Mittwoch, 31. Mai 2023

euro|topics: Drohnenangriff auf Moskau

 

In Moskau sind bei einem Angriff mehrerer Drohnen am Dienstag (30.05.) Wohngebäude beschädigt worden. Verletzt wurde niemand. Russlands Präsident Putin beschuldigte die Ukraine und sprach von einem terroristischen Akt. Die Ukraine dementierte, direkt beteiligt gewesen zu sein. Kommentatoren diskutieren die Folgen der Aktion.

TAGEBLATT (LU)

Die viel beschworene Stabilität ist dahin

Jetzt fangen vielleicht auch manche Menschen in Russland an, die Kriegspropaganda zu hinterfragen, vermutet die Moskau-Korrespondentin Inna Hartwich im Tageblatt:

„Der Krieg, dessen Verantwortung sie weit von sich weisen, den sie rechtfertigen und nicht sehen wollen, er kommt in Form von Drohnen in ihre Wohnhäuser zurück. Das verbreitet Schrecken. 'Da drüben ist der Kindergarten meines Sohnes. Wie soll ich nun ruhig schlafen?', fragt da so manche, die bislang offensichtlich gut schlafen konnte, auch wenn keine tausend Kilometer von ihr entfernt die Kindergärten anderer Söhne und Töchter von ihren Landsleuten zerbombt wurden. Viele Moskauer erfahren erst durch die Gewalt von unbemannten Flugobjekten, dass die von Präsident Wladimir Putin viel beschworene Stabilität längst dahin ist.“

Inna Hartwich
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ECHO (RU)

Ein Bruchteil der Angst der Ukrainer

Auch der ukrainische Regisseur Oleksandr Rodnjanskyj setzt in einem von Echo übernommenen Telegram-Post das Erschrecken der Moskauer in Beziehung zu dem, was Ukrainer erleben:

„Glauben Sie mir, ich bin alles andere als schadenfroh. Ich kann mich nicht über Drohnen über der Rubljowka freuen. ... Aber heute Nacht haben die Moskauer nur ein Zehntel, wenn nicht ein Hundertstel von dem gespürt, was die Einwohner von Kyjiw JEDE Nacht spüren. Ein Millionstel von dem, was die Einwohner von Mariupol erlebten. Oder von Bachmut oder Awdejewka. ... Das für die Bombardierung der Ukraine und die Ermordung ukrainischer Zivilisten verantwortliche russische Verteidigungsministerium bezeichnete das, was in Moskau geschah, als... TERRORAKT. Echt jetzt? Wie sollen wir dann das Geschehen in der Ukraine nennen?“

Oleksandr Rodnjanskyj
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THE TIMES (GB)

Unkluge Rache

Die ukrainische Seite sollte sich mit Angriffen auf Moskau zurückhalten, mahnt The Times:

„Eine solche, große Beachtung findende Operation dürfte Nato-Führer nervös machen. Insbesonders US-Präsident Biden, der darauf bestanden hat, dass die Ukraine keine hochentwickelten Waffen einsetzen sollte, um russischen Boden anzugreifen, wenn diese Waffen eigentlich zur Verteidigung bereit gestellt wurden. Die Nato ist entschlossen, der Ukraine dabei zu helfen, sich gegen Angriffe verteidigen zu können, wie das Weiße Haus erst letzte Woche bekräftigte. Aber das Nato-Bündnis befindet sich nicht im Krieg mit Russland und will, dass dies so bleibt. Die Ukraine muss diese Bedenken beachten.“

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REFLEX (CZ)

Tatsächlich ist der Schaden riesig

Reflex hat ein Déjà-vu:

„Der Schaden, den die zwei Drohnen verursacht haben, soll nach Angaben der russischen Behörden nicht groß gewesen sein. Tatsächlich ist der Schaden riesig. So riesig wie einst, als in den Achtzigern ein Kleinflugzeug, gesteuert von einem zwanzigjährigen Amateur, aus der Bundesrepublik Deutschland nach Moskau flog. Mathias Rust bombardierte damals nicht, sondern landete im Herzen Russlands, auf dem heiligsten Boden vor dem Kreml, auf dem Roten Platz. So schlecht wurde die Sowjetunion bewacht. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.“

Karel Steigerwald
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Freitag, 26. Mai 2023

Henry Kissinger : "Wenn die Staatsmänner weise wären ..."

Kissinger im Interview: Putin vor Gericht - lieber nicht

ZEIT Nr.22, 25.5.2023 

 ZEIT: [...] Sie kennen Putin, haben ihn oft getroffen. Was ist er für ein Mensch?

  Kissinger: Nun, ich kenne Putin auf andere Weise als, sagen wir: Gerhard Schröder. [...] meine Beziehungen zu Putin waren rein strategisch und konzeptionell. Anfangs ging es in unseren Gesprächen um die Lage in Jugoslawien, um die Nato-Intervention im Kosovo 1999, und ein Aspekt dabei war immer die Bewahrung der Würde Russlands. [...] ZEIT: Was war aus Ihrer Sicht Putins strategisches Ziel bei seinem Angriff auf die Ukraine?

  Kissinger: Ich glaube, er hat sich übernommen. Er hat, denke ich, den Eindruck gewonnen, er werde nicht ernst genommen. Die Ukraine ist für ihn ein Symbol für Russlands Erniedrigung. Als ich ihn vor Jahren das erste Mal traf, damals war er noch stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg, sagte er mir, der Zerfall der Sowjetunion sei eine der großen Tragödien der Weltgeschichte. – Ich bin übrigens nicht der Meinung, dass alle Schuld bei Putin liegt. Der Krieg selbst und die Kriegführung sind höchst rücksichtslos, der Angriff muss  zurückgeschlagen werden, und ich befürworte den Widerstand der Ukrainer und des Westens. Aber ich habe schon 2014 in einem Aufsatz ernste Zweifel an dem Vorhaben geäußert, die Ukraine einzuladen, der Nato beizutreten. Damit begann eine Reihe von Ereignissen, die in dem Krieg kulminiert sind. Das rechtfertigt den Krieg nicht, aber ich war damals der Auffassung und bin es heute noch, dass es nicht weise war, die Aufnahme aller Länder des ehemaligen Ostblocks in die Nato mit der Einladung an die Ukraine zu verbinden, ebenfalls der Nato beizutreten. [...] Ich habe damals in vielen Artikeln geschrieben, die Ukraine solle nicht der Vorposten des Westens oder Moskaus sein, sondern eine Brücke zwischen beiden Seiten. Das wäre ein besseres strategisches Ziel gewesen. ZEIT: Die Ukraine war bis zum russischen Angriff 2014 neutral. Und heute: Sollte die Ukraine in die Nato aufgenommen werden? 

Kissinger: Heute bin ich absolut dafür, die Ukraine nach dem Ende des Krieges in die Nato aufzunehmen. Jetzt, da es keine neutralen Zonen mehr zwischen der Nato und Russland gibt, ist es besser für den Westen, die Ukraine in die Nato aufzunehmen. So ist sichergestellt, dass Konflikte, die nach dem Ende des Krieges neu entstehen könnten oder die sich aus dem Friedensschluss ergeben, nicht durch einseitige Angriffe Russlands oder der Ukraine entschieden werden können. [...] Putin vor Gericht? Besser nicht! [...] Weil es unmöglich ist, oder sehr viel schwieriger, einen Krieg zu begrenzen, wenn man den Ausgang des Krieges mit dem persönlichen Schicksal eines politischen Führers verknüpft. Was Putin tut, ist illegal und falsch, und ich will sein Handeln nicht rechtfertigen. Aber wir müssen alles dafür tun, dass eine Ausweitung des Krieges verhindert wird. Und es muss für die Zeit nach dem Ende des Krieges sichergestellt werden, dass die Feindseligkeiten nicht unbegrenzt weitergehen. Das politische Ziel des Westens muss sein, die Beziehungen zwischen Europa und Russland neu aufzubauen, sobald die militärische Sicherheit der Ukraine erreicht ist. [...] Im Moment sieht es allerdings so aus, als unternehme die Regierung Biden echte Anstrengungen, mit China wieder ins Gespräch zu kommen, und China scheint sich darauf einzulassen. Ich unterstütze dieses Bemühen. Natürlich lässt sich noch kaum sagen, ob dieser Versuch bloß als taktische Pause vor einem Showdown zu verstehen ist oder als dauerhafter Rahmen. [...] Der Konflikt um Taiwan könnte in einer Weise eskalieren, die niemand mehr kontrollieren kann. Diese Gefahr besteht. [...]"


Donnerstag, 25. Mai 2023

euro|topics: DeSantis: Wahlkampfstart mit Pannen

 

Im Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur hat am Mittwoch Floridas Gouverneur Ron DeSantis seinen Hut in den Ring geworfen. Die Bekanntgabe sollte öffentlichkeitswirksam auf Twitter gemeinsam mit dessen CEO Elon Musk erfolgen, war jedoch über lange Strecken von technischen Pannen geprägt. Wer ist der Trump-Herausforderer und wie stehen seine Chancen?

WIENER ZEITUNG (AT)

Der Zirkus geht weiter

Auch DeSantis setzt auf Polarisierung, bedauert die Wiener Zeitung:

„Irgendwie fühlt DeSantis sich so an wie Trump, in der Rhetorik ein wenig weichgespült, weniger Drama, leichter wählbar. Doch das Gefühl täuscht: DeSantis hat sich zuletzt mit einem Abtreibungsverbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche hervorgetan. ... Wer gehofft hatte, dass die amerikanische Rechte es nach den verrückten Trump-Jahren mit einem Kandidaten oder einer Kandidatin probieren würde, der oder die versuchen würde, die Gräben in diesem polarisierten Land ein wenig zuzuschütten und zu einer politischen Kultur der Debatte und des Wettstreits der Ideen zurückzukehren, wird enttäuscht. Der Zirkus geht weiter.“

Thomas Seifert
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VEČERNJI LIST (HR)

Kulturkrieg verschärft sich

In Vorbereitung seiner Kandidatur hat sich DeSantis in den vergangenen Monaten weiter radikalisiert, beobachtet Večernji list:

„Bekannt für seine Kulturkriege, die er gegen die sogenannte Woke Kultur führt, traf DeSantis einige Entscheidungen, die aus diesem radikalen Rechten einen noch radikaleren machten. Dieser Tage haben die NAACP, die größte Organisation für die Rechte Schwarzer Amerikaner, und Human Rights Campaign, die größte Organisation für die Rechte von LGBTQ-Personen, gar eine Warnung an ihre Mitglieder ausgesprochen, nach Florida zu reisen. Denn die dortigen Gesetze der republikanischen Mehrheit unter DeSantis machen Florida zu einer Region, die mit offener Feindschaft gegenüber Schwarzen und anderen Minderheiten auftritt.“

Denis Romac
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THE ECONOMIST (GB)

Schwierige Ausgangsposition

DeSantis dürfte es schwer haben, sich gegen Trump durchzusetzen, glaubt The Economist:

„Er wurde als isolationistisch kritisiert, weil er den Krieg in der Ukraine als einen schieren 'Territorialkonflikt' abtat, als anti-unternehmerisch, weil er einen Streit mit Disney anzettelte und als extremistisch, weil er ein Abtreibungsverbot nach der sechsten Schwangerschaftswoche unterzeichnet hat. ... 2016 trat Trump als Aufrührer an. 2020 als Amtsinhaber. 2024 geht er als Hybrid von beidem ins Rennen - als Aufrührer ebenso wie als Institutionalist. Es ist eine wirksame Kombination, die dazu beigetragen hat, einen großen Vorsprung in den ersten Umfragen aufzubauen.“

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LA STAMPA (IT)

Twitter versus Fox News

Dass DeSantis für seine Kandidaturankündigung Twitter wählte, ist für La Stampa vielsagend:

„Musk behauptet, dass die Tatsache, dass er DeSantis auf seiner Plattform beherbergt, keine Unterstützung sei. ... [Das Nachrichtenportal] Axios merkt aber zu Recht an, dass die Kandidatur-Ankündigung von DeSantis an der Seite des Twitter-Chefs ein Zeichen dafür ist, dass Letzterer darauf abzielt, Rupert Murdoch als Plattform der Wahl für Konservative zu ersetzen. Hatten die Republikaner bis vor Kurzem noch Fox News für ihre Ankündigungen bevorzugt, so hat sich der Fokus mit dem Näherrücken der Wahl 2024 auf Twitter verlagert.“

Francesco Semprini
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