Freitag, 4. November 2016

Parlament darf bei Brexit mitreden

"Premierministerin May darf den Austritt Großbritanniens aus der EU nicht ohne Zustimmung des Parlaments einleiten, hat ein Londoner Gericht am Donnerstag geurteilt. Die Regierung kündigte Berufung vor dem Obersten Gerichtshof an. Einige Kommentatoren betonen, dass die Mitsprache des Parlaments dem Brexit mehr Legitimität verschafft. Andere kritisieren, dass sich Gerichte in den EU-Austritt einmischen."

The Daily Telegraph (GB) 4.11.16:
Missbrauch des Justizsystems 
Das britische Volk hat sich für den Brexit entschieden und die damit verbundenen politischen Fragen sind nicht Sache der Gerichte, schimpft The Daily Telegraph:
„Es gibt Situationen, in denen die Gerichte am besten handeln, indem sie sich aus einer Angelegenheit heraushalten. Und hier haben wir es eindeutig mit einer solchen Situation zu tun. Nicht alles ist 'ausschließlich rechtlich' zu betrachten. … Wie wichtig dieser Grundsatz ist - sowohl für den Brexit als auch für das künftige verfassungsmäßige Gleichgewicht des Landes - kann gar nicht oft genug betont werden. Wir haben es hier mit einer gefährlichen Situation zu tun, denn dieses Rechtsverfahren stellt einen Missbrauch des Justizsystems dar: Es soll den Brexit trotz des Votums des Volks verzögern oder verhindern. Es gibt verfassungsmäßige und es gibt politische Fragen. Unser System kann nur funktionieren, wenn die Gerichte darauf achten, zwischen beiden zu unterscheiden. In diesem Fall haben sie dabei versagt.“

Independent (GB) 3.11.16
Regierung sollte das Urteil nicht anfechten

Polityka (PL) 3.11.16:
Fahrplan für Austritt gefährdet
Für die britische Politik ist das Urteil des Gerichts bedenklich, findet Polityka:

„Die Entscheidung der Richter verkompliziert das Leben der Regierung, weil dadurch der Fahrplan für den Austritt wieder in Frage gestellt wird. Darüber hinaus betrifft sie den Kern des Brexits: nämlich den Inhalt der Verhandlungen [mit der EU]. Wenn sich nun die Regierung ans Parlament wenden muss, hat sie damit zu rechnen, dass die Abgeordneten mitreden werden. Sie können Druck auf die Regierung ausüben, damit die Verhandlungen weniger hart geführt werden. Es könnte sogar zu einer heftigen Debatte kommen, an deren Ende der Rücktritt der Regierung und vorgezogene Wahlen stehen. ... Dies wäre in der Heimat des Parlamentarismus fast eine Art Selbstmord. So sind auf der Insel schon Stimmen zu hören, dass dieses Urteil nicht bindend sei. Denn der im Referendum vom Juni geäußerte Volkswillen sei am allerwichtigsten.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) 4.11.15
Wichtige Legitimation für den Brexit
Dass der EU-Austritt vom Parlament abgesegnet werden muss, ist richtig, kommentiert die Neue Zürcher Zeitung:

„Brexit heisst Brexit, hat Theresa May immer und immer wieder versichert. Daran wird sich auch nach dem Richterspruch vom Donnerstag kaum etwas ändern. ... Für Grossbritannien wäre ein breites Nachdenken über Weg und Ziel des Austritts bzw. der künftigen EU-Beziehungen aber eine gute Entwicklung. Mit dem blossen Mehrheitsentscheid in einem von Fehlinformationen, Lügen und Widersprüchen geprägten Abstimmungskampf allein hat die Bevölkerung der Regierung noch lange kein politisches Mandat für die Art und Weise gegeben, wie sie die künftigen Verhältnisse gestalten soll. Diese Legitimation muss sich die Regierung erst beim Parlament einholen - je früher, umso besser.“

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