Donnerstag, 9. Dezember 2021

euro|topics: Neue Bundesregierung: Was erwartet Europa?

Deutschland hat eine neue Regierung. Am Mittwoch nahmen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Kabinett der Koalition mit Grünen und FDP die Geschäfte auf. Europas Presse beobachtet prüfend, in welche Richtung sich die EU durch den Neubeginn in Berlin bewegen wird.

LA REPUBBLICA (IT)

Geopolitisches Bad Godesberg

Die SPD braucht einen Modernitätsschub, ähnlich dem Godesberger Programm von 1959, als sich die Partei von einer sozialistischen Arbeiter- zur Volkspartei entwickelte, meint Philosoph Angelo Bolaffi in La Repubblica:

„Olaf Scholz muss mit der Kompromiss- und Verzögerungslogik brechen, die die langen Jahre der Großen Koalition prägte. ... Scholz ist aufgerufen, etwas zu vollziehen, was einer regelrechten Revolution des deutschen politischen Handelns auf der internationalen Bühne gleichkommt, eine Art 'geopolitisches Bad Godesberg'. Zusammen mit dem Italien von Mario Draghi und Macrons Frankreich wird die Regierung Scholz Europa bei den europäischen Entscheidungen in militärischen, technologischen und kulturellen Fragen lenken müssen, um ein eigenes Modell sowohl gegenüber dem 'Gegner' China als auch gegenüber dem 'Verbündeten' USA zu definieren.“

Angelo Bolaffi
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DER TAGESSPIEGEL (DE)

Deutschland muss robuster auftreten

Der wahre Härtetest für Scholz wartet in der Außenpolitik, meint Der Tagesspiegel:

„Man kann verstehen, warum der neue Kanzler da Kontinuität verspricht, in auffallendem Gegensatz zur Innenpolitik. Man möchte aber zugleich hoffen, dass er das nicht ernst meint. ... Merkels Dialog mit Russland und China war richtig, um den Schaden zu begrenzen. Aber er reicht nicht als Zukunftsstrategie für eine konfliktreiche Welt. ... Deutschland und Europa müssen robuster auftreten, um ihre Interessen zu verteidigen. Das erwarten auch die EU-Partner und die USA von Scholz. Je früher er einkalkuliert, dass seine Regierung an einer Vernachlässigung der Außenpolitik scheitern kann, desto mehr Freiraum bleibt ihm für eine erfolgreiche Innenpolitik.“

Christoph von Marschall
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L'OPINION (FR)

Paris sollte auf EU-Ambitionen der Ampel eingehen

L'Opinion drängt:

„Der Koalitionsvertrag legt die Latte sehr hoch. Er plädiert beispielsweise für 'eine Weiterentwicklung der EU zu einem Bundesstaat', ein Wort, das in Frankreich tabu ist. … Es ist nicht sicher, dass diese gewagten Ideen in Paris, wo man eine Blau-Weiß-Rot geprägte EU vorzieht, Begeisterung auslösen. Ihre Umsetzung würde nämlich mit Sicherheit die Führungsposition Berlins bestätigen, wo man versichert, dass 'wir als größter Mitgliedstaat unsere besondere Verantwortung in einem dienenden Verständnis für die EU als Ganzes wahrnehmen'. Jetzt ist Frankreichs Präsident am Zug.“

Jean-Dominique Merchet
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ECHO24 (CZ)

Gegenwind für Visegrád

Die Ost-Mitteleuropäer werden mit der Regierung Scholz zu schaffen haben, fürchtet Echo24:

„Die Koalition von Scholz wird sich die Visegrád-Staaten - anders als Merkel - richtig zur Brust nehmen. Die Auszahlung der Gelder aus dem Pandemie-Wiederaufbaufonds hänge auch von einer zufriedenstellenden Beilegung der Streitigkeiten der EU-Kommission mit Warschau und Budapest ab, heißt es. Merkel hat sich aus Anstand und einem Gefühl für Geschichte heraus nie so brutal verhalten. ... Aber die Richtung war schon unter ihr deutlich: etwa Projekte wie die CO2-Neutralität energisch voranzutreiben, ungeachtet der Kosten und ohne Rücksicht auf die ärmeren Mitgliedstaaten im Osten. Jetzt, wo Angela Merkel geht, ist es, als ob sich der Nebel auf dem Schlachtfeld lichtet.“

Daniel Kaiser
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MAGYAR NEMZET (HU)

Berlin und Budapest müssen sich weiter respektieren

Die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen müssen Priorität über politische Differenzen behalten, fordert die regierungsnahe Magyar Nemzet:

„Auch die ungarisch-deutschen Beziehungen müssen daraufhin angepasst werden, dass in Berlin von jetzt ab eine linke Regierung im Amt ist, deren Standpunkt dem der ungarischen Regierung in Grundfragen radikal entgegensteht. ... Jedoch liegt der moralische Vorteil bei demjenigen, der dem gegenseitigen Respekt wenigstens eine Chance gibt, selbst wenn dies wohl keine große Liebesbeziehung wird. Man sollte nicht vergessen, dass gerade im ungarisch-deutschen Verhältnis das Riesengewicht der wirtschaftlichen Verflechtung die zwingende Kraft ist und nicht eine vorübergehende politische Laune.“

László Szőcs
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