Freitag, 25. November 2016

Wie verändert der Wechsel von Schulz die EU? (euro|topics)

"Martin Schulz strebt keine dritte Amtszeit als EU-Parlamentspräsident an und wechselt stattdessen in die deutsche Bundespolitik. Welchen Job er dort übernimmt, ist offen. Einige Kommentatoren freuen sich, dass alte Seilschaften zwischen Schulz und Kommissionspräsident Juncker gekappt werden. Andere fürchten, dass der deutsche Einfluss in Europa zunimmt."

 NEUE ZÜRCHER ZEITUNG (CH) / 25. November 2016
Alte Seilschaften werden endlich gekappt 
"Mit dem Wechsel von Martin Schulz nach Berlin endet eine Seilschaft mit EU-Kommissionspräsident Juncker, glaubt die Neue Zürcher Zeitung und begrüßt den Neubeginn:
 „Als die Luxemburger Steuerpraktiken in der Luxleaks-Affäre Ende 2014 Juncker politisch gefährlich wurden, wirkte der gewiefte Sozialdemokrat [Schulz] darauf hin, dass das EU-Parlament statt eines Untersuchungsausschusses bloss einen Sonderausschuss mit weniger griffigen Rechten einsetzte. Im Gegenzug hatte sich Juncker jüngst offensiv für eine dritte Amtszeit von Schulz starkgemacht. ... Der Glaubwürdigkeit der EU schadet aber gerade solch demonstrative Kumpanei ihrer Exponenten. Richtigerweise hat die christlichdemokratische Fraktion Schulz darum den Teppich für eine dritte Amtszeit nicht ausgerollt, sondern darauf gepocht, 2017 das EU-Parlaments-Präsidium zu übernehmen. Das mag die parteipolitische Balance in Brüssel kurzfristig stören. Doch benötigt die EU-Spitze nicht Kontinuität, sondern eine Blutauffrischung. Und eine gesunde Distanz zwischen den Präsidenten ihrer Institutionen.“ Niklaus Nuspliger

 LIDOVÉ NOVINY (CZ) / 25. November 2016
Deutsche Hegemonie in EU wird gestärkt
"Keinerlei Begeisterung ruft der Wechsel von Schulz von Brüssel nach Berlin bei Lidové noviny hervor:
„Als Chef des EU-Parlaments verkörperte Schulz die Rolle Deutschlands in der Union. Helmut Kohl sagte 1990, Ziel sei kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland, die andere Seite der Medaille des sich einigenden Europa. Aber gerade Schulz - obwohl ein überzeugter Europäer - hat für den Eindruck eines deutschen Europas gesorgt, auf strenge, ungeduldige und auch arrogante Art. ... Schulz wäre in der hohen deutschen Politik kein Risiko, wenn die EU nach den Wünschen Kohls funktionieren würde. Sein Einfluss würde durch Frankreich und Großbritannien abgemildert werden. In einer Situation aber, in der Deutschland einsamer Hegemon der EU bleibt, verkörpert Schulz genau das deutsche Europa, vor dem Kohl gewarnt hat.“ Zbyněk Petráček

DEUTSCHLANDFUNK (DE) / 25. November 2016
Parlament verliert echten Europäer
Mit seinem Wechsel nach Berlin hinterlässt Martin Schulz große Fußstapfen, lobt der Deutschlandfunk:
 „Auch die lautesten Kritiker geben zu, dass Schulz dem EU-Parlament Gewicht und Stimme in nie gekanntem Maße gegeben hat. ... Wann immer er nur die geringste Chance sah, mitzureden auf der europäischen Bühne, hat er sie ergriffen - zumeist im Namen der gewählten Volksvertreter, aber manchmal eben auch auf eigene Rechnung. Brüssel beziehungsweise Straßburg verlieren einen Parlamentspräsidenten, der ein im Wortsinne leidenschaftlicher Europäer ist. ... Er kann sich für Europa wahlweise auch der Sprache der sprichwörtlichen 'kleinen Leute' bedienen, wie man sie sonst meist nur von EU-Gegnern hört.“

Branko Milanovic: Die ungleiche Welt

"1760000000000 US-Dollar. In Worten: einskommasiebensechs Billionen. Auf diese Summe schätzte Oxfam kürzlich das Vermögen der 62 wohlhabendsten Menschen der Welt. Ein paar Dutzend Milliardäre verfügen über so viel Geld wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – oder wie 3600000000 Menschen.
Von Barack Obama bis zu Thomas Piketty, die führenden Köpfe unserer Zeit sind sich einig: Ungleichheit ist eines der drängendsten Probleme der Gegenwart. [...] Armut und Perspektivlosigkeit sind treibende Kräfte für internationale Migrationsbewegungen. Noch immer ist das Geburtsland eines Kindes der entscheidende Faktor für die Höhe seines zukünftigen Einkommens. Milanovic analysiert den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Migration – und plädiert für ein radikal liberales Einwanderungsrecht. Ein aktuelles, ein engagiertes Buch, das die Art und Weise, wie wir über unsere ungleiche Welt denken, verändern wird." (Klappentext zu: Branko MilanovicDie ungleiche Welt. Migration, das Eine Prozent und die Zukunft der Mittelschicht, 2016)

Rezension (sieh Perlentaucher): "

Die Tageszeitung, 08.10.2016

"Rezensent Stefan Reinecke kann aus Branko Milanovics Irrtümern beim Formulieren von Lösungsvorschlägen nur lernen. Nämlich dass wir der Wucht der globalen Ungleichheit nach wie vor keine Lösung entgegenzusetzen haben. Zuvor aber hat ihm der Ökonom die Daten aus den letzten 30 Jahren auseinandergesetzt, Chinas wirtschaftlichen Aufstieg erläutert und weitere Trends herausgearbeitet. Dass er sich dabei nicht auf den Westen beschränkt, hält Reinecke für ein großes Plus der Analyse. Den Rechtspopulismus bei uns verständlich zu machen, gehört für Reinecke auch zu den Verdiensten der Studie."

Interview mit Milanovic:
"Nehmen Sie an, die Bürger eines Landes glauben, bei ihnen sei die Ungleichheit zu groß. Sie haben dann zwei Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen: In einer Demokratie gehen sie wählen, in einer Diktatur zetteln sie eine Revolte an. So kann das Problem tatsächlich gelöst werden. Auf globaler Ebene gibt es aber keine solchen Instrumente. Und dann führt Ungleichheit schnell zu Instabilität und letztendlich zu Chaos. Die Piraten vor Somalia sind hierfür ein gutes Beispiel. Die jungen Männer, die im Golf von Aden von Banden angeheuert werden, um Schiffe zu kapern, leben in bitterer Armut. Die Folge davon ist, dass an einer der sensibelsten Stellen der Welt der Transport von Erdöl und anderen Gütern gefährdet ist. Daher sollte man sich mit globaler Ungleichheit beschäftigen." (mehr in brandeins 2014)


Chancen statt Abstiegsangst, FR 20. FEBRUAR 2016

Montag, 21. November 2016

Marrakesch: Klimaschützer jubeln nicht, aber halten an ihrer Hoffnung fest

Die Klimaschützer haben gemerkt, dass ihre - nur allzu begründeten - Schreckensmeldungen statt Aktivität oft nur Resignation ausgelöst haben. Deshalb haben sie es beim Klimagipfel 2015 in Paris als Hoffnungszeichen begrüßt, dass - anders als 2009 beim UN-Klimagipfel in Kopenhagen - China und USA, die beiden Länder mit dem größten Schadstoffausstoß, ernsthafte Schritte in Richtung Klimaschutz getan haben, auch wenn die propagierten Ziele und die Maßnahmen nicht zusammenpassten.
Mit Marrakesch mussten sie ihre Hoffnungen nicht aufgeben, weil erste Konkretisierungsversuche stattfanden und die Industrieländer noch nicht endgültig abgeblockt haben.
Sie durften nicht aufgeben, weil nach der Wahl von Donald Trump keine Zusammenarbeit von USA und China mehr in Aussicht steht, sondern nur noch eine Koalition aller umweltschutzwilligen eine Rest-Chance aufrechterhalten kann.

Sonntag, 20. November 2016

Muss Merkel den Westen anführen?

Bei seinem Abschiedsbesuch in Berlin hat der scheidende US-Präsident Obama nicht an Worten des Lobes für Bundeskanzlerin Merkel gespart. Sie stehe für große Glaubwürdigkeit und sei bereit, für ihre Werte zu kämpfen. Auch viele Journalisten sehen in der Kanzlerin nach dem Wahlsieg Trumps die letzte Garantin für den Erhalt westlicher Ideale. Andere haben jedoch Zweifel, ob sie dieser Aufgabe gewachsen ist. (euro|topics: Muss Merkel den Westen anführen?)

PROTAGON.GR (GR)
Eine muss die Lücke füllen
Es gibt nur eine Frau, die in der Lage ist, die freie Welt vor ihren Feinden zu verteidigen, ist Protagon überzeugt:
„Frau Merkel hat verstanden, dass die Geschichte ihr eine schwerwiegende Pflicht auferlegt hat. Seit langem war es ihr klar, aber wir hier in Griechenland wollen es nicht zugeben. 2015 wollte sie nicht zusehen, wie die EU zerbricht, weil einige in Berlin und Athen mit dem Schicksal eines Landes spielten. Sie hat uns in der Eurozone behalten und die EU zusammengehalten. Jetzt scheint sie die Rolle des Gegengewichts zu Trump, Putin, den Chinesen, Erdoğan und anderen einzunehmen. ... Es ist schwierig, Deutschland als Führer der freien Welt, als Nachfolger von Obamas Amerika zu akzeptieren. ... Doch da Trump es vorzieht, sich mit West Virginia zu beschäftigen als mit dem Mangel an Demokratie in Osteuropa, der griechischen Krise, dem Zypernproblem oder Erdoğans Wahnsinn, muss jemand die Lücke füllen.“
(Panos Papadopoulos)

LA STAMPA (IT)
Es bleibt nur die eiserne Kanzlerin
Mit dem Abschied Obamas beginnt eine neue Ära, glaubt La Stampa:
 „Es ist der Beginn des Widerstands der liberalen Demokratien gegen das Phänomen Trump-Brexit-Cinque-Stelle. ... Es wird nicht einfach sein, denn die Werte der westlichen Demokratien seit Ende des Zweiten Weltkriegs scheinen nicht mehr von allen Bürgern geteilt zu werden. ... Obama und Merkel, aber auch Hollande und Renzi müssen die Verantwortung auf sich nehmen. Sie haben beigetragen zu der politischen Revolution, deren Opfer sie nun sind. Die Unfähigkeit, die Globalisierung den unteren Schichten 'anzupreisen', das teutonische Beharren auf dem Sparkurs, selbst wenn er kontraproduktiv ist, die wirtschaftlichen Schummelspielchen Südeuropas - all das hat zur Entfremdung der Bürger beigetragen. ... Die Fronten sind nun klar abgesteckt. Auf der einen Seite charismatische und Honig um den Mund schmierende Verschrotter wie Trump, Le Pen und Grillo. Und auf der anderen? Nun, da der Präsident der Hoffnung sich verabschiedet hat, bleibt auf der anderen Seite nur die eiserne Kanzlerin.“ (Francesco Guerrera)

 LE POINT (FR)
Merkel ist keine große Politikerin
Dass Angela Merkel eines Tages eine Führungsrolle innerhalb der EU erhalten würde, war alles andere als absehbar, analysiert Le Point:
 „Das Seltsamste ist, dass Deutschland nicht wirklich danach gestrebt hat, sich als Führer Europas zu positionieren: Die Schwäche seiner Partner, vor allem der Bedeutungsverlust Frankreichs, haben die Kanzlerin dazu veranlasst, diese Rolle zu übernehmen, für die sie eigentlich gar nicht geeignet war. … Sie ist alles andere als eine Frau der Visionen und großer strategischer Manöver. Sie sträubt sich davor, internationale Verantwortung zu übernehmen, welche die Bedeutung ihres Landes erfordert, und hat weiterhin Vorbehalte hinsichtlich eines Bundeswehreinsatzes im Ausland. Sie ähnelt, wie sie es selbst sagt, eher einer schwäbischen Hausfrau, die sich um eine wohldosierte Suppe bemüht und auf ihre Geldbörse achtet. Es sind die Umstände und die Zufälle der Geschichte, die Angela Merkel zur Galionsfigur der Europäischen Union gemacht haben.“ Pierre Beylau 

POLITIKEN (DK)
Gebraucht wird ein Team 
Merkel allein wird es ganz sicher nicht schaffen, die geltende Weltordnung zu retten, wirft Politiken ein:
 „Viele beeilen sich jetzt, Angela Merkel als die neue Führerin der freien Welt auszurufen. Aber das ist zu vereinfacht und zudem verkehrt. Die deutsche Führung ist willkommen und notwendig. Aber für das Überleben der EU und der transatlantischen Zusammenarbeit ist mehr notwendig. Andere - auch dänische - Politiker müssen mit ganzem Herzen die Institutionen und Werte verteidigen, die das Rückgrat unseres wirtschaftlichen und politischen Systems ausmachen. Wir brauchen keine Einzel-, sondern eine Teamleistung.“

Was hat Neoliberalismus mit Trumps Erfolg zu tun?

"Wendy Brown, geboren 1955, ist Professorin der Politikwissenschaft an der University of California in Berkeley. Sie gilt als eine der führenden öffentlichen Intellektuellen der USA. Ihre Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt."

"Brown: Die Idee einer politischen Demokratie, welche Freiheit nicht nur als Wohlstand und Wettbewerb versteht, sondern auch als Teilhabe, verfängt nicht mehr.
SPIEGEL ONLINE: Wieso?
Brown: Die Demokratie wird zum Feind des Marktes erklärt. Aus der Perspektive des Neoliberalismus stört Demokratie den Markt, weil sie umverteilt und somit eine Gruppe begünstigt und andere benachteiligt. Aus dieser Haltung resultiert eine Abwertung beziehungsweise Geringschätzung von Demokratie - und jetzt wurde eben ein Geschäftsmann zum Präsidenten gewählt, der bislang über keinerlei politische Erfahrung verfügt.
SPIEGEL ONLINE: Trump bringt den Neoliberalismus ins Weiße Haus?
Brown: Er geht ins Oval Office, um Deals abzuschließen. Er versteht das, was er tut, als einen Prozess des Dealmaking. Und viele US-Bürgerinnen und -Bürger waren der Meinung, wir bräuchten einen Unternehmer: "Schluss mit den Politikern, sie vermasseln nur alles", hieß es oft."

(Trump-Wähler: "Die Demokratie wird zum Feind des Marktes erklärt") SPON

Mittwoch, 16. November 2016

Muss die EU sich von der Nato unabhängig machen?

Die EU soll sich in Zukunft mehr um ihre eigene Sicherheit kümmern. Das haben die Außen- und Verteidigungsminister zu Beginn der Woche beschlossen. Wie stark das Engagement jedoch ausfallen wird, ist noch umstritten. Einige Kommentatoren finden es wichtig, dass die EU sich nach Trumps Wahlsieg unabhängiger von der Nato macht. Andere sind skeptisch, ob die Union politisch und finanziell überhaupt in der Lage dazu ist. (euro|topics: Muss die EU sich von der Nato unabhängig machen?)

 HANDELSBLATT (DE)
Zeit der Abrüstung ist vorbei
Friedenssicherung in Europa ist ohne Waffen nicht mehr machbar, fürchtet das Handelsblatt:
„Mit der Wahlkampfansage von Donald Trump gegen die Nato dämmert der Mehrheit hierzulande: Das Vierteljahrhundert der Abrüstung seit dem Mauerfall ist endgültig vorbei. De facto markierten bereits die Annexion der Krim und die Grenzverletzungen in der Ostukraine durch Russland das Ende dieser glücklichen Phase. ... Trumps Drohung, den Europäern keinen allumfassenden Schutz mehr bieten zu wollen, beendet die Illusion dieses Friedens ohne Waffen. ... Natürlich wäre eine Welt ohne Waffen wünschenswert. Es hat diese Welt allerdings auch im letzten Vierteljahrhundert nur bedingt gegeben. Die Aversion gegen alles Militärische konnten wir uns in Deutschland nur so lange leisten, wie die USA in der Nato als Schutzmacht für Notfälle bereitstanden.“ (Donata Riedel)

LE MONDE (FR)
Mehr Geld fürs Militär bringt mehr Sicherheit
Höhere Verteidigungsausgaben sind für Le Monde das einzig wirksame Mittel, um in Europa für mehr Sicherheit zu sorgen:
„Für die Nordeuropäer, die es ablehnen, dass die EU der Nato Vorrechte streitig macht, ist die Vorstellung [von EU-Institutionen der Verteidigung] ein rotes Tuch. Kurzfristig ist es wichtig, einen Konflikt zwischen EU und Nato zu vermeiden und die isolationistischen Kräfte in den USA einzudämmen. In dieser Hinsicht hat der britische Verteidigungsminister Michael Fallon seinen Amtskollegen treffend erklärt, dass 'angesichts der Wahl Trumps höhere Verteidigungsausgaben die beste Reaktion sind'. Die Amerikaner hätten dann einen Vorwand weniger sich zurückzuziehen. Dies würde Europa sicherer machen. Frankreich, das mehr als die anderen zur europäischen Sicherheit beisteuert, käme dabei auf seine Kosten.“

 DE VOLKSKRANT (NL)
EU kann sich mehr Verteidigung gar nicht leisten
Eine stärkere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik ist zwar wünschenswert, aber nicht zuletzt aus finanziellen Gründen unrealistisch, glaubt De Volkskrant:
„Der EU fehlt es nämlich nicht nur an militärischen Mitteln, sondern auch am Willen und dem politischen Zusammenhalt, um diese einzusetzen. ... Es ist also die Frage, ob die europäische Antwort auf ein raueres geopolitisches Klima mit weniger amerikanischem Schutz mehr Verteidigung sein sollte, oder gerade mehr Appeasement gegenüber externen Bedrohungen. Letzteres kann katastrophal sein, ist aber auf jeden Fall kurzfristig billiger. Die Fragen, vor denen Europa nun steht, sind von großer Bedeutung. Sind zum Beispiel die europäischen Nato-Mitglieder bereit, ihre Verteidigungsausgaben deutlich und für längere Zeit zu erhöhen? ... Die Debatte darüber wird sicher schwierig. Denn mehr Zielstrebigkeit bei der europäischen Zusammenarbeit ist gut, aber reicht als Antwort auf die großen Haushaltsprobleme nicht aus.“ (Arnout Brouwers)

DAILY MAIL (GB)
Brüssel darf Militär nicht kontrollieren
Die Verteidigungspolitik in die Hände der EU zu legen, hält The Daily Mail für einen schrecklichen Plan:
„Die EU-Staaten haben zu lange bei den Verteidigungsausgaben gespart. Sie wussten genau oder erwarteten zumindest, dass die USA für ihre Sicherheit zahlen würden. ... Die richtige Reaktion auf den nächsten US-Präsidenten ist nicht noch mehr Kontrolle durch die EU, wie uns das Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerne glauben machen würde. Lassen wir einmal die zutiefst abschreckende Vorstellung beiseite, dass dieser Champagner schlürfende frühere Regierungschef Luxemburgs direkten Einfluss auf militärische Angelegenheiten haben könnte. ... Der Punkt ist, dass der Aufbau einer EU-Armee die Nato schwächen würde. Letztere war seit Ende des Zweiten Weltkriegs das Fundament der westlichen Verteidigung und Sicherheit. Außerdem könnte eine EU-Armee Russland provozieren.“

Dienstag, 15. November 2016

Steckt die westliche Demokratie in der Krise?

In welche Richtung Donald Trump die USA führen wird, darüber herrscht auch nach der Ernennung seines Teams und Interviews zu seinen Regierungsvorhaben noch wenig Klarheit. Einige Kommentatoren sehen in Trumps Wahlsieg ein weiteres Zeichen für den Untergang westlich-liberaler Demokratievorstellungen. Für andere ist er die gerechte Ohrfeige für das linksliberale Establishment.
(euro|topics:  Steckt die westliche Demokratie in der Krise?)

THE WASHINGTON POST (US)
Albtraum für Liberale ist wahr geworden 
Liberale in den USA stehen vor vier schwer erträglichen Jahren, schreibt Karikaturenzeichner Tom Toles in der Washington Post:
„Man könnte sagen, dass es kein besseres Ergebnis hätte geben können, um den Liberalismus in den Vereinigten Staaten zu zerstören und zu demoralisieren, soweit das Auge sehen kann. Da habt ihr's, so sieht das Worst-Case-Szenario für Liberale aus - und es wird mindestens vier Jahre bestehen bleiben. Wie sich das anfühlt? Schlimmer als ihr euch das vorstellen könnt. Ich habe nicht wenige Erwachsene weinen gesehen, und das wiederholt. Wenn ihr also darauf gehofft hattet, schadenfroh sein zu können, dann habt ihr jetzt die Gelegenheit, das voll auszukosten. Die Regierung des Landes ist nun gänzlich in eurer Hand.“ (Tom Toles)

 ÚJ SZÓ (SK)
Trump ist der Höhepunkt eines Trends
Der Vormarsch von Populisten in der westlichen Welt ist am Ende dieses Jahres nicht mehr zu übersehen, warnt Új Szó:
 „In den Niederlanden wurde in einem Referendum einer weiteren Annäherung zwischen der EU und der Ukraine eine Absage erteilt. Tatsächlich hatte der Volksentscheid die Europäische Union zur Zielscheibe, die Euroskeptiker wollten lediglich ihre Schlagkraft und ihr Mobilisierungspotenzial testen. Dann folgte der Brexit, der in der EU ein veritables Beben verursachte. ... Das ungarische Referendum war zwar ungültig, indes pflichteten 98 Prozent der beteiligten Bürger der populistischen Hetze der Regierung von Viktor Orbán gegen Flüchtlinge und Einwanderer bei. ... Der vorläufig letzte Erfolg von Demagogie und Populismus ist nun der Triumph Trumps.“

 NRC HANDELSBLAD (NL)
Nur ein Land hält noch dagegen
Nach dem Sieg von Donald Trump ist Deutschland das letzte moralische Vorbild für die westliche Welt, lobt Publizist Joris Luyendijk in NRC Handelsblad:
 „Ein dreifaches Hurra für die deutschen Eliten. Es ist nicht so, dass es in Deutschland keine politischen Glückssucher, Scharlatane, Verschwörungstheorien verbreitende Hetzer oder Neonazis gäbe. Im Gegenteil. ... Doch den deutschen Eliten der Nachkriegszeit gelingt es immer noch, den charismatischen Irrlichtern, Zynikern und rassistischen Demagogen keine Bühne zu geben. ... Deutsche Politiker sind Teamspieler, die sich von ihrem Verantwortungsbewusstsein leiten lassen. Jahrzehntelang verachteten angelsächsische Kommentatoren und Journalisten diese Konsens-Politik: langweilig und grau. Inzwischen kennen wir die Alternativen. Wer Demokratie als Teil der Unterhaltungsindustrie behandelt, der bekommt Trump und Brexit. Das ist die Lektion des Jahres 2016.“

 CORRIERE DELLA SERA (IT)
Die Quittung für die Ignoranz der Etablierten
Die etablierten westlichen Parteien haben den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel gesetzt und müssen sich nun nicht wundern, wettert der Historiker Ernesto Galli della Loggia in Corriere della Sera:
 „Sozialdemokraten wie Konservative haben den Ernst der Lage nicht nur sehr spät begriffen, sondern wussten auch nicht, wie sie reagieren sollten, als sie es im Zuge der Finanzkrise 2008 endlich kapiert haben. ... Statt nach neuer Motivation und neuen Formen des kollektiven Zusammenlebens in der Krise zu suchen, haben Rechte wie Linke de facto die Auflösung des sozialen Zusammenhalts weiter begünstigt. Sie haben sich in der Regel auf die Seite der 'Großen' geschlagen und den kulturell rückständigeren, demographisch älteren, geographisch peripheren und ärmeren Teil der Bevölkerung vernachlässigt. Sie haben die Rechte des emanzipierten Individuums über die Identität des kleinen Mannes von der Straße gestellt. ... Dabei haben sie vergessen, dass im Moment der Wahlen der Mann von der Straße rein zufällig die Mehrheit bilden kann.“

 THE TIMES (GB)
Trumps Gegner sind die wahren Fanatiker
Nach Trumps Wahlsieg den Untergang des Abendlandes zu predigen, sieht den Linken mal wieder ähnlich, schimpft Kolumnistin Melanie Phillips in The Times:
 „Trumps Sieg werde Hass, rassistische Gewalt und das Ende der Demokratie bringen, wird behauptet. Doch die Opfer von Hass und rassistischen Angriffen sind die Anhänger Trumps. ... Das Ziel der Linken ist es nicht, Ignoranz und Fanatismus zu bekämpfen, sondern Macht und Kontrolle zu erlangen. Seit Jahrzehnten versuchen Liberale, jeglichen Widerstand gegen die revolutionären Versuche der Linken niederzutrampeln, die Gesellschaft nach deren Vorstellungen umzuwandeln. Der Brexit-Trump-Volksaufstand hat ihnen die erste schwere Niederlage zugefügt. Die Linken präsentieren sich selbst gerne als Gemäßigte und die wahren Gemäßigten als Extremisten. Was wir nun sehen ist die Gegenrevolution der Bürger - ein Versuch, die Politik ins wahre Zentrum der kulturellen Schwerkraft zurückzuführen.“ (Melanie Phillips)

Mittwoch, 9. November 2016

Donald Trump wird Präsident der USA

Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA gewonnen. Für viele überraschend gewann der Republikaner auch Staaten, in denen Hillary Clinton in den Umfragen führte. Was sind die Gründe für seinen Sieg und was bedeutet er für die USA und den Rest der Welt?
(weiterführende Links bei euro|topics)

 THE INDEPENDENT (GB)
Fakten zählen nicht mehr
Dass Donald Trump trotz seiner vielen unwahren Behauptungen im Wahlkampf so stark punkten konnte, ist ein Beweis für den Siegeszug der post-faktischen Politik, klagt Kolumnist Matthew Norman in The Independent:
 „Die Wahrheit wurde dermaßen entwertet, dass das, was früher der Goldstandard der politischen Debatte war, nun eine wertlose Währung ist. ... Wie haben wir nur diesen veränderten Bewusstseinszustand der Massen erreicht, den George Orwell in seinem Roman 1984 vorausgesehen hatte? ... Trump ist nicht die Ursache eines wilden Wunsches, der Wirklichkeit zu entfliehen. Er ist dessen Manifestation. Wie wir es schaffen könnten, diese Entwicklung umzukehren? Wie den vom Internet aufgezogenen und verdorbenen Generationen beibringen, beweisbare Tatsachen mehr zu schätzen als die Lügen, die genau die Wahrheit verstärken, die sie sich ausgesucht haben? Ich habe keine Ahnung.“ Matthew Norman

ROMÂNIA LIBERÂ (RO)
Damm des Fremdenhasses ist gebrochen
Trumps Wahlsieg wird die fremdenfeindlichen Kräfte weltweit stärken, schreibt România Liberă:
 „Es wurde immer deutlicher, dass die westliche Welt es satt hat, freundlich und offen für jene zu sein, die Hilfe brauchen und für die Fremden in ihrer Mitte. Die immer stärkere Popularität der Rechtsextremen in Europa beweist das. Der Brexit, der vor allem durch den Wunsch zustande gekommen ist, die Migranten in Großbritannien loszuwerden, hat es offiziell bestätigt. Die Wahl von Donald Trump ist der bisherige Höhepunkt dieser tiefen Intoleranz. Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Aggressivität gegenüber Migranten, Pro-Putinismus, propagiert von jenem Mann, der Präsident der größten Macht des Planeten wird, sind jetzt Einstellungen, die offen zur Schau gestellt werden können. ... Hierin liegt der Schlüssel des folgenden Desasters.“ Razvan Chiruta

THE IRISH INDEPENDENT (IE)
Nun rächt sich eine verfehlte Politik 
Mit einer rigiden Geldpolitik in den 1980er-Jahren und dem Freihandelsabkommen Nafta führten die US-Notenbank und frühere Regierungen bewusst eine Schwächung der Mittelklasse in den USA herbei - und dies hat nun Trumps Sieg ermöglicht, analysiert The Irish Independent:
 „Die politischen Folgen dieser Entwicklungen waren einerseits der schrittweise Rückgang der Realeinkommen der Werktätigen und andererseits eine deutliche Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. ... Letztlich gewann die Fed ihren 20-jährigen Krieg gegen die Inflation, doch die daraus resultierende soziale Ungleichheit wurde zum dominierenden Faktor dieses Präsidentschaftswahlkampfes. Die Schwächung der US-Arbeiterklasse und der unteren Mittelklasse war nicht etwa eine ungewollte Folge der Politik. Sie war deren Ziel - und nun zahlt Amerika den Preis dafür. Das war die bestimmende Entwicklung in den USA und das steckt hinter diesem Wahlergebnis.“ David McWilliams

 JORNAL DE NEGÓCIOS (PT)
Trifft Obama eine Teilschuld?
Die Frage, ob acht Jahre Obama letztlich zum Wahlsieg Trumps geführt haben, wirft Jornal de Negócios auf:
 „Es ist legitim zu fragen, ob acht Jahre Obama zu erklären helfen, warum dieser neue Zyklus der US-Politik mit einem so tief gespaltenen Land beginnt. Dass Obama selbst das Substrat für Trumps Aufstieg geliefert haben soll, ist eine Hypothese, die in den USA bereits in mehreren Analysen zu lesen war. Hat Obama die Anliegen des weißen und konservativen Amerikas, der weißen US-Amerikaner ohne College-Ausbildung bagatellisiert - oder sogar für die Anliegen der Minderheiten geopfert? Trägt Obama Schuld an diesem gebrochenen Amerika? Die Verantwortung für die letzten acht Regierungsjahre liegt schließlich bei ihm. ... Der Trump-Sieg 'im Stile des Brexit' bedeutet nicht das Ende der Welt. Aber diese wird wahrscheinlich künftig ein schlechter Ort sein, um dort zu leben.“ André Veríssimo

 PRÁVO (CZ)
Dieses Amerika wird nicht wieder groß
Donald Trump wird es schwer haben, seinen Wahlslogan umzusetzen, demzufolge er Amerika wieder groß machen wolle, prognostiziert Právo:
 „Ein gespaltenes Land kann nur schwerlich wieder groß werden. Und Amerika wird gespalten bleiben, wenn ein Zehntel der Bevölkerung seinen Reichtum weiter steigert, während die Schlange derer immer länger wird, die von kostenfrei ausgegebenen Lebensmittelgutscheinen abhängig sind, weil ihr Einkommen zum Lebensunterhalt im begütertsten Land der Welt nicht ausreicht. ... Die einzige Supermacht der Welt wird sich nach den Wahlen noch mehr mit sich selbst beschäftigen. Der Rest des Planeten wird für die USA ein Platz werden, wo sie alte Bündnisse nur noch halbherzig aufrechterhalten oder auch ein Platz, wo sie ihre Stärke beweisen, um von den inneren Problemen abzulenken. Beide Aussichten sind nicht gerade ermunternd.“ Michal Mocek

 LES ECHOS (FR)
Angst und Wut bekämpfen
In den USA haben dieselben Faktoren den Wahlkampf geprägt, die auch in Europa den aktuellen politischen Diskus prägen, analysiert Les Echos:
 „Angst um die eigene Identität und Wut angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs. ... Die Angst des einfachen weißen Mannes, der verurteilt ist, in den USA um die Jahrhundertmitte Teil einer Minderheit zu werden, entspricht in Europa der Furcht vor einem 'großen Bevölkerungsaustausch', die populistische Gruppierungen auf dem alten Kontinent ausschlachten. Genauso wie Donald Trump ein Volk an die Urnen zurückgeholt hat, das nicht mehr wählte, ist Marine Le Pen dabei, ein schweigendes Frankreich zu wecken. Klar ist: In Amerika ebenso wie in Frankreich und Deutschland brauchen die Neugewählten außerordentlich viel Willen und eine enorme Legitimität, um sich von diesen zum Verfall führenden Gärstoffen zu lösen, die fest im Herzen unserer Gesellschaften verankert sind: und zwar vom Multikulturalismus und vom Kommunitarismus.“ Jean-Francis Pecresse

DE TIJD (BE)
USA vor vier verlorenen Jahren
Eine Erneuerung der US-Demokratie fordert De Tijd:
 „Die amerikanische Politik erntet jetzt, was vor Jahren gesät worden ist. Die Kluft zwischen den Republikanern und den Demokraten wurden in den vergangenen Jahren immer größer. ... Eine neue politische Kultur ist notwendig, um die USA wieder mit den Politikern und sich selbst zu versöhnen. ... Es ist schwer, in Donald Trump die versöhnende Figur zu sehen, die die amerikanische Politik aus der Misere holen kann. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass vier verlorene Jahre folgen werden. ... Die USA sind am Ende eines politischen Zyklus angelangt, und die Politiker müssen den Mut haben, die Politik auf einen neuen Leisten zu spannen. Das Zwei-Parteien-System ist völlig ausgehöhlt: Die Republikaner werden immer mehr zu einem Sammelbecken für alle möglichen rechtsradikalen Strömungen, die weit entfernt vom traditionellen Konservatismus stehen. Die demokratische Partei wird dominiert von einigen großen Dynastien, die auch keine Erneuerung zulassen.“ Jean Vanempten 

GAZETA WYBORCZA (PL)
Weltweite Handelskriege drohen
Ein weltweiter Handelskrieg und weniger Sicherheit für Europa sind mögliche Folgen von Trumps Sieg, glaubt Gazeta Wyborcza:
 „Der Kandidat der Republikaner hat so oft widersprüchliche Erklärungen abgegeben und die Seiten gewechselt, dass man tatsächlich nicht genau weiß, was man von seiner Amtszeit erwarten kann. ... Wenn man jedoch seine lautstärksten Aussagen heranzieht, dann dürfte seine Amtszeit vor allem Folgendes bedeuten: Die Grundsätze des freien internationalen Handels werden zugunsten von Wirtschaftsprotektionismus aufgeweicht. Trump hat seine Bereitschaft zu Neuverhandlungen signalisiert. Dies betrifft vielleicht sogar die Freihandelszone mit Kanada und Mexiko (Nafta). Er hat hohe Zölle für Produkte aus Mexiko (35 Prozent) und - was noch wichtiger ist - aus China (45 Prozent) vorgeschlagen. Dies könnte zu weltweiten Handelskriegen führen. Zudem werden die Sicherheitsgarantien der USA für Europa geschwächt. Nach dem Grundsatz 'America First' will sich Trump vor allem um die Interessen seines Landes kümmern.“ Maciej Czarnecki

DIE WELT (DE)
Eisige Zeiten
Außenpolitisch steht die neue US-Regierung vor schweren Aufgaben, warnt Die Welt und sagt eisige Zeiten voraus:
 „Wer vor einem neuen Kalten Krieg warnt, übersieht, dass dieser längst begonnen hat, aber nach anderen Drehbüchern als vor 60 und 70 Jahren. Der neuen Regierung im Weißen Haus … wird vom Rest der Welt keine Hundert-Tage-Pause gewährt. Russland zeigt in der Ostukraine und in Syrien, wie die Phase lähmender Aufgeregtheit von Wahl und Amtswechsel in den USA zu nutzen ist für das eine und andere Fait accompli. Der Nato-Bündnispartner Türkei sendet widersprüchliche Signale in alle Richtungen. Die Europäer halten den Atem an und hätten doch viel früher begreifen können, dass die Zeiten amerikanischer Europe-First-Strategie vorbei sind, dass Russland den Westen heute in Osteuropa und morgen am Schwarzen Meer immer wieder testet und dass, in einem Wort, dem Nordatlantischen Bündnis eine tragfähige Strategie der Eindämmung fehlt.“ Michael Stürmer

SALZBURGER NACHRICHTEN (AT)
US-Präsident ist kein Alleinherrscher
Darauf, dass der US-Präsident zwar der wichtigste Politiker der Welt, aber gewiss nicht allmächtig ist, weisen die Salzburger Nachrichten hin:
 „Zwar ist er der Chef der Exekutive, also der ausführenden Gewalt, der 'Regierung' im europäischen Sinn. Wenn also die Amerikaner von 'the government' sprechen, meinen sie alle diejenigen, die 'in Washington' Politik machen, also Präsident plus Kongress. Unter diesem Gesichtspunkt besteht die amerikanische "Regierung" nicht nur aus dem Präsidenten (und den zugehörigen Ämtern), sondern auch aus weiteren 535 Mitregierenden, nämlich den Mitgliedern von Repräsentantenhaus und Senat. … So muss der wohl mächtigste Politiker der Welt seine Macht mit einem der mächtigsten Parlamente der Welt teilen. Die politischen Gewalten halten sich gegenseitig in Schach (checks and balances). 'Durchregieren' kann der US-Präsident nicht.“

Sieh auch:
Trumps außenpolitische Vorstellungen FAZ 19.12.16

Samstag, 5. November 2016

Kipping (Die Linke) und Fricke (FDP) im Interview

Beten oder kämpfen? ZEIT 2.5.2013

[...] Kipping: In jedem Menschen ist beides angelegt, Altruismus und ein innerer Schweinehund. Und die Frage, was die Oberhand gewinnt, hängt stark von gesellschaftlichen Umständen ab. Insofern ist für mich nicht die Frage: Muss ich auf Unrecht mit Verständnis reagieren? Sondern: Wie sollte eine Gesellschaft sein, damit der innere Schweinehund nicht gewinnt?
Fricke: Wir sind unvollkommen, das heißt aber nicht, dass ich die Folgen daraus hinnehme. Wenn der Staat sich aber hinstellt und sagt, wir machen neue Regeln, und dann wird es gerecht, bleibt dieses Heilsversprechen unerfüllt. Der Staat, der so seinen Finger erhebt, wird zum Ersatzgott. Ich habe Schwierigkeiten damit, wenn ein Staat sich anmaßt, alles machen zu wollen. Diese Haltung entlastet den Menschen von seiner individuellen Verantwortung – letztlich eine Entmündigung. [...]

Middelaar über die Situation der EU (Widerstand gegen Ceta und der Brexit)

Widerstand gegen Ceta war Brexit von links“ von LUUK VAN MIDDELAAR, FR 4.11.16

Middelaar  im Interview:

"Die Vielschichtigkeit Europas wird oft unterschätzt, weil in der Debatte unterschiedliche Europabegriffe nebeneinander benutzt werden. Wir kennen das Brüsseler Europa, also die Vertragswelt der EU. Das ist das, was ich innere Sphäre nenne. Daneben lässt sich Europa beschreiben als Kontinent, verbunden durch Raum, gemeinsame Geschichte und Kultur. Das ist die Welt der europäischen Staaten und Staatenkonferenzen, wie wir sie seit dem 15. Jahrhundert kennen. Das ist die äußere Sphäre. Manchmal scheint es mir, als ob beide Sphären sich verhalten wie die beiden Hälften des Gehirns, getrennt, aber dennoch gibt es eine Wechselwirkung. [...]
Es gibt eine Zwischensphäre, in der die Sphäre der Nationalstaaten und das Brüssel-Europa zusammenkommen. Das lässt sich auch schön beobachten, etwa auf EU-Gipfeln. Kanzlerin Angela Merkel spricht danach vor einer deutschen Flagge, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk sprechen vor der EU-Fahne. Aber Merkel und Tusk und Juncker sind zusammen Europa."
Für Deutschland gilt für das Verständnis von Nation: "Die Sprache ist entscheidend, ein Deutscher könnte sich auch in einem vereinten Europa immer noch deutsch fühlen. Für Franzosen oder Spanier ist das anders. Die Nation konstituiert sich hier im Staat, im politischen Feld. Auch deshalb sie starken Beharrungskräfte. Nicht nur in Frankreich, auch in Spanien oder Polen."
FR: "Sie unterscheiden die unterschiedlichen deutsch-französischen Ansätze in der Euro- und in der Flüchtlingskrise: Regelpolitik gegen Ereignispolitik."
Middelaar: "In der Krise muss man improvisieren. Ein französischer Präsident mag es, seinem Publikum zu zeigen, dass er die Gelegenheit ergreifen kann. In Deutschland ist das viel schwieriger, da ist die Politik Regelarbeit, die Gleichgewicht und Gerechtigkeit schafft. Die europäische Erkenntnis lautet: Man braucht beides."
FR: "Interessanterweise hat Angela Merkel in der Flüchtlingskrise die Regelpolitik verlassen ..."
Middelaar: "Das hat jeden überrascht. [...] Aber interessanterweise hat die deutsche Diplomatie danach versucht,zur Regelpolitik zurückzukommen."

Middelaar meint "Europa war stets ein Versprechen. Auf Frieden und Freiheit". Doch diese Freiheit, die er vornehmlich als Freihandel und "Arbeitnehmerfreizügigkeit" versteht, nutze vor allem Akademikern und der Jugend. "Wir dürfen aber die anderen fünfzig Prozent nicht vergessen, die Veränderungen fürchtet. Europa muss auch dieser Schutzfunktion gerecht werden."
Als Mann, der lange im innersten Kern der EU gearbeitet hat, sieht er nicht die Gefahr für die Demokratie (und Umweltschutzpolitik), die mit Verträgen wie CETA entsteht. und sieht keinen Widerspruch zwischen Freihandel und Freiheit. Dennoch kommt er zu dem bemerkenswerten Schluss:
"Freiheit schaffen fordert eher Regelpolitik, Schutz eher Ereignispolitik. [...] Europa lässt sich nicht gegen die Nationalstaaten bauen, sondern nur mit ihnen."

Nach meinem Verständnis verwickelt er sich in Widersprüche. Einerseits sagt er, Regelpolitik ziele auf "Gleichgewicht und Gerechtigkeit" und Merkel habe mit ihrer Flüchtlingspolitik Regelpolitik  verlassen. Andererseits meint er, Schutz sei über Ereignispolitik zu schaffen. Gleichgewicht und Gerechtigkeit sollen also keinen Schutz bieten? 

Dennoch scheint mir seine Sicht auf die Situation der EU hochinteressant. Selten bekommt man einen Blick auf die Sehweise im Zentrum der EU und selten einen Blick auf die Unterschiede der verschiedenen Nationen, die in der EU zusammen arbeiten. 
Meiner Meinung nach ist der aber entscheidend wichtig dafür, dass wir eine europäische Öffentlichkeit entwickeln, die die Voraussetzung für politische Diskussionen und Meinungsbildung im europäischen Raum und damit für Willensbildung und fundierte Wahlentscheidungen ist. 

Da Beiträge, die die verschiedenen Nationalstandpunkte berücksichtigen, in nationalen deutschen Zeitungen so selten vorkommen, bin ich dankbar für Initiativen wie euro|topics, die es ermöglichen, auch ohne umfassende Sprachkenntnisse und das Abonnement von 27 Zeitungen ein wenig mehr von den nationalen Standpunkten zu Problemen europäischer Politik mit zu vollziehen.  Deshalb nehme ich auch immer wieder solche internationalen Pressestimmen in meine Blogs auf.

(Dieser Blogartikel wurde auf Fontanefans Schnipsel entworfen.)

Freitag, 4. November 2016

Parlament darf bei Brexit mitreden

"Premierministerin May darf den Austritt Großbritanniens aus der EU nicht ohne Zustimmung des Parlaments einleiten, hat ein Londoner Gericht am Donnerstag geurteilt. Die Regierung kündigte Berufung vor dem Obersten Gerichtshof an. Einige Kommentatoren betonen, dass die Mitsprache des Parlaments dem Brexit mehr Legitimität verschafft. Andere kritisieren, dass sich Gerichte in den EU-Austritt einmischen."

The Daily Telegraph (GB) 4.11.16:
Missbrauch des Justizsystems 
Das britische Volk hat sich für den Brexit entschieden und die damit verbundenen politischen Fragen sind nicht Sache der Gerichte, schimpft The Daily Telegraph:
„Es gibt Situationen, in denen die Gerichte am besten handeln, indem sie sich aus einer Angelegenheit heraushalten. Und hier haben wir es eindeutig mit einer solchen Situation zu tun. Nicht alles ist 'ausschließlich rechtlich' zu betrachten. … Wie wichtig dieser Grundsatz ist - sowohl für den Brexit als auch für das künftige verfassungsmäßige Gleichgewicht des Landes - kann gar nicht oft genug betont werden. Wir haben es hier mit einer gefährlichen Situation zu tun, denn dieses Rechtsverfahren stellt einen Missbrauch des Justizsystems dar: Es soll den Brexit trotz des Votums des Volks verzögern oder verhindern. Es gibt verfassungsmäßige und es gibt politische Fragen. Unser System kann nur funktionieren, wenn die Gerichte darauf achten, zwischen beiden zu unterscheiden. In diesem Fall haben sie dabei versagt.“

Independent (GB) 3.11.16
Regierung sollte das Urteil nicht anfechten

Polityka (PL) 3.11.16:
Fahrplan für Austritt gefährdet
Für die britische Politik ist das Urteil des Gerichts bedenklich, findet Polityka:

„Die Entscheidung der Richter verkompliziert das Leben der Regierung, weil dadurch der Fahrplan für den Austritt wieder in Frage gestellt wird. Darüber hinaus betrifft sie den Kern des Brexits: nämlich den Inhalt der Verhandlungen [mit der EU]. Wenn sich nun die Regierung ans Parlament wenden muss, hat sie damit zu rechnen, dass die Abgeordneten mitreden werden. Sie können Druck auf die Regierung ausüben, damit die Verhandlungen weniger hart geführt werden. Es könnte sogar zu einer heftigen Debatte kommen, an deren Ende der Rücktritt der Regierung und vorgezogene Wahlen stehen. ... Dies wäre in der Heimat des Parlamentarismus fast eine Art Selbstmord. So sind auf der Insel schon Stimmen zu hören, dass dieses Urteil nicht bindend sei. Denn der im Referendum vom Juni geäußerte Volkswillen sei am allerwichtigsten.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) 4.11.15
Wichtige Legitimation für den Brexit
Dass der EU-Austritt vom Parlament abgesegnet werden muss, ist richtig, kommentiert die Neue Zürcher Zeitung:

„Brexit heisst Brexit, hat Theresa May immer und immer wieder versichert. Daran wird sich auch nach dem Richterspruch vom Donnerstag kaum etwas ändern. ... Für Grossbritannien wäre ein breites Nachdenken über Weg und Ziel des Austritts bzw. der künftigen EU-Beziehungen aber eine gute Entwicklung. Mit dem blossen Mehrheitsentscheid in einem von Fehlinformationen, Lügen und Widersprüchen geprägten Abstimmungskampf allein hat die Bevölkerung der Regierung noch lange kein politisches Mandat für die Art und Weise gegeben, wie sie die künftigen Verhältnisse gestalten soll. Diese Legitimation muss sich die Regierung erst beim Parlament einholen - je früher, umso besser.“

Donnerstag, 3. November 2016

Asylkompromiss 1992

Lichterketten und SPD-Asylanten Vera Gaserow  29. 11 2012
[...] Erst Mitte der siebziger Jahre, vor allem als der Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte das Asylrecht zum einzig legalen Einwanderungsweg in die Bundesrepublik machte, wurde die Zahl der Asyl suchenden Menschen zu einer wahrnehmbaren Größe. 1980, im Jahr des Militärputsches in der Türkei, kletterte sie über die Grenze von 100.000. Im selben Jahr tauchte auch das Wort »Asyl« erstmals mit dem Anhang »ant« im Duden auf – Asylant wie Simulant, Querulant, Denunziant. Bald stand ein »Schein« davor. [...]
Engholms Bereitschaft, das Asylrecht anzutasten, trifft die SPD in ihren Grundfesten. Die Parteilinke erzwingt einen Sonderparteitag. Als die 438 Delegierten am 16. November in der Bonner Beethovenhalle zusammenkommen, sind bereits einige Hunderttausend für ein »Hände weg vom Asylgrundrecht!« auf die Straße gegangen. Die 5.000 Unterzeichner des Hamburger Manifestes, an der Spitze Günter Grass, Siegfried Lenz, Ralph Giordano, mahnen die Partei. »Wenn es so etwas wie eine Aura der Verfassung gibt, dann ist es das deutsche Asylrecht des Artikels 16 Grundgesetz, das einzige Grundrecht, das sich nach den weltweiten Verheerungen der Nazis an alle politisch verfolgten Weltbürger wendet.« Diese Verfassungsnorm als Reaktion auf rechtsradikalen Terror zu opfern sei schändlich. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, protestiert.
Alles vergeblich. Zwei Tage lang debattiert die SPD. Am Ende ringt sich die Mehrheit zu einer Grundgesetzänderung durch. Im Gegenzug fordern die Sozialdemokraten ein umfangreiches Integrationspaket für Einwanderer.
Eine Woche später zünden in Mölln Rechtsradikale die Häuser zweier türkischer Familien an. Zwei Mädchen und eine Frau sterben, neun Menschen überleben schwer verletzt. Sie sind keine Asylbewerber. [...]
Am 26. Mai 1993 stimmt der Bundestag in letzter Lesung ab. Das Regierungsviertel in Bonn gleicht einer Festung. 10.000 Demonstranten umzingeln das Bundeshaus. Viele Abgeordneten können den Plenarsaal nur per Hubschrauber oder Rheinschiff erreichen. Nach zwölfstündiger Debatte das Abstimmungsergebnis: 521 Ja-Stimmen, 132-mal Nein. Zwar sind fast die Hälfte der SPD-Abgeordneten bei ihrer Ablehnung geblieben, dazu die Parlamentarier der PDS und vom ostdeutschen Bündnis 90, und auch sieben Abgeordnete der mitregierenden FDP haben liberalen Kurs gehalten. Doch geholfen hat es nicht: Um 22.03 Uhr ist das uneingeschränkte Grundrecht auf politisches Asyl endgültig Geschichte. [...]

Mittwoch, 2. November 2016

Deutschland ohne Klimaschutzplan zur Klimakonferenz in Marrakesch

Streit um Klimaschutzplan:  Klima schützen – aber wie? 
"Nächste Woche beginnt die Weltklima-Konferenz in Marrakesch. Aber die Umweltministerin kriegt ihren Klimaschutzplan nicht rechtzeitig fertig." faz.net 02.11.2016