Dienstag, 27. Dezember 2016

Jahresbilanz 2016: Dominanz der Demagogen


Das Brexit-Referendum, die Wahl Trumps zum US-Präsidenten und steigende Umfragewerte für Rechtspopulisten in mehreren europäischen Ländern. Kommentatoren analysieren, warum 2016 ein Erfolgsjahr für Globalisierungsgegner und Nationalisten war.
BLOG DAVID MCWILLIAMS (IE)
Aufstand der Ausgeschlossenen
2016 war das Jahr, in dem die Masse der politisch und wirtschaftlich Marginalisierten im Westen den Status Quo nicht länger hinnehmen wollte, analysiert Ökonom David McWilliams auf seinem Blog:

„Die Ausgeschlossenen sind jene, für die niemand das Wort ergreift. Sie sind am politischen Prozess nicht beteiligt und daher Außenstehende. Zu ihnen zählen die selbstständigen Kleinunternehmer, die Leiharbeiter, Zuwanderer, Arbeitslosen und natürlich die Jungen. Sie sind außerhalb des Kommandozelts, abgekoppelt von den Entscheidungsprozessen. Und weil sie nicht organisiert sind, können ihre Sorgen niemals nachempfunden werden. Diese Menschen können sich sowohl auf der linken als auch der rechten Seite des politischen Spektrums befinden. ... Das sind jene, die sich von Trump, dem Brexit oder von Movimento Cinque Stelle angesprochen fühlten. ... Sie sind nicht rassistisch, primitiv oder verblendet. Sie sind schlicht Außenstehende. 2016 war das Jahr, in dem sie sagten: 'Es reicht!'“

 DE STANDAARD (BE) Kein Mittel gegen Gift der Populisten
Europas Rechtspopulisten können ungehindert ihr Gift verbreiten, warnt Kolumnist Paul Goossens in De Standaard mit Blick auf das vergangene Jahr:
„Ihr Abbruchprojekt hat Erfolg. Europa wankt, und bei jedem Konflikt zeigen sich neue Brüche und Risse. Der Rechtspopulismus bekommt einfach nicht genug Gegenwind. ... Uns wird eingebläut, dass wir als 'kulturelle Elite' jeden Anschein von Arroganz vermeiden müssen. ... Daher trauen wir uns nicht mehr zu sagen, dass die Rezepte der Rechtspopulisten sowohl blanker Unsinn als auch gefährlicher Irrsinn sind. Weil wir die 'Verlierer' nicht geringschätzen und Ressentiments nicht nähren wollen, unterlassen wir es, die Obsessionen ihrer Führer - etwa den souveränen Staat mit hermetisch geschlossenen Grenzen oder den totalen Migrationsstopp - als hoffnungslos dumm und aussichtslos wegzulachen und abzuservieren. Wie kann Europa - die einzige Alternative zum Egoismus der Nationen - bestehen bleiben, wenn niemand das nationalistische Revival bekämpft?“

SPIEGEL ONLINE (DE) Gute Wirtschaft, schlechte Stimmung
Die Mehrzahl der Menschen in Deutschland ist Eurobarometer-Umfragen zufolge mit ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Situation zufrieden, dennoch pflegen viele eine negative Grundeinstellung, beobachtet Spiegel Online:
 „[Es] grassiert latentes Unwohlsein. Die alte politische Faustformel 'gute Konjunktur = zufriedene Bürger' geht nicht mehr auf. Das ist neu. Es ist das eigentliche Thema des Jahres 2016, nicht nur in Deutschland: Ökonomische Lage und politische Stimmung driften auseinander - mit gravierenden Folgen. ... Populistische Politiker ... sprechen gerade ältere Wähler an, auch solche, denen es gut geht, und versprechen ein Ende des Wandels. ... Simpel fallen die politischen Problemlösungsvorschläge aus: Grenzen dichtmachen, internationalen Wettbewerb begrenzen, Renationalisierung der Politik - Maßnahmen, die nach aller Erfahrung den Lebensstandard bedrohen. Anstatt darüber nachzudenken, wie die Sozial-, Steuer- und Bildungssysteme verbessert werden können, wie die internationale Zusammenarbeit effektiver werden könnte und wie, nicht zuletzt, der Frieden erhalten bleibt.“ 

CORRIERE DEL TICINO (CH) Revolte gegen die wenigen Mächtigen
Den Beginn einer weltweiten Protestwelle wittert Corriere del Ticino:
 „Das zu Ende gehende Jahr war gekennzeichnet von der Revolte der Mehrheit der Wähler einiger Länder gegen die Globalisierung und die herrschende liberale Wirtschaftspolitik. Eine Revolte, die vom Vereinigten Königreich ausging, mit dem Volksentscheid, in dem sich die Bürger für den Austritt aus der EU aussprachen. Eine Revolte, die zum Erfolg von Donald Trump in den USA führte und sich zweifelsohne im kommenden Jahr fortsetzen und die Voraussetzungen für einen radikalen Paradigmenwechsel in der Wirtschaft des Westens schaffen wird. Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der die Macht ausübenden Gruppen (die Finanzwelt, multinationale Firmen und ein Großteil der Medien), die sich von dieser Wende bedroht fühlen, alle ihre Waffen einsetzen werden, um sie abzuwehren.“ (Alfonso Tuor)

 L'OBS (FR) Die Ungleichheit ist unerträglich geworden
Die Wohlstandskluft hat ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß erreicht, mahnt L’Obs:
 „Das Jahr 2016 hat wiederholt gezeigt, dass der Graben der Ungleichheit nicht mehr als Fügung des Schicksals hingenommen wird. Er ist ganz einfach unerträglich geworden. Es gibt heute keinen sozialen Bruch mehr, sondern sehr wohl einen gesellschaftlichen. Der Höhe der Vergütungen der einen steht das Ausmaß des Elends der anderen gegenüber, was den Glauben an eine Schicksalsgemeinschaft unmöglich macht. Die Mehrheit der Bürger ist dazu verdammt, als Anpassungsvariablen der liberalen Globalisierung herzuhalten, und fordert nun, geschützt zu werden. Man unterstehe sich, ihnen vorzuwerfen, dass sie sich abschotten, ist es für viele doch ein simpler Überlebensreflex!“ Matthieu Croissandeau

 DIENAS BIZNESS (LV) Populismus ist nur ein Modewort
Warum das Wort Populismus derzeit allgegenwärtig ist, analysiert Dienas:
 „Dabei werden in Westeuropa alle, die mit der herrschenden Position nicht einverstanden sind, gleich als Populisten geschmäht. Das ist einfach und gerade sehr in Mode. Viele Politiker lieben es, über die Gefahr des Populismus zu sprechen, auch wenn sie sich in dieser Hinsicht nicht die Hände in Unschuld waschen können. ... Populismus ist auch zum Wort der Abschreckung geworden, um die Opposition oder neue politische Kräfte an den Rand zu drängen. Das ist ein gefährliches Spiel, da der kleine Mann heute über die Machtpolitiker nichts Gutes denkt. ... Gut, dass die Siege von Populisten heute noch nicht das Ende der Welt bedeuten. Wir können uns bei der Demokratie bedanken sowie bei der Tatsache, dass die sogenannten Populisten keine totalen Psychopathen sind.“ Jānis Šķupelis

Links zu den Originalartikeln und weiteren Debatten bei eurotopics

Donnerstag, 22. Dezember 2016

Liefert Trump nicht ein funktionierendes Guantánamo aus (Don’t Let Trump Get the Keys to Guantánamo)

So lange ich es vermeiden kann, verwende ich kein Facebook. Deshalb vertraue ich darauf, dass Amnesty mich nicht wegen Urheberrechtsverletzung belangen wird, wenn ich Wort und Bild hier weitergebe statt bei Facebook:

This picture is worth a thousand words: The Statue of Liberty in chains, like a prisoner at Guantánamo.

It's a shocking symbol of the future we are fighting to prevent: Instead of closing, Guantánamo grows. This is a nightmare where justice and fairness—the best ideals of this country—are lost.

We can't let this happen. Help us send this urgent plea to President Obama: Don't Leave Guantánamo to President-elect Trump. Click here share this powerful image on Facebook.

President Obama has 28 days left to make good on a promise he made eight years ago: To shutter Guantánamo. There are still 59 people there, nearly all held without charge for more than a decade.

President-elect Trump has promised to "load [Guantánamo] up" 1with more people and "absolutely authorize something beyond waterboarding." 2

We can't afford the risk that Trump could use Guantánamo for large-scale torture, or to threaten his critics.

Share this message on Facebook now.

This beautiful, haunting image — by artist Patryk Hardziej — is a reminder of what we stand to lose if President Obama hands Guantánamo to President-elect Trump. Words cannot capture what's at stake right now, but this image does.

Click here to help us spread this image and reach President Obama with this urgent plea: Act now to close Guantánamo, before it is too late.

Sincerely,
Naureen Shah
Director, Security with Human Rights
Amnesty International USA

Hält Merkel dem Druck stand?

Der mutmaßliche Terroranschlag in Berlin heizt die Debatte um die deutsche Flüchtlingspolitik wieder an.
Politische Gegner im In- und Ausland machen Angela Merkel für die Bluttat verantwortlich. Die Art und Weise, wie die Bundeskanzlerin sich nun verhalten und auf populistische Hetze und Fremdenhass reagieren wird, ist nach Einschätzung von Kommentatoren für ganz Europa von Bedeutung.

PRAVDA (SK) Kanzlerin vor einem sehr schweren Jahr 

Der mutmaßliche Terrorangriff von Berlin und das dadurch erzeugte Gefühl der Unsicherheit machen es Merkel im Wahlkampf des kommenden Jahres nicht eben leichter, fürchtet Pravda:
„Merkel hat zwar bislang alle Angriffe aus dem rechten und linken Lager durchgestanden und ihre CDU stabilisieren können. Der Terror aber spielt der Alternative für Deutschland neue Wähler zu. Zum Thema des bevorstehenden Wahlkampfes werden denn auch nicht Wirtschaft und Finanzen, obwohl Deutschland da in blendender Verfassung ist. Es wird vor allem um die Themen Sicherheit und Migration gehen. Die AfD missbrauchte diese Themen gleich nach dem Anschlag in Berlin mit der Schuldzuweisung, die Toten seien 'Merkels Tote'. Das zeigt, welche Richtung der Wahlkampf nehmen wird. Nicht auszudenken, welches Ausmaß derlei annähme, wenn sich solche Terrorangriffe kurz vor der Wahl wiederholen sollten. Merkel steht vor einem sehr schweren Jahr.“ (Marián Repa)  Teilen auf zur Homepage
 DE VOLKSKRANT (NL) Hetzer sind Handlanger der Terroristen
Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders hat Bundeskanzlerin Merkel für die Bluttat in Berlin verantwortlich gemacht und eine Fotomontage getwittert, die sie mit blutbefleckten Händen zeigt. Kolumnist Bert Wagendorp verurteilt diese Reaktion in De Volkskrant:
„Emotionen sind die Waffen der Terroristen, Rationalität ist die Verteidigungslinie der westlichen Gesellschaft. Also denke ich, dass Merkel das Recht auf ihrer Seite hat. ... Emotionen nach Anschlägen sind verständlich, sind aber als Leitlinie für Entscheidungen ungeeignet. Das würde uns ins Lager derjenigen bringen, die die offene westliche Gesellschaft vernichten wollen. Hetzer und Händler in Angst sind die Handlanger von Terroristen. ... Wilders tut schon lange sein Bestes, um die offene, liberale Gesellschaft zu vergiften, den Verstand auf ein Abstellgleis zu manövrieren und das Volk mit inhaltsloser und lügnerischer Prahlerei zu blenden. Und mit Lösungen, die keine Lösungen sind, sondern kranke Illusionen, die - wenn sie realisierbar wären - zu Katastrophen führen würden.“ (Bert Wagendorp)

 CORRIERE DELLA SERA (IT) Politiker wie Merkel sind IS ein Dorn im Auge
Die Terroristen der IS-Miliz betreiben Wahlkampf für rechtsextreme Kräfte in Europa, warnt Corriere della Sera:
"Diese neue Attacke könnte nicht nur oder in erster Linie gegen das 'christliche Weihnachtsfest' gerichtet sein. ... Sie könnte auch auf die Freiheit der Wahlentscheidung an den Urnen verschiedener europäischer Nationen abzielen, und sich somit als Akt einer infamen 'Wahlkampagne' der Anhänger des Kalifats herausstellen. … Denn die wahre Absicht der Dschihadisten ist nicht, ein paar Tausend Islamisten zu radikalisieren, sondern uns, Millionen von Europäern. Welchen Feind wünscht sich derjenige, der sein Volk im Namen Allahs in den Heiligen Krieg führt? Rationale Regierungschefs wie Merkel, die bereit sind, diejenigen, die ein Recht darauf haben, aufzunehmen und darauf bedacht sind, besonnen zu handeln? Oder Führungskräfte wie Le Pen oder Frauke Petry, die die Welle der Panik reiten und Reaktionen versprechen, die so wahllos und willkürlich sind, dass sie Europas muslimische Gemeinden bis an den Punkt der totalen Konfrontation treiben?“ (Goffredo Buccini)

EL PAÍS (ES) Deutschland ist unsere letzte Hoffnung 
Auf die Resistenz der Deutschen gegen populistischen Fremdenhass setzt der britische Historiker Timothy Garton Ash in El País:
 „Welche Gründe sollten uns glauben lassen, dass Deutschland resistenter gegen die Krankheit sein wird, die Blasen wie Donald Trump, Marine Le Pen und Geert Wilders hervorbringt? Mehrere. Deutschland ist eine der wenigen westlichen Demokratien mit einer gesunden Wirtschaft. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir ein Deutscher gesagt hat: 'Wir sind ein reiches Land und wir können es uns leisten, eine Million Flüchtlinge aufzunehmen.' Das können nicht viele Nationen von sich behaupten. Zudem ist im Gegensatz zu Großbritannien die Boulevardpresse in Deutschland relativ verantwortungsbewusst. ... Und dann vermutlich der wichtigste Grund: Adolf Hitler. Eben weil Deutschland in der Vergangenheit der teuflische Schauplatz eines populistischen Fremdenhasses war, ist es heute die dagegen wohl bestgeimpfte Nation. Wollen wir darauf vertrauen, dass dieses Tabu weiter gilt. Sonst kann uns nur noch Gott helfen.“

Mittwoch, 21. Dezember 2016

Keep Calm and Carry On

Die Devise, die der britischen Zivilgesellschaft im Kampf gegen die Terrormaschine Nazideutschlands geholfen hat, kann auch unserer Zivilgesellschaft hilfreiche Orientierung bieten.
Nicht in Panik verfallen, sondern die Solidarität innerhalb der Gesellschaft bewahren.
Freilich wird uns Deutschen das nicht so gut gelingen wie den Briten angesichts des Terrors der IRA in London. Aber die Spur George W. Bushs sollte uns davor warnen, die Solidarität unserer Gesellschaft aufzugeben, indem wir über eine Ideallösung streiten. Es gibt keine Möglichkeit, Terror kurzfristig aus der Welt zu schaffen.
Wir müssen weiter an den Problemen arbeiten und unsere Solidarität bewahren.

Aber selbst wenn es immer wieder einmal zu Panikreaktionen kommen sollte (im Kampf gegen den RAF-Terrorismus ist es bei uns durchaus immer wieder einmal zu Überreaktionen gekommen, bei denen Unschuldige überforderten Ordnungshütern zum Opfer fielen), wenn die Gesellschaft darüber ihre Solidarität nicht verliert, lässt sich Terrorismus überwinden, auch wenn es lange dauert.
Es gab mehrere Generationen von RAF-Terroristen. Sie konnten unsere Gesellschaft nicht aus den Angeln heben.

Es liegt kein leichter Weg vor uns. Aber Abu Ghraib und Guantanomo sind keine Stationen auf dem Ausweg aus unserer Situation, sondern Stationen auf dem Weg einer Verirrung.

Das ist kein Plädoyer für Appeasement gegenüber Terroristen. Appeasement war seinerseits die Voraussetzung dafür, dass Hitler den Eindruck gewinnen konnte, die westlichen Demokratien wären kein ernst zu nehmender Gegner.

Mehr zum Thema (nicht zuletzt auch wenig Hilfreiches):
FAZ 22.12.16
SPON 22.12.16

Dienstag, 13. Dezember 2016

Sprengstoff Leitkultur

AfD: Sprengstoff Leitkultur  ZEIT 40/2016
"Der gefährlichste Begriff der AfD: Mit der Forderung nach kultureller Einheit des Landes bedroht die Partei nicht nur Zuwanderer, sondern jeden einzelnen Deutschen in seiner Lebensweise [...]

Vielleicht haben wir uns schon zu lange an den Begriff der Leitkulturgewöhnt, um dessen volle Sprengkraft zu ermessen. Er war bereits vor der AfD im Umlauf, aber seine frühen Verfechter haben sich stets mit dem Hinweis beeilt, im Wesentlichen Verfassungs- und Gesetzestreue zu meinen. Und tatsächlich ist damit auch schon vieles, was zumal von Muslimen immer befürchtet wird, ausgeschlossen: Zwangs- und Kinderehen, Entrechtung der Frau, Ehrenmorde, Scharia als Paralleljustiz. [...]
Aber heimlich war natürlich immer viel mehr gemeint: Sitten, Lebensweisen, Traditionen, Brauchtum und Gewohnheiten. Und wer wollte bestreiten, dass es solche in einer Bevölkerung gibt? Das Gift kommt in den Begriff durch die Vorstellung, dass diese Gewohnheiten oder einige von ihnen als leitend gedacht werden sollen. Damit stellt sich sofort die Frage: Welche sollten das sein? Das Oktoberfest oder das philharmonische Konzert? Pop oder Klassik? Die Schweinshaxe oder das vegetarische Haselnussbratlett? Die Mutter am Herd oder die Karrierefrau? Der Fußballer oder der Nerd in der Bibliothek? Ganz allgemein: Bildung oder Bildungshass? Fernsehen oder Buch? Oder fataler: Religion oder Atheismus?"

Türkei-Frage spaltet die EU

eurotopics: Türkei-Frage spaltet die EU

TAGESSPIEGEL (DE) / 13. Dezember 2016
Zeit für eine neue Nüchternheit 
Nach dem Militärputsch und den Anschlägen nur im Blick zu haben, inwieweit Erdoğan zum Diktator geworden ist, zeugt von der Voreingenommenheit des Westens, meint der Tagesspiegel: „Zwar wurden die Angriffe aus europäischen Metropolen pflichtschuldig verurteilt, vehementer jedoch fiel die Kritik an der Wehrhaftigkeit aus, frei nach dem Motto: Terror? Ist schlimm. Krieg gegen den Terror? Ist noch schlimmer. Dabei gebietet ein Mindestmaß an Fairness, beides im Blick zu haben: das jeweilige Verbrechen und die darauf folgenden Handlungen der Regierung. ... [Es] ist Zeit für eine neue Nüchternheit. Europa braucht die Türkei wegen der Flüchtlinge. Die Türkei braucht Europa, um ein Ziel seiner Entwicklung vor Augen zu haben. Die AKP als Modell für die Maghreb-Staaten und den Nahen Osten? Das hat sich erledigt. Faktisch beendet dürften auch die EU-Beitrittsgespräche sein. Keine Seite glaubt noch an deren gütliches Ende in absehbarer Zeit. Also muss nach Alternativen gesucht werden, eine Zollunion vielleicht oder eine enge Verknüpfung wie mit Nicht-EU-Mitglied Norwegen.“

AFTONBLADET (SE) / 13. Dezember 2016
Nicht zu lasch gegenüber Ankara werden
Europa muss Ankara weiter die Stirn bieten - um der Türken willen, mahnt Aftonbladet: „Auf lange Sicht werden Erdoğans europafeindliche Rhetorik und seine offensichtliche Verachtung für die Werte der EU wie Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte ein immer größeres Problem. Unter Erdoğan putinisiert sich die Türkei immer schneller und ein Ende ist nicht in Sicht. Entlang der östlichen Grenzen der EU, von Moskau bis Ankara, wird die liberale Demokratie immer stärker angegriffen. Aber Europa muss weiterhin Forderungen an die Türkei stellen, die Menschen dort verdienen ihre Freiheit. Und indem wir Journalisten, Oppositionellen und anderen, die zur Flucht gezwungen werden, eine Heimstatt bieten, halten wir die Hoffnung aufrecht, dass das Regime eines Tages fällt.“

 HÜRRIYET DAILY NEWS (TR) / 13. Dezember 2016
Europa muss Finger von PKK lassen
Der PKK wird in Europa zu viel Einfluss gewährt - daran muss sich nach den brutalen Terroranschlägen von Istanbul endlich etwas ändern, fordert Hürriyet Daily News: „Es ist wahr, dass die Türkei mit ihrem Kurdenproblem viel sensibler umgehen sollte. Die Tatsache, dass dies nicht passiert, gibt jedoch keiner Regierung oder Institution in Europa die Lizenz zur Nachsicht gegenüber einer Gruppe, die wahllos mordet. ... Viele Länder in Europa erlauben der PKK, offen von europäischem Recht zu profitieren, fördern ihre Propaganda mit Straflosigkeit, lassen sie Geld sammeln und neue Kämpfer für ihren Terrorfeldzug in der Türkei rekrutieren. ... Wenn manche glauben, Ankara damit in Schach halten oder sich vor PKK-Attacken auf eigenen Territorium schützen zu können, dann spielen sie ein gefährliches Spiel. Terrorgruppen als verdeckte politische Instrumente zu nutzen, gereicht letztlich niemandem zum Vorteil.“

 HÄMEEN SANOMAT (FI) / 13. Dezember 2016
Polizeistaat rückt immer näher
Nach den Anschlägen vom Samstagabend wurden rund 200 Politiker der kurdennahen HDP festgenommen. Dies zeigt einmal mehr die trostlose Lage der Türkei, bedauert Hämeen Sanomat: „Die türkische Regierung hat einen neuen Grund bekommen für Repressalien, unter denen wahrscheinlich auch Unschuldige leiden müssen. Gleichzeitig rückt der Polizeistaat in der Türkei immer näher. Die Lage ist trostlos: Das Land hat sich zunehmend vom Weg der westlichen Integration entfernt. … Das Beispiel der Türkei zeigt, dass, wenn die Bedingungen günstig sind, in relativ kurzer Zeit eine Gesellschaft geschaffen werden kann, in der es nur eine Wahrheit gibt. … Im nächsten Jahr wird es wahrscheinlich weitere schlechte Nachrichten aus der Türkei geben. Vermutlich wird die Türkei die Todesstrafe wieder einführen und die EU-Beitrittsverhandlungen werden endgültig scheitern.“

Samstag, 10. Dezember 2016

Weidmann schließt staatliche Bankenrettung in Italien nicht aus

"Die Sorge um Italien steigt. Vor allem, seit sich die Lage bei der Krisenbank Monte dei Paschi zuspitzt. Jetzt sagt sogar Bundesbankpräsident Weidmann, dass sich der Staat an der Rettung italienischer Banken beteiligen könnte. Dafür gibt’s ein Hintertürchen." (FAZ 10.12.16)

Dienstag, 6. Dezember 2016

Warum ist Renzis Referendum gescheitert? (Pressestimmen)

http://www.eurotopics.net/de/170732/warum-ist-renzis-referendum-gescheitert

Vereinfachung wurde Renzi zum Verhängnis 

Italiens Premier ist Opfer seiner eigenen Strategie geworden, analysiert La Repubblica:

 „Die absolute Vereinfachung der Politik wurde von Renzi erfunden als eine neue Sprache nach dem Ende der Ideologie - der Unterscheidung der Lager in Rechts und Links. ... In dem Moment, in dem die Vereinfachung ihre extreme Form erreicht hat, nämlich die Reduzierung des politischen Diskurses auf die Wahl zwischen Ja und Nein, hat sie zum Sturz Renzis geführt. … Denn sie hat zu ebensolchen Simplifizierungen in den gegnerischen Lagern geführt, die allerdings weitaus radikaler und extremer waren. ... Die Front des Nein hat die Reform gar zum versuchten Staatsstreich erklärt, zum Autoritarismus. ... Diese Darstellung Renzis als Ungeheuer hat ihn zum Feind des Volks und der Demokratie gemacht, zum natürlichen Sohn Berlusconis. Zugleich ist klar, dass der Premier alle Fehler der Welt besitzt, aber nicht eine einzige der Anomalien des Cavaliere Berlusconi.“

Premier stolperte über seine Fehler
Obwohl sich Renzi einige Schnitzer erlaubt hat, ist seine Bilanz beachtlich, lobt El País:
 „Renzi hat ein paar grundlegende Fehler begangen: Erstens kann eine Verfassungsreform kein persönliches Projekt sein, sondern muss aus einem breiten Konsens entstehen. ... Noch schlimmer war es, dass er die Volksabstimmung anfangs als eine Art Abstimmung zu seiner Person definiert hat. Da half es auch nichts, dass er das wieder zurückgenommen hat. Und drittens sollte man eine Verfassungsreform nicht mit einer Änderung des Wahlgesetzes verwechseln. Die braucht Italien am dringendsten. Trotz allem hat Renzi 40,89 Prozent der Stimmen bekommen. Unter anderen Umständen wäre das beachtlich gewesen.“

Italiener bremsen Reformen aus 
Premier Renzi ist ein geschickter Politiker, doch mit dem Referendum hat er sich verschätzt, meint Dnevnik:
„Er ist als ein Politiker aufgetreten, der die Demokratische Partei personalmäßig erneuert und die veraltete Führung durch eine 30 Jahre jüngere Mannschaft ersetzt hat. Er führte neoliberale Veränderungen in die Arbeitsgesetzgebung ein, die Berlusconi nie gewagt hatte vorzuschlagen. Er packte radikale Reformen des politischen Systems an, die das verknöcherte und langsame System der parlamentarischen Entscheidungsfindung durch eine viel unabhängigere Rolle der Regierung und durch eine Machtkonzentration in den Händen des Premiers ausgetauscht hätten. Er wollte als entschlossener Politiker gelten, der schnelle und radikale Veränderungen einführt. Doch in Rom sitzt noch immer der Vatikan. Die Italiener mögen keine schnellen und dramatischen Veränderungen. In den vergangenen 20 Jahren brachten Veränderungen immer ein schlechteres Leben mit sich.“

HELSINGIN SANOMAT (FI)

Renzis Reformen hätten nichts gebracht

Mit den geplanten Reformen hätte Premier Renzi die Probleme des Landes ohnehin nicht gelöst, meint Helsingin Sanomat:
„Das Abstimmungsergebnis ist gut. Renzis Reform hätte die Macht auf gefährliche Weise konzentriert und nicht wirklich die wirtschaftlichen Probleme des Landes gelöst. Es ist nicht sinnvoll, das italienische Referendum so wie den Brexit oder Trumps Sieg als Ohrfeige der Populisten für die Elite zu sehen, zumindest nicht in diesem Ausmaß. … Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist niedriger als 1997. Italiens große Probleme sind zum Beispiel die hohe Arbeitslosigkeit, die mit Ramschpapieren belasteten Banken, das schwache Bildungssystem, die geringe Produktivität aufgrund fehlender Investitionen, die niedrige Beschäftigungsrate der Frauen, die starre und korrupte Verwaltung sowie zu einem gewissen Grad die Inflexibilität des Arbeitsmarkts. … Doch Renzis Reformen hätten diese Leiden nicht geheilt.“

Samstag, 3. Dezember 2016

Angela Merkel und die Weltlage

Die ZEIT hat in ihrem Magazin Nr.50 vom 1.12.16    33 öffentliche Mails an Angela Merkel zusammengestellt. Das geht über die Frage von euro|topics, ob Merkel den Westen anführen muss, noch hinaus und wirkt sehr eurozentristisch, man könnte sogar sagen "germanozentristisch", wenn das nicht zu stark an deutschnational anklänge, und nationalistisch ist Merkel mit ihrer Flüchtlingspolitik durchaus nicht.

Ein kurzer Vergleich mit anderen Regierungchefs bzw. Staatspräsidenten:

Putin: Krim und mit Assad Aleppo, 
Haider Al-Abadi und Erdogan Schlacht um Mossul
weitere Beteiligte:  Haider al-Abadi Nadschim al-Dschuburi Masud Barzani Omer Huseyin  Barack Obama, François Hollande, Recep Tayyip Erdoğan

Merkel Minsk I und II

Merkel ist mehr mit Deeskalation als mit Eskalation beschäftigt.