Dienstag, 2. April 2013

Ist das Vertrauen in die Unabhängigkeit der deutschen Justiz noch zu retten?

Nach allem, was ich aus den Medien erfahren habe, hat es im deutschen Verfassungsschutz starke Kräfte gegeben, die ein rechtsradikales Terroristentrio bei seinen Mordtaten über viele Jahre hin gedeckt haben.

Beate Zschäpe gehörte zu diesem höchst verdächtigen Trio. Nachdem die Strafverfolgung für die ihr nachgesagten Taten jahrelang vereitelt worden ist, soll sie sich jetzt endlich ihrem gesetzlichen Richter verantworten.

In dieser Situation tun die Medien, die deutsche Politikerklasse und eine Vielzahl von Kollegen der zuständigen Richter alles, um das Vertrauen in diese gesetzlichen Richter zu untergraben.
Wenn sich die Richter dem Diktat der geballten Forderungen nicht unterwerfen, wird es heißen, das Gericht beachte die Rechte der Angehörigen der Mordopfer nicht zureichend. Wenn es sich den Forderungen unterwirft, wird es heißen, das Gericht sei nicht unabhängig und deshalb sei sein Urteil nicht unbefangen.

Das Gericht versucht gegenwärtig den schmalen Grat zu begehen, wo es seinen Fehler (aus meiner Laiensicht jedenfalls war es ein Fehler) hinsichtlich der Nichtzulassung türkischer Medien korrigiert und andererseits den Eindruck vermeidet, sich einem Diktat oder gar dem Druck einer ausländischen Regierung zu unterwerfen.

Kann es diesen Grat so erfolgreich begehen, dass es während des folgenden Prozesses das Vertrauen in seine Unabhängigkeit bewahren kann? Im Augenblick scheint es mir dank des Mitspielens von Vertretern der inländischen Medien noch möglich.
Aber werden Politiker und Medien aus ihren Fehlern beim Prozessauftakt lernen und während des Verfahrens selbst genügend Zurückhaltung üben, dass die Richter ohne Angst für ihre Zukunft herausfinden können, was sie nach besten Wissen und Gewissen aufgrund des Prozessverlaufes für die Wahrheit halten müssen? Werden die Richter überhaupt den Prozess so steuern können, wie sie es für die Wahrheitsfindung für erforderlich halten?
Ob das möglich sein wird, hängt von den Richtern ab, aber ganz wesentlich auch davon, wie die Öffentlichkeit den Prozess begleitet.

Eine andere Sicht aus Kommentaren zu dem oben verlinkten Bericht von ZEIT online.

Zwar liegt dem Kommentator auch an der Unabhängigkeit des Gerichts, doch liegt ihm nichts daran, seine Autorität nicht zu beschädigen. Meiner Meinung nach besteht aber ein enger Zusammenhang zwischen Autorität und Unabhängigkeit. Wer trotz Anschuldigungen von allen Seiten weder kleinlaut werden noch in Trotz verfallen soll, muss ein ganz ungewöhnliches Maß an Selbstsicherheit haben. Ich traue nur sehr sehr wenigen Personen eine solche Unabhängigkeit zu. Wulff und Merkel gewiss nicht, Norbert Lammert freilich schon. Aber eine Amtsautorität, wie sie etwa das Bundesverfassungsgericht - im Unterschied zu den meisten  Bundesregierungen - noch besitzt, kann dabei helfen.

Ich bin kein Jurist. So viel aber weiß ich:

Es geht in diesem Prozess um Schuld oder Unschuld an Morden, an denen Verfassungsschutzmitarbeiter nicht ganz unbeteiligt waren, und es fehlen aufgrund von Handlungen von Verfassungsschutzmitgliedern Akten, die vielleicht Informationen zur Beteiligung von Verfassungsschutzmitarbeitern enthielten.
Die Richter dürfen aber nur verurteilen, wenn die Beweislage es zulässt. Das heißt: Ein Freispruch mangels an Beweisen darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Die Richter müssen andererseits jeden Eindruck vermeiden, dass sie in ihrem Urteil von Einwirkungen von außen abhängig und somit befangen sind.

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn die Prozessordnung darauf Rücksicht nähme, dass aufgrund der Herkunft der Opfer ein spezifisches Interesse ausländischer Medien bestehen könnte und deshalb diesen Medien der Zugang besonders erleichtert werden könnte.
Darauf hat  freilich der Richter bei seinem speziellen Prozess keinen Einfluss. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Seine Regelungen können freilich nur für die Zukunft bindend sein. Mit der gegenwärtigen Problematik müssen die Richter aber aufgrund der geltenden Regeln fertig werden.

Die türkischen Forderungen nehmen inzwischen zu.

Ergänzung vom 3.4.:
Christian Bommarius von der FR (3.4.13) sieht im Gericht den Schuldigen:
"So uneinsichtig und verstockt, wie es sich schon vor Beginn des Verfahrens zeigt, ist es diesem Prozess auch nicht gewachsen."
Vorher hat er freilich schon geschrieben:
"Es ist nicht nur eines der größten Strafverfahren in der bundesdeutschen Justizgeschichte, sondern auch – zumal angesichts des anhaltenden Versagens der Sicherheitsbehörden – eines der anspruchsvollsten. Das Oberlandesgericht scheint sich dessen nicht bewusst zu sein."

Auf mich wirkt es so, als wäre er selbst sich dessen nicht genügend bewusst.
Es wäre mir ja sehr recht, wenn es in Deutschland ein Gericht geben sollte, das diesem Prozess trotz der katastrophalen Rolle, die Verfassungsschutz und Polizei bisher gespielt haben, gewachsen ist.
Wenn man die Aufgabe weiterhin durch dauernde Einmischung erschwert, werden aber selbst wit fähigere Richter als die Münchner lieber die Finger von dem Prozess lassen. (vgl. übrigens auch die Kommentare zu Bommarius)
Besonders gewichtig die Entgegnung des Ex-Richters Christian Naundorf in der FR vom 4.4., der argumentiert, das politisch brisante Thema werde ohnehin nur im NSU-Untersuchungsausschuss verhandelt. Den Prozessalltag würde die Öffentlichkeit allenfalls bis zur Verlesung der Anklageschrift verfolgen. Danach sei erfahrungsgemäß der Saal kaum noch halbvoll.

Ergänzung vom 15.4.:
Das Urteil des Verfassungsgerichts hat dem Oberlandesgericht München jetzt die Chance gegeben, den Fehler seiner Überängstlichkeit zu korrigieren. Dank sei den Klägern, die das BVG angerufen haben. So ist der Streitfall von dort entscheiden worden, wo er hingehört, von der Justiz.
Zu Recht erinnert Anetta Kahane (FR vom 15.4.) daran, dass nicht mit dem Oberlandesgericht München und selbst nicht mit dem - im besten Fall hilflosen, im schlimmsten Fall die Täter unterstützenden -Verfassungsschutz das Problem begann. Der Fehler lag in der viele Jahre betriebenen Verharmlosung des Rechtsradikalismus. Diese Verharmlosung hat sich die Mehrheit der Öffentlichkeit selbst zuzuschreiben.
Wenn die Aufregung über das Oberlandesgericht München ihr ein Ende gemacht haben sollte, dann hätte sie sich segensreich ausgewirkt

Kommentar in Spiegel online am 15.4.

Ergänzung vom 8.8.13:
Die Süddeutsche Zeitung vermittelt den Eindruck, bisher sei der Prozess trotz des fehlenden Geständnisses von Zschäpe recht erfolgreich verlaufen.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Walter Böhme hat gesagt…

@Unknown: So viel ist sicher: Der Fall Gustl Mollath ist nur ein besonders krasser Fall von Fehlentscheidungen in der Justiz.
Der Rechtsstaat als Rechtswegestaat kann gewiss keine Gerechtigkeit sicherstellen. Insofern sind die über die von Ihnen angegebenen Links erschlossenen Fälle informativ.
Ihre Formulierung "Hauptverantwortlich für das perfide Rechtschaos mit Methode sind die Parlamentsabgeordneten, das Bundesverfassungsgericht und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte" wie auch weitere Formulierungen, die auf den über die Links erreichbaren Texte zu erschließen sind, überschreiten aber das Maß einer sinnvollen Polemik. Deshalb habe ich Ihren Kommentar nach einigem Bedenken gelöscht.