften Oberwasser bekommen, wenn nicht mehr genügend Arbeitslose zur Verfügung stehen, die jede Jobmöglichkeit annehmen müssen, ob Zeitarbeit, Ein-Euro-Job oder unbezahlte Praktikumsstelle.
Die Politiker fürchten, dass ihre Klientel unzufrieden mit ihnen wird.

Für jede Furcht gibt es eine Begründung. Es bleibt nur die Frage, wie groß die Gefahr ist, die da droht. Ist die existenziell oder nur ein stets vorhandenes Risiko, das aufgrund einer veränderten Situation zwischenzeitlich größer wird?
Welche Risiken sind wirklich existenziell? Klimawandel? Krieg? Atomunfall oder unsichere Endlagerung?

"Ein Deutscher verfügt heute zum Beispiel über etwa 45 Quadratmeter Wohnraum pro Person. 1991 waren es noch 35. Um 1920 gab der Durchschnittsbürger etwa die Hälfte seines Einkommens für die Miete aus. Heute sind es etwas über 30 Prozent. Bei deutlich gewachsenem Wohnkomfort. Das sind alles Durchschnittszahlen, die kaum etwas aussagen über die akute Lage des Einzelnen. Aber sowie man sie vergleicht mit denen anderer Länder, begreift man, wie privilegiert wir leben." (FR vom 17.5.16, S.11)

Woher kommt die Angst?

Es ist das Gefühl, dass es nicht dauerhaft so weitergehen kann und dass - wenn ein existenzielles Problem kommt - wir nicht genügend zusammenhalten, um es abzuwenden.

Je länger es so weiter geht wie bisher, desto begründeter wird diese Angst werden.
Wir sollten umsteuern.
Dafür hat jeder Rezepte, die seiner eigenen Interessenlage entsprechen. Jetzt gilt es nur noch, Demokratie ernst zu nehmen und einen Interessenausgleich auszuhandeln.

Warum ist das so schwer? Welche konkrete Furcht hält jede der oben genannten Gruppen davor zurück?

Der Friede ist der Ernstfall, in dem Demokratie sich bewähren muss, meinte Gustav Heinemann.

Der Wohlstand offenbar auch.

Für die, die einen konkreteren Hinweis brauchen, schreibt Arno Widmann in der FR (sieh oben!) noch:
"Wenn Deutschland seine Freiheit am Hindukusch verteidigen muss, darf es nicht wundern, wenn die Afghanen in Deutschland ihre Freiheit suchen."

Man könnte auch konkret anklagen: "Wenn es so wichtig war, nach Afghanistan zu gehen, warum sind wir dann abgezogen, bevor unser Ziel erreicht war? Und wenn das Ziel erreicht war, warum haben wir dann so viele der Helfer (Übersetzer, Lieferanten, Informanten ...) schutzlos zurückgelassen, den Taliban ausgeliefert?

Aber das Hauptproblem liegt bei uns. Was stimmt nicht bei unserer Demokratie? Weshalb lösen wir nicht unsere Probleme, sondern exportieren sie?

Samstag, 14. Mai 2016

Zur Glaubwürdigkeit von Gabriel, Merkel, Obama und Trump (CETA, sichere Herkunfstsstaaten, Folter ...)

Bei Trump kann man nicht sicher sein, ob er alle Verrücktheiten begehen wird, die er ankündigt. Freilich beruhigen kann seine mangelnde Glaubwürdigkeit nicht.

Gabriel lässt die Abteilung Bürgerdialog seines Ministeriums Folgendes mitteilen:
Über die vorläufige Anwendung von Teilen von CETA entscheiden die demokratisch gewählten Abgeordneten des Europäischen Parlaments und der EU-Handelsministerrat (und somit die Mitgliedstaaten). Das heißt: Ohne eine Zustimmung von Parlament und Rat kann CETA nicht vorläufig angewendet werden. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass das Europäische Parlament seine Verantwortung sehr ernst nimmt. Es hat bereits Abkommen abgelehnt, die seinen Ansprüchen nicht genügten.
Falls die EU-Kommission dem Rat (und somit den Mitgliedstaaten) vorschlagen wird, CETA vorläufig anzuwenden, wäre dies kein Novum. Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge der EU ist im EU-Verfassungsrecht vorgesehen und entspricht der üblichen, langjährigen Praxis der EU-Freihandelsabkommen. Sie bezieht sich immer nur auf diejenigen Teile des Abkommens, die eindeutig in der ausschließlichen EU-Zuständigkeit liegen und die Kompetenzen der Mitgliedstaaten nicht berühren. Eine Vorfestlegung für ein Inkrafttreten des gesamten Abkommens wird nicht getroffen.*
Die Teile des Freihandelsabkommens, für die die Mitgliedstaaten zuständig sind, können erst nach dem erfolgreichen Abschluss der nationalen Ratifizierungsverfahren in Kraft treten. Das heißt: Das gesamte Abkommen kann erst dann vollständig in Kraft treten, wenn alle nationalen Parlamente der 28 EU-Mitgliedstaaten - auch Bundestag und Bundesrat in Deutschland - ihm zugestimmt haben. Stimmen Bundestag und Bundesrat dem Abkommen nicht zu, kommt es endgültig nicht zu Stande. Damit sind auch die Teile, die in die Kompetenz der EU fallen, nicht mehr anwendbar.
Die Investitionsschutzbestimmungen sind von der vorläufigen Anwendung ausgenommen, weil eben hier auch mitgliedstaatliche Kompetenzen betroffen sind. Damit wird der Teil, der politisch besonders kontrovers ist, ohne Zustimmung des Bundestages und Bundesrates zu CETA nicht zur Anwendung kommen.
Weitere Informationen sowie Antworten auf häufig gestellte Fragen rund um das Freihandelsabkommen CETA haben wir hier für Sie zusammengestellt: http://bmwi.de/DE/Themen/Aussenwirtschaft/Freihandelsabkommen/ceta.html
* Ceta: Der Bundestag interessiert in Brüssel nicht ZEIT online 13.5.16

Mich beruhigt diese Mitteilung nicht. Meine Kalkulation: Entweder wird mir nur Sand in die Augen gestreut oder Gabriel und Merkel sind sich sicher, dass ihre Druckmittel reichen, die Zustimmung einer Mehrzahl der Mitglieder der Bundestagsfraktionen und des Bundesrats hinter sich zu bringen.

Weshalb? Weil die Staaten Algerien, Marokko und  Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen, obwohl zumindest die Bundestagsabgeordneten alle wissen könnten, dass sie das nicht sind.

Glaubwürdig macht das weder Gabriel noch Merkel. Glaubwürdig ist Merkel noch nicht einmal mit der Behauptung, sie wolle TTIP durchsetzen. Wozu noch TTIP, wenn multinationale Konzernen mit CETA ihre Ziele genauso erreichen können?

Dagegen zweifle ich nicht an Obamas gutem Willen, das Folterlager Guantanamo  zu schließen. Eher schon daran, dass er daran geglaubt hat, dass ihm das je gelingen würde.
Und ich halte es für gut möglich, dass er nicht zuletzt deshalb in seinem Amt so gealtert ist, weil er seine Drohnenkriege für ethisch nicht akzeptabel und für politisch verhängnisvoll hält, nur keine Alternative kennt, die ihm erlauben würde, das, was er in seiner Präsidentschaft in seinem Sinne vorangebracht hat, über die Zeit zu retten.
In diesem Falle halte ich ihm seine mangelnde Glaubwürdigkeit also zugute.

Dass Merkel die Masse der Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen lieber außerhalb der Grenzen Deutschlands geschehen sieht, glaube ich ihr, auch ohne dass sie es sagt. Schließlich: Wenn ein Guantanamo, dann besser nicht im eigenen Land. Das hat sich selbst Bush junior gesagt.

Damit habe ich nicht zum Ausdruck bringen wollen, Erdogan habe Millionen von Flüchtlingen in die Türkei gelassen, weil es ihm egal wäre, wenn in den Lagern menschenunwürdige Zustände herrschen. Sicher hat Mitgefühl und das Gefühl "Wir schaffen das" dabei eine nicht ganz vernachlässigenswerte Rolle gespielt. Die Abmachungen mit der EU verdanken sich freilich wohl kaum Erdogans Mitgefühl mit Flüchtlingen. Und allenfalls höchst mittelbar Merkels Mitgefühl.

vgl. auch

Dienstag, 10. Mai 2016

Umsteuern in Europa!

Merkels Entscheidung für eine Änderung in der Flüchtlingspolitik war richtig. Aber sie war nicht genügend vorbereitet: Weder reichten die Kapazitäten in den Erstaufnahmelagern (Stichwort: Lageso), noch die professionellen Kräfte für die Integration. Die Willkommenskultur durch Freiwillige konnte diesen Mangel für das Erste überdecken.
Was sich nicht überdecken ließ, war die unzureichende Abstimmung mit den anderen Staaten der Europäischen Union. Verhängnisvoll war die Knebelung Griechenlands, des Landes, das nach den Dubliner Abmachungen die größte Last des Flüchtlingsansturms über die Balkanroute zu tragen hatte. Aufgrund der Ausblutung der Staatsfinanzen - das Gesundheitssystem des Landes ist besonders betroffen - und der Masse der Bevölkerung fehlt bei allem guten Willen die Möglichkeit, die Flüchtlinge, die ins Land gekommen sind, zureichend zu versorgen oder gar zu integrieren. Doch die Weiterreise in andere Staaten ist versperrt. (Stichwort: Idomeni)

"Alles, was die Regierung Merkel für das eigene Land ablehnt - Massenabschiebungen, Grenzzäune und Gewalt gegen Geflüchtete - billigt und fördert sie an den europäischen Außengrenzen." (FR 10.5.16, S.10)
Deshalb unterstütze ich den Appell zum Umsteuern in Europa:
"Das Ziel eines freundschaftlichen Miteinanders in einem Europa der Vielfalt wird derzeit zwischen nationalistischen Egoismen und menschenfeindlicher Abschottungspolitik zerrieben. Auch Deutschland steht vor einer gigantischen Herausforderung, die viele Menschen verunsichert und die nur bewältigt werden kann, wenn die politisch Verantwortlichen mutig und zielstrebig Kurs nehmen auf ein zukunftsfähiges, gerechtes und starkes Gemeinwesen. Da aber die für ein solches Umdenken und Umsteuern notwendige Konsequenz bisher fehlt, entsteht ein Klima, in dem Sorgen in Ängste verwandelt werden: vor Überforderung, Überfremdung, Übervorteilung. Das Schüren von Angst gibt rückwärtsgewandten, fremdenfeindlichen, völkischen und rechtsnationalistischen Parteien in Deutschland und anderen europäischen Ländern Auftrieb.
Aus dieser politischen Sackgasse kommen wir nur heraus, wenn wir die Flüchtlingskrise als Appell begreifen. Sie bringt die politischen Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit schlagartig ans Licht. Der mangelnde Wille zur solidarischen Zusammenarbeit in Europa ist Ergebnis eines seit Jahren beschrittenen Weges der Europäischen Union, der die Mitgliedsländer zu Konkurrenten untereinander gemacht und zwischen Stärkeren und Schwächeren gespalten hat. [...] 
Politisch wird Europa seine Probleme nur lösen können, wenn es sich seiner eigenen Verantwortung für die Bekämpfung der Fluchtursachen stellt und sich nicht von Regierungen wie der in der Türkei abhängig macht. Und moralisch werden durch jede Form der völkerrechtswidrigen Abschottung die europäischen Werte mit Füßen getreten. Die UN-Flüchtlingskonvention und das Grundrecht auf Asyl sind unantastbar!" (Das Flüchtlingsdrama: ein Appell zum Umsteuern. In Europa und in Deutschland)

mehr dazu


Freitag, 6. Mai 2016

Erdoğan drängt Davutoğlu aus dem Amt

euro|topics

Der türkische Premier Davutoğlu hat seinen Rücktritt als Partei- und Regierungschef angekündigt. Präsident Erdoğan war laut Medienberichten unzufrieden mit dessen Regierungspolitik. Die Demontage des Premiers ist ein weiterer Schritt Erdoğans zur totalen Macht, kritisieren einige Kommentatoren. Andere glauben, dass Davutoğlu entscheidende Fehler gemacht hat.

 SABAH (Türkei) Davutoğlu machte zu viele Fehler
Einige entscheidende Fehler machten den Rücktritt Davutoğlus unumgänglich, bedauert Kolumnist Hilâl Kaplan in der regierungstreuen Tageszeitung Sabah:
 „So hat Davutoğlu das Präsidialsystem vor den Wahlen im Juni bis auf einige Sätze nicht verteidigt und es als Erdoğans Privatangelegenheit dargestellt. ... In den Verhandlungen mit der EU über Schengen-Visa folgte er der Formel 'nimm die Flüchtlinge, bekomm Visafreiheit', als ob Erdoğan diesen Prozess nicht schon 2013 begonnen hätte. Kontroversen Aussagen, wie der des EU-Parlamentspräsidenten Schulz, der Verhandlungspartner sei nicht Erdoğan sondern Davutoğlu, widersprach der Premier nicht. ... Die Aussage der internationalen Presse, Davutoğlu habe den Machtkampf verloren, erklärt sehr viel. Da Präsident und Parlament vom Volk gewählt werden, wäre es nötig gewesen, das System neu zu entwerfen, doch Davutoğlu versuchte um die Macht zu kämpfen.“

 NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH) Erdoğan nur noch paranoid
Ahmet Davutoğlu schwor dem Präsidenten bis zuletzt die Treue, doch für Erdoğan haben Untergebene mit eigener Meinung trotzdem keinen Platz, analysiert die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: 
 „In Erdoğans Welt aber fehlte offenbar nicht mehr viel, bis auch Davutoğlu sich ihm - wie so viele frühere Weggefährten - als Gegner offenbart hätte. Paranoid, sagen Beobachter, sei der Präsident inzwischen. Unfähig, zwischen Ratschlag und Arglist zu unterscheiden. Allein schon eigene Akzente seiner Untergebenen müssen da wie Vorboten einer Verschwörung erscheinen. In Wahrheit gehörte der 'Hodscha' ('ehrwürdiger Lehrer'), wie seine Bewunderer Davutoğlu nennen, zu den loyalsten Gefolgsleuten Erdogans. ... Was nun für die Türkei folgt, verspricht nichts Besseres: Drei glühende Parteisoldaten und ein Schwiegersohn Erdoğans sind im Gespräch für die Nachfolge. Mit Widerspruch aus den eigenen Reihen wird sich der Präsident vorerst nicht mehr plagen müssen.“

DER STANDARD (AT) Nächster Premier wird unsichtbar sein
Der nächste türkische Premier soll nach dem Willen Erdoğans unsichtbar bleiben und für das Präsidialsystem arbeiten, meint Der Standard: „Türkische Regierungschefs scheiterten in der Vergangenheit an Putschgenerälen. Heute ist es der Mann, der die Armee besiegte und endlich allein regieren will. Die Präsidialverfassung, die Tayyip Erdoğan für sich wünscht, scheint nur rechtliches Beiwerk. Die Türken - wenn sie es denn sehen wollen - sind nun Zeugen der Machtmaschine geworden, die der Präsident für sich in Gang setzen kann. Das Kabinett ist sein Befehlsempfänger, die Partei sein Machtinstrument, auch wenn die Verfassung die Überparteilichkeit des Staatspräsidenten vorschreibt. ... Der nächste türkische Regierungschef wird also unsichtbar sein.“

Dienstag, 3. Mai 2016

Was bringen die TTIP-Leaks?

Links zu den Originalartikeln bei euro|topics

Dem Kompromiss nicht dienlich 
Als überflüssig und kontraproduktiv sieht die Neue Zürcher Zeitung die TTIP-Leaks: „Hervorzuheben ist, dass das Leck Verhandlungspositionen dokumentiert, keine Verhandlungsergebnisse - letztere wurden schon immer veröffentlicht. Die EU hat ihre eigenen Positionen unter dem Druck der Öffentlichkeit zum Teil längst publiziert. Noch nie zuvor waren über laufende internationale Verhandlungen so viele Einzelheiten bekannt. Fraglich ist, wem solche Transparenz dient. Die Öffentlichkeit erfährt dadurch wenig Neues. Für die Unterhändler hingegen wird es schwieriger, taktisch vorzugehen oder ohne Gesichtsverlust Kompromisse zu schliessen, wenn ihre Positionen im Voraus im Detail bekannt sind. Die ohnehin schon heiklen TTIP-Verhandlungen werden damit nicht einfacher.“  René Höltschi

 Debatte ist zu hysterisch Die Aufregung um die TTIP-Unterlagen ist nicht gerechtfertigt, kritisiert tagesschau.de: „Es ist der Sinn solcher Papiere, die Verhandlungspositionen aufzulisten. Der Inhalt ist nicht neu, und man kann ihn sich auch denken: Die wirklich schwierigen Fragen werden in internationalen Verhandlungen fast immer am Schluss behandelt. ... Aber in der hysterischen Debatte um TTIP ist nichts mehr normal. Diese deutsche Sorge etwa um Umwelt- oder Verbraucherstandards: Haben etwa deutsche oder europäische Behörden den VW-Diesel-Skandal aufgedeckt? Sind es die europäischen Kunden, an die Volkswagen jetzt die höheren Entschädigungen zahlt? ... Es ist so, wie die europäischen Unterhändler von Anfang an gesagt haben: Erst am Ende wird man beurteilen können, wie gut oder schlecht dieses TTIP ist. Bis dahin wird verhandelt, und zwar beinhart, auf Seiten der Amerikaner, und hoffentlich auch auf Seiten der EU.“  Rolf-Dieter Krause

Es leben die Leaks! Gerade die Geheimnistuerei nährt das Misstrauen gegen TTIP, klagt Kolumnist Bert Wagendorp in De Volkskrant: „Der menschliche Geist ist simpel gestrickt. Kennt er nicht genug Fakten, beginnt er zu fantasieren. So bekamen wir die Religionen, und so machen wir aus TTIP vielleicht etwas, was es gar nicht ist. Aber vielleicht ist unser Misstrauen auch gerechtfertigt, und alles sogar noch schlimmer als wir uns vorstellen können. ... Dass es Angela Merkel, Mark Rutte und Obama nun so eilig haben, die Verhandlungen abzuschließen, beruhigt mich auch nicht. Es ist alles nur ein Gefühl, aber es scheint doch so, als wollte man uns etwas schlucken lassen, bevor wir kapieren, dass wir da gerade einen ziemlich fiesen Brocken heruntergewürgt haben. Wenn Politiker in Washington und Brüssel nun als Reaktion auf die TTIP-Leaks sagen, was sie tun, so dass wir darüber reden können, dann ist das ein echter Gewinn. Es leben die Leaks.“

Wer soll Ihnen das abkaufen, Frau Malmström? Spätestens jetzt wird deutlich, dass das Freihandelsabkommen nicht den Menschen in Europa, sondern globalen Konzernen dienen soll, schimpft die linke Tageszeitung Duma (Bulgarien): „Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström beteuert nun, dass sie in den Verhandlungen mit den USA die Interessen der Europäer verteidigt. Wer soll Ihnen das noch abkaufen, Frau Malmström? Die weniger Vergesslichen unter uns erinnern sich noch sehr gut an Ihre Worte, dass Sie nicht direkt von den europäischen Bürgern gewählt werden und ihnen darum keine Rechenschaft schuldig sind. Sie erinnern sich auch an den Versuch der EU-Abgeordneten, bei der TTIP-Abstimmung im vergangenen Sommer den Europäern Sand in die Augen zu streuen, um sie glauben zu machen, dass ihre Interessen geschützt werden. Leider schlagen sich die Gesetzgeber lieber auf die Seite des Kapitals als auf die Seite der arbeitenden Bevölkerung.“ 

Transparenz ist Segen für Abkommen Es ist wichtig, dass die TTIP-Papiere enthüllt wurden, meint die Süddeutsche Zeitung: „Die Verhandler, zumal die aus den USA, werden behaupten, die Veröffentlichung der TTIP-Papiere gefährde den Verhandlungserfolg. Es ist dies ein eigenartiges Verständnis von Erfolg. … Wäre es ein Erfolg, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass das Abkommen ihnen wie eine Zwangsjacke verpasst wird? Die bisherige Heimlichtuerei gefährdet ein zuträgliches Abkommen; die Klandestinität sabotiert eine sachgerechte Diskussion; und die offiziöse Lügerei über den Stand des Abkommens gefährdet Demokratie und Rechtsstaat. Wer eine transatlantische Wirtschaftsgemeinschaft will, und es gibt gute Gründe, sie zu wollen, der muss dafür sorgen, dass mit Wissen und mit Substanz über die kritischen Punkte gestritten werden kann.“ (Heribert Prantl )

 Obama selbst muss Europäer überzeugen Damit die TTIP-Verhandlungen bis Jahresende erfolgreich abgeschlossen werden, muss Barack Obama selbst den politischen Widerstand gegen das Abkommen in Europa brechen, rät Le Monde: „Trotz der löblichen Anstrengungen der europäischen Handelskommissarin Cecilia Malmström für mehr Transparenz bei der Ausarbeitung des TTIP-Abkommens fehlen der EU-Kommission, die die Mitgliedstaaten mit den Verhandlungen betraut haben, geeignete Instrumente, um auf die öffentliche Meinung einzuwirken. Diese Arbeit müssen die gewählten Regierungen erledigen. Doch in London und Berlin, in Paris und Rom haben die Regierenden dringendere Probleme zu bewältigen und sich zum Teil auf Urnengänge vorzubereiten: Der Moment ist ungünstig. Will Barack Obama die Verhandlungen wirklich beschleunigen, muss er die Europäer selbst überzeugen. Zum Beispiel dadurch, dass er bei den umstrittensten Themen nachgibt: beim Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen in den USA und im Bereich Landwirtschaft.“

TTIP lässt Frust über die EU weiter wachsen Das geplante Freihandelsabkommen würde noch mehr Globalisierungsverlierer schaffen – weshalb es unverständlich ist, dass nicht vor allem die SPD dagegen mobil macht, wundert sich Kolumnist Wolfgang Münchau in der Financial Times: „Es ist mir unbegreiflich, warum Sigmar Gabriel, Chef der deutschen Sozialdemokraten und Wirtschaftsminister, ein so starker Befürworter von TTIP ist. Würde er den zunehmenden Vertrauensverlust in die SPD ernsthaft stoppen wollen, müsste er sich die politischen Kosten dieses Abkommens stärker bewusst machen. Es ist wenig überraschend, dass ein großer Teil der Anhänger der zuwanderungsfeindlichen AfD ehemalige SPD-Wähler sind. Ein Nein zu TTIP würde wenigstens eine Ursache für die zunehmend ablehnende Haltung vieler Bürger gegenüber der EU und der Globalisierung beseitigen. Die politischen Folgen der Umsetzung des Abkommens wiegen schwerer als die nur kleinen wirtschaftlichen Vorteile.“ (Wolfgang Münchau)

Mehr Exporte, mehr Wohlstand, mehr Macht Als eine große Chance für Europa betrachtet die Tageszeitung ABC (Spanien) das Transatlantische Freihandelsabkommen: „Es würde die Importe verbilligen und die EU-Exporte fördern. ... Für Konsumenten sänken die Preise und es erhöhte sich das Angebot an Waren und Dienstleistungen. … Die Allianz würde der EU im Hinblick auf künftige multilaterale Abkommen mehr Macht verleihen und damit die europäischen Unternehmen stärken. Doch die linken Parteien und Bewegungen widersetzen sich TTIP aus einer für sie typischen Verbohrtheit, sich allem zu widersetzen, was Fortschritt und Wohlstand bedeutet. Sie behindern das Abkommen mit falschem und schädlichem Protektionismus, der dem Geist der EU widerspricht. Die Europäer würden es bitter bereuen, sollten sie diese Chance vertun.“

Mit TTIP abermals gegen den Osten Ein Rückfall in längst vergangene Zeiten wäre das Handelsabkommen für die Tageszeitung Večernji list (Kroatien): „Die amerikanisch-westeuropäischen Beziehungen haben zur Entwicklung der europäischen Staaten geführt und deren Bürgern Wohlstand gebracht. Der Ostblock hinkte hinterher. Heute bedeutet das amerikanisch-europäische Handelsabkommen für die Wirtschaft, was die Nato in den Zeiten des Kalten Krieges für die Sicherheit der westeuropäischen Staaten bedeutete. Dementsprechend versucht Russland auch, den Austritt Großbritanniens aus der EU zu befördern, in der Hoffnung, dass dies der Anfang vom Ende der EU wäre. Offenbar beginnt nun, so wie sich einst die militärischen Bündnisse bekämpften, nun eine ökonomische Konkurrenz-Schlacht.“