Die Bildzeitung: Greift Putin nach Europa?
Wir wissen, wie man Ängste schürt und Schuldzuweisungen vorbereitet.
Die NATO wird nicht der Alleinschuldige sein. Aber der Nachweis, dass die Ukraine vor unbedachten Schritten zurückgehalten worden ist*, dürfte inzwischen nicht mehr zu führen sein.
Es sind nicht Schlafwandler, die Putin herausfordern, sondern Akteure, die den fehlenden Willen, die einzigen Machtmittel einzusetzen, die sie haben, durch forsche Worte zu ersetzen versuchen.
Weil der europäische Entscheidungsprozess so transparent ist, lässt sich deutlich erkennen, dass es in der EU keine Entscheidung für scharfe Sanktionen geben wird. Deshalb klingen starke Worte umso hohler, je schärfer sie formuliert sind.
Desto größer muss die Angst in den jetzigen NATO-Staaten werden, die ehemals zum Machtbereich der Sowjetunion zählten.
Stephen F. Cohen hat die Lage schon im Juni so analysiert*:
§ An even graver risk is that the new Cold War may tempt the use of nuclear weapons in a way the US-Soviet one did not. I have in mind the argument made by some Moscow military strategists that if directly threatened by NATO's superior conventional forces, Russia may resort to its much larger arsenal of tactical nuclear weapons. [...]
§ Yet another risk factor is that the new Cold War lacks the mutually restraining rules that developed during the forty-year Cold War, especially after the Cuban missile crisis. Indeed, highly charged suspicions, resentments, misconceptions and misinformation both in Washington and Moscow today may make such mutual restraints even more difficult. The same is true of the surreal demonization of Russia's leader, Vladimir Putin—a kind of personal vilification without any real precedent in the past, at least after Stalin's death. (Henry Kissinger has pointed out that the "demonization of Vladimir Putin is not a policy; it is an alibi for the absence of one."* I think it is worse: an abdication of real analysis and rational policy-making.) [Die Hervorhebung des Kissingerzitats stammt von Fonty] - Patriotic Heresy vs. the New Cold War, Stephen Cohen am 28.8.14 in The Nation*
*Nato sieht Ukraine bereits als Verlierer des Konflikts, Spiegel online 1.9.14
* Die Dämonisierung Wladimir Putins ist keine politische Strategie; sie ist ein Alibi für die fehlende Strategie.
* Kurzfassung des gesamten Artikels auf Deutsch von den Nachdenkseiten (1.9.14).
* Kurzfassung des gesamten Artikels auf Deutsch von den Nachdenkseiten (1.9.14).
- Cohen hält die Situation von heute für ähnlich gefährlich wie bei der Konfrontation der USA mit der Sowjetunion bei der Kubakrise. Ein Krieg zwischen der NATO, geführt von den USA, und dem heutigen Russland ist nicht mehr unvorstellbar.
- Sanktionen heizen die Eskalation an.
- Er wendet sich gegen die Dämonisierung Putins und macht darauf aufmerksam, dass damit kritischer zu betrachtende Kräfte in Russland gestärkt und gefördert werden.
- Die Dämonisierung Putins führt außerdem dazu, dass die USA einen wichtigen Partner im Kreml bei der Verfolgung vitaler US-amerikanischer Sicherheitsinteressen verlieren – vom Iran, über Syrien bis Afghanistan.
- Interessant und wichtig die Beobachtung: Anders als beim letzten kalten Krieg gibt es keine effektive amerikanische Opposition zu diesem – nicht in der Administration, nicht im Congress, nicht bei den etablierten Medien, nicht in den Universitäten, den think tanks und der allgemeinen Öffentlichkeit. Diese Beobachtung kann man mit gutem Recht auf Europa übertragen. Auch hier sind zumindest in den etablierten Medien, in den Parteien und in der Wissenschaft die Gegner eines neuen kalten Krieges in der Minderheit. Vielleicht sind die deutsche und Teile der europäischen Öffentlichkeit anders orientiert.
- Cohen berichtet von der Stigmatisierung und der Aggressivität, denen Gegner der herrschenden Politik ausgesetzt sind. Das ist eine neue Erscheinung.
- Er nimmt in seinem Text fünf Trugschlüsse/Irrtümer (fallacies) auseinander.
- Und dann beschreibt er drei Alternativen zur Lösung bzw. weiteren Entwicklung der Krise um die Ukraine:
- Erstens, die Krise eskaliert und zieht russisches und NATO-Militär in die Auseinandersetzung ein. Das wäre die schlechteste Entwicklung.
- Zweitens: die jetzige de-facto-Teilung der Ukraine mündet in zwei ukrainische Staaten. Das wäre nicht das beste Ergebnis, aber auch nicht das schlechteste.
- Drittens, die beste Entwicklung aus der Sicht von Cohen: Erhaltung der vereinigten Ukraine, auf der Basis vertrauensvoller Verhandlungen zwischen den Vertretern aller Regionen einschließlich der Rebellen im Südosten und unter der Aufsicht von Washington, Moskau und der Europäischen Union.
Aktuelle Meldungen:
- Tweets zum Stichwort Ukraine
- Signal an Moskau: USA und Ukraine provozieren mit Manöver im Schwarzen Meer, Spiegel online 8.9.14
- OSZE gibt Details des Minsker Abkommens bekannt, ZEIT online 7.9.14
- Putin stellt Lösung bis Freitag in Aussicht, Spiegel online 3.9.2014
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