Dienstag, 6. Juni 2017

Spannung zwischen Sicherheit und Freiheit

Die Staatstheorien von Hobbes und Locke unterschieden sich wesentlich dadurch, dass Hobbes (vom Kampf aller gegen alle ausgehend) das Gewaltmonopol eines absoluten Staates fordert, um die Sicherheit der Bürger voreinander zu garantieren, während Locke Menschenrechte zum Schutz vor dem Staat und seinen Übergriffen fordert.
Die Notwendigkeit eines Menschenrechts auf Freiheit entsteht also erst aufgrund des Gewaltmonopols des Staates, der Sicherheit garantieren soll.
Von daher ist der Satz "Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit" so falsch. Denn Freiheit ist überall dort gefährdet, wo das Sicherheitsbedürfnis zunimmt. Das lässt sich sehr deutlich an psychologischen Störungen erkennen, wo das Kontrollbedürfnis (zur Erhöhung der Sicherheit) so groß ist, dass die kleinste Abweichung von selbst gesetzten Routinen zu Panikreaktionen führen kann. Das Verhalten wird durch starre Regeln eingegrenzt, um dem Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen (Beispiele: Waschzwang, Autismus).
Außerdem aber ist Sicherheit sowieso nie vollkommen. Restrisiken bestehen überall: Naturkatastrophen, Kernkraft, Chemie und am offenkundigsten Straßenverkehr stellen alltägliche Sicherheitsrisiken dar. Sogar die Gesundheitsversorgung mit "Risiken und Nebenwirkungen" von Medikamenten.
Die wichtigste Voraussetzung für Freiheit ist also eine gewisse Angstfreiheit angesichts von unvermeidbaren Risiken.
Von daher bezieht nun allerdings der Satz "Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit" seine Scheinberechtigung. Denn im Fall einer höchsten Unsicherheit, da gibt es in der Tat fast keine Freiheit mehr, sondern da bleibt fast durchweg nur die Möglichkeit der Flucht: im Fall eines Vulkanausbruchs, eines Tsunamis, eines Erdbebens mit einstürzenden Gebäuden.
Richtig ist also der Satz "Es gibt keine Freiheit ohne ein Mindestmaß an Sicherheit".*
Entscheidend ist nur der Umfang dieses Mindestmaßes. Wenn man es zu hoch wählt, entsteht automatisch Unfreiheit.

* Streng genommen gibt es freilich sogar angesichts unausweichlicher tödlicher Bedrohung noch Freiheit, nämlich die Entscheidung, das, was einem aufgezwungen wird, freiwillig zu wählen. Von Schiller theoretisch formuliert und am Beispiel von Maria Stuart in der Dichtung gestaltet, aber auch in der realen Welt, etwa bei Vertretern des Widerstands wie Graf von Moltke, der angesichts der bevorstehenden Hinrichtung nach seiner Aussage (Brief vom 10.1.1945 an seine Frau) in "gehobener Stimmung" und "voll von Dank" war, eben deshalb, weil er die Todesfurcht überwunden hatte.

Vgl. zum Thema: K. Klöcker: Freiheit im Fadenkreuz. Terrorbekämpfung als christl.-eth. Herausforderung, 2017, S.73-105

Hobbes: „But by safety must be understood, not the sole preservation of life in
what condition soever, but in order to it's happiness“.(Bd. 2, 299)

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