Michael Barenboim im Interview
"[...] Barenboim: „Make Freedom Ring“ ist ein Künstlerkollektiv aus der klassischen Musikbranche. Musiker, Musikerinnen, aber auch Musikvermittler, Musikmanager. Das Erste, was wir machten, war eine Art Doppelkonzert, eins in London, eins in Berlin, im März 2024. Seitdem geben wir Benefizkonzerte für Organisationen, die in Palästina und jetzt insbesondere in Gaza helfen. [...]
"Sie können jedenfalls nicht von einem Musikstück erwarten, dass es irgendwelche Probleme löst, die offensichtlich schon seit einem knappen Jahrhundert vorhanden sind. [...] Ich glaube, es kommt darauf an, was man sich vornimmt. Auch jetzt in Frankfurt gehen die Leute natürlich zuallererst in ein Konzert. Es gibt auch Redebeiträge, aber sie erleben Schumann, Mozart, Schubert. Aber vielleicht nimmt man die Musik ein wenig anders wahr, wenn man die Situation der Palästinenser in Gaza vor Augen hat. Vielleicht fühlt man sich anders dabei, wenn der Raum voller Menschen ist, die sich wie Sie selbst mit den Leidenden solidarisieren. [...]
FR: Begegnen sich im West-Eastern Divan Orchestra Israelis, die vom Hamas-Überfall betroffen sind, und Palästinenser aus Gaza?
Barenboim: Dort begegnen sich immer schon israelische, palästinensische, libanesische, syrische, ägyptische Musiker. Sie spielen miteinander im Orchester, sitzen an einem Pult. Natürlich gibt es auch Workshop-ähnliche Formate während der Proben, es gibt Diskussionen. [...]
FR: Sie haben neben Musik auch Philosophie studiert, haben sich nicht zwischen Geige und Bratsche entschieden. Würden Sie sich wünschen, dass klassische Musiker und Musikerinnen sich insgesamt breiter aufstellen, mehr Kontakt zur Welt halten?
Barenboim: Ich bin ja sozusagen das wandelnde Beispiel dafür, dass ich so denke. Und dass von der klassischen Musikszene nach Beginn des Vernichtungskriegs in Gaza praktisch überhaupt nichts kam, war einer der Impulse, „Make Freedom Ring“ zu starten. Viele von uns verbringen den ganzen Tag in einem Übezimmer und verlieren den Blick dafür, wofür sie das alles tun und was um sie herum geschieht. Andererseits ist mir wichtig zu sagen: Es ist nicht realistisch, mehr von Menschen zu erwarten, die in klassischer Musik tätig sind, als von anderen. [...] es gibt Leute, die mehr Interesse haben, und Leute, die weniger Interesse haben. Aber ja, auch wir Künstler haben eine Mitverantwortung für das, was geschieht, und wir haben eine Verpflichtung, uns aktiv einzubringen. Nur darf man von uns auch nicht mehr erwarten als von allen anderen."
Ich bin von der Institution West-Eastern Divan Orchestra fasziniert. Dass seit über 25 Jahren trotz all der Zuspitzungen des Nahostkonflikts "israelische, palästinensische, libanesische, syrische, ägyptische Musiker" zusammen spielen, oft nach Nationen gemischt an einem Pult ist der Faszination der Gründer, jetzt besonders Daniel Barenboim und seinem Sohn Michael zu danken, die von sich selbst mehr erwarten als von allen anderen, weil sie nicht nur ihrer Kunst leben, sondern auch der Versöhnung trotz des alten schier unlösbaren Konflikts.
Sie geben Hoffnung allem Grauen zum Trotz.